Es sind fast immer ökonomische Interessen, die Menschen und Völker dazu treiben, ihre Ziele gegenüber anderen Menschen oder Völkern (notfalls auch mit Gewalt) durchzusetzen. Jede auf Privateigentum an Produktionsmitteln beruhende Gesellschaft hat Ausbeuter hervorgebracht, die sich Reichtümer oder Grund und Boden fremder Völker anzueignen versuchen. So muß man den Konflikt zwischen Israel und Palästina – wenn man ihn verstehen will – vom marxistischen Standpunkt aus betrachten. Andernfalls erscheint er als ein Religionskrieg zwischen Juden und Moslems, was dem Wesen der Sache aber keinesfalls gerecht wird. In einem 1978 erschienenen Büchlein erklärt nun der Historiker Prof. Martin Robbe den Ursprung des Zionismus. Wir sehen heute, wohin dies führt. Die Kriegsverbrechen Israels sind aufs Schärfste zu verurteilen!
In der Nacht vom 14. zum 15. Mai 1948 brach in Nahost ein regulärer Krieg aus. Beteiligt waren Israel, wenige Stunden zuvor als Staat gegründet, auf der einen und die arabischen Staaten Ägypten, Irak, Libanon, Syrien und Transjordanien auf der anderen Seite. Der Krieg fand im folgenden Jahr ein Ende, genauer: Es kam zu einem Waffenstillstand. Der Konflikt, der offen ausgebrochen war, blieb. Daraus wurde der Nahostkonflikt. Weitere Kriege fanden in seinem Rahmen statt, 1956, 1967, 1973. Handelte es sich zunächst vornehmlich um eine arabisch-israelische Konfrontation, so brachen in der Folgezeit zunehmend heftige Auseinandersetzungen in der arabischen Welt aus, drastisch zugespitzt in den Bürgerkriegen in Jordanien (1970) und in Libanon (seit 1975). Camp David, der Ort, an dem 1978 eine Konferenz der Staatschefs der USA, Israels und Ägyptens stattfand, wurde zum Stichwort für diesen Wandel. Die an Erdöl reichen Staaten am Arabisch-Persischen Golf gewannen ein immer größeres Gewicht im Nahostgeschehen.
Fragen über Fragen
Der Nahostkonflikt dauert nun schon über sechs Jahrzehnte an, länger als jeder andere regionale Konflikt nach dem zweiten Weltkrieg. Er hat an Gefährlichkeit nichts eingebüßt. Im Gegenteil – innerhalb der Zuspitzung internationaler Spannungen, wie sie Ende der siebziger und zu Beginn der achtziger Jahre zu registrieren ist, kann er eher noch als früher den Weltfrieden gefährden. Wie kam es zu dem Konflikt? Wer sind die Verantwortlichen? Welche Bewandtnis hat es mit seinem Wandel? Zeichnen sich Lösungsmöglichkeiten ab? Fragen über Fragen. Sie lassen sich keineswegs alle zufrledenstellend beantworten; zu vieles ist noch im Fluß, wichtige Quellen sind bisher unzugänglich, und manche der am Geschehen Beteiligten widersprechen einander. Doch eine Beantwortung muß zumindest gewagt werden. Und um die Gegenwart zu verstehen, ist es unerläßlich, einen Blick zurück in die Vergangenheit zu werfen. Denn wie in keinem anderen Konflikt ist Geschichte im Nahostkonflikt gegenwärtig, in den Realitäten, die aus ihr hervorgingen, wie in den Argumenten der Konfliktparteien.
Der Beginn des Kalten Krieges
Es war nach dem zweiten Weltkrieg. Die Alliierten, die die faschistische Bestie niedergerungen hatten – den Hauptbeitrag hierzu hatte die Sowjetunion geleistet –, unternahmen noch gemeinsam Anstrengungen, der Menschheit fortan Frieden zu sichern. Ein Resultat war die Gründung der Vereinten Nationen (UNO). Doch schon brachen tiefe Gegensätze auf. Das Weltsystem des Sozialismus entstand. Der Zusammenbruch des imperialistischen Kolonialsystems setzte ein. Imperialistische Staaten wollten diese Entwicklungen, in denen sich der Fortgang der 1917 mit der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution begonnenen revolutionären Neugestaltung der Welt abzeichnete, mit einer „Politik der Stärke“, d.h. letztlich gewaltsam, aufhalten und nach Möglichkeit „zurückrollen“. Das beschwor den „kalten Krieg“ herauf.
