
Francisco de Goya: Der Schlaf der Vernunft gebiert Gespenster
Als Alexander Abusch diese Zeilen schrieb, war der zweite Weltkrieg gerade mal vier Jahre vorüber, doch schon bald suchten die USA auf Kosten der durch den Krieg geschundenen und geschwächten Sowjetunion die Vormachtstellung in der Welt wieder an sich zu reißen. Völlig grundlos bombardierten im Sommer 1945 die USA-Imperialisten die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki in Schutt und Asche und ließen den Nazismus auf ihre Art wieder auferstehen. Man ermordete Stalin, zettelte in Budapest, Berlin und Prag konterrevolutionäre Unruhen an, sabotierte und boykottierte den weltweit wachsenden Sozialismus, wo immer es nur ging, versuchte ihn totzurüsten, doch er war in seinem Siegeszug nicht aufzuhalten. Bis endlich das 1956 eingepflanzte Gift des Revisionismus zu wirken begann, der „große Bruder“ der DDR erlag und der antifaschistische Schutzwall zerschlagen wurde. Und wie zum Hohn „entschuldigte“ sich 70 Jahre nach dem Terrorakt in Japan ein USA-Präsident dafür vor dem japanischen Volk (als ob gezielter Massenmord durch einen Atombombenabwurf jemals entschuldbar sei!). Ist die Vernunft nun ganz und gar in tiefem Schlaf versunken? Was Thomas Mann damals als Grundtorheit der Epoche bezeichnete, scheint sich heute – in einem Vierteljahrhundert nach der Restauration des Kapitalismus – zu einer regelrechten Gespenterfurcht ausgewachsen zu haben: Die Furcht vor dem Sozialismus. Doch nichts ist einfacher als das zu erklären. Ein verstörtes, verschrecktes und verblödetes Volk wird keine Revolution anzetteln. Schon gar nicht, wenn es nicht mehr weiß wozu…
Finsterste Traditionen
Es war das schwerste Verbrechen an dem Gedanken und der Tat der demokratischen Erneuerung des deutschen Volkes, als die Regisseure der Spaltung Deutschlands, zu ihrer Rechtfertigung und Bemäntelung, anknüpften an die finsterste deutsche Tradition, an den Antibolschewismus der Hitler, Goebbels, Rosenberg und ihrer Vorläufer. Hatte Thomas Mann den Antibolschewismus die „Grundtorheit unserer Epoche“ genannt, und damit alle Völker gemeint, so bedeutete in der spezifisch deutschen Situation die weitere Pflege seiner verhäingnisvollen Saat für viele Deutsche eine nachträgliche Bekräftigung „wenigstens dieser Seite“ des Nazismus.
Verteidigung des Abendlandes?
Die Auferstehung der so vertrauten Zweckphrase „Verteidigung des Abendlandes“, nun den Zielen des amerikanischen Imperialismus dienstbar, förderte im deutschen Volk die abenteuerliche Spekulation auf den Krieg, den Nazigeist, der nun „demokratisch“ firmiert auftrat. Bei dem Freispruch von SS-Führern oder der Amnestierung von ideologischen Kriegsverbrechern, wie dem Nazischriftsteller Edwin Erich Dwinger, wurde ihr Antibolschewismus offiziell – vor allem von Spruchkammern der englischen Zone – zum Entlastungsgrund erhoben.
Der Nazismus und seine geistigen Erben
Der Frankfurter katholische Publizist Walter Dirks erkannte mit Recht auch in der Marshall-Ära „die tiefe innere Beziehung zwischen dem Antibolschewismus und dem Faschismus“. In dem Entwicklungsprozeß, der sich widerspruchsvoll und verschiedenartig im Osten und Westen Deutschlands seit 1945 vollzog, wurde mancher Deutsche, der in den zwölf Jahren sogar gegen Hitler stand, unter dem Einfluß der amerikanisch-englischen Propaganda zum Neofaschisten. In der gleichen Zeit begannen viele Millionen früherer einfacher Nachläufer Hitlers, sich ehrlich zu neuen demokratischen Anschauungen durchzuringen.
