Boris Polewoi: Die Prognosen des Jarosław Hałan

PolewojTagebuchIn letzter Zeit war ich Jarosław Hałan recht nahegekommen, der sich bei zwar mürrischem Aussehen und aller Verschlossenheit als ein Mann, wie gesagt, von vielseitiger Bildung und scharfem Intellekt erwies. Er hatte an den Universitäten von Krakau und Wien studiert, sprach flüssig Russisch, Ukrainisch, Polnisch, Deutsch, ein wenig Französisch und verstand Englisch. Da die sprachlichen Schranken fortfielen, pflegte er Umgang mit unserem ganzen babylonischen Turm. Darum sah er die Vorgänge hier schärfer als wir, genauer. Er wußte immer einiges mehr und verstand den Dingen zuweilen vorauszueilen.

Die berüchtigte Fulton-Rede Churchills

Ich schlenderte mit ihm jetzt öfter durch den Faber-Park, wir redeten über das Gesehene und Gehörte, und sein Weitblick frappierte mich stets aufs neue. Ich gebe zu, Churchills Fulton-Rede hatte ich zunächst als einen ärgerlichen, jedoch nicht allzu ernst zu nehmenden Vorfall angesehen: Ein alter, als Premier abgewählter Ehrgeizling wollte wieder mal ein bißchen Presserummel um seine Person und brachte sich in Erinnerung durch eine gepfefferte antibolschewistische Rede.

„Irrtum“, versetzte Hałan, als ich mich in diesem Sinne äußerte. „Churchill ist beileibe kein extravaganter publicitysüchtiger alter Mann. Nach Roosevelts Tod ist er der bekannteste Staatsmann der westlichen Welt. Er hat alles exakt kalkuliert, angefangen vom Rednerpult in den USA bis hin zum Zeitpunkt, wo der von Fehlschlägen in Osteuropa aufgeschreckte Westen sich nach einem führenden Mann und einem Zeichen zum Handeln umsieht. Die Rede hat stärkste Resonanz gefunden. Der Ordensmeister der imperialistischen Kreuzzügler hat ins Horn gestoßen, und sämtliche Ritterhaufen, wo immer sie stecken, haben sich in Marsch gesetzt.“

Aufruf zum kalten Krieg

Er hatte recht, der Jarosław Hałan. Wir sahen es schon im Gerichtssaal am Verhalten der Angeklagten. Dank ihren Anwälten hatten sie Kenntnis von der Rede Sir Winstons bekommen und fühlten sich obenauf. Worauf Hitler in seinen letzten Bunkertagen gesetzt, worauf er vor seinem Selbstmord gehofft hatte, schien Wirklichkeit geworden: Churchill sammelte Kräfte zum Feldzug gegen die Sowjets, die vormaligen Alliierten waren drauf und dran, aufeinander loszugehen. Und beißen sich die Hunde, entschlüpft die Katze auf den Zaun und bezieht dort sichere Position.

„Kann sich das nicht auf den Prozeß auswirken? Glauben Sie, er wird zu Ende geführt?“.
„Schwer zu sagen“, erwiderte Hałan nachdenklich und senkte den mächtigen, großstirnigen Schädel. „Vorläufig, wie Sie sehen, wirkt sich das noch nicht aus, im weiteren, wer weiß? Haben Sie bemerkt, wie die Verteidigung ihre Taktik änderte? Früher versuchte sie, die Zeugen der Anklage zu diffamieren, wie im Falle Paulus, Aussagen, Dokumente in Frage zu stellen, jetzt versucht sie, Zeit zu gewinnen, allein Zeit zu gewinnen, mit allen Mitteln und soviel wie möglich. Denken Sie an Stahmer, wie hat er dem Gericht zugesetzt, die Ferien auf drei Wochen zu verlängern. Und dann die Vorladung Dutzender sonstwo wohnender Zeugen, auf der Ribbentrops Anwalt bestand!“
„Immerhin wird der Prozeß davon noch nicht berührt.“
„Noch nicht. Bloß in den Besatzungszonen der westlichen Alliierten sieht man schon die Wirkungen, und recht beträchtliche. Während Sie in der Tschechoslowakei Slivovice und Borovička tranken, habe ich mich etwas in Süddeutschland umgesehen. Alarmierend, höchst alarmierend.“

