Erfahrungen an der DDR-Grenze

ArbeitermachtDie Situation war die, daß in der DDR das Privateigentum an Produktionsmitteln in Volkseigentum überführt wurde, d.h. die Fabrikbesitzer, die Konzernherren und die Großgrundbesitzer, insbesondere aber die Nazi- und Kriegsverbecher waren enteignet worden. Im Jahre 1974 erschien in der DDR das Buch „Seid euch bewußt der Macht“, in dem auch der am 14. Juli 2010 verstorbene DDR-Schriftsteller Günter Görlich seine Grenzerfahrungen aufschrieb. Er berichtete u.a. auch darüber, wie er als junger Volkspolizist tatenlos zusehen mußte, wie ein schwerer Lastzug aus Meerane sich auf einer ziemlich verlassenen Straße der Staatsgrenze der DDR näherte und, als er die Polizisten bemerkte, Gas gab und die Grenze passierte. Kurz zuvor war bekannt geworden, daß es großangelegte Textil- und Maschinenschiebungen aus Sachsen nach Westdeutschland gegeben hatte. „Wir standen am Schlagbaum und zogen ihn wieder nach unten. Der Lastzug verschwand in der Ferne. Wieder hatte man uns bestohlen, wieder unsere Wirtschaft geschädigt. Wir standen da, ausgepumpt, niedergeschlagen, voll Haß. Wir hatten ja den Überblick, wir wußten, das war nicht die einzige Aktion, die wir erlebt hatten. Der Tag war für mich eine Lektion im konkreten Klassenkampf.“

Hier ein Ausschnitt aus einer Grenzer-Geschichte aus der DDR von Günter Görlich:

Wir hatten einen Buntmetalldieb verhaftet. In seinem Rucksack Bleikabel, Starkstromkabel. Er gab an, er hätte sie auf einem verlassenen Betriebsgelände gefunden. Er brauchte Geld, Vater im Krieg geblieben, Mutter und noch ein paar Kinder müßten ernährt werden. Ein junger Kerl, offenes Gesicht, blaue, unschuldige Augen. Er saß in der Zelle, während die Nachforschungen liefen. Bleikabel. Überall wurden sie abmontiert. Die Westberliner Schrotthändler zahlten Überpreise für Buntmetall. Sie wußten warum.

Ich saß in der Revierstube. Da hörten wir draußen Geschrei. Es war einer geflüchtet. Unser Revier lag nicht weit vom Teltow-Kanal entfernt.
Der Kerl war entkommen, war durch den Kanal geschwommen, war drüben. Bald stellte es sich heraus, daß er die Kabel nicht gefunden, sondern gestohlen hatte. In einem Betrieb, in dem er arbeitete, war durch ihn eine wichtige Abteilung stillgelegt worden. Und er hatte weder eine arme Mutter noch hungrige Geschwister.
Aber unschuldige, blaue Augen hatte er.
Wir sprachen oft über diesen Fall.

Der mit den blauen Augen war unser Feind. Wir hätten besser aufpassen müssen. Jedes Zögern kostete unsere Substanz, zehrte an unseren Kräften, ermunterte andere Feinde. Das waren konkrete Lehren im konkreten Klassenkampf zu Beginn der fünfziger Jahre.

Damals kannte ich das Lied von Brecht noch nicht, das Lied vom Klassenfeind, dessen Schlußstrophe lautet:

Da mag dein Anstreicher streichen
Den Riß streicht er uns nicht zu!
Einer bleibt und einer muß weichen
Entweder ich oder du.
Und was immer ich auch noch lerne
Das bleibt das Einmaleins:
Nichts habe ich jemals gemeinsam
mit der Sache des Klassenfeinds.

Das Wort wird nicht gefunden
Das uns beide jemals vereint:
Der Regen fließt von oben nach unten.
Und du bist mein Klassenfeind.

Aber da steht ein junger Grenzsoldat heute. Und von seinem Postenturm schaut er auf das friedliche Leben jenseits der Grenze.
Dort fahren Autos, Mädchen spazieren, Kinder spielen.
Wo ist da der Klassenfeind?
Ich habe einen guten Film gesehen über die Widerstandsgruppe »Rote Kapelle«. Besonders eine Seite berührte mich stark: Das Leben in der furchtbaren Zeit des Faschismus in Deutschland; auch während des Krieges wurde gezeigt, wie es war. Da wurde getanzt, geliebt, gehofft, gearbeitet. Es war ein buntes, äußerlich nicht gerade unangenehmes Leben. Und dann zogen die harmlosen Leute, die friedlichen Deutschen nach dem Osten. Und sie drangen vor bis an die Wolga.

Und ein Grund, daß sie so weit vordringen konnten, war, daß die Arbeiter und Bauern der Roten Armee nicht glauben wollten, daß deutsche Arbeiter und Bauern sich so mißbrauchen lassen konnten und gegen das Land des Sozialismus antreten würden.
Aber sie waren angetreten, sie griffen an. Sie waren getäuscht, geblendet, gezwungen. Aber sie traten an.
Nun steht der Posten auf seinem Turm und kann nicht dauernd daran denken. Aber vergessen darf er es auch nicht…

Quelle:
Seid euch bewußt der Macht, Herausgegeben von Elli Schmidt,
Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1974.

