Ein paar Jahre nach der offenen Konterrevolution von 1989 treffen zwei Offiziere aufeinander, die sich einst als Feinde gegenüberstanden, ein Oberstleutnant der NVA (der ersten deutschen Friedensarmee in der sozialistischen DDR) und ein junger Offizier für „Öffentlichkeitsarbeit“ der Bundeswehr (der Nachfolgeorganisation der Wehrmacht). Nun mag man sich fragen: Was haben beide einander heute noch zu sagen, jetzt wo doch wieder Imperialismus herrscht (…und Frieden – zumindest in deutschen Landen)? Der einstige Gegner der Bundeswehr, die DDR, existiert nicht mehr, hat sich aufgelöst in ein Nichts. Das gegnerische Territorium wurde annektiert – „friedlich“ sozusagen. Eigentlich bräuchte es ja nun auch keine Atomraketen und keine waffenstarrende Bundeswehr mehr zu geben. Doch die Wirklichkeit sieht eben doch ein wenig anders aus…
Unser Autor H.P. schreibt:
Dienstag, 7. August 2012
Ich hätte mir als 75jähriger und einstiger NVA-Oberstleutnant nicht unbedingt träumen lassen, mit einem Bundeswehroffizier Aug in Aug zu diskutieren – unserem damaligen Gegner. Seit ich die NVA verließ war ich gerade man fünfzig Jahre alt. Und den ich dieser Tage im Verteidigungsministerium sprechen und Vortrag halten hörte, ist wohl etwa 40 Jahre jünger. Kurz: Es handelte sich um eine Gruppenveranstaltung an einem sehr warmen Augusttag des Jahres 2012 mit einem Offizier für Öffentlichkeitsarbeit – also ein organisierter Besuch beim Ministeriums mit anderen interessierten Leuten.
Was hatte sich wohl verändert im Wesen und Auftrag der Bundeswehr seit der sogenannten Wende? Zumal der „Gegner“ nicht mehr existiert? Aus Zeitungen kann man viel lesen, aber so als Augenzeuge einen offiziellen Vertreter sprechen zu hören – das ist schon was Besonderes.
Ein Klassenfeind?
Nein, der junge Mann hatte kein „klassenfeindliches“ Äußere. Weder im Auftreten noch in seinen Worten. Ganz im Gegenteil: Forsch, jung, schlank, gekleidet in einer schicken weißen Uniformbluse, Schulterstücken und dunklen langen Hosen, frei redend, gleich zum Anfang durch witzige Bemerkungen zum Lachen herausfordernd. (Ich erinnere mich an einen Besuch im Bundestag. Die Beamten traten ähnlich auf gegenüber ihren gläubigen Zuhörern: Frisch, frei redend, wortgewandt, unschlagbar argumentativ.)
So auch der Öffentlichkeitsapostel. Zur Sprache kamen: Die Struktur der Bundeswehr, deren Einsatzgebiete, ob in Afghanistan oder am Horn von Afrika. Ich verglich mit Vorträgen in der NVA: Da wurde sehr oft zuerst die politische Lage analysiert. Das war der Ausgangspunkt jeglicher Diskussion. Nicht hier. Anfangs nur paar einführende Worte. Und schon schloß sich seine Aufforderung an, Fragen zu stellen.
Ein paar Fragen…
Ich startete mit drei. Erstens, wie steht die Bundeswehr zur USA-geplanten Raketenstationierung in Europa? Zweitens: Was hält der junge Mann von des Bundespräsidenten Rede zur Bundeswehr, in der er forderte, man müsse auch sein Leben lassen für die Freiheit? Drittens: Wie sieht er den einstigen Auftrag der NVA?
Klare Antworten: Ja, man erfülle strikt die Aufgaben im Rahmen der NATO zum Schutz von Freiheit und Staat. Die Rede des Herrn Gauck sei gut gewesen. Zur NVA habe er keine Meinung, einige NVA-Leute seien ja mit übernommen worden. Das sei nun Geschichte. Nun ja, eine andere Antwort hätte mich verblüfft. Immer wieder fällt die Formulierung „vorausschauende Sicherheitsvorsorge“. Dazu trage die Führung der Bundeswehr, zusammen mit Parlament und Regierung, eine große Verantwortung. Er kommt auf den Verteidigungsminister zu sprechen. Das sei ein ziviles Amt.