Israel ein neuer Staat in Nahost
In dieser dramatisch bewegten Zeit, am 14. Mai 1948, wurde auf palästinensischem Territorium ein neuer Staat gegründet: Israel. Den Beschluß hierzu hatte im Jahr zuvor die UNO gefaßt. Doch die Entwicklungen, die zu dieser Staatsgründung führten, begannen Jahrzehnte früher. Und in ihnen verschafften sich widersprüchliche Interessen Geltung.
* * *
EINIGES ZUR JÜDISCHEN GESCHICHTE
Im 19. Jahrhundert schon war unter Juden in Europa die Idee geboren worden, in Palästina, auf arabischem Territorium also, einen jüdischen Staat zu gründen. Wie kam es dazu? Die Juden lebten damals in der Diaspora, das heißt, in der Welt „verstreut“ („Diaspora“ – „Ausstreuung“). Im Jahte 1880 waren dies 7.750.000. Die meisten von ihnen, nämlich 6.858.000 (88,5 Prozent also), waren in Europa ansässig, und dort wiederum vornehmlich in Osteuropa. konkret in Litauen, Weißrußland, Polen, Galizien und Rumänien. 620.000 Juden (das waren 8 Prozent) befanden sich in Ländern Asiens und Afrikas. Der Rest, mehr als eine viertel Million, in Übersee.
Wer sind die Juden?
Die Juden sahen sich in der Tradition der Stämme, die um 1000 v.u.Z. am Ostufer des Mittelmeers, geeint durch den Glauben an den Gott Jahwe, den Staat Israel geschaffen hatten. Die meisten hatten ihre ursprüngliche Heimat, in der sie immer wieder unter fremde Herren geraten waren, freiwillig verlassen, auf der Suche nach günstigeren Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten anderswo. Sie gliederten sich weitgehend dem Wirtschaftsleben und der Gesellschaftsstruktur der Staaten ein, in denen sie sich niederließen. Zugleich suchten sie eine gewisse Zusammengehörigkeit zu wahren, gestützt vor allem auf die gemeinsame Religion. Unter den Juden reproduzierten sich die Klassengegensätze der jeweiligen Gesellschaft, in der sie lebten. Doch wurden sie zugleich als Bevölkerungsgruppe in spezifischer Form – in Gestalt von Diskriminierung, Verfolgungen und Ausrottungsaktionen – zum Opfer der Ausbeutungs- und Unterdrückungsmechanismen, die allgemein die antagonistische Klassengesellschaft kennzeichnen.
Die Anfänge es jüdischen Proletariats
Der Antisemitismus war Jahrhunderte hindurch das Leitbild, mit dem die Ausbeuter und Unterdrücker die Judenfeindschaft schürten. Im Kapitalismus nutzten ihn die Kapitalisten, wie W.I.Lenin im März 1919 erklärte, „um den Blick des Arbeiters zu trüben, um seine Aufmerksamkeit von dem wirklichen Feind der Werktätigen – vom Kapital – abzulenken“. [1] Die osteuropäischen Juden betanden sich im 19. Jahrhundert in einer besonders katastrophalen Situation. Viele von ihnen lebten im Stetl, einer ärmlichen städtischen Siedlung mit stark dörflichem Charakter. Ihre Hauptberufszweige waren Handwerk und Handel. Doch gab es unter ihnen auch viele „luftmenschn“. d.h. Menschen ohne Ausbildung, ohne Kapital und ohne spezifischen Beruf. Maßgeblichen Einfluß in der fest umrissenen Sozialstruktur übten die Rabbis und die wohlhabenderen Kaufleute aus. Doch sprengten die sozialen Kontraste kaum den Rahmen der allgemeinen Armut. Es handelte sich vielfach nur um Unterschiede „zwischen den Armen und den hoffnungslos Armen“, wie Irving Howe schreibt. [2] Und der Druck von außen, dem die Stetl-Bewohner ausgesetzt waren – immer wieder waren sie Opfer von Pogromen –, drängte innere Konflikte ohnehin in den Hintergrund. Als nach 1880 Juden zunehmend in größeren Städten siedelten, bildeten sich Anfänge eines jüdischen Proletariats heraus, dessen Angehörige vornehmlich in Kleinbetrieben beschäftigt waren.