Die USA fördert den Faschismus in der Ukraine

Er erzählte, wie sich hier und da in den kleineren Städten um München und in Nürnberg die ukrainischen Nationalisten sammelten, die Bandera-, die Melnikow-, die Gelb-Blau-Leute, die Reste der zerschlagenen Wlassow-Armee. In den Lagern der Osteuropäer, die nicht beizeiten nach Hause kamen, würden US-Agitatoren die Werbetrommel rühren, Geld versprechen, die Köpfe vernebeln: Geht nicht nach Hause, dort werdet ihr verfolgt, bleibt im freien Westen, wo für euch günstige Bedingungen geschaffen werden, sich Arbeit finden wird … s0 unverblümt redete man. Kein Zweifel, nicht aus Philanthropie nahmen die Amerikaner die diversen ukrainischen, belorussischen, baltischen Verräter und ehemaligen SS-Angehörigen in Kost und Logis.

Das tragische Schicksal der Karpatenbischofs Theophan

Jarosław Hałan, Kommunist aus Lwow, von der polnischen Geheimpolizei wiederholt in Haft genommen, war in Sorge. Mit dem Mut des erfahrenen Untergrundkämpfers visitierte er die in Entstehung begriffenen konterrevolutionären Organisationen, katholische Messen; er war ausgezeichnet informiert. Seine Unruhe kam nicht von ungefähr. In allen diesen Organisationen herrschten, nach Hałan, rauhe Sitten. Er erzählte, wie kurz nach dem Kriege der Karpatenbischof Theophan umgebracht wurde; ich hatte ihn im Kriege im alten Kloster von Mukatschewo kennengelernt.

Damals war er gerade von einer Rundreise durch unsere Republiken und größeren Städte zurückgekehrt und ließ in Karpatenzeitungen eine Serie Aufsätze unter dem Titel „Reise durch das Land der Wunder“ erscheinen. Er war ein Mann von hoher Bildung und Vorstellungskraft; der Kommunismus, meinte er, entwickle in der modernen Gesellschaft die Idee des frühen oder „reinen“ Christentums. Er berichtete von Arbeitern, die frei von Ausbeutung und Ausbeutern lebten. Christus, so schrieb er, habe die Händler zornig aus seinem Tempel gejagt und verkündet, eher ginge ein Kamel durch ein Nadelöhr, als daß ein Reicher in den Himmel käme; jetzt, um die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, würde er den russischen Bolschewiken Beifall zollen.

Hałan erzählte von dem Ende dieses Mannes. Einem furchtbaren Ende. Eines Tages hatte der Bischof unter seiner Post einen Brief mit einem Dreizackzeichen gefunden. Das war, wie er wußte, das Warnzeichen der Kampforganisation der Bandera-Leute. Er nahm keine Notiz davon oder vertraute vorbehaltlos auf „den Willen des Allerhöchsten“. Ein paar Tage später wurde Theophan tot in seiner Zelle aufgefunden. Ihm war ein bestialischer Tod bereitet worden, wie die ukrainischen Nationalisten ihn nicht selten an ihren Feinden vollziehen. Man war unbemerkt ins Kloster eingedrungen, in die Zelle geschlichen, hatte den Bischof geknebelt, ihm einen Drahtreif um den Kopf gelegt und diesen mit einem Holz zusammengedreht. Hatte langsam gedreht, die Qualen des Opfers sadistisch genießend, bis der Schädel platzte. [2]

Dieses Gesindel…

„Und jetzt werden diese Henker von den Amerikanern mit Proviant, Geld und Waffen versehen“, sagte Hałan. „Ich werde darüber schreiben!“
„Graut Ihnen nicht, sich mit denen einzulassen? Das Los Teophans müßte Ihnen doch eine Warnung sein?“
„Ich halte es für meine Pflicht, diesem Gesindel, das von Hitler zu Truman ging, den romantischen Flitter abzureißen.“ [1]

Er hatte natürlich recht, dieser kommunistische Untergrundkämpfer. Etwas sehr Unschönes schien sich da anzubahnen in der westlichen Welt, insbesondere in Süddeutschland, dem Ausgangspunkt der Nazibewegung, und hier vor allem in Nürnberg, weiland Wiege dieser Bewegung und heute Standort der amerikanischen Ersten Division, deren Führungsstab gegen die Sammlung der diversen antisowjetischen Kräfte jedenfalls nicht einschritt.