Frage an den Offizier: Mancher Friseur maßt sich an, auf Mallorca Würste zu verkaufen. Warum hat der Verteidigungsminister keine militärische Ausbildung?
Antwort: Er habe ja genügend Berater im Ministeruium. Seine Aufgabe sei vor allem politischer Natur, um auch der Bundeskanzlerin beratend zur Seite zu stehen.
Bemerkung von mir: Unser Armeegeneral Heinz Hoffman hatte beides: eine hochqualifizierte militärische Ausbildung und eine hochgradige politische Bildung und Erfahrung. (Lacher in der mehrköpfigen Runde.)
Weiter der Buwe-Mann: Er veranschaulicht u.a. an Beispielen die Auslandseinsätze der Armee. Als sein nahezu spürbarer Stolz auf die „Verantwortung“ Deutschlands für Ruhe und Ordnung in der Welt einen gewissen Höhepunkt erreicht, wird ihm die Frage gestellt, welche Feinde denn die Bundewehr habe. Er zählt auf: Terroristen, Schurkenstaaten, Unruhen, instabile Länder…
Frage an ihn: Angesichts der weiteren Krisenverschärfung könne es zu sozialen Unruhen weltweit kommen, auch dann? Er nickt, ich glaube Verlegenheit in seinem Antlitz wahrzunehmen…
„Danke“, sage ich, „das reicht!“
Zwei Welten…
Weitere interessante Fragen von den Zuhörern gab es konkret zu Afghanistan und zur Funktion von Drohnen. Der Offizier antwortete mit zahlreichen Fakten. Er stand wirklich im Stoff. Zum Abschied reiche auch ich ihm die Hand. Danke für den gekonnten Vortrag. Er ist bestimmt ein guter Diener seines Staates. Ich sage: Ich war Oberstleutnant der NVA und bin stolz darauf. Das Nur-Befehlsempfänger-Dasein war bei uns allerdings verpönt. Wir strebten nach mehr, nach viel mehr…
Der junge und durchaus sympathische Repräsentant der Bundeswehr lächelt. Er ist der Sieger – der stramme und brave Soldat. Und mir ist kalt geworden.
Quelle: cleo-schreiber.blogspot.de/2012/08/der-brave-soldat.html
Kommentar:
Tja, lieber Schreiber dieser Zeilen, so eine unterhaltsame Vorstellung mit einer so eloquenten Person hättest Du wohl nicht erwartet. Da treffen Welten aufeinander, von denen die eine die andere nicht versteht (nicht verstehen kann??). Ein Kommunikationsproblem? Nein, weit gefehlt. Es ist ein ideologisches Problem. Auf welcher Seite man steht – auf der Seite der Arbeiterklasse oder auf der Seite der Bourgeoisie! Ja, und gibt es denn heute „den Gegner“ noch? Oder haben wir damals in der DDR den Klassenfeind überschätzt? War der nur ein beiderseitig aufgeblähtes Monster? …wo doch dieser junge Militär, dieser „durchaus sympathische Repräsentant der Bundeswehr“ doch so gar nichts Militärisches, so gar nichts Gegnerisches, nichts Feindliches an sich hat? Ein Mensch wie Du und ich?
Nun ja, die Fronten sind eben heute nicht mehr so ohne weiteres erkennbar. Waren sie denn 1989 auch schon nicht mehr erkennbar? Oder 1983, oder früher? Hatten wir uns zu sehr an den Frieden gewöhnt? Oder ist etwa heute der Klassenfeind verschwunden? Nein, nein – die Fronten sind noch da! Es gibt sie immer noch: Das Proletariat ist da und die Bourgeoisie auch. Und letztere – die Vertreter der Bourgeoisie – erscheinen heute in der Maske der Gelassenheit, der Eloquenz und Selbstgerechtigkeit solcher Leute, wie eben dieser lächelnde, junge Bundeswehroffizier.