Judenverfolgungen
Das Leben der jüdischen Gemeinschaften in Osteuropa war weitgehend im Traditionellen erstarrt. Und doch wurde es immer wieder von neuen Bewegungen erschüttert. Im siebzehnten Jahrhundert, als Juden besonders grausamen und blutigen Verfolgungen ausgesetzt waren (allein in dem Jahrzehnt von 1648 bis 1658 sollen ungefähr 100.000 ums Leben gekommen sein), trat Sabbatai Zwi auf, um den Anbruch des messianischen Zeitalters und damit einer allgemeinen Erlösung zu verkünden. Im 18. und‘ 19. Jahrhundert setzten arme Juden im Chassidismus der von den Rabbis verwalteten Religion der Herrschenden. die vornehmlich an Kult und Gesetz orientiert war, eine eigene, auf Verinnerlichung zielende und damit jedem gleichermaßen zugängliche Religionspraxis entgegen. Mit der Haskala verbreitete sich im 19. Jahrhundert Gedankengut der Aufklärung vor allem unter den jüdischen Mittelschichten.
Klassenkampf oder „Land der Väter“?
In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts beteiligten sich jüdische Werktätige zunehmend an den Klassenkämpfen, die für den sich entwickelnden Kapitalismus charakteristisch wurden. Sie machten sich sozialreformistische wie marxistische Vorstellungen zu eigen. Die weitgehende Isoliertheit in der die jüdischen Gemeinschaften in Osteuropa verharrten, begünstigte indessen auch Versuche, in der spezifisch eigenen Tradition eine Lösung der anstehenden brennenden Probleme zu suchen. Der Name „Zion“ wurde für sie bestimmend. Er bezeichnete ursprünglich die auf einem Hügel bei Jerusalem gelegene alte Jebusiterfestung, die König David (erste Hälfte des 10.Jahrhunderts v.u.Z.) zu seiner Residenz und zur zentralen Kultstätte der israelitischen Stämme gemacht hatte. Jahrhunderte hindurch knüpften sich an ihn Zukunfts- und Heilserwartungen, die indessen unverbindlich blieben, verwoben mit einer unbestimmten Sehnsucht nach Palästina. dem „Land der Väter“.
… ein „normales“ Leben wie andere Völker auch?
Doch jetzt, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, rückte der Name „Zion“ ins Zentrum einer politisch-ideologischen Bewegung, des politischen Zionismus. Seine Grundkonzeption war – und blieb bis zur Stunde: Juden stellen in Gesellschaften mit überwiegend nicht jüdischer Bevölke~ung, d.h. in den sogel1annten „Wirtsvölkern“, grundsätzlich einen Fremdkörper dar; sie werden niemals die Chance haben, sich anzugleichen, d.h. zu „assimilieren“, sondern können ihre Lage nur grundlegend verbessern, wenn sie auswandern und in Palästina – in Erez Israel, im Lande Israel, wie es dann im zionistischen Sprachgebrauch hieß – einen eigenen Staat gründen. Dann allein können sie ein „normales“ Leben wie andere Völker auch
führen.
Die Juden in Westeuropa
Anders als in Osteuropa hatten die Juden in Westeuropa im Ergebnis bürgerlicher Revolutionen eine – zumindest formale – weitgehende Gleichberechtigung als Staatsbürger erlangt. Das begünstigte in ihren Reihen das Bestreben nach Assimilation, d.h. nach Einordnung in die jeweils gegebene nationale Gemeinschaft. Die Juden in Deutschland wollten Deutsche, diejenigen in Frankreich Franzosen, diejenigen in England Engländer sein, ohne Abstrich und Vorbehalt. In Deutschland machte sich der 1893 gegründete „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“, der fast die Gesamtheit der erwachsenen Juden repräsentierte, zum Anwalt dieses Anliegens. Schon sein Name war programmatisch: Das Judentum sollte allein eine religiöse Angelegenheit sein, ohne Bedeutung für die nationale Identität. Unermüdlich brandmarkte er Benachteiligungen, denen Juden im geschäftlichen oder staatlichen Leben ausgesetzt waren. „Wir sind Deutsche und wollen Deutsche bleiben und hier in Deutschland auf deutschem Boden unsere Gleichberechtigung erringen, unbeschadet unserer jüdischen Eigenart, unserer Treue, unserer Glaubengemeinschaft“, erklärte Eugen Fuchs 1912 im Namen des Centralvereins. [3] (Das an bürgerlichen und kleinbürgerlichen Leitbildern orientierte Emanzipationsstreben und der Eifer, sich in staatsbürgerlicher Gesinnung besonders hervorzutun, führten gleich bei Ausbruch des ersten Weltkrieges zu chauvinistischen Bekundungen des Centralvereins.)
