Die Große Sozialistische Oktoberrevolution im Jahre 1917 war zweifellos das bedeutendste historische Ereignis in der Geschichte der Menschheit. Erstmals hatte unter der Führung der Partei der Bolschewiki die bisher unterdrückte Arbeiterklasse gemeinsam mit den revolutionären Bauern das Joch der Ausbeutung abgeschüttelt und die Macht der Bourgeoisie gebrochen. Im Jahre 2017 begehen wir den 100.Jahrestag dieser Revolution. Was sind nun die wichtigsten Folgerungen und Erfahrungen aus dieser Revolution?
Darüber schreibt der Historiker, Genosse Dr.sc. Dr.h.c. Kurt Gossweiler:
Der Sieg der Oktoberrevolution wäre nicht möglich gewesen ohne die Weiterentwicklung der marxistischen Theorie durch die Analyse des neuen Stadiums der Entwicklung des Kapitalismus, des Imperialismus, und der sich daraus ergebenden Folgerungen für die marxistische Revolutionstheorie, wie sie durch W.I. Lenin geleistet wurde.
Die wichtigsten Folgerungen für die Revolutionstheorie waren
erstens die Erkenntnis, daß unter den neuen Bedingungen nicht mehr die am meisten entwickelten kapitalistischen Länder am reifsten für die sozialistische Revolution waren, sondern jene Länder welche die schwächsten Kettenglieder des imperialistischen Weltsystems bildeten. Das ist in dieser Aufsatzreihe schon ausführlich behandelt worden;
zweitens die Erkenntnis, daß auf Grund der unvermeidlich ungleichmäßig verlaufenden Entwicklung der verschiedenen Länder und Staaten der Sieg der sozialistischen Revolution nicht unbedingt in mehreren Ländern zugleich erfolgen müsse, sondern daß er auch zunächst in einem einzeln genommenen Land möglich ist.
Beides war eine so unerhört neue, die seit Marx und Engels in der sozialistischen Bewegung gewissermaßen als „ewige Wahrheiten“, als Axiome geltenden Auffassungen geradezu auf den Kopf stellende Sicht, daß sie sofort auf heftigen Widerspruch stieß – damals von Karl Kautsky und Leo Trotzki, zu deren Gefolgsleuten sich heute alle jene machen, die als Ursache für den Untergang der Sowjetunion und ihrer europäischen Verbündeten herausgefunden haben, daß die Oktoberrevolution „zu früh“ gekommen und/oder, weil sie allein geblieben sei.
Im Streit mit Lenin
Leo Trotzki hatte 1906 in seiner Broschüre „Unsere Revolution“ apodiktisch festgestellt, dass vor einem Sieg des europäischen Proletariats ein Sieg der Arbeiterklasse Rußlands nicht möglich sei: „Ohne direkte staatliche Unterstützung des europäischen Proletariats wird die Arbeiterklasse Rußlands nicht imstande sein, die Macht zu behaupten und ihre zeitweilige Herrschaft in eine dauernde sozialistische Diktatur zu verwandeln.“ (Zitiert in Stalin, Werke, Bd.6, S.33) Diese Auffassung Trotzkis beruhte auf seiner Überzeugung, ein siegreiches russisches Proletariat werde seine Macht nicht nur gegen die Bourgeoisie verteidigen müssen, sondern auch gegen die Mehrheit der Bauernschaft. Dies war einer der entscheidenden Differenzpunkte zur Auffassung Lenins und der Bolschewiki.