Ihr gesellschaftliches Sein ist rundum perfekt, das Bewußtsein wasserdicht. Sie haben keinerlei Zweifel, haben keine Skrupel, denn das würde ihr Weltbild ins Wanken bringen. Und sie machen sich die Hände nicht mehr schmutzig, das Verbrechen ist „clean“, die Drohnen sind eben nicht mehr als ein Computerspiel. Die Waffen von Heckler und Koch sind unfehlbar, die Kampjets ein technisches Wunderwerk. Tot gehen immer die anderen. Selbst ein Breivig bekommt für seinen Massenmord noch ein komfortables Gefängnis mit Couchgarnitur und Lesesessel, mit Fitneßcenter und Bibliothek. Von Reue keine Spur. Die Nazis hatten wenigstens teilweise noch das dumpfe Gefühl, daß die Menschheit ihre Verbrechen wohl nicht hinnehmen würde, was ja in Nürnberg dann auch geschah. Auch hier war oft von Reue keine Spur.
Und diese Bundeswehroffiziere gehen heim, küssen ihre netten Weiber und spielen im schön gepflegten Garten mit ihren minderjährigen Kindern. Noch haben sie meist keine blutigen Hände… Von wegen „Verteidigungsministerium“. Was haben die denn zu verteidigen? Von wem werden die denn angegriffen? Vom ausgebeuteten Volk etwa? Und von wegen: Sieger! Dieser junge Mann hat nicht gekämpft, er weiß nicht einmal was kämpfen heißt. Er hat nur genommen, was man ihm anbot: einen sicheren Job, ein nettes, nicht gerade kleines Gehalt, eine schmucke Uniform, ein schönes Studium, das Offizierheim, gutes Essen usw. usf.
Ein Nur-Befehls-Empfänger? Ganz sicher nicht. Ein kreativer, selbstbewußter Lakai der Bourgeoisie. Ein moderner, versteht sich! Ein Feind? Na, sagen wir so: Ein biederer, braver Kleinbürger. Und doch werden diese Leute keineswegs zögern abzudrücken, wie sie das in ihrem Training gelernt haben, rein sportlich. Dann gehen sie heim und küssen ihre Weiber…
Ja, der Sozialismus wurde beseitigt in Europa, wenigstens für eine Weile. Doch wie sagte schon Karl Liebknecht vor gut hundert Jahren: „Der Feind steht im eigenen Land!“ Das sollten sich so manche Arbeiter hinter die Ohren schreiben, wenn sie wieder mal über irgendeinen Streik nachdenken. Von einer „sozialen Unruhe“ oder einer Revolution wollen wir gar nicht erst reden. Dagegen gibt es ja schon längst die entsprechenden Befehle…
Der Regen fließt eben herunter, und fließt eben nicht hinauf.
und das ist noch immer so!!! Hast Du Dir wenigstens die Hände gewaschen danach???
Rote Grüße
Norbert.
Antwort:
Besten Dank für die Übermittlung dieses interessanten Kommentars. Ich glaube schon, dass wir in unseren Ansichten deckungsgleich sind, der Norbert und ich.
Gruß von H. P.
Quelle: Kommunisten-Online
Tja, und gerade geht durch die Agenturen: 2017 exportierte die BRD soviel Rüstung in Krisengebiete wie nie zuvor.
Die Annexion der DDR hatte und hat zur Folge: Diese Grenze wurde aufgehoben, damit wir wieder in den Krieg ziehen.
1994 sang uns Gerhard Gundermann in seinem Lied „Krieg“:
nun isses soweit wir haben zu zweit
wieder klar schiff gemacht
ich hab endlich ne richtige arbeit
und du jemanden der sie dir macht
und wenn das schiff schlingert machst du die finger
und ich mach den rücksen krumm
und musst an die kegel ich muss in die segel
und da weiss ich wieder warum
darum bruder darum wird krieg
den ham wir uns jetzt vor die füsse gelegt
doch ich singe und bringe nicht um
OBWOHL ICH NUN WÜSSTE WARUM
1917 – war ein lehrreiches Jahr, nicht nur für die Arbeiter und Bauern – auch für die Soldaten! Es war ein Jahre in dem die Menschen mehr über Demokratie gelernt haben, als Jahrhunderte zuvor, wo die Rechtlosigkeit der Unterdrückten und die Willkür der Herrschenden zum Gesetz erhoben worden waren.
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