Das heutige Israel und der Antisemitismus

VertreibungImmer wieder hat der Historiker Kurt Pätzold (auch in der „jungen Welt“) auf den Zusammenhang zwischen den Verbrechen des Naziregimes und den Interessen des deutschen Monopolkapitals aufmerksam gemacht. Das Streben nach Weltherrschaft ließ die faschistischen Machthaber zu immer skrupelloseren Methoden greifen, die stets begleitet waren von irrwitzigen demagogischen „Erklärungen“, von Gesetzen und Erlassen. Der Terror und die Judenverfolgungen der Nazis führten schließlich zum größten Massenmord in der Menschheitsgeschichte. Und das Großdeutsche Reich endete im Fiasko. In der Dokumentation „Verfolgung – Vertreibung – Vernichtung“, erschienen 1983 im Reclam Verlag Leipzig (DDR), wird der barbarische Antisemitismus der Nazis auf sehr eindringliche Weise belegt. Das ist hinsichtlich des wiederauflebenden Nazi-Ungeistes in unserer Zeit von beklemmender Aktualität.

Der extreme Rassismus der Nazis

Seit ihrem ersten Auftritt in Bayerns Hauptstadt verfochten die nazifaschistischen Demagogen, allen voran Adolf Hitler, der anfänglich für die geistige Ausrichtung der Mitglieder und Sympathisanten der NSDAP zuständig war, einen extremen Rassismus. [1] Um alle wissenschaftlichen Erkenntnisse über Wesen und Geschichte der Menschenrassen unbekümmert, sich auch um Herkunft und Werdegang des deutschen Volkes nicht scherend, erklärten die faschistischen Ideologen die Deutschen zum Kern einer angeblich „arischen Herrenrasse“, die nur in ihrer Einbildung existierte. Diese Rasse sei dazu berufen, die Welt zu erobern und zu beherrschen, könne ihrer Bestimmung jedoch erst gerecht werden, nachdem sie die Kräfte überwunden habe, die in ihr selbst angeblich zerstörerisch wirkten. Diese Aussage sollte dem faschistischen Appell zum Kampf gegen den Marxismus und die Arbeiterbewegung eine geschichtsphilosophische Begründung geben.

Kampf gegen die „jüdische Weltrevolution“

Angeblich hätten Marx und die Marxisten die Lehre vom Klassenkampf, die ein „jüdisches Machwerk“ sei, nur zu dem Zweck ausgeklügelt, um die Völker zu schwächen, der Errichtung der „jüdischen Weltherrschaft“ vorzuarbeiten und ihr zum Siege zu verhelfen. Wie der wissenschaftliche Sozialismus als eine Irrlehre bezeichnet wurde, so wurde die Arbeiterbewegung als eine Verirrung von Teilen der jeweiligen Völker und Nationen hingestellt. Durch sie seien Millionen Deutsche angeblich ihrem eigenen Volk entfremdet und in die Reihen der Kommunisten und Sozialdemokraten, auf die Seite von Gewerkschaften und Pazifisten gelockt worden. Aus dieser geistigen und organisatorischen Umklammerung durch das „Judentum“ müßten sie befreit, durch den „Nationalsozialismus“ dem Volke und der Nation zurückgegeben werden. Dieser arbeiter- und sozialismusfeindlichen Geschichtslegende galt die Große Sozialistische Oktoberrevolution als Sieg des „jüdischen Bolschewismus“. Er habe die Völker Rußlands versklavt und sich dadurch einen Ausgangspunkt für die „jüdische Weltrevolution“ geschaffen.