Zwar stimmte Trotzki mit den Bolschewiki überein, daß in der kommenden Revolution die Arbeiterklasse die führende Rolle spielen müsse. 1922 schrieb Trotzki im Vorwort zu dem Buch „Das Jahr 1905“ über den Inhalt seiner Theorie der „Permanenten Revolution“, sie bringe „den Gedanken zum Ausdruck, daß die russische Revolution wohl unmittelbar vor bürgerlichen Zielen steht, jedoch bei ihnen nicht wird stehen bleiben können. Die Revolution wird ihre nächsten bürgerlichen Aufgaben nicht anders lösen können, als dadurch, daß sie das Proletariat an die Macht bringt.“ Das Proletariat werde zur Sicherung seiner Macht „tiefgehende Eingriffe … auch in das bürgerliche Eigentum vornehmen müssen.“ Damit befand sich Trotzki in weitgehender Übereinstimmung mit den Bolschewiki.
Aber eine – wie sich später zeigen sollte – unüberbrückbare und unvermeidlich zum Bruch führende Differenz zwischen Trotzki und den Bolschewiki bestand in der Einschätzung der Rolle der Mehrheit der Bauernschaft. Die war für Trotzki unwandelbar reaktionär und konterrevolutionär, wie seine weiteren Ausführungen erkennen lassen: „Hierbei wird sie in feindliche Zusammenstöße nicht nur mit allen Gruppierungen der Bourgeoisie geraten, ….. sondern auch mit der breiten Masse der Bauernschaft, mit deren Beihilfe sie zur Macht gekommen ist. Die Widersprüche in der Stellung der Arbeiterregierung in einem rückständigen Lande mit einer erdrückenden Mehrheit bäuerlicher Bevölkerung werden nur im internationalen Maßstab in der Arena der Weltrevolution des Proletariats ihre Lösung finden können.“ (Unterstr. K.G.)
Diese grundfalsche Ansicht Trotzkis ist der Kern seiner Theorie der „permanenten Revolution“: das in Rußland siegreiche Proletariat muß die Revolution nach Europa tragen oder diese werde „auf dem Halm verfaulen.“
Ganz anders Lenin und die Bolschewiki. Zwei Jahre vor dem Revolutionsjahr 1917, im Jahre 1915, mitten im ersten Weltkrieg, schrieb Lenin im damaligen Zentralorgan der Bolschewiki, dem in der Schweiz erscheinenden „Sozialdemokrat“, in seinem in unseren Tagen wieder ganz aktuell gewordenen Artikel „Die Vereinigten Staaten von Europa“:
Die Vereinigten Staaten der Welt (nicht aber Europas) sind jene staatliche Form der Vereinigung und der Freiheit der Nationen, die wir mit dem Sozialismus verknüpfen … Als selbständige Losung wäre … die Losung der Vereinigten Staaten der Welt wohl kaum richtig, denn erstens fällt sie mit dem Sozialismus zusammen, und zweitens könnte sie die falsche Auffassung von der Unmöglichkeit des Sieges des Sozialismus in einem Lande … entstehen lassen. (Unterstr. K.G.) Die Ungleichmäßigkeit der ökonomischen und politischen Entwicklung ist ein unbedingtes Gesetz des Kapitalismus. Hieraus folgt, daß der Sieg des Sozialismus zunächst in wenigen kapitalistischen Ländern oder sogar in einem einzeln genommenen Lande möglich ist. (Lenin, Werke, Bd.21,S. 345)
Das war gegen Trotzkis Version der „Permanenten Revolution“ gerichtet, der sich zu recht getroffen fühlte und gegen Lenins These von der Möglichkeit des Sieges des Sozialismus in einem Lande zu Felde zog. In einer noch vor der Oktoberrevolution herausgegebenen Broschüre Trotzkis mit dem Titel „Friedensprogramm“ schrieb er:
Das einzige einigermaßen konkrete historische Argument gegen die (von ihm verfochtene, K.G.) Losung der Vereinigten Staaten wurde im schweizerischen „Sozialdemokrat“ in folgendem Satz formuliert: ‚Die Ungleichmäßigkeit der ökonomischen und politischen Entwicklung ist ein unbedingtes Gesetz des Kapitalismus.‘ Daraus zog der „Sozialdemokrat“ den Schluß, daß der Sieg des Sozialismus in einem Lande möglich sei. Und daß es deshalb nicht notwendig sei, die Diktatur des Proletariats in jedem einzelnen Staat von der Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa abhängig zu machen. …Daß kein einziges Land in seinem Kampf auf die anderen ‚warten‘ soll, ist ein elementarer Gedanke … Ohne auf die anderen zu warten, beginnen wir den Kampf auf nationalem Boden und setzen ihn hier fort, in der vollen Überzeugung, daß unsere Initiative dem Kampf in den anderen Ländern einen Anstoß geben wird; wenn das aber nicht geschehen sollte, dann wäre es aussichtslos, zu glauben, … daß zum Beispiel ein revolutionäres Rußland einem konservativen Europa gegenüber sich behaupten … könnte. (Unterstr. von mir, K.G., zit. in Stalin, Werke, Bd. 6, S. 333f.)