Der Einfluß des Kapitalismus auf die westeuropäischen Juden
Juden in Westeuropa zeigten so wenig Neigung, auszuwandern und einen eigenen Staat zu gründen. Jüdische Kapitalisten spürten indessen, daß sie angesichts der Verschärfung des internationalen Konkurrenzkampfes, die der Übergang des Kapitalismus in sein imperialistisches Stadium mit sich brachte, benachteiligt waren: Ihnen fehlte ein staatlicher Rückhalt. Das wollten sie ändern. Deshalb erwärmten siesich für die Gründung eines jüdischen Staatswesens. Auch nicht jüdische vor allem britische Kapitalisten engagierten sich hier. Sie versprachen sich von einem dienstbaren Staat in Nahost eine Förderung ihrer Kolonialbelange, im Hinblick auf die Sicherung des Weges nach Indien wie auf die Abwehr der sich formierenden arabischen Nationalbewegungen. Es waren so gegensätzliche Beweggründe, die darauf zielten, ein jüdisches Staatswesen zu schaffen.
Theodor Herzl und der politische Zionismus
Theodor Herzl (1860 bis 1904), ein Wiener Journalist und Bühnenschriftsteller, brachte sie auf einen gemeinsamen Nenner. Nachdem bereits Moses Hess (1812 bis 1875) und Leo Pinsker (1821 bis 1891) konzeptionelle Entwürfe geliefert hatten, veröffentlichte er 1896 die Schrift „Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage“, die zum programmatischen Dokument des politischen Zionismus werden sollte. Juden siedelten zu dieser Zeit bereits in Palästina. So hatte Charles Netter im Jahre 1870 im Auftrag der Alliance Israelita Universelle in Paris die landwirtschaftliche Schule in Mikwe Israel bei Jaffa gegründet. Oder Juden aus Rußland hatten 1882 die Kolonie Rischon le Zion geschaffen. Baron Edmond de Rothschild unterstützte jüdische Siedler, die in Not geraten waren, und brachte sie dadurch in seine Abhängigkeit. Herzl ging dies alles nicht weit genug. Er wollte mehr – eben den „Judenstaat“. „Man gebe uns die Souveränität eines für unsere gerechten Volksbedürfnisse genügenden Stückes der Erdoberfläche“, forderte er. „Alles andere werden wir selbst besorgen.“ Die Juden sollten, das war sein Plan, allmählich ihre Heimat verlassen und das ins Auge gefaßte Land besiedeln. „Zuerst werden die Ärmsten gehen und das Land urbar machen. Sie werden nach einem von vornherein feststehenden Plan Straßen, Brücken, Bahnen bauen, Telegraphen errichten, Flüsse regulieren und sich selbst ihre Heimstätten schaffen. Ihre Arbeit bringt den Verkehr, der Verkehr die Märkte, die Märkte locken neue Ansiedler heran.“ [4]
Ein „Judenstaat“ auf fremdem, palästinensischem Gebiet?