Blinder Haß…
Vor dem deutschen Volk stand nach 1945, nach den katastrophalen Irrtümern seines nationalen Weges die ernste und dringliche Aufgabe, ein wahrhaft neues Verhältnis zu dem benachbarten Bund der sowjetischen Völker zu gewinnen. Über kein anderes Land war in Deutschland so wenig die Wahrheit bekannt gewesen und über nichts war so viel, so folgenschwer gelogen worden, wie über das neue sozialistische Regime in der Sowjetunion. Die Verhetzung, die von der Antibolschewistischen Liga im Jahre 1918 gegen den jungen Sowjetstaat entfacht worden war, die in den Weimarer Jahren von den Rechtsparteien bis zu der von Haß blinden Sozialdemokratie fortgeführt wurde, und die dann in der Ära des Nazismus ihre mörderische Ernte erlebte, hat entscheidend geholfen, Deutschlands Katastrophe zu verursachen.
Sozialismus bedeutet Frieden!
Der Antibolschewismus führte in das deutsche Debakel von Stalingrad, in den sinnlosen Untergang von Millionen Deutschen auf den Eisfeldern und in den Flammen zerfressenen „Kesseln“ im weiten russischen Land. Für jeden Deutschen, auch wenn er sich den Prinzipien der Sowjetunion nicht anschließen wollte, mußte ein integrierender Teil seiner eigenen Friedensgesinnung werden, sich endlich ein objektives Bild von den schöpferischen Leistungen ihrer neuen Gesellschaftsordnung zu schaffen.
Eine Frage der Vernunft
Seit Bismarcks Tagen – man erinnere sich noch einmal an sein Gespräch mit Tirpitz im Jahre 1897 – war das Verhältnis zu Rußland eines der Kriterien einer vernunftbegabten nationalen Politik Deutschlands. Die Alldeutschen hatten dieses Bismarcksche Erbe beiseite gestoßen, die Hitlerianer es aberwitzig verlacht. Die Sowjetunion hielt auch in den Entscheidungen des Nachkrieges fest an dem Wort, das ihr Staatsmann Stalin mit genialem Weitblick im schwersten Augenblick des Kampfes geprägt hatte: „Die Hitler kommen und gehen, aber das deutsche Volk und der deutsche Staat bleiben.“
Der Imperialismus tendiert zum Krieg
Von der Potsdamer Konferenz bis zur jüngsten Pariser Zusammenkunft der vier Außenminister von 1949 blieb die Sowjetunion ihren demokratischen Kriegszielen auch gegenüber dem deutschen Volk treu. Ihre Besatzungspolitik ging unverrückbar von dem Recht des deutschen Volkes auf seine nationale Unabhängigkeit aus. So erwies sich die Sowjetunion, die als antiimperialistisches Land für die nationale Freiheit aller Völker eintritt, auf allen Nachkriegskonferenzen als der natürliche Anwalt der nationalen Interessen des deutschen Volkes. Kein Deutscher mit echter Friedensgesinnung vermag diese Tatsache zu negieren.
Was wollte die Sowjetunion erreichen?