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Siehe auch:
Walter Ulbricht sagte: Niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen…
13. August 1961 – Sicherung der DDR-Staatsgrenze
Der Feind ist zynisch und schlau
Ich habe den Vopo erschossen!
KANN MAN GRENZEN IGNORIEREN ?

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14 Antworten zu Erfahrungen an der DDR-Grenze

  1. Pingback: Experiencias en la frontera de la RDA | La otra Alemania

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  5. Erfurt schreibt:

    Hier noch eine Geschichte zu was der BRD-Staat fähig ist:

    Es war in den 70er Jahren an der Staats-Grenze im Kreis Worbis. Und es geschah am hellichten Tag. Staatsdiener des Bundesgrenzschutz schickten zwei geistig behinderte Menschen auf das Staatsgebiet der DDR. ARD+ZDF waren dabei mit laufenden Kameras und filmten diesen verbrecherischen Akt. Und sie nahmen in Kauf daß diese beiden Menschen in der Minensperre die sich auf DDR-Staatsgebiet befand, zu Tode kommen.

    Dieser Plan ist ihnen nicht gelungen. Denn auch der Geheimdienst der DDR wusste davon. So hatte man die SM70-Minen vorsorglich abgeschaltet und alle beide kletterten unbeschadet über die Minensperre. Sie fanden in der DDR eine neue Heimat.

    Und nochmal zur Erinnerung: Wir, die NVA und die Grenztruppen der DDR haben den Frieden gesichert! Nicht die NATO! Und auch nicht der BGS.

    MFG

    • Rudi Albert schreibt:

      Richtig, die NVA war eine antifaschistische Volksarmee und half mit,daß die DDR über 40 Jahre lang ein Garant für den Friede in Europa war.

      • sascha313 schreibt:

        …absolut richtig, Rudi!

      • Hoepfner schreibt:

        Ja richtig – aber sie haben auf vielen Soldaten rumgetrampelt, erniedrigt … das ist unendschuldbar, unsozialistisch. Schlaue hätten sowas nicht zu gelassen!!!!

      • sascha313 schreibt:

        …nehmen wir mal an, es wäre über jeden Befehl „demokratisch“ abgestimmt worden. Was wäre dabei herausgekommen? Ein Lotterhaufen – aber keine Armee!

        „…militärische Meisterschaft und eiserne Disziplin, Liebe zum werktätigen Volk und Treue zu den kommunistischen Idealen – das sind die wertvollsten Eigenschaften der Verteidiger des Friedens, des Sozialismus und Kommunismus“, hieß es im Programm der SED (zit. nach: „Vom militärischen Beruf“, Berlin 1982, S.13.) – soviel zum Thema: „rumtrampeln“ und „unsozialistisch“! Nein – wer Befehle mißachtete, der verhielt sich unsozialistisch! Fragen wir doch mal diejenigen, die auf ihrem Parteibuch oder auf der Verfassung der DDR herumgetrampelt sind, warum sie das taten…

      • Rudi Albert schreibt:

        Ich bin mir sicher,daß auf Soldaten nie herumgetrampelt wurde. Es gab aber leider auch einige (wirklich wenige) Soldaten die gegen Regeln zwischenmenschlicher Beziehungen verstießen (sowie es leider auch im normalen Zivilleben vorkam). Solche Vergehen wurden konsequent verfolgt, bestraft und entsprechend ausgewertet.

      • sascha313 schreibt:

        …so sehe ich das auch. Leider gibt es heute einige Menschen ohne proletarisches Klassenbewußtsein, die ohne jegliche eigene schlechte Erfahrung dummes Zeug nachquatschen, was in den BRD-Medien haufenweise über die DDR verbreitet wird.

    • Erfurt schreibt:

      PS: Und bis heute werden Menschen in die Flucht getrieben vor laufenden Kameras von ARD+ZDF. Die Schlauchbootszenen am Mittelmeer sind gestellt und zwar 100%ig!

  6. Erfurt schreibt:

    Heute bekam ich die traurige Nachricht, daß mein ehemaliger Kompaniechef der Grenztruppen gestorben ist. Jahrgang 1948 war er und er hat schlimm gelitten. Man hatte ihm beide Beine abgenommen, Thrombosen legten den Lungenkreislauf lahm, Organe versagten ihren Dienst und er erlitt während seines langjährigen Klinikaufenthaltes mehrere Schlaganfälle.

    Hinzu kamen die medizinisch völlig sinnlosen Schikanen der Coronamaßnahmen, lange durfte ihn seine Frau nicht besuchen und auch nicht seine Kinder. So schlimm wie das jetzt klingt, aber sein Tod war eine Erlösung. Aber was wirklich schlimm ist, so sehe ich das, ist die ganze geschichtliche Entwicklung seit 1989 in diesem Zusammenhang. Gemeinsam standen wir unseren Posten ganz vorne an der Front und riskierten auch unser eigenes Leben dafür daß das was uns heute widerfährt nicht passieren durfte.

    Verflucht seien sie, die Feinde des Sozialismus die auch die Feinde der ganzen Menschheit sind. Sie werden ihre gerechte Strafe bekommen.

    Ruhe sanft Genosse Lothar Knick. Die Beerdigung ist am 20.8.2022 ab 13 Uhr auf dem Fiedhof in Jützenbach (Kreis Leinefelde Worbis).

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