Über die Kunst der Gesprächsführung. Der Disput.

DisputEs wird ja sehr häufig diskutiert. Gegensätzliche Meinungen, Klassenstandpunkte prallen aufeinander, es kommt zu Mißverständnissen, Zwist und Streiterei (das kommt auch unter Gleichgesinnten vor!), und es gibt nicht selten rhetorische Angriffe, die ins Unsachliche, ins Beleidigende entgleiten. Dabei spielen Vorurteile, eine mißtrauische oder feindliche Haltung einem Gesprächspartner gegenüber, oft keine geringe Rolle. Diskussionspartner gehen von verschiedenen Positionen aus,

haben unterschiedliche Begriffe und Kenntnisse. Und schließlich geht es um nichts geringeres als darum, wer am Ende Recht behält bzw. wer die sinnvolleren, die nützlicheren, die besseren Argumente hat, wer Alternativen anbietet und damit überzeugen kann, und darum, wem man künftig folgt. Es geht also nicht um x-beliebige Meinungen und um Rechthaberei, sondern um Orientierungen. Und wenn man so will, geht es um die Macht.  Meinungen dagegen sind austauschbar. Sie hängen vom Wissensstand ab, von den Interessen, oft auch vom Bildungsgrad, von der Erfahrung. Doch sie sind manipulierbar und daher nicht von Dauer… 

Disput [disputatio lat.]: I. wissenschaftliches Streitgespräch; im engeren Sinne Wahrheitsbeweis für eine erörterte Frage, bei dem jede von zwei Seiten ihre Auffassung vertritt und die Meinung des Gegners zu widerlegen versucht. Jeder Disput umfaßt folgende Elemente:

1.1. Die These, d. h. das, was als wahr im Disput bewiesen werden soll. 1.2. Die Argumente, d. h. Gedanken, deren Wahrheit von der Praxis geprüft und bewiesen ist, und die deshalb von den beiden disputierenden Seiten als wahr anerkannt werden müssen. 1.3. Die Argumentation, d. h. eine Verknüpfung der Argumente mit der These, die logisch zwingt, die Wahrheit der These anzuerkennen. 1.4. Das Vermögen, in der These, in den Argumenten und in der Verknüpfung der Argumente mit der These Fehler der Gegenseite aufzudecken.

GESCHICHTLICHE ERFAHRUNGEN

II. Schon im Altertum untersuchte man die Methoden zur Führung eines Disputs. Dem griechischen Sophisten PROTAGORAS VON ABDERA wird das Werk »Die Kunst des Disputs« zugeschrieben. Die Schüler des chinesischen Philosophen Mo-Ti unterscheiden sieben Methoden der Disputführung, dazu gehören z. B. Analogie bzw. Gegenüberstellung der Dinge, der Vergleich der Urteile in ihren Teilen, Nutzung der Widersprüche in den Argumenten des Gegners, das Nachahmen des Gegners (157. S. 16).

Schon die Logiker im 4. und 5. Jh. u. Z. werteten folgende Merkmale des Disputgegners sehr hoch: das Vermögen, Fehler in den Schlußfolgerungen des Gegners zu finden, die Fähigkeit, schnell das zu erfassen, was von dem Opponenten gesagt wurde, schnell in seine Gedanken einzudringen und Antworten darauf zu finden, während des Disputs keine Entmutigung zu zeigen, Geistesgegenwart zu bewahren, keine Müdigkeit aufkommen zu lassen, sich nicht zu erregen, nicht zu ärgern, nicht zu Grobheiten und Sticheleien zu greifen (132. S.20-21). Nicht zufällig schrieb MARX am 7. 12. 1866, als er sich bei Paul LAFARGUE wegen des scharfen Tones im letzten Brief entschuldigte: „Man hat unrecht, sich zu erregen, selbst wenn man recht hat“ (M/E. 31. S. 538).

Mit Ideenreichtum für die historische Wahrheit kämpfen

Wissenschaftliche Dispute haben eine große Bedeutung für die Wahrheitsfindung. Nicht umsonst heißt es, daß die Wahrheit im Disput geboren wird, im Meinungsstreit. Aber wie man disputieren soll, womit ein Disput beginnen und womit er enden soll, für alle diese Fälle einen Rat zu geben, ist unmöglich. Wie L.P. GOKIELI ganz richtig bemerkt, existiert kein ausgearbeitetes Verfahren der Disputführung. Er schreibt, daß der Disput geistige Aktivität erfordert, ein schöpferisches Anspannen der Kräfte, und daß es kein Mittel gibt, das automatisch Selbständigkeit lehrt, da ein derartiges Mittel in erster Linie die Selbständigkeit ausschließen würde.