Doch wie sollte in Palästina ein Judenstaat entstehen? Das Land war zu diesem Zeitpunkt von Arabern bewohnt. Und es gehörte zum Osmanischen Reich. Herzl agierte, um seinem Ziel näherzukommen, auf zwei Ebenen. Um den politischen Zionismus zu einer Kraft werden zu lassen, die ihn zu Verhandlungen autorisierte, fanatisierte er die jüdischen Massen, die er im Grunde verachtete. Zugleich wandte er sich, um das erforderliche Territorium zu erlangen, an die Mächtigen seiner Zeit, an den deutschen Kaiser, den türkischen Sultan, den russischen Zaren und die britische Regierung. Er gab dadurch dem Zionismus von Anfang an koloniale Züge: Er wollte seine Interessen mit Hilfe einer Großmacht gegen die Araber, die in Palästina lebten, durchsetzen. Herzl gelang es zu Lebzeiten nicht, den für die Realisierung seiner Idee entscheidenden Durchbruch zu erzwingen. Doch schuf er die Institution, die sein Ziel nach seinem Tode weiterverfolgte: den Zionistenkongreß. 1897 trat dieser zum ersten Male in Basel zusammen und konstituierte sich „zur jüdischen Nationalversammlung, zum ‚Staat auf dem Wege’“. Er verabschiedete eine Entschließung, die als „Baseler Programm“ bekannt wurde und die die Forderung enthielt, in Palästina möge eine „öffentlich-rechtlich gesicherte Heimstätte“ für das jüdische Volk geschaffen werden.
… verheizt für imperialistische Zwecke
Die widersprüchlichen Beweggründe, die im politischen Zionismus zusammenflossen, führten immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen. Auf den Zionistenkongressen wurden sie wortgewaltig ausgetragen. Das bourgeoise Element konnte sich indessen eindeutig durchsetzen – das zeichnete sich bereits auf dem I. Zionistenkongreß in Basel ab –, es gab der Gesamtorganisation ihr Profil und ihre Ziele, während es den armen, verfolgten Juden Osteuropas vorbehalten blieb, „die Truppen der Bewegung“ zu stellen, wie Maxime Rodinson formuliert. [5] Sie brachten, und dies war tragisch, Einsatz- und Opferbereitschaft für eine verfehlte, nämlich pro-bourgeoise bzw. pro-imperialistische Sache auf.
Eine religiös verbrämte Besatzerideologie: „Land der Väter“
Um ihren Anspruch auf Palästina zu rechtfertigen, griffen die Zionisten auf die jüdisch-religiöse Tradition zurück. Jahwe, heißt es dort, habe seinem Volk, d.h. den israelitischen Stämmen, die von Ägypten her über die Sinaihalbinsel kamen, das Land Kanaan, d.h. Palästina verheißen. Das war eine der damaligen Zeit gemäße Rechtfertigung der Landnahme. Sie sollte den Neuankömmlingen wohl auch Mut machen. Zionisten meinten, daß dieses vor über dreitausend Jahren angeblich gegebene Versprechen noch heute gültig sei, und dies um so mehr, als die Juden ihrer göttlichen Berufung stets treu geblieben seien und ihre Beziehung zum „Land der Väter“ stets aufrecht erhalten hätten. Ihr Siedeln dort wurde als „Rückkehr in die mythologische Heimat: in das Land der Verheißung“ gedeutet. So hieß es in der Erklärung, mit der 1948 der Staat Israel proklamiert wurde: Das Land Israel war der Geburtsplatz des jüdischen Volkes … Aus Palästina verbannt, hielt das jüdische Volk ihm in allen Ländern seiner Zerstreuung die Treue und hörte niemals auf, für seine Rückkehr und die Wiederherstellung seiner nationalen Freiheit zu beten und zu hoffen.“ [6]
Jüdische Zionistengegner
Der politische Zionismus stieß unter Juden auf heftigen Widerstand. Jüdische Arbeiter in Osteuropa sahen in der Idee, ihre Heimat zu verlassen und nach Palästina zu gehen, einen Verzicht auf ihre Rechte und eine, Kapitulation vor feindseligem Druck. Antisemitismus und Zionismus waren in ihren Augen dasselbe. Mehr noch, der Antisemitismus triumphierte in ihren Augen im Zionismus. Die Antisemiten schrien „Juden raus!“, und die Zionisten akzeptierten dies – sie wollten „raus“. [7] In Westeuropa sahen viele Juden die von ihnen erstrebte Assimilation durch den politischen Zionismus gefährdet. In einer Resolution, auf einer Hauptversammlung 1913 bei nur einer Gegenstimme angenommen, wandte sich in Deutschland der Centralverein gegen die Zionisten, die sich als „Gast im fremden Wirtsvolk fühlen.“ [8] Ludwig Haas, Reichstagsabgeordneter, forderte, den Zionismus mit derselben Schärfe zu bekämpfen wie den Antisemitismus, denn Antisemiten könnten den Juden unter Berufung auf die Zionisten vorhalten: Eure eigenen Leute sagen, daß ihr nicht zur deutschen Nation gehört. [9]
Der Zionismus in den USA
In den USA entstanden Ende des 19. Jahrhunderts erste zionistische 0rganisationen, doch größere Resonanz erlangten sie zunächst nicht. Zwar wuchs die Zahl der Juden, vor allem durch Einwanderer aus Osteuropa sprunghaft in diesem Lande – im Verlauf eines Jahrhunderts von 2.000 auf eine Million –, doch die meisten, die kamen, wollten sich auf Dauer niederlassen und nicht nach einer anderen Heimat Ausschau halten.