Es zeigte sich an dieser Auseinandersetzung – und es bestätigte sich beim Aufbau des Sozialismus in der Sowjetunion!, – daß die Bauernfrage in einem rückständigen Agrarland zu den Fragen gehört, die für den dauerhaften Sieg der sozialistischen Revolution von entscheidender Bedeutung sind. Die Position Trotzkis mußte in der Konsequenz entweder Abenteurertum oder aber Kapitulantentum gegenüber der imperialistischen Umwelt zur Folge haben.
Die von Lenin ausgearbeitete Linie der Bolschewiki beruhte auf den Erkenntnissen von Friedrich Engels über das notwendige und mögliche Bündnis der Arbeiterklasse mit der Hauptmasse der Bauernschaft. (Siehe dazu den Artikel von Friedrich Engels: Die Bauernfrage in Frankreich und Deutschland, in: MEW, Bd. 22, S.483 ff.).
Der Grundgedanke Lenins und der Bolschewiki in dieser Frage war, daß ohne das Bündnis mit der Bauernschaft die Arbeiterklasse in der Revolution nicht fähig sein würde, den Zaren zu stürzen und den imperialistischen Krieg zu beenden; daß ferner das Proletariat ohne Bündnis mit den werktätigen Bauern nicht imstande wäre, die Diktatur des Proletariats zu erringen und dauerhaft zu festigen; daß schließlich die werktätigen Bauern aus einer Klasse von Kleingewerbetreibenden zu einer sozialistischen Bauernklasse werden können durch ihren Zusammenschluß in Produktionsgenossenschaften. In seinem grundlegenden Artikel „Über das Genossenschaftswesen“ schrieb Lenin im Januar 1923:
In der Tat, die Verfügungsgewalt des Staates über alle großen Produktionsmittel, die Staatsmacht in den Händen des Proletariats, das Bündnis dieses Proletariats mit den vielen Millionen Klein- und Zwergbauern, die Sicherung der Führerstellung dieses Proletariats gegenüber der Bauernschaft usw. – ist das nicht alles, was notwendig ist, um aus den Genossenschaften, allein aus den Genossenschaften …, ist das nicht alles, was notwendig ist, um die vollendete sozialistische Gesellschaft zu errichten? (Lenin, Werke, Bd. 33, S.454)
Durch die Kollektivierung wurde das Arbeiter-Bauern-Bündnis in der Sowjetunion so stark, daß es selbst die Prüfung durch einen Krieg auf Leben und Tod im Vaterländischen Krieg bestand. Statt des von Trotzki prophezeiten Unterganges des „Sozialismus in einem Lande“ wurde die Sowjetunion eine „Supermacht“, die sich als stärkste Kraft in der An-ti-Hitler-Koalition erwies, fähig, sogar ohne die Eröffnung einer „Zweiten Front“ aus eigener Kraft die faschistische Bestie in ihrer Höhle zur Strecke zu bringen.