Die sowjetische Militärverwaltung als Vertreterin einer sozialistischen Macht erfüllte in ihrer deutschen Besatzungszone eine eigenartige historische Mission. Hatten sich die Kräfte der innerdeutschen Widerstandsbewegung als zu schwach und unfähig erwiesen, rechtzeitig ihre demokratische Revolution gegen die verbrecherische Hitlerdiktatur durchzuführen oder einen anderen wirksamen Beitrag zur Verkürzung des Krieges zu leisten, hatte die sowjetische Armee durch tausende Kilometer ihres eigenen zerstörten Landes bis nach Berlin vormarschieren müssen, um auch das deutsche Volk zu befreien, so begann dennoch die Sowjetische Militärverwaltung sofort im Mai 1945 die demokratischen Kräfte im deutschen Volle bei ihrer neuen Entfaltung zu fördern und ihre demokratische Selbsttätigkeit anzuregen. Ihre Politik diente politisch, wirtschaftlich und kulturell der Entmilitarisierung, der Entnazifizierung (von der besonders die hauptschuldigen Obernazis, die Konzernherren, Wehrwirtschaftsführer und Junker getroffen wurden), der Demokratisierung (fundiert durch gesellschaftliche Reformen) und der Wiedergutmachung gegenüber den überfallenen Völkern. Doch ihr Hauptziel war der planmäßige Neuaufbau eines einheitlichen, fortschrittlichen und friedliebenden Deutschlands. Auch diese grundlegende Leistung der Sowjetunion für die Wiedergeburt eines erneuerten deutschen Lebens machte ein freundschaftliches Verhältnis zu ihr zur Grundlage echter Friedensgesinnung für jeden Deutschen.
Vor welcher Entscheidung standen die Deutschen?
Die Deutschen wurden damit vor die große Entscheidung gestellt, zu wählen nicht zwischen Ost und West, nicht zwischen Amerika und der Sowjetunion, wohl aber die Wahl zu treffen: zwischen Kolonisierung in der Gefolgschaft der Vereinigten Staaten oder nationaler Souveränität eines unteilbaren deutschen Staates in der Freundschaft mit der Sowjetunion. Es ist weltpolitisch die Wahl zwischen dem imperialistischen Lager des Krieges und dem Lager der Kämpfer für den Frieden, dessen stärkste und führende Kraft die Sowjetunion ist.
Die Schicksalsfrage!
Viele Millionen von Deutschen haben seit 1945 allmählich nach einem tief selbstkritischen, realistischen Durchdenken der Vergangenheit bis zum erbitterten Ende des Krieges sich zu der Erkenntnis durchgerungen, daß sie in der grundlegenden Entscheidung unserer Zeit nur an der Seite der Sowjetunion der Sache des Fortschritts und des Friedens dienen können. Auch nicht wenige Anhänger bürgerlicher Parteien hatten bereits verstanden, daß es bei dieser Entscheidung um die nationale Schicksalsfrage geht.
Der Antibolschewismus, die Sowjetfeindschaft, die Haltung des modernen Dunkelmannes gegenüber der Sowjetunion und den zum Sozialismus schreitenden volksdemokratischen Ländern ist im Ringen um Deutschlands Zukunft eine Grundtorheit, tödlich für die eigene Nation.
Quelle:
Alexander Abusch: Der Irrweg einer Nation. Ein Beitrag zum Verständnis deutscher Geschichte. Aufbau Verlag Berlin (DDR), 1950, S.295-298.
Nachbemerkung: Inzwischen hat sich die deutsche Frage vorerst entschieden: Deutschland wurde nach langem vergeblichen Bemühen nun endlich doch in seiner Gänze zu einer Kolonie „in der Gefolgschaft der Vereinigten Staaten“. Deutschland wurde zu einem imperialistischen Staat und gehört weltpolitisch nunmehr „zum imperialistischen Lager des Krieges“. Es liegt ausschließlich in der Hand des deutschen Volkes, ob dieser Irrweg der deutschen Nation nun ein Ende findet.
Was ist Bolschewismus?
Sucht man im Internet nach dem Begriff des „Bolschewismus“, so findet man unendlich viele Verleumdungen und Lügen über die angeblichen „Opfer des Bolschewismus“, über „Opfer des Stalinismus“, vom „Hungerholocaust in der Ukraine“ und andere schreckliche Gruselgeschichten und Bilder, die dem unbedarften Leser die Haare zu Berge stehen lassen. Nur selten findet man die Wahrheit. Sehr oft werden Begriffe falsch verwendet, nicht immer nur aus Unkenntnis, wie das bei einem geschichtlich ungebildeten Leser der Fall sein mag, sondern zumeist mit bewußt fälschender, in betrügerischer Absicht. Weiterlesen ⇒