US-amerikanische Schnüffler in fremden Kammern

Wie gesagt, beim Prozeß war davon vorläufig nichts bemerkbar. Mit unseren amerikanischen Kollegen bestand nach wie vor kein schlechtes Einvernehmen. In unsrer Bewegungsfreiheit waren wir nicht sonderlich eingeschränkt. Ein Fall ist immerhin erwähnenswert. Eines Tages stellte ich vor dem Gerichtsgebäude fest, daß ich meinen „Paß“, den Passierschein, vergessen hatte. Kurt jagte mit mir zum Chaldäum zurück. Meine Kammertür stand offen, in der Kammer befanden sich ein amerikanischer Sergeant und ein uniformiertes Mädchen. Sie kramten im Koffer, wühlten in meinen Sachen. Das Mädchen hielt ein Gerät in der Hand, von dem ein Schlauch zu einem Gasbehälter führte. Mein Auftauchen brachte beide in sichtliche Verlegenheit. Der Sergeant faßte sich rasch. Er drückte auf den Gummiball, und dem Gerät entfuhr ein nach Karbol riechendes Wölkchen.

„Desinfektion“, sagte er, grüßte salopp und entfernte sich. Daraufhin bat ich unsere Dolmetscherin Anja, mir ein Schild anzufertigen, auf dem in englisch stand: „Gentlemen, falls Sie sich wieder einmal für meine Sachen interessieren, bitte ich um etwas mehr Ordnung: Werfen Sie nicht alles durcheinander und sparen Sie sich das Karbol. Das ist überflüssig. Herzlichen Dank.“ Dieses Schild hängt bis heute über meinem Tisch und um die Wahrheit zu sagen, „Desinfektoren“ sind in meinem Zimmer offenbar nicht mehr gewesen. Doch Galan hatte recht: Es galt, die Ohren offenzuhalten.

„Wir wollen nach Haus, Mr. Truman…“

Und hier noch eine kleine Beobachtung, die die Stimmung in der amerikanischen Armee selbst betraf. Eines Abends kehrten wir in unser Chaldäum zurück und hörten es hinter dem Eisenzaun singen. Zwei Posten hatten ihre Maschinenpistolen an den Zaun gehängt, hatten trotz der warmen Witterung ein Feuer gemacht, saßen da und sangen zweistimmig irgendeinen Text auf eine lustige Cowboymelodie. Es ging offenbar um Mr. Truman. Hałan blieb stehen. „Hören wir doch mal.“

Als das Lied zu Ende war, lächelte Hałan kaum merklich.
„Etwas Neues. Ich höre es zum erstenmal. In Prosa übersetzt, würde sich das etwa so anhören:

Wir wollen nach Haus, Mr. Truman.
Sie schickten uns nach Europa,
nach Rom, Berlin und Paris.
Wir gingen, Mr. Truman.
Nun möchten wir nach Haus.
Wir haben genug von Rom, Berlin und Paris,
es steht uns bis oben, Rom, Berlin und Paris.
Uns ist übel geworden an Rom, Berlin und Paris.
Und wir möchten nach Haus.
Zu Hause die vielen Boys,
die kennen Europa nicht,
die kennen nicht Rom, Berlin und Paris.
Sie genehmigen sich unsern Whisky und unsere Girls dazu.
Sie zieht es nach Europa,
sie fiebern nach Rom, Berlin und Paris.
Schicken Sie sie her, Mr. Truman,
und lassen Sie uns nach Haus.
Und lassen Sie uns nicht, Mr. Truman,
gehn wir von allein, Mr. Truman.
Wir kommen dann böse und wütend,
und Ihre Brille wär in Gefahr, Mr. Truman.
Besser, Mr. Truman, Sie lassen uns so nach Haus.

