Es ist eine schwere Entscheidung für den kasachischen Bataillonskommandeur Baurdshan Momysch-Uly. Wird er seinen jungen Landsmann Barambajew erschießen lassen? Dieser hatte sich in seiner Angst in die Hand geschossen, was er bald darauf aufrichtig bereute. Seit dem wortbrüchigen Überfall der deutschen Wehrmacht herrschte Krieg. Und der Feind war fast bis nach Moskau vorgedrungen. Es war das sozialistische Vaterland – die Sowjetunion. Momysch-Uly zögert – doch dann trifft er eine Entscheidung . . .
Alexander Bek schreibt in seinem Buch „Die Wolokolamsker Chausee“:
Ich saß in meinem Bunker, den Blick auf den Boden geheftet, stützte den Kopf in die Hände, so etwa – Baurdshan Momysch-Uly zeigte, wie er gesessen hatte – , und dachte, dachte. „Gestatten Sie einzutreten, Genosse Oberleutnant?“ Ohne den Kopf zu heben, nickte ich.
Herein trat der Politoffizier der Maschinengewehrkompanie, Dshalmuchamed Bosshanow.
„Aksakal“, sagte Bosshanow leise auf kasachisch. „Aksakal“ heißt wörtlich übersetzt, „grauer Bart“; so wird bei uns der Älteste in der Gemeinschaft, der Vater, genannt. So nannte mich manchmal Bosshanow. Ich sah ihn an. Sein gutes, rundes Gesicht war verstört. „Aksakal…, in der Kompanie ist etwas Ungewöhnliches passiert, Sergeant Barambajew hat sich in die Hand geschossen.“
„Barambajew?“
„Ja.“
Es war, als drückte mir jemand das Herz zusammen. Alles tat mir plötzlich weh: die Brust, der Hals, der Bauch, Barambajew war Kasache wie ich, ein Kasache mit geschickten Händen, Führer einer Maschinengewehrgruppe, es war der, auf den ich nicht gewartet hatte.
„Was hast du mit ihm gemacht? Erschossen?“
„Nein …, ich habe ihn verbunden und …“
„Und was?“
„Festgenommen und zu Ihnen gebracht.“
„Wo ist er? Her mit ihm!“
So…, in meinem Bataillon ist also der erste Verräter aufgetaucht, der erste, der selbst Hand an sich legte. Und wer? Ach, Barambajew…
(…)
Der Feigling wurde erschossen.
Richten Sie mich!
Vor langer Zeit wurde mein Vater, ein Nomade, in der Wüste von einer giftigen Spinne gebissen. Mein Vater war ganz allein, ringsum nur Sand; niemand war in der Nähe außer dem Kamel. Das Gift dieser Spinne ist tödlich. Mein Vater zog sein Messer heraus und schnitt dort, wo ihn die Spinne gebissen hatte, ein Stück Fleisch aus seinem eigenen Körper.
Genauso verfuhr jetzt ich: Mit dem Messer schnitt ich ein Stück eigenen Fleisches heraus.
Ich bin ein Mensch. Alles Menschliche in mir schrie: Das muß nicht sein. Habe Mitleid, verzeihe ihm! Doch ich verzieh nicht.
Ich bin Kommandeur, Vater. Ich tötete den Sohn, vor mir standen Hunderte von Söhnen. Ich war gezwungen, blutig in die Seelen einzuzeichnen: Für einen Vaterlandsverräter gibt es kein Pardon und wird es keins geben!
Ich wollte, daß jeder Soldat wisse: Wirst du feige, verrätst du – so wird dir nicht verziehen, wie stark der Wunsch danach auch ist.
Schreiben Sie das alles; mögen das nur alle lesen, die eine Soldatenuniform tragen oder sie zu tragen sich anschicken. Mögen sie wissen: Vielleicht warst du gut, vielleicht hat man dich früher geliebt und gelobt; doch wie du auch gewesen bist, für Feigheit und Verrat wirst du mit dem Tode bestraft…
Quelle:
Alexander Bek, Die Wolokolamsker Chaussee, Militärverlag Berlin (DDR), 1971, S.24-31f.
Baurdshan Momysch-uly, 24.12.1910 – 10.06.1982, (Баурджан Момыш-улы) ist ein Held der Sowjetunion. In seinem Buch „Die Wolokolamsker Chausee“ hat Alexander Bek ihm ein würdiges Denkmal gesetzt. In Kasachstan erinnert man sich auch heute noch genau an den bedeutenden Kommandeur der 8. Rotbanner-Gardeschützen-Division. Momysch-Uly wurde am 11. (24.) Dezember 1910 in dem Dorf Urak-Balwa im Dschambulsker Gebiet der kasachischen Sowjetrepublik geboren. Er arbeitete als Ökonom in der Industriebank in seinem Heimatkreis, ging später zur Miliz und gehörte ab September 1941 zur legendären Division von General-Major Panfilow. Nach dem heimtückischen Überfall der deutschen Wehrmacht im Juni 1941 gelang es dem 19. Gardeschützenregiment unter Führung Hauptmann Momysch-Ulys, die deutschen Eindringlinge im November 1941 kurz vor Moskau aufzuhalten und in harten Kämpfen vernichtend zu schlagen. Trotz seiner Verwundung blieb er an der Front und führte sein Regiment zum Sieg. Heute tragen viele Straßen und auch Schulen in Alma-Ata, Dschambul und Schymkent in Kasachstan seinen Namen.
An der Wolokolamsker Chaussee…
Text und Musik: Helmut Kontauts
Es lagen junge Soldaten
an der Wolokolamsker Chaussee.
Und manch einer hat da gezittert
nicht nur von der Kälte im Schnee.
Der Feind rückte näher und näher
es war ihre erste Schlacht.
Der Kommandeur ging von einem zum andern
und hat ihnen Mut gemacht.
In den Kampf zieh’n wir nicht um zu sterben
nur der Tod der Feinde ist gerecht.
Wer das Leben bedroht, der zieht in den Tod.
Das Leben schickt uns ins Gefecht.
Die Furcht, die wurde nicht kleiner,
da hat er voller Zorn geflucht.
Ging wieder vom einen zum andern
und hat zu erklären versucht:
Durch die Steppe in Sonne und Regen
hat euch oft mein Befehl gejagt.
Damit ihr auch in den schwersten Minuten
die Härten des Krieges ertragt.
In den Kampf zieh’n wir nicht um zu sterben
nur der Tod der Feinde ist gerecht.
Wer das Leben bedroht, der zieht in den Tod.
Das Leben schickt uns ins Gefecht.
Der Feind brach in ihrer Reihen,
da hat sie der Hass übermannt.
Der machte sie ruhig und sicher
und hat alle Ängste gebannt.
Sie waren marschiert durch den Regen,
kannten Schweiß in der Sonnenglut.
Und Schweiß und Haß und die Liebe zum Leben,
das wurde ihr Heldenmut.
In den Kampf zieh’n wir nicht um zu sterben
nur der Tod der Feinde ist gerecht.
Wer das Leben bedroht, der zieht in den Tod.
Das Leben schickt uns ins Gefecht.
(Es ist die Straße von Wolokolamsk nach Moskau gemeint an der 1941 die Rote Armee den Vormarsch der Faschisten stoppte.)
Danke, Rolf. Der Abschnitt über Barambajew ist wohl der wichtigste im ganzen Buch!
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