Der jüdische Antizionismus
In Auseinandersetzung mit dem politischen Zionismus entstand ein ausgesprochen jüdischer Antizionismus vertreten von Orthodoxen wie von Liberalen. Die jüdische Orthodoxie betrachtete die Politisierung religiöser Erwartungen, wie sie der politische Zionismus vornahm, als unstatthaft. Der Geschäftsführende Vorstand des Rabbinerverbandes in Deutschland veröffentlichte kurz vor dem I. Zionistenkongreß eine Erklärung, in der es u.a. hieß: „Die Bestrebungen sogenannter Zionisten, in Palästina einen jüdischen Staat zu gründen, widersprechen den messianischen Verheißungen des Judentums, wie sie in der Heiligen Schrift und in den späteren Religionsquellen enthalten sind.“ [10] Jüdische Liberale kritisierten die im Rassismus gegebene Verwandtschaft zwischen Zionismus und Antisemitismus, Der „chauvinistische, nationale Rassenwahn“, hieß es in einer Schrift, herausgegeben von einem „Antizionistischen Komitee“ in Berlin, „ist die theoretische Grundlage, der geistige Nährboden des Zionismus! … Es ist immer dasselbe Wasser, mag es nun arisch-antisemitisch, mag es jüdisch-national gefärbt sein, das aus einem vergifteten Brunnen stammt, und das keine Färbung der Welt zu einem gesunden Tranke machen kann. Wer sich auf den Standpunkt stellt, daß die nationale Verhetzung und der Rassenantisemitismus ein Verbrechen an der Kultur sind – und wer täte das nicht –, der muß auch den Bruder im jüdischen Gewande, den nationalen Zionismus, verdammen, weil er ebenso verderblich wirken muß wie jene.“ [11] …
* * *
GIBT ES EINEN ISRAELISCHEN FASCHISMUS?
Der Zynismus und die Menschenverachtung, die in ihm offen durchbrachen, ließen das israelische Vorgehen in Libanon zum Gegenstand heftiger ideologischer Kontroversen werden. Rechtskräfte in kapitalistischen Ländern machten sich Sicht und Sprache der israelischen Rechtsextremisten zu eigen. Die Palästinenser verunglimpften sie als verabscheuungswürdige „Terroristen“. Die Israelis waren angeblich losgezogen, um in einem durch innere Wirren zerrütteten Libanon Ordnung und Ruhe wiederherzustellen. So sah „Die Welt“ (BRD) die Hälfte von Beirut mit allen ihren Menschen in der Gewalt „der Verbrecher der PLO“, während sich die Israelis ihren Worten zufolge im christlichen Ostbeirut wie zu Hause fühlten. [12] Kritik an Israel und seinen Machthabern wurde in zuvor schon immer wieder praktizierter Manier als Antisemitismus abgetan (unter der stillschweigenden oder ausgesprochenen Voraussetzung, daß die politischen Zionisten alle Juden repräsentieren). Rechtskräfte ließen sich durch Logik nicht irremachen. Sie behaupteten, eine wesentliche – wenn nicht die hauptsächliche – Quelle der Kämpfe in Libanon sei darin zu suchen, daß die PLO das Existenzrecht Israels nicht anerkenne. Zugleich zitierten sie maßgebliche israelische Politiker, denen zufolge Israels Einstellung gegenüber der PLO sich durch eine solche Anerkennung nicht ändern werde. [13]
Dürfen deutsche Antifaschisten Israel kritisieren?