Die »Logik des Diputs« und anderes

Bereits SOKRATES benutzte eine ganze Reihe von Disputverfahren. Viel Interessantes zu diesem Thema kann man in der Arbeit »Ja und Nein« von ABAELARD finden. Nicht wenige Hinweise zur Technik des Disputs sind in den »Dialogen« bei GALILEI, BERKELEY, HUME und anderen Autoren enthalten. Der Logiker und Mathematiker P. LORENZEN erarbeitete eine »Logik des Diputs«, die ihrem Charakter nach an die Tableaus des niederländischen Logikers E.W. BETH erinnert. Eine verallgemeinernde und systematische Arbeit über die Disputverfahren ist bisher jedoch noch nicht geschrieben worden. Es gibt auch keinerlei allgemein übliche Klassifikation der Dispute. Als Beispiel sei hier nur die Meinung von S.I. POWARNIN angeführt, die er in diesem Zusammenhang in seinem Buch »Kunst des Disputs« (Petersburg 1923) äußert. Er unterscheidet zwei Grundarten des Disputs:

1. Beim Disput um die Wahrheit eines Gedankens soll die Wahrheit oder die Falschheit der aufgestellten These festgestellt werden; 2. beim Disput um den Beweis soll festgestellt werden, daß entweder die These des Gegners von diesem nicht bewiesen wird, oder daß die eigene These vom Gegner nicht widerlegt wird.

Außer diesen beiden Arten nennt S.I. POWARNIN eine Reihe anderer Disputarten, z. B. den konzentrierten Disput und den formlosen, den einfachen und den komplizierten, den schriftlichen und den mündlichen Disput.

ÜBER DEN RICHTIGEN GEBRAUCH DER WORTE

III. Wie die Erfahrung lehrt, ist der Gebrauch von Wörtern in verschiedener Bedeutung die Ursache vieler Dispute. Nach der Lektüre der 1821 in London anonym erschienenen polemischen Schrift »Verbal Disputes« schrieb MARX: sie ist „nicht ohne gewisse Schärfe“ (M/E. 26.3. S. 106); der Grundgedanke dieser Schrift läßt sich auf die Behauptung reduzieren, daß „Diskussionen … ausschließlich davon herrühren, daß Worte von verschiedenen Personen in verschiedenem Sinn gebraucht werden, daß die Disputierenden wie die Ritter in der Erzählung den Schild von verschiedenen Seiten betrachten“ (M/E. 26.3, S. 106).

Durch Klarheit zur Erkenntnis der Wahrheit

Auch LENIN hielt die Forderung, vor Beginn eines Disputs die Begriffe zu präzisieren, für die disputierenden Seiten für unabdingbar. In seiner Arbeit »Über eine Karikatur auf den Marxismus« analysierte LENIN den Disput von KAUTSKY mit den Linken und schrieb: „Kautsky hat unrecht. Es wäre natürlich unvernünftig, um Worte zu streiten. Den Gebrauch des ‚Wortes‘ Imperialismus in diesem oder jenem Sinne zu verbieten, ist unmöglich. Aber es ist notwendig, die Begriffe genau zu klären, wenn man diskutieren will“ (L. 23, S. 34).

Das Leben zeigt, daß ein Disput dann gut ist, wenn er Klarheit in die erörterte Frage bringt und zur Wahrheit führt. In dem Artikel »Streitet über die Taktik, aber gebt klare Losungen« schrieb LENlN: „Über die Taktik zu streiten ist notwendig. Aber man muß dabei volle Klarheit anstreben …“ Die Partei des kämpfenden Proletariats darf „bei allen diese Auseinandersetzungen die Notwendigkeit völlig klarer Antworten, die keine zwei Deutungen zulassen, auf die konkreten Fragen unseres politischen Verhaltens nicht aus dem Auge lassen“ (L. 9, S.257).

Spare deine Kraft: Keine sinnlosen Diskussionen führen!

Aber ein Disput mit einem Menschen, der keine Vorstellung vom Wesen der diskutierten Frage hat, ist in Regel nutzlos. LENIN schrieb:

„Mit Trotzki kann man nicht prinzipiell diskutieren, denn er hat keinerlei feste Anschauungen. Mit überzeugten Liquidatoren und Otsowisten kann und soll man diskutieren, aber mit einem Menschen, der sein Spiel damit treibt, die Fehler sowohl der einen wie anderen zu bemänteln, diskutiert man nicht, ihn entlarvt man als … einen Diplomaten allerniedrigster Sorte“ (L. 17, S. 351).

Besonders wichtig ist es, darauf zu achten, daß der Disput nicht zum Selbstzweck wird, wenn sich die Aufsamkeit nicht darauf konzentriert, die Wahrheit zu finden, sondern nur darauf, sich als Sieger zu erweisen, um jeden Preis Recht zu haben. MARX riet, darauf zu achten, daß der Opponent nicht versucht, „die Kontroverse aus einer Prinzipienfrage in Jahrmarktsfrage umzuwandeln…“ (M/E. I, S. 57).

Keine Schimpferei, kein Klatsch und keine Verleumdungen!