Als wir uns trennten, sagte ich noch einmal: „Seien Sie vorsichtig, Jarosław. Nehmen Sie sich in acht.“
„Ich bin Kommunist“, erwiderte Hałan. Und fügte hinzu:
„Die Zeit der Güte ist noch nicht heran.“


Anmerkungen:
[1] Hałan führte seine Absicht aus. In der Tragödie „Unterm goldnen Adler“, in dem Stück „Liebe im Morgengrauen“, in dem Buch „Vater der Finsternis“ .hat er das konterrevolutionäre Gesindel gegeißelt. Er kam von der Hand eines Nationalisten ums Leben, er wurde in seinem Arbeitszimmer mit der Axt erschlagen.
[2] Über Bischof Theophan Sabow werden im Westen die unterschiedlichsten Lügen verbreitet. Während die englische Website der Karpatorussischen Orthodoxen Kirche noch schreibt, Theophan sei irgendwann verschwunden und wahrscheinlich gefoltert worden, wird auf der Website der US-amerikanischen Karpatorussischen Orthodoxen Kirche sogar behauptet, Theophan sei von den Kommunisten verhaftet und 1945 exekutiert worden. Das ist eine freche Lüge! 1944 hatte der orthodoxe Kongreß in Mukatschewo den Beschluß über den Beitritt der Karpatorussischen Kirche zum Moskauer Patriarchat gefaßt. Theophan wurde mit einer Delegation der orthodoxen Geistlichkeit der karpatorussischen Region beauftragt, nach Moskau zu reisen und J.W.Stalin darum zu bitten, Transkarpaten in den Bestand der UdSSR aufzunehmen. Theophan war in den Jahren 1944-1945 der Hauptbewerber für das Amt des Bischofs, wurde aber am 15. Juni 1946 zusammen mit seinem Bruder Pjotr im Dorf Toschnad (im Winogradowsker Bezirk) ermordet. (Quelle:  http://zarubezhje.narod.ru/tya/f_063.htm)


Quelle:
Boris Polewoj: Nürnberger Tagebuch. Verlag Volk und Welt, Berlin 1971, S.221-227. (Die Schreibweise des Namens Jarosław Hałan ist unterschiedlich – Jaroslav Galan, Ярослав Олександрович Галан, ukr. – hier wurde die polnische Version genutzt. Zwischenüberschriften eingefügt, N.G.)

DOWNLOAD: Polewoj Prognosen des Jaroslaw Halan

Siehe auch:
Die päpstliche Inquisition und die Ermordung des sowjetischen Schriftstellers Jarosław Hałan


 

Wer war Jaroslaw Hałan?

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Die heimtückische Ermordung Hałans

Am 24. Oktober 1949 kamen in Lwow in die Wohnung des Schriftstellers und Abgeordneten des Obersten Sowjets der UdSSR, Jaroslaw Hałan, zwei „Studenten“ mit der Bitte, ihnen zu helfen, in eine andere Hochschule überzuwechseln. Hałan saß hinter seinem Schreibtisch. Während des Gespräches schlug einer der Studenten den Schriftsteller unerwartet mit einer Axt auf den Kopf. Auf dem Tisch lag das unvollendete Manuskript, das Háłan dem 10. Jahrestag der Wiedervereinigung der Ukraine gewidmet hatte. Das Blut floß auf die Blätter des Manuskriptes. Hałan war tot. Das Manuskript wurde im Museum für Geschichte der Religion und des Atheismus der Akademie der Wissenschaften der UdSSR in Leningrad aufbewahrt. (Es wurde in den 1990er Jahren von ukrainischen Nationalisten vernichtet.)

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Der berühmte ukrainisch-sowjetische Schriftsteller und Publizist, der Kommunist und Atheist, der stets offen und mutig gegen den Faschismus und gegen den ukrainischen Nationalismus auftrat wurde im Auftrag des Vatikans von ukrainischen Bandera-Faschisten im Alter von nur 47 Jahren ermordet.

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