Kritik aus der BRD wollten israelische Rechtsextremisten und ihre Apologeten grundsätzlich nicht gelten lassen, unter Hinweis auf eine angebliche Kollektivschuld, die Deutsche durch die faschistischen Verbrechen an Juden auf sich geladen hätten (als ob es keine deutschen Antifaschisten gegeben hätte). Begin verdammte BRD-Kritiker: Da sprechen die Völkermörder und die Söhne der Völkermörder. Dieter Schröder zitierte in der „Süddeutschen Zeitung“ aus Briefen jugendlicher Leser, in denen gefordert wurde, die Kriegsverbrechen Israels zu verurteilen („Uns kocht der Bauch vor Wut über das israelische Verbrechen ….“), um dann von den Verfassern zu verlangen, „wenigstens eine Schamfrist einzuhalten“. „Wer glaubt, über die Israeli so reden zu können wie die Welt über uns redete, und das im Namen einer bewältigten Vergangenheit und einer neuen Menschlichkeit, der irrt; er setzt sich dem Verdacht aus, entweder zu heucheln oder das Versagen des eigenen Volkes durch eine Umkehrung der Vorwürfe zu verdrängen.“ [14] Doch ungeachtet aller Versuche, ihre Gegner von vornherein moralisch zu disqualifizieren, stießen die israelischen Rechtsextremisten in kapitalistischen Ländern auf eine Kritik, wie es sie in dieser Schärfe zuvor nicht gegeben hatte.
Die Kriegsverbrechen Israels
Willy Brandt äußerte am 24. Juni 1982 in der außenpolitischen Debatte des BRD-Bundestages, man könne eine historische Schuld nicht dadurch abtragen, daß man zu ernsten Fehlern oder neuem Blutvergießen seinen Mund halte. [15] Theodor Sommer sprach Anfang August 1982 davon, daß sich in Beirut ein „orientalisches Coventry von gewaltigen Ausmaßen“ anbahne. Das himmelschreiende Unrecht, das die deutschen Faschisten den Juden angetan hätten, erlege, so schrieb er, den Deutschen in der BRD „keine Hörigkeit gegenüber Israel auf, ganz gleich wie moralisch, amoralisch oder unmoralisch dessen Politik sei“. Seit dem Vietnamkrieg habe es solche Gnadenlosigkeit der Kriegführung gegen Unschuldige nicht mehr gegeben. „Die Bombenangriffe auf Westbeirut, das Trommelfeuer der Artillerie, die Salven der Merkava-Panzer – sie legen den Libanon in Trümmer; lauter ‚Minidresden‘ sah der britische Rabbiner Goldberg.“ Die Folgerung von Sommer: „Der Jerusalemer Premier gefährdet den Weltfrieden. Er verdient keine Gefolgschaft. Dies festzustellen, ist nicht Antisemitismus. Auch Deutsche sind nicht verpflichtet, die imperiale Torheit und Tollheit der israelischen Extremisten zu bejubeln.“ [16] Menschen, denen geschichtliche Erfahrungen gegenwärtig waren, sahen sich durch das, was die Israelis in Libanon praktizierten, an den Faschismus erinnert. Doch nicht wenige zögerten, das auch auszusprechen. Hatten Faschisten nicht Juden unsägliches Leid zugefügt? Ging es da an, die Begriffe „Jude“ und „Faschist“ miteinander zu koppeln? Und doch – israelische Rechtsextremisten verübten an Arabern Verbrechen, wie sie nur wenige Jahrzehnte zuvor von Faschisten an Juden verübt worden waren.
Deutliche Worte …
Zionisten selbst hatten schon Jahrzehnte zuvor die Rechtsextremisten in ihren Reihen Faschisten genannt. Jehuda Gotthelf etwa setzte sich auf dem XVIII. Zionistenkongreß 1933 in Prag mit den Revisionisten* auseinander, die nach seinen Worten den Anwesenden mit ihren radikalen Losungen gegen Hitler Sand in die Augen streuen wollten. „Aber jedes Kind weiß schon heute“, fuhr er fort, „daß der Revisionismus nur ein Zweig vom Stamm des internationalen Faschismus ist.“ Etwas später sprach er vom „jüdischen Faschismus“, der „ein Zweig des Weltfaschismus“ sei. (Während Gotthelf stürmischen Beifall von Linkszionisten erhielt, protestierten die Revisionisten.) [17] Angesichts ihrer Verbrechen in Libanon nannte der österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky, der sich wiederholt mit dem politischen Zionismus auseinandergesetzt hat, die heutigen israelischen Machthaber „Halbfaschisten“. Eric Rouleau fragte in „Le Monde“: „Sind Begin und Scharon Faschisten?“ [18]
Quelle:
Martin Robbe: Kein Friede in nahost? Die Araber, ihr Befreiungskampf und Israel. Verlag Neues Leben Berlin, 1978 (Zwischenüberschriften eingefügt, N.G.)