Eine Rechtfertigung für imperialistische Eroberungspläne

Es liegt zutage, daß die Diffamierung des größten Ereignisses der Weltgeschichte, die übrigens auch keine Erfindung der Nazifaschisten darstellte, jeden Angriff auf die Arbeiterbewegung und den Krieg gegen die UdSSR ideologisch rechtfertigen sollte. Der faschistische Rassismus und Rassenantisemitismus war mithin den Herrschafts- und Expansionsinteressen des deutschen Imperialismus auf den Leib geschneidert. Und auf die faschistischen Rassisten trifft das Wort Tucholskys zu: „Die meisten Antisemiten sagen viel mehr über sich selbst aus als über ihren Gegner, den sie nicht kennen.“

Antisemitismus als Machtinstrument gegen die Arbeiterklasse

Die Analyse der Struktur und Geschichte des faschistischen Rassenantisemitismus ergibt, daß die Naziführer die Lehre von der „arischen Herrenrasse“ und dem „jüdischen Untermenschentum“ in erster Linie in den politischen Kämpfen in Deutschland einsetzten und sie gegen die fortschrittlichsten Kräfte im eigenen Lande kehrten. Die Rassendoktrin war vor allem Kampfinstrument gegen die deutsche Arbeiterklasse, und um dessen Tauglichkeit zu verbessern, wurde vor wie insbesondere nach 1933, als die faschistischen Machthaber besondere pseudowissenschaftliche Einrichtungen zum „Studium der Judenfrage“ errichteten, immer wieder versucht, die Führer der deutschen Arbeiterbewegung als „Juden“ hinzustellen, für sie wenigstens einen jüdischen Großvater oder eine jüdische Großmutter ausfindig zu machen. Doch gerieten die Faschisten nicht in Verlegenheit, wenn ihnen das nicht gelang. Diejenigen ihrer Gegner, für die jüdische Vorfahren nicht auffindbar waren, wurden ersatzweise als geistig „verjudet“ oder als „Knechte des internationalen Judentums“ ausgegeben.

Reaktionäre Traditionen

Keine der rassistischen und antisemitischen Thesen brauchten Hitler und die Seinen zu erfinden. [2] Sie konnten sich des vorgefundenen Bestandes an reaktionären Ideen bedienen. Was die Nazifaschisten einbrachten, war die konsequente Ein- und Zuordnung des Überlieferten in die Klassenauseinandersetzungen nach dem Weltkrieg. Sie erklärten das Elend von Krieg und Nachkrieg – auch hierin mit anderen reaktionären Gruppen übereinstimmend – aus dem „Verrat“ der Juden und ihrem angeblich wachsenden Einfluß auf die Politik des Kaiserreiches und des Weimarer Staates. [3] Auf diese Weise halfen Hitler und die anderen Naziführer, selbst noch weit von den Schalthebeln der Macht entfernt, nach Kräften mit, die Herrschaft des Kapitals in Deutschland über die revolutionäre Nachkriegskrise hinwegzuretten. Denn was konnte der Behauptung der Ausbeuterordnung dienlicher sein, als eine Partei, die Menschen aus den werktätigen Klassen und Schichten an falschen Fronten gruppierte, ihnen den „Rassenkampf“ als das wahre Gesetz geschichtlichen Werdens hinstellte, den Klassenkampf aber als eine Verirrung diffamierte?

Die heutige imperialistische Politik Israels

Um gängigen Mystifikationen vorzubeugen, erteilt Prof.Kurt Pätzold auch all denjenigen eine eindeutige Abfuhr, die versuchen, die heutige imperialistische Politik Israels zu rechtfertigen, indem jegliche Kritik an Israel als „Antisemitismus“ denunziert wird. Man muß auch hier die Dinge in ihrem historischen Zusammenhang betrachten. Kurt Pätzold schreibt weiter:

Die Gruppe der jüdischen Opfer imperialistischen Rassenwahns wenigstens skizzenhaft zu charakterisieren, scheint aber auch aus einem weiteren aktuellen Gesichtspunkt unerläßlich zu sein. Politiker des Zionismus und prozionistische Kräfte, von Historikern und Journalisten unterstützt, verbreiten seit längerem eine eigene Legende über die Menschen jüdischer Abkunft, die 1933 in den Grenzen Deutschlands lebten. Der Grad ihrer Assimiliertheit wird, wenn schon nicht geleugnet, so doch verkleinert. Das Ausmaß und die Tiefe ihrer sozialen, politischen und religiösen Differenziertheit und ihre daraus hervorgegangene Gruppierung an sehr unterschiedlichen, ja konträren Plätzen der geistigen und praktischen Klassen-auseinandersetzung verfallen einer Nivellierung. Floskeln wie die vom deutsch-jüdischen Zusammenleben in der Weimarer Republik erklären die Opfer des Nazifaschismus nachträglich zu Nichtdeutschen, wiederholen also – gewollt oder nicht – eine faschistische Behauptung.

All das rührt zumeist nicht aus mangelnder Kenntnis der geschichtlichen Tatsachen her, sondern aus der Absicht, Antisemitismus und Judenverfolgungen, aber auch den Kampf gegen sie, aus ihren konkreten Zeitbezügen herauszulösen. Am Ende sollen faschistische Judenverfolgungen und -massaker als der logische Weg in den Staat Israel erscheinen, für dessen heutige imperialistische Politik sollen Freunde und Sympathisanten gewonnen werden.

Die Geschichtsdeutung, welche die Austreibung und die Vernichtung jüdischer Menschen von ihren Zusammenhängen mit dem imperialistischen Kriegsplan und dem Streben nach Vor- und Weltherrschaft trennt, nützt betrügerischen Zwecken, die sich mit jenen der Nazifaschisten durchaus messen können. Das gilt insbesondere von der Formel „Der Antizionismus ist der Antisemitismus der Gegenwart“, die Parteinahme für eine Ideologie und Politik provozieren will, welche mit jener des deutschen Faschismus zumindest klassenverwandt ist. Hier ist nicht der Platz, den abstoßenden Versuch, die toten Opfer einer überwundenen Eroberungspolitik zur Rechtfertigung des zeitgenössischen antiarabischen Imperialismus zu mißbrauchen, auf seine Methoden und Mittel, seine Schliche und Tricks hin zu untersuchen.

[1] Kurt Gossweiler, Kapital, Reichswehr und NSDAP 1919-1924, Berlin 1982, S.93ff.
[2] Joachim Petzold, Die Demagogie des Hitlerfaschismus, Berlin 1982, S.25ff.
[3] Walter Mohrmann, Antisemitismus, Ideologie und Geschichte im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, Berlin 1972.

Quelle:
Kurt Pätzold (Hrsg.) Verfolgung – Vertreibung – Vernichtung, Dokumente des faschistischen Antisemitismus 1933-1942, Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig, 1983, S.7-28.


Nachbemerkung: Wir lassen hier den Auszug aus dem Buch von Prof.Kurt Pätzold so stehen, wenngleich eindeutig gesagt werden muß, daß Prof.Pätzold sich in einem Beitrag in der „jungen Welt“ (jW-Thema vom 28.1.2011) gegen die Sowjetunion und damit ganz auf die Seite der Antikommunisten gestellt hat. In bezug auf diesen Beitrag übte Genosse Hans Heinz Holz (jW vom 02.02.2011) scharfe Kritik an Pätzold, indem er schrieb: 

„Ein Zeithistoriker (gemeint ist Prof. Kurt Pätzold), der das Wort »Barbarei« gleichermaßen für den deutschen Faschismus und den Aufbau der Sowjetunion unter Stalin gebraucht (jW-Thema vom 28.1.2011), stellt sich auf das Niveau und in den Dienst der primitivsten bürgerlichen Ideologieformel Rot gleich Braun. Er hat den Sinn des Wortes bei Rosa Luxemburg nicht begriffen, ja er hat überhaupt keinen Begriff von gesellschaftlichen Zuständen.“

Siehe: Heuchlerische Moralapostel Hager, Brenner, Steigerwald

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