Die reaktionären Tendenzen im bundesdeutschen Schulsystem

Schule damals

Der Schulmeister als Handwerker

Wenn heute junge Absolventen pädagogischer Fachrichtungen an bundesdeutsche Schulen kommen, so sind sie geprägt und erzogen von bürgerlichen Schulmodellen, die oft alles andere sind als fortschrittlich und demokratisch. Teilweise stammen die Methoden und Unterrichtsverfahren aus einer Zeit, als Pfarrer und Lehrer noch ein- und dieselbe Person waren und die Kinderarbeit zum Alltag gehörte. Es ist nicht zu verkennen, daß auch heute die Kinder wieder zur Unmündigkeit erzogen werden, daß weniger wissenschaftliche Allgemeinbildung, als vielmehr Untertanengeist und bildungsmäßige Schmalspurigkeit herangezüchtet werden sollen. Die notwendigen Kenntnisse in Biologie, Physik und Chemie wurden durch sporadische, oft sogar pseudowissenschaftliche Erklärungen ersetzt, Religion wurde zum Unterrichtsfach, und scheindemokratische Praktiken vermitteln ein völlig unzutreffenden Bild von der gesellschaftlichen Wirklichkeit. In höheren Schulen dagegen wurden die Methoden des naturwissenschaftlichen Unterrichts verbessert. Man schafft sich so eine Elite, die imstande ist, die technischen, sozialen und administrativen Funktionen 1:1 von den derzeitigen Positionsinhabern zu übernehmen, ohne jemals danach zu fragen, wie denn diejenigen ihr Geld verdienen, die tatsächlich arbeiten müssen. Der rückschrittliche Charakter dieser Art von Pädagogik zeigt sich besonders in der übermäßigen Betonung indivdualistischer Tendenzen und in der Auflösung des Unterrichts im Klassenverband. Man verzichtet heute bewußt auf bewährte Grundsätze der klassischen bürgerlichen Pädagogik zur Organisation des Unterrichts, um die Herausbildung eines wissenschaftlichen Weltbilds zu verhindern und das allgemeine Bildungsniveau zu beschränken. Als Beispiel seien hier die sogenannte Schuleingangsphase und die Projektmethodik genannt, deren Urheber die Nazi-Professoren Peter Petersen und Ernst Krieck waren:

Diese Projektmethode hat ihren Ursprung im amerikanischen Pragmatismus. John Dewej (1859-1952) und William Heard Kilpatrick (1871-1965) waren die Begründer dieser pädagogischen Richtung, die auch im damaligen Deutschland zahlreiche Anhänger fand. Als Ziel wurde die Erziehung des Menschen zum Handeln proklamiert. Bereits das Kind sollte daran gewöhnt werden, seine Kräfte ökonomisch und produktiv zu verwenden. Nicht Aneignung wissenschaftlicher Kenntnisse, sondern Anleitung zum Handeln war die Parole der pragmatischen Pädagogik.

Pädagogisches Prinzip: rastlose Tätigkeit verhindert das Nachdenken

Kilpatrick ging von der Frage aus, ob eine gesellschaftliche Stabilität überhaupt möglich sei. Er beantwortete sie mit einem Vergleich aus der Physik, wonach ein in Bewegung gesetzter Kreisel in seiner Achse stabil bleibt und diese Stabilität erst verliert, wenn die Bewegung nachläßt. Dementsprechend verstand er unter Erziehung zum Handeln eine Erziehung zu rastloser Tätigkeit und geschäftiger Betriebsamkeit. Dieses System der amerikanischen Pädagogik ist deshalb so raffiniert, weil durch das übermäßige Hinlenken auf die individueIJe Lebenspraxis dem Menschen der Einblick in die gesellschaftlichen Verhältnisse erschwert und der Entwicklung eines proletarischen Klassenbewußtseins entgegengewirkt wird.

Ziel des Unterrichts: Verschleierung der kapitalistischen Widersprüche

Die politische Grundidee der Pädagogik Deweys zielte besonders darauf ab, die antagonistischen Widersprüche „auszusöhnen“ und die unterdrückten Klassen daran zu gewöhnen, die gesellschaftlichen Verhältnisse des Imperialismus als gegeben und unveränderlich hinzunehmen. In methodischer Hinsicht erfuhr die Schule eine völlige Umgestaltung. An die Stelle der Lehrpläne traten „Ziele“, sogenannte „Projekte“ (deshalb Projektmethode). Im Gegensatz zur alten sogenannten „redenden“ oder „Buchschule“ sollten mittels lebensnaher Projekte Schule und Leben eng miteinander verbunden werden. Die Notwendigkeit eines systematischen, gut organisierten wissenschaftlichen Unterrichts wurde geleugnet und die Vermittlung systematischer Kenntnisse verhindert. Die subjektive Erfahrung galt als die einzige Quelle des Wissens, und die Schule hatte die Aufgabe, die Gewinnung persönlicher Erfahrungen zu organisieren.

Schüler

… lebensnaher „Unterricht“

Kein Lehrplan mehr, sondern „lebensnahe“ Allerweltsthemen

Deshalb wurden dem Prinzip der „Lebensnähe“ gemäß der Lehrplan, der Stundenplan und die Arbeit im Klassenverband abgeschafft und durch Projekte ersetzt. Typisch sind folgende Projekte: Die Sonnenblumen der Frau Murphy. Wie Herrn Jones neuer Binder mäht. Wie Herr Edmonds seinen großen Silo füllt. Wie Herr Slocum seine Baumwolle pflückt. Wie der Staatsgouverneur Cox über den Völkerbund denkt. Was die Kreisbank mit unserem Geld macht. Wir bauen ein Plättbrett. Wir nähen Puppenkleider. Wir sammeln Walnüsse. Wir kochen Kakao für die Schulmahlzeit. Welches sind die Ursachen für den Typhus bei Herrn Smith. Diese scheinbar aus dem vollen Leben gegriffenen und auch scheinbar mit sozialem Inhalt erfüllten Projekte beschäftigten die Schüler jeweils einige Wochen.

Halbbildung sichert den Bestand der imperialistischen Ordnung

Auf Kosten der Behandlung solcher „Ganzheiten“ wurde das eigentliche Bildungs- und Erziehungsziel der Schule preisgegeben. Auf die Vermittlung eines Systems wissenschaftlicher Kenntnisse wurde verzichtet zugunsten einer Erziehung von Menschen, in deren Halbbildung man keine Gefahr für den Bestand der imperialistischen Ordnung erblickte. Der entschiedenste Vertreter dieser Auflösungsbestrebungen in Deutschland war Peter Petersen (1884-1952). Er entwickelte in Anlehnung an die pragmatische Pädagogik eine Theorie des Gruppenunterrichts, die den Klassenverband zersprengt und in der der Lehrer seine führende Rolle verliert. An die Stelle des Klassenunterrichts tritt eine äußerst starke Individualisierung des Unterrichtsprozesses. Das Programm Petersens basierte auf der Grundlage einer antirationalistischen und in den Faschismus einmündenden Erziehungslehre. Die Erziehung sollte die Aufgabe haben, dem Menschen inmitten der „Lebensnot“ eine scheinbare innere Freiheit und den Gewinn „ewiger Werte“ zu geben. Petersens Erziehungslehre stellte sich also die Aufgabe, das Kind für die „Lebensnot“ der imperialistischen Ordnung vorzubereiten und ihm individualistische Illusionen zu geben, die die Kinder der Werktätigen ihrer Klasse entfremden sollten.

Quelle:
Geschichte der Erziehung, Volk und Wissen Volkseigener Verlag Berlin, 1957, S.380f.

Siehe auch:
J.Günter Jansen: Jahrgangsübergreifender Unterricht (JÜL/FLEX/SAPH). Ist die marode Schule von heute mit Pädagogik aus der Nazi-Zeit zu retten?
http://www.grundschulservice.de/Elternbrief%20Nr.%2019.htm
Schulbücher in der BRD und in der DDR
Das einheitliche sozialistische Bildungssystem der DDR

P.S. Um es noch einmal klarzustellen: Hier müssen sich nicht die Lehrer angegriffen fühlen, denn es ist bekannt, daß sich ein Großteil der Pädagogen durchaus für seine Schüler engagiert und gegen dieses marode BRD-Schulsystem wehrt. Es ist bekannt, daß weithin Lehrkräfte eingespart werden, daß oft Unterricht ausfällt, daß die Lehrer überlastet sind, mitunter sogar an mehreren Schulen unterrichten müssen, und daß manche Schulleiter sogar an zwei Schulen tätig sind… (Und an die Adresse der westdeutschen Leser sei gesagt, daß hier auch die feminine Form gemeint ist. Wir verzichten auf solche sprachlichen Mätzchen wie beispielsweise  „die MenschInnen“…)

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5 Antworten zu Die reaktionären Tendenzen im bundesdeutschen Schulsystem

  1. Tobi schreibt:

    Dieses Schulsystem in der BRD ist echt das allerletzte! Man lernt nur unnötiges Zeug auch in Mathematik und nicht nur in Geschichte und Politik. Klar das die Lehrer nichts dafür können, können auch einem leid tun das diese den Schülern nicht helfen können. Die haben ja den Unterrichtsstoff der vorgegeben ist den Schülern beizubringen. Auch ein Grund warum ich nur noch die mittlere Reife mache und dann ins berufliche Leben gehe.

  2. rheinlaender schreibt:

    Projektorientiert heisst für mich vernetztes Denken, interdisziplinäres Arbeiten und Selbständigkeit zu erlernen. Bsp.: HEIZKOSTENABRECHNUNG : hier kann man anschaulich und spannend lernen lernen wie Wirtschaft (fixe, variable Kosten), Physik (Masseinheiten wie Kilokalorie, Kilowattstunden), Mathematik (Funktionsgraphen, die Zeigen ob es sich lohnt die Heizung runterzudrehen), Biologie (in einer kalten Wohnung muss ich mehr essen um mich warmzuhalten), Staat (werden bei sparsmane Heizen neue Energiesteuern fällig) Aussenpolitik (wie reagiert die OPEC auf Verbrauchsänderungen), Technik (Wärmedämmplatten, Hausbauweise) , Chemie (Kohlendioxidausstoss bei offenem Feuer), Geschichte (Wie überlebten die Menschen früher in kalten Regionen) komplex zusammenspielen.
    In der BRD erlebte ich in fast allen Bildungsstätten – bis auf die altmodische Handwerksaubildungen – das genaue Gegenteil. Theorie und Praxis sind selbst bei den Industriefacharbeitern meilenweit voneinander entfernt.
    Was nutzt die beste wissenschaftliche oder theoretische Ausbildung, wenn man sie nicht anwenden kann ? Was hat eine Gesellschaft von jemanden der in allen Fächern berechtigt ein sehr gut als Note bekommt, aber diese einzelnen Disziplinen nicht VERKNÜPFEN kann ?
    Mit dem Beispiel HEIZKOSTENABRECHNUNG hat man vielleicht den HUNGER auf mehr Theorie geweckt und, kann dann ja immer noch tiefer in die Wissenschaft einsteigen. USA / Schweden Automobil-, Grossindustriefirmen haben sehr profitiert, als sie ungelernte Hilfsarbeiter mit Managern an einem Tisch im gleichen weissen Arbeitsanzug bei MEETINGS zusammenbrachten. Ich hatte noch Ende der 90ger selbst erlebt, dass kapitalistische Angelsachsen dem Hilfsarbeiter (selbst in den deutschen Filialen) nach einigen profitablen Meetings mehr bezahlten als Akademikern mit Doktortiteln.
    Jedes System ist dann stark, wenn die Menschen merken, dass sie selber darauf Einfluss haben und es voran geht. Identifikation ist das Wort.
    Wenn der Ostdeutsche vernetzt gedacht hätte, wäre ihm klar, dass der angeblich BRDWohlstand nur auf gewaltsamen Rohstoffraub / Kriege, Armut im Inneren und das sich zu Krüppeln schuftende Industrieproletariat beruhte. Ob es dann 1989 in der Form gegeben hätte ?

    • sascha313 schreibt:

      Deine Satire in allen Ehren, rheinlaender. Nicht die Heizkostenabrechnung – mit Mathematik, Biologie und Chemie – ist hier der Knackpunkt, sondern das ganze System. Und da gehört schon mal dazu, daß man in Geschichte und Sozialkunde (bei uns hieß das damals Staatsbürgerkunde) über Tatsachen infomiert wird und über Zusammenhänge Bescheid weiß. Und nicht nur mit spannenden und interessanten (???) Nebensächlichkeiten vollgestopft wird.

      Wie kann man Zusammenhänge erkennen? Doch nur, in dem man die Gesetzmäßigkeiten der Geschichte und die Hintergründe der jeweiligen Sozialstruktur erkennt. Das wird heute auf allen Gebieten verhindert – eben auch in den naturwissenschaftlichen Fächern! Auch in der Physik gibt es PARTEILICHKEIT. (Bsp. Einstein: Warum Sozialismus?) Wenn es Dir möglich ist, dann schau mal in ein DDR-Lehrbuch Geschichte Klasse 7, 8, 9 10 – oder Staatsbürgerkunde. Da kannst Du heute noch was lernen!

      Und noch etwas (aber nicht an Deine Adresse!): Es ist doch geradezu eine Frechheit zu behaupten, wie das z.B. auch solche Typen wie Rammelow tun, die niemals in diesem Land gelebt haben, daß dieser Staat DDR ein „Unrechtsstaat“ gewesen sein soll, wo doch geradezu das heutige himmelschreiende Unrecht im Kapitalismus zur Normalität erklärt wird. Für „demokratisch“! Nicht an mangelnder Bildung ist die DDR zugrunde gegangen, sondern – siehe hier:
      https://sascha313.wordpress.com/2014/09/20/kurt-gossweiler-war-der-untergang-des-sozialismus-unvermeidlich/

  3. Vorfinder schreibt:

    Danke! Der Artikel behandelt eines der wichtigsten Themen. Schulsystem und Pädagogik schaffen die Voraussetzungen, dass die herrschenden Verhältnisse noch immer die Herrschenden sind.

    Junge Kinder reagieren an sich noch nicht wie triviale Maschinen. Die in der BRD angewandte Pädagogik hat jedoch eine Erziehung zum Ziel, unsere Kinder zu trivialisieren.

    Die Lehrerschaft wird vom Schulsystem dazu gezwungen, die Kinder vom Erkennen der Welt abzuhalten. Nicht aber zuerst die Lehrer haben Verantwortung zum Widerstand, sondern wir
    Eltern. Zum einen sind die Eltern Vorbild für ihre Kinder und zum anderen müssen die Eltern sich gegen die Pädagogik der Sicherung der Vorherrschaft der Bourgeoisie stellen. Allerdings sind eben Eltern, die jetzt Kinder in dem herrschenden Schulsystem haben, zu großen Teilen auch
    bereits durch die Indoktrination des kapitalistischen Systems beschädigt. Wenige Eltern leider durchschauen überhaupt, was Schlimmes ihren Kindern von einer oben beschriebenen Pädagogik angetan wird. Und noch weniger Eltern schaffen Bündnisse mit Lehrern die sich den Kindern verpflichtet fühlen. Und doch gibt es Lehrer die sich nicht einer Pädagogik verpflichtet fühlen, die Kinder zu funktionierenden Ameisen trimmen soll.

    Das Thematisieren solcher Artikel hilft um überhaupt in die Diskussion zu kommen. Erst mit der Erkenntnis werden Eltern zur Handlung kommen. Dabei muß insbesondere das Übel überwunden werden, dass viele Eltern meinen, sie müßten Ihr Kind für die Anforderungen der kap. Verwertungsgesellschaft „fit“ machen.

  4. walterfriedmann schreibt:

    Hat dies auf Forum Politik rebloggt und kommentierte:
    Das bundesdeutsche Schulsystem

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