Und mit dem Sieg über den Faschismus, mit dem Entstehen der Volksdemokratien und dem Sieg der Volksrevolution im bevölkerungsstärksten Land der Erde, China, später sogar in Kuba, vor der Haustüre des USA-Imperialismus, und schließlich mit dem Entstehen von Staaten mit sozialistischer Orientierung in Äthiopien, Angola, Mocambique und Süd-Jemen im Gefolge der antikolonialen Befreiungsbewegungen in Afrika, war die Zeit des „Sozialismus in einem Lande“ vorbei und es begann die Zeit eines sich entwickelnden sozialistischen Weltsystems, das bereits auf allen Kontinenten – außer Australien – Fuß gefaßt hatte. Nicht zu vergessen, daß die imperialistische Supermacht der USA, die bisher nie einen Krieg verloren hatte, ihre ersten Niederlagen in Kriegen gegen die schwächsten und kleinsten der sozialistischen Staaten erlitt, in den Kriegen gegen Nordkorea und Vietnam!
Ist es nicht schlichtweg unbegreiflich, wie angesichts solcher Tatsachen es noch immer Leute gibt, die den Untergang der Sowjetunion und der sozialistischen Staaten Europas als Ergebnis des „Sozialismus in einem Lande“ erklären? Und daß sich zu diesen Ignoranten der wirklichen Geschichte sogar ein Luciano Canfora gesellt, wenn er schreibt, daß „die Hypothese vom ‚Sozialismus in einem Lande’“ „durch die Erschütterungen des ausgehenden 20. Jahrhunderts“ widerlegt worden sei“ (junge Welt v. 27. April 2007, S.11, Teil II des Artikels „Gramsci und die kommunistische Bewegung“.)
Nein, Lenins These von der Möglichkeit des Sozialismus in einem Lande wurde durch die Geschichte nicht widerlegt, sondern bestätigt. Und sie findet immer wieder aufs neue ihre Bestätigung, wenn ohne Einwirkung schon bestehender sozialistischer Staaten irgendwo in der Welt ein Volk die alte kapitalistische Herrschaft abschüttelt und sich auf den Weg zum Soziaßlismus begibt, wie 1959 das Volk Kubas unter Führung Fidel Castros und zu Beginn unseres 21. Jahrhunderts das Volk Venezuelas unter Führung von Hugo Chavez.
Der Grund dafür ist die unter den Bedingungen des heutigen Stadiums des Kapitalismus sogar noch verstärkte Wirkung des Gesetzes der ungleichmäßigen ökonomischen und politischen Entwicklung. Die Wirkung dieses Gesetzes ist derart, daß jeder, der sich versucht fühlt, den weiteren Verlauf des weltrevolutionären Prozesses vorherzusagen, – etwa mit einer Aussage, daß künftig ein Sieg der sozialistischen Revolution nur noch als gemeinsame Revolution in mehreren Ländern zugleich möglich sei -, gut daran tut, dieser Versuchung zu widerstehen. Es kommt nicht darauf an, der Weltrevolution ihren weiteren Weg zu weisen, sondern alles in den eigenen Kräften stehende zu tun, ihr im eigenen Bereich nach Kräften den Weg zu bereiten – wozu auch die richtige Analyse ihres bisherigen Weges gehört.
Geschrieben am 8. Mai 2007, veröffentlicht in „Roter Brandenburger“ – Zeitschrift der DKP Brandenburg, November 2007, S.10. (Auszug)
Quelle:
(PDF) Kurt Gossweiler Oktoberrevolution in Rußland
Die Geschichte hat gezeigt, daß Lenin recht behalten hat. Trotzki entwickelte sich dagegen immer mehr zu einem Feind Lenins, Stalins und der Sowjetunion. Siehe: Der sowjetfeindliche Verschwörer Trotzki
Siehe auch:
Die Oktoberrevolution 1917
Wie kam es eigentlich zur Oktoberrevolution?
Klaus Hesse Geschichte UdSSR Teil1
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