* Revisionisten: (hier) rechtsextremistischer Flügel innerhalb der Zionistischen Organisation; 1935 als selbständige Neue Zionistische Organisation gegründet. Eine starke Affinität zum Faschismus aufweisend trat sie gegen sozialistische Bestrebungen auf. Der Revisionismus hat wesentlich die zionsitische Haltung geprägt, die die Araber als Todfeinde der Juden betrachtet und eine Lösung des für unvermeidbar gehaltenen Konflikts allein in der Anwendung bewaffneter Gewalt sucht.
Anmerkungen:
[1] W.I. Lenin: Über die Progromhetze gegen die Juden. In: W.I. Lenin: Werke, Bd.29, Dietz Verlag Berlin, 1961, S.239.
[2] I. Howe: Die Welt des osteuropäischen Judentums. Ein Überblick. In: Das Ostjudentum etc., (West-)Berlin 1981, S.13.
[3] E. Fuchs: Die Zukunft der Juden. In: Im deutschen Reich. Zeitschrift des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, Berlin, XVIII.Jahrgang, Nr.6, Juni 1912, S.269.
[4] Th. Herzl: Der Judenstaat. Berlin, 1934, S.30f.
[5] M. Rodinson: Der Zionismus – theoretischer Abriß einer Ideologie. In: A.Amad et al.: Nahostkrise, Basel 1978, S.71.
[6] Proclamation of Independence. In: Palestine Yearbook and Israeli Annual, 5709, Volume IV, Ed.byS.A.Udin, N.Y.1948-1949, S.66.
[7] Nach M. Offenberg: Kommunismus in Palästina. … Meisenheim am Glan, 1975, S.124.
[8] Im deutschen Reich, a.a.O. Berlin, XIX.Jahrgang, Nr.5/6, Mai 1913, S.246f.
[9] Im deutschen Reich, a.a.O. Berlin, XIX.Jahrgang, Nr.9, September 1913, S.407f.
[10] Zitiert nach W. Guggenheim: 30mal Israel, München 1973, S.25.
[11] Der Zionsmus, seine Theorien, Aussichten und Wirkungen, Berlin o.J., S.12
[12] Die Welt, 26. Juni und 2. Juli 1982.
[13] Süddeutsche Zeitung, München, 22. Juli 1982.
[14] D. Schröder: Aufschrei ohne Scham. Israel, der Libanon und wir. In: Süddeutsche Zeitung, München, 24. Juli 1982.
[15] Vorwärts, Bonn, 1. Juli 1982.
[16] Th. Sommer: Kritik an Israel – für uns verboten? Begins militärischer Vorstoß nach Beirut und die Haltung der Deutschen. In: Die Zeit, Hamburg, 6. August 1982, S. 1.
[17] Stenographisches Protokoll der Verhandlungen des XVIII. Zionistenkongresses und der dritten Tagung des Council der Jewish Agency für Palästina, Prag, 21. August bis 4. September 1933, Wien 1934, S. 309 f.
[18] Le Monde, Paris, 19. Juni 1982.
Siehe auch:
Martin Robbe: Die Palästinenser – Kapitulation oder Eigenständigkeit (pdf-Datei)
Was ist Antisemitismus?
Lexikon: Was ist Zionismus?
Stalin: Marxismus und die nationale Frage
Antisemitismus – eine demagogische Waffe der Bourgeoisie
Ljubow Pribytkowa: Über den Tod von Sharon freuen sich nicht nur die Araber
The NAKBA – the holocoust of the Palestinians (engl.)
Solidarität mit dem Volk von Palästina!
Hat dies auf Europapolitik rebloggt und kommentierte:
Friede in Nahost