LENIN sprach von zwei Arten des Disputs. In dem Aufsatz »Zwei Methoden, zu disputieren und zu kämpfen« schrieb er:

„Es gibt Dispute und Meinungsstreit in der Presse, die den Lesern helfen, sich über die politischen Fragen klarer zu werden, ihre Bedeutung tiefer zu erfassen und sicherer zu entscheiden. Es gibt Dispute, die in Schimpferei, Klatsch Gezänk ausarten. Die fortschrittlichen Arbeiter, die sich ihrer Verantwortung für die Arbeit zur Aufklärung und Organisierung des Proletariats bewußt sind, müssen auf sorgfältigste darauf achten, daß die unumgänglichen Dispute, der unumgängliche Meinungsstreit nicht in Schimpferei, Klatsch, Gezänk und Verleumdung ausarten“ (L. 19. S.487).

Darum schrieb LENIN gleich zu Beginn seines Disputs mit NIKOLIN:

„Lassen wir die bösen Worte beiseite und nehmen wir die Hauptsache: die Darstellung der politischen Wirklichkeit. Für diese direkte, wirklich grundsätzliche Fragestellung wollen wir dem Verfasser gern seine Gereiztheit verzeihen. Streiten wir um das Wesentliche. In der Tat kann man in der praktischen Arbeit keinen Schritt tun ohne feste Anichten darüber, wie denn unsere ‚politische Wirklichkeit‘ beschaffen ist“ (L. 18, S. 320-321).

Freche und unverschämte Jahrmarksdebatten …

Bei Schaubudendisputen geht man in der Regel auf persönliche Ebene über (argumentum ad hominem), wenn alles anstatt auf die Wahrheitsbegründung der These auf eine negative Charakteristik des Opponenten reduziert wird, werden sophistische Kniffe verwendet, psychologische Verfahren, indem man z. B. den Gegner reizt oder die Aufmerksamkeit vom Hauptgedanken ablenkt, falsche Argumente, beleidigende Epitheta, Beschimpfungen und andere unwürdige Verfahren gebraucht. Derartige Methoden erreichen niemals ihr Ziel. Hierzu bemerkte LENIN:

„Von ‚Schreckgespenstern‘ und ’schrecklichen Worten‘ Gebrauch zu machen – das heißt, dem Gegner eine höchst abfällige Charakteristik zu erteilen, ohne daß diese zu gleicher Zeit klar und deutlich motiviert wäre, ohne daß sie sich unvermeidlich aus dem Gesichtspunkt des Schreibers … ergäbe, eine Charakteristik, die einfach dem Wunsche entspringt, den Gegner zu diffamieren und herunterzumachen“ (L. I, S.328).

Was tun bei rednerischen Tricks und Diffamierungen?

Wenn ein Disput auf die persönliche Ebene übergeht, muß man es verstehen, den Versuch, von der Erörterung der These auf persönliche Anwürfe auszuweichen, zurückzuweisen, muß man die sophistischen und psychologischen Verfahren entlarven, und hieraus ergibt sich die Forderung nach Kenntnis der typisch sophistischen Kniffe, wie

– Unterschieben einer These, – quaternio terminorum, – sophisma illiciti processi, – Sophismus des kollektiven Mittelbegriffs

und anderer, die auch heutzutage von unseren ideologischen Gegnern und überhaupt von unehrlichen Disputpartnern angewendet werden. Es ändert sich nur der Inhalt, die Form der sophistischen Kniffe bleibt die alte.

Quelle: Wörterbuch der Logik, VEB Bibliographisches Institut Leipzig, 1978, 138-139.


Begriffserklärung: Sophismus [sophisma griech., Erfindung, List]: logischer Trick, bewußt falsche Schlußfolgerung, die für wahr ausgegeben wird. In der Regel ist eine sophistische Schlußfolgerung der Form nach aufgebaut auf einer äußerlichen Ähnlichkeit von Erscheinungen, auf einer bewußt falschen Auswahl von Ausgangsthesen, darauf, daß Ereignisse aus dem Gesamtzusammenhang herausgerissen werden, auf der Zweideutigkeit von Wörtern, auf der Unterschiebung von Begriffen u.a. (ebd.S.451)

quaternio terminorum [lat. Vervierfachung der Begriffe]: die Verwendung von mehrdeutigen Begriffen ist ein beliebtes Verfahren bürgerlicher Diplomaten, die bestrebt sind, einen klaren, genauen und definierten Begriffsinhalt durch verschwommene, unbestimmte und nebulöse zu ersetzen.

sophisma illiciti processi [lat. Sophismus des unzulässigen Prozesses]: ein Syllogismenschluß, in dem die Regel des einfachen kategorischen Syllogismus (logischer Schluß) verletzt wurde. Beispiel: Alle Aufmerksamen lernen ihren Stoff gut, einige Schüler sind aufmerksam → alle Schüler lernen ihren Stoff gut.

Sophismus des kollektiven Mittelbegriffs: einzelnes wird für alle verwendet. Beispiel: Einige Menschen sind Taucher, alle Wissenschaftler sind Menschen → alle Wissenschaftler sind Taucher.

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