Für eine neue deutsche Literatur! Gegen die Lüge vom „verordneten Antifaschismus“ in der DDR

Als 1945 im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands die Überlebenden der Konzentrationslager daran gingen, das zerstörte Deutschland wieder aufzubauen, hatten sie nicht nur gegen nazistischen Ungeist, gegen antisowjetische Vorurteile und Resignation zu kämpfen, sondern zunehmend auch gegen die Anfeindungen der in die westlichen Besatzungszonen geflüchteten Kriegsverbrecher und Nazibonzen, die sich ihrer gerechten Bestrafung dadurch entzogen hatten, daß sie sich unter die Obhut der anglo-amerikanischen und französischen Besatzer begaben, die auch ihrerseits kein Interesse daran hatten, das Urteil von Nürnberg auch weiterhin umzusetzen. Kein Zweifel – das alte, faschistische Denken mußte überwunden werden!
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…nun heißt sie Heinrich-Heine-Straße. (Foto_ Natalja Bode)

Wie es in der DDR gelang, dennoch einen neuen Geist in die Schulen und in die Köpfe der Menschen im östlichen Teil der deutschen Heimat zu tragen, davon berichtet der folgende Beitrag.

Eine historische Tat

Die Zerschlagung des faschistischen deutschen Imperialismus war eine Befreiungstat von welthistorischer Tragweite. Mit der bedingungslosen Kapitulation der Hitlerwehrmacht am 8. Mai 1945 waren die Voraussetzungen für eine neue Etappe des revolutionären Weltprozesses gegeben, der mit der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution begonnen hatte. Die Sowjetunion hatte nicht nur die Hauptlast des Krieges getragen, ihre Bevölkerung hatte nicht nur die größten Opfer gebracht und das größte Leid erfahren, sie sah nun ihre Aufgabe nach der Vernichtung des Faschismus darin, gemeinsam mit der Arbeiterklasse aller anderen Länder ein Wiedererstarken des Imperialismus zu verhindern und die sozialistische Revolution weiterzuführen und damit „Garantien sowohl gegen einen erneuten Überfall des Imperialismus auf den Sozialismus als auch für die Sicherung des Weltfriedens zu schaffen.

Deutsche gemeinsam mit sowjetischen Menschen

Der Verlauf der sozialistischen Revolution in den Ländern Ost- und Südosteuropas und Asiens wurde in entscheidendem Maße dadurch geprägt; daß die Revolution mit unmittelbarer Unterstützung der Sowjetunion und unter dem Schutz ihrer Streitkräfte vollzogen wurde; die sich entwickelnde Zusammenarbeit mit der Sowjetunion stellte eine der wichtigsten Bedingungen für den Erfolg der Revolution dar“ [1]. Deshalb ist die damit verbundene, erstmals erfolgreiche revolutionäre Umwälzung in der Geschichte des deutschen Volkes als gemeinsame Leistung sowjetischer Menschen und der besten Vertreter der deutschen Arbeiterklasse anzusehen.

Die demokratische Umgestaltung in der DDR

Zunächst vollzogen die deutschen Arbeiter unter Führung der KPD und bald unter ihrer geeinten Partei in der damaligen sowjetischen Besatzungszone die antifaschistisch-demokratische Umgestaltung. Hierbei wurden sie maßgeblich von der sowjetischen Besatzungsmacht unterstützt. Es gelang ihnen, in diesen Prozeß auch andere demokratisch gesinnte und friedliebende Kräfte einzubeziehen. Während dieser revolutionären Umwälzung zeichneten sich bereits deutlich erste Ansätze einer künftigen sozialistischen Gesellschaft ab.

Der erste deutsche Arbeiter- und Bauern-Staat

Die Bildung des ersten selbständigen Staates der Arbeiter und Bauern auf deutschem Boden als Form der Diktatur des Proletariats leitete den Weg zum Sozialismus ein. Die Deutsche Demokratische Republik gehörte von ihrer Gründung an · als fester Bestandteil zum sozialistischen Weltsystem. Sie trug einerseits zu seiner Festigung bei und erhielt andererseits durch die Existenz der sozialistischen Staatengemeinschaft eine gesicherte internationale Stellung. (Vgl. Sie hierzu auch in Staatsbürgerkunde, Lehrbuch für Klasse 10, Ausgabe 1972, den Abschnitt: Der Marxismus-Leninismus über den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus und Kommunismus, S. 6-17.)

Die bedeutendste kulturelle Umwälzung

Dieser welthistorische Prozeß fand seinen Ausdruck auch im kulturellen Bereich. Die Zusammenarbeit sozialistischer deutscher Schriftsteller mit sowjetischen Kulturoffizieren – Ausdruck des proletarischen Internationalismus. Die internationalistischen Beziehungen der deutschen sozialistischen und fortschrittlichen bürgerlichen Autoren, die mit ihrer Parteinahme für die Große Sozialistische Oktoberrevolution ihren ersten überzeugenden Ausdruck gefunden hatten, bewährten sich auch unter den Bedingungen der Emigration und während des zweiten imperialistischen Weltkrieges.

Namhafte deutsche Schriftsteller

Als Mitglieder des Nationalkomitees Freies Deutschland standen so namhafte Schriftsteller wie Erich Weinert, Johannes R. Becher, Friedrich Wolf und Willi Bredel Schulter an Schulter mit den Soldaten und Offizieren der Sowjetarmee im Kampf gegen die faschistischen Eindringlinge. Die unverbrüchliche Solidarität mit den sowjetischen Menschen ließ sie die Einheit von sozialistischem Patriotismus und Internationalismus zutiefst erleben. In vielen ihrer Werke haben sie diesem Wissen, das auch ihr Handeln und Fühlen bestimmte. eindringliche Gestalt verliehen. (Vgl. Sie die Gedichte „Salud, Union Sovietica!“. von Erich Weinert, „Ballade von den dreien“ von Johannes R. Becher im Lesebuch 9/10, S.139 und 153 !) Die Hoffnung auf die befreiende Tat der Sowjetunion ermutigte auch die Schriftsteller. die während der faschistischen Tyrannei in anderen Ländern Zuflucht suchen mußten, in ihrem Kampf. (Vgl. Sie das Gedicht „Der große Oktober“ von Bertolt Brecht im Lesebuch 7, S.208 ff.)

Deutsche Schriftsteller für den Sozialismus

Nach der Niederwerfung des Faschismus setzten die sozialistischen deutschen Schriftsteller diese bewährte internationalistische Gemeinsamkeit mit ihren sowjetischen Genossen und Freunden unter den veränderten Bedingungen in einer neuen Qualität fort. So wie sie einst neben ihrem literarischen Schaffen als Rundfunksprecher, als Propagandisten in Kriegsgefangenenlagern, aber auch als leidenschaftliche Mahner zu Umkehr und Einsicht in den Schützengräben vor Stalingrad gestanden hatten, übernahmen sie nach 1945 wieder verantwortungsvolle Aufgaben im öffentlichen Leben:

  • Johannes R. Becher als Gründer und Präsident des Kulturbundes,
  • Erich Weinert als Vizepräsident der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung,
  • Friedrich Wolf als Kulturpolitiker und erster Botschafter der DDR in der Volksrepublik Polen,
  • Willi Bredel als Partei- und Kulturfunktionär.

Bei dieser wichtigen Tätigkeit, in der sie die Einheit von politischer und literarischer Arbeit überzeugend verkörperten, wurden sie tatkräftig von den sowjetischen Kulturoffizieren unterstützt. Diese Offiziere wirkten im Auftrag der SMAD (vgl. Geschichte 10, Teil I, S.44; 67, 68) im Bereich der Kultur.

Großes Vertrauen zur Sowjetunion

Mit Verwunderung, aber auch mit Beschämung vernahm im Jahre 1945 so mancher Deutsche, daß sowjetische Soldaten Verse Goethes, Schillers und Heines in deutscher Sprache aus dem Gedächtnis aufsagen konnten, daß Johannes R. Becher, Friedrich Wolf und Erich Weinert, die der deutschen Jugend noch völlig fremd waren, von ihnen verehrt wurden. Aus den Romanen von Willi Bredel und Anna Seghers hatten viele sowjetische Soldaten einen nachhaltigen Eindruck vom antifaschistischen Widerstandskampf in Deutschland gewonnen. Als sie die Tore der faschistischen Konzentrationslager und Zuchthäuser sprengten, standen sie den Helden dieses Kampfes gegenüber. Ihnen galt ihre Sorge, ihnen galt ihr Vertrauen.

Beispielhaft: Die sowjetischen Kulturoffiziere

Sowjetische Kulturoffiziere besuchten damals gemeinsam mit Johannes R. Becher den greisen Schriftsteller Gerhart H>auptmann in Agnetendorf (Jagniatków). Sie schätzten ihn als den Dichter des revolutionären „Weber“-Dramas, und so mancher von ihnen wußte auch um die literarischen Verbindungen, die sich zwischen HauDie stmann, Gorki und Tschechow zu Beginn des Jahrhunderts angebahnt hatten. In all dem Leid, das ihnen die deutschen Faschisten zugefügt hatten, „war den Vertretern der Sowjetvölker diese gemeinsame humanistische Tradition unauslöschlich geblieben“. [2]

Auf holzigen Papier gedruckt…

Zu den Aufgaben der Kulturoffiziere gehörte es auch, den deutschen Lesern in der sowjetischen Besatzungszone die Werke der bedeutenden Sowjetschriftsteller und der namhaften Realisten der russischen Literatur des 19. Jahrhunderts zu vermitteln. Diese Aufgabe wurde mit Hilfe des Verlages der Sowjetischen Militäradministration gelöst. Auf holzigem Papier gedruckt, meist nur in einfacher Broschur geheftet, begegneten dem deutschen Publikum die weltberühmten Namen Puschkin, Lérmontow, Tolstój, Turgénjew, Gorki, Majakowski, Scholochow, Ostrowski und F. Durch solche literarischen Gestalten wie Pawel Wlassow, Pawel Kortschagin oder Oleg Koschewoj wurde der Umerziehungsprozeß der deutschen Jugend wesentlich gefördert.

…neue Vorbilder für die Jugend

den bot den jungen Menschen neue, menschenwürdige Ideale und trug dazu bei, die antihumanen Vorstellungen der faschistischen Vergangenheit aus ihrem Bewußtsein zu verdrängen. Viele hat die Lektüre des Werkes „Wie der Stahl gehärtet wurde“ von Nikolai Ostrowski angespornt und ermutigt, sich am Lebensweg Pawel Kortschagins zu orientieren. Seine revolutionäre Einsatzbereitschaft, seine vorbildliche Arbeitsmoral sowie seine Konsequenz und parteiliche Prinzipienfestigkeit wurden für Tausende Mitglieder der Freien Deutschen Jugend verpflichtendes Vorbild.

Was verlangte Lenin?

Die Kulturoffiziere sahen es auch als ihre Aufgabe an, sich gemeinsam mit deutschen Antifaschisten der Pflege· und Erneuerung des deutschen Kulturerbes zu widmen. Sie wußten um die Bedeutung der Worte Lenins für die Erziehung der