Kleines Lexikon Marxismus: Was verstehen wir unter einem Beweis?

Der Beweis ...

Der unschlagbare Beweis …

Lenin schrieb: „Ein bekannter Ausspruch lautet: Würden geometrische Axiome an menschliche Interessen rühren, so würde man sicherlich versuchen, sie zu widerlegen.“ [1] Falsche Anschuldigungen und böswillige Unterstellungen waren im Konkurrenzkampf schon immer ein Mittel, um unliebsame Gegner auszuschalten. Das beste Beispiel dafür sind von Juristen verwendeten Abmahnungen, welche ganz und gar haltlos sind. Um sich einen Vorteil zu verschaffen,  ist es in bürgerlichen Kreisen üblich, einfach nur Behauptungen aufzustellen, ohne dafür auch den Beweis zu erbringen. Oft sind die Beweise aber auch gefälscht. Auf politischem Gebiet (in der bürgerlichen Propaganda) gibt es zahlreiche solche Beispiele. So wurde z.B. von Goebbels und seinen Gefolgsleuten behauptet, die Morde in Katyn seien von der Sowjetunion begangen worden (obwohl inzwischen immer mehr Beweise gibt, die diese Lüge widerlegen). Das gleiche gilt für die Behauptung von den Stalinschen Massenmorden. Sie dient der Diffamierung der sozialistischen Gesellschaftordnung, insbesondere der Verleumdung Stalins (auch diese Lüge wurde mehrfach widerlegt!). Ebenso wurden in jüngster Vergangenheit auch die Lügen über den Abschuß der malaysischen Boeing MH017 durch Rußland bzw. durch die Selbstverteidigungskräfte von Noworossija eindeutig widerlegt; auch hier waren die Beweise gefälscht,  oder sie wurden einfach nicht erbracht, weil es sie nämlich gar nicht gibt. Man muß sich ein wenig in der dialektischen Logik auskennen, um diesen demagogischen Methoden der bürgerlichen Propaganda entgegenzutreten. Der sowjetische Gelehrte, Professor Nikolai Iwanowitsch Kondakow (1900-1985) erläutert: 

Was versteht man unter einem Beweis?
WAS IST BEWEISFÜHRUNG?

I. Im weiteren Sinne versteht man darunter eine logische Operation, die Wahrheit eines Gedankens mit Hilfe anderer Gedanken zu begründen; eine logische Operation, die im Prozeß der Erkenntnis der Umwelt, in den gemeinsamen Handlungen der Menschen im Kampf mit den Naturkräften eine gewaltige praktische Bedeutung hat. Der Beweis und seine Mittel standen bei fast allen Logikern seit der Entstehung der Wissenschaft vom Denken im Zentrum der Aufmerksamkeit. ARISTOTELES sagte, daß die Menschen stets von etwas mehr überzeugt sind, wenn ihnen dargestellt wird, daß dieses Etwas bewiesen ist. Die Fähigkeit der Beweisführung betrachtete er als das charakteristischste Merkmal des Menschen.

Schon Aristoteles war ein Feind der Dummheit

„…Schändlich ist das Unvermögen, sich mit dem Wort zu helfen“, schrieb ARISTOTELES in der „Rhetorik“, „da die Verwendung des Wortes menschlicher Natur mehr zu eigen ist, als die Verwendung des Körpers“. Die alten indischen Logiker im 4. und 5. Jahrhundert untersuchten ausführlich den Prozeß der Beweisführung. Sie gliederten folgende Komponenten heraus: Satz oder These, Begründung, Beispiel, Ähnlichkeit, Verschiedenartigkeit, Perzeption, Schlußfolgerung. Der arabische Philosoph al-FARADI, Kommentator der Werke von ARISTOTELES, betrachtete die Lehre vom Beweis als die Grundlage der Logik.

Behauptungen müssen mit der Wirklichkeit übereinstimmen …

Die Praxis zeigt, daß die Menschen im Prozeß des Gedankenaustauschs die Urteile und Begriffe über die Umwelt und die eigenen Handlungen nicht passiv aufnehmen und weitergeben. Im Gespräch, im Streit, in der Diskussion, im Verlauf eines Urteils über Fragen der Produktion, der Wissenschaft und des täglichen Lebens überzeugen die Menschen die Hörer, Leser, Gesprächspartner und Opponenten von der Wahrheit ihrer Anschauungen und beweisen die Wahrheit ihrer Urteile und Begriffe, widerlegen jene Ansichten, Urteile und Begriffe, die sie für falsch halten. Mit anderen Worten, im Verlaufe des Gedankenaustauschs begründen, beweisen die Gesprächsteilnehmer die Übereinstimmung ihrer Vorstellungen, Urteile und Begriffe über die Gegenstände und Erscheinungen der objektiven Welt.

WARUM IST DAS BEWEISEN SO WICHTIG?

II. Jahrhundertelange Erfahrung hat die Menschen davon überzeugt, daß die wichtigste Eigenschaft richtigen Denkens darin besteht, bewiesen zu sein. Der Beweis ist Widerspiegelung einer der allgemeinsten Gesetzmäßigkeiten der objektiven Realität, des wechselseitigen Zusammenhangs, der wechselseitigen Bedingtheit der Gegenstände und Erscheinungen in unserem Bewußtsein; unsere Gedanken über die Gegenstände und Erscheinungen der Außenwelt müssen sich aber ebenfalls in wechselseitigem Zusammenhang befinden. Aber sowohl im Denken als auch in der Natur gibt es unterschiedliche Zusammenhänge. Die einen sind offensichtlich, sind schon auf den ersten Blick zu erkennen, andere sind nicht direkt zu erfassen. Der Zusammenhang zwischen einem Schlag mit einem Stock ins Wasser und der wellenförmigen Bewegung der Wasseroberfläche ist z.B. jedem offensichtlich, aber der Zusammenhang zwischen einer Krankheit und der Ursache, die sie hervorgerufen hat, ist oft nicht direkt sichtbar.

WAS OFFENKUNDIG IST, MUSS NICHT ERST BEWIESEN WERDEN

III. Das gilt in noch größerem Maße für unsere Gedanken über Gegenstände und Erscheinungen. Der Zusammenhang zwischen den einzelnen Gedanken ist noch weniger offensichtlich, da jeder Gedanke Widerspiegelung von Gegenständen und Erscheinungen der objektiven Realität ist. Dabei ist diese Widerspiegelung bekanntlich keine einfache, direkte, ganzheitliche Fotografie. Unsere Gedanken widerspiegeln nicht mechanisch wie ein einfacher Spiegel die Gesetzmäßigkeiten der Natur und der Gesellschaft. Deshalb ist natürlich das Vermögen, im Prozeß eines Gedankengangs den notwendigen Zusammenhang, in dem die Zusammenhänge der Gegenstände und Erscheinungen der objektiven Realität widergespiegelt werden, überzeugend zu beweisen, ein außerordentlich wichtiges Merkmal des Denkens. Behauptungen aus bloßen Worten galten stets als unnütz.

Behauptungen ohne Beweis sind unnütz – oder böswillige Unterstellungen

In Zusammenhang mit einem kritischen Aufsatz von Paul LAFARGUE über die Possibilisten wies ENGELS auf die fehlenden Beweise hin. Er schrieb an Paul LAFARGUE: „Als Sie aber bei den Possibilisten anlangten, behaupten Sie lediglich, sie hätten sich an die Regierung verkauft, ohne den geringsten Beweis dafür zu erbringen, ohne irgendein Detail zu nennen. Wenn Sie nichts anderes über die Possibilisten zu sagen haben, wäre es besser, gar nichts zu sagen. Hätten Sie alle Schweinereien erzählt … hätten Sie schließlich Tatsachen und Gründe angeführt … so wäre das besser gewesen. Aber die einfache Behauptung, daß sie sich verkauft haben, hat keinerlei Wirkung“ [2]

WELCHE AUFGABEN HAT EIN BEWEIS ?

Da jeder Beweis die Ableitung der Wahrheit des zu beweisenden Gedankens aus anderen Gedanken ist, die als wahr anerkannt sind, so ist natürlich, wie M.I. KARPINSKl bemerkt, die Lösung folgender zwei Aufgaben sehr wichtig:

1. Nur wahre Gedanken als Voraussetzungen anführen

III.1. Bedingungen für den Inhalt eines wahren Gedankens, den man als Prämisse des Wahrheitsbeweises einer These verwenden will, kann die Logik natürlich nicht nennen. Sie werden in jedem konkreten Fall durch die Fachwissenschaft bestimmt. Wie gut auch z.B. ein Physiker die Logik kennen mag, um die Wahrheit der These zu beweisen, daß die Wellenfunktion die statistische Charakteristik eines Quantenensembles und nicht eines einzelnen Elementarteilchens ist, muß er als Prämissen andere wahre Gedanken aus dem Gebiet der Quantenphysik anführen, aus denen man die Wahrheit der zu beweisenden These ableiten kann.

Aber welche Gedanken man der Form nach nehmen soll – ein allgemeines Urteil, ein partikuläres Urteil oder ein Individualurteil –, welche Formen des Zusammenhangs und der Beziehung zwischen den als Beweisprämissen angeführten bekannten wahren Gedanken und der zu beweisenden These zu nutzen sind, das ist Sache der Logik. Hieraus folgt die erste Aufgabe: die Formen der Beziehungen zwischen dem zu beweisenden Gedanken und den Gedanken, mit deren Hilfe die Wahrheit des zu beweisenden Gedankens begründet wird, präzis zu definieren und richtig zu klassifizieren.

2. Nur bereits bewiesene Argumente verwenden

III.2. Die beweisenden Gedanken, oder, wie man sie nennt, die Argumente, müssen selbst bewiesen worden sein, müssen aus anderen wahren bewiesenen Gedanken abgeleitet worden sein – und falls es irgendeinen Zweifel an deren Wahrheit gibt, müssen auch diese durch wahre Gedanken begründet werden. Aber solch ein Prozeß der Begründung der Argumente kann nicht unendlich fortgesetzt werden, sonst wäre der Beweis nicht einer einzigen These möglich. Hieraus folgt, daß die Möglichkeit, die Wahrheit zu beweisen, unausweichlich die Existenz von Wahrheiten voraussetzt, die in dem gegebenen Beweis keiner besonderen Begründung bedürfen. Hieraus folgt die zweite Aufgabe: zu bestimmen, welcherart die Gedanken sind, die keines Beweises mehr bedürfen. Wie aus der dargelegten Definition des Wesens des Beweises ersichtlich ist, wird die Wahrheit eines Gedankens vermittels der Wahrheit anderer Gedanken bestätigt. Aber jeder korrekte logische Beweis muß letztlich auf Tatsachen beruhen, auf Daten der Praxis. LENIN sagt, „daß der Mensch durch seine Praxis die objektive Richtigkeit seiner Ideen, Begriffe, Kenntnisse, seiner Wissenschaft beweist“ [3]. Wenn die Gedanken, mit deren Hilfe eine aufgestellte These bewiesen wird, letzten Endes nicht in der Praxis überprüft werden, ist dieser Beweis zum Scheitern verurteilt.

WIE IST EIN BEWEIS AUFGEBAUT ?

IV. Beweisen muß man in allen Wissenschaften. Dabei ist der Inhalt der Gedanken, deren Wahrheit zu beweisen ist, in jeder Wissenschaft unterschiedlich. Die Logik findet jedoch Gemeinsames, das für alle Beweise charakteristisch ist, unabhängig vom konkreten lnhalt. Aufgrund der Kenntnis jenes Allgemeinen, das dem Zusammenhang und der Verknüpfung der Gedanken im Beweisprozeß zugrunde liegt, gibt es die Möglichkeit, einige Beweisregeln abzuleiten, die für alle Beweise gelten. Dieses für alle Beweise Gemeinsame ist die Struktur des Beweises, sind die Beweisverfahren, die allgemeinen Forderungen an die Beziehung des zu beweisenden Gedankens, an die Beziehung der Gedanken, mit deren Hilfe der zu beweisende Satz begründet wird.

Ein erfolgreicher Beweis besitzt Stabilität!

Bekanntlich zeichnen sich Beweisstruktur und Beweisverfahren durch Stabilität aus. Sie sind das Ergebnis einer langen Abstraktionstätigkeit des menschlichen Denkens, Produkt einer Reihe von Epochen, vieler Generationen von Menschen. Jeder Beweis besteht aus drei Teilen: aus These, Argumenten und Demonstration. Nach dem Verfahren der Beweisführung unterscheidet man den direkten Beweis und den indirekten Beweis. Nach der Form des Schließens, in der die Beweise vollzogen werden, kann die Beweisführung ein Induktionsbeweis oder ein Deduktionsbeweis sein. Damit der Beweis erfolgreich ist, muß man im Prozeß der Wahrheitsbegründung einer These die Beweisregeln beachten. Der Beweis der Falschheit oder Unhaltbarkeit einer These heißt Widerlegung.

WAS IST EIN MATHEMATISCHER BEWEIS ?

V. In der mathematischen Logik ist ein Beweis eine endliche Folge von Formeln, in der jede Formel entweder ein Axiom ist, oder aus den vorhergehenden Formeln der Folge gemäß den Ableitungsregeln folgt.

... quod erat demonstratum.

… quod erat demonstrantum.

ENGELS: „Eine historische Notwendigkeit läßt sich nicht in so kurzer Zeit beweisen wie die Kongruenz zweier Dreiecke…“

VI. Abschließend einige Worte darüber, daß nicht alles, was in den Wissenschaften und im täglichen Leben verwendet wird, bewiesen werden muß. Offensichtliche Wahrheiten bedürfen nicht des logischen Beweises, z.B. Behauptungen wie „im Zimmer ist es warm“, „auf dem Platz brennen die Lampen“, „es regnet“, „die Wolga mündet in das Kaspische Meer“. Es ist Unwissenheit, so sagte ARISTOTELES, nicht zu wissen, wo man Beweise braucht, und wo nicht. Eine schematische, für alle Fälle universelle Beweismethode bzw. ein Beweisverfahren gibt es nicht. Jeder Beweis hat seine Spezifik, die durch den Charakter der zu beweisenden These und der vorhandenen Argumente bestimmt wird. Bei der Wahl der Argumente und des Beweisverfahrens muß man auch den Kenntnisstand dessen berücksichtigen, dem etwas bewiesen wird. Völlig zu Recht bemerkt ENGELS: „Eine historische Notwendigkeit läßt sich nicht in so kurzer Zeit beweisen wie die Kongruenz zweier Dreiecke…“ [4].

Quelle:
N.I Kondakow: Wörterbuch der Logik. VEB Bibliographisches Institut Leipzig, 1978, S.94-96.

Zitate:
[1] W.I. Lenin, Marxismus und Revisionismus. In: W.I Lenin, Werke, Dietz Verlag Berlin 1962, Bd.15, S.17.
[2] Friedrich Engels: Engels an Paul Lafargue in Le Perreux. In: K.Marx/F.Engels, Werke, Dietz Verlag Berlin, 1967, Bd.37, S.122.
[3] W.I. Lenin: Konspekt zur„Wissenschaft der Logik“. Die Lehre vom Begriff. In: W.I. Lenin, Werke, Dietz Verlag Berlin, 1964, Bd.38. S. 181.
[4] Friedrich Engels: Zwei Reden in Elberfeld II. In: K.Marx/F.Engels, Werke, Dietz Verlag Berlin,  1962, Bd.2, S.549.

Download als pdf-Datei: 141123 Kondakow Der Beweis

Siehe auch:
Der schwere Weg der Erkenntnis
Philosophisches. Was ist Wahrheit?

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3 Antworten zu Kleines Lexikon Marxismus: Was verstehen wir unter einem Beweis?

  1. Hat dies auf Muss MANN wissen rebloggt und kommentierte:
    Für Logiker und diejenigen, die es werden wollen.
    Willst du das Denken erlernen, so sei dir bewusst, dass es dir nicht in der Schule beigebracht wurde, denn dort – wie auch sonst – wurden wir mit Wissen abgefüttert, das wir für wahr, aber zumindest für wirklich halten sollen, weil der Sklave nicht denken, sondern glauben soll.

  2. Pingback: Wie Lenin mit artikelschreibenden Spitzbuben umging … | Sascha's Welt

  3. Pingback: Elena Prudnikowa: Die Story der Fälscher | Sascha's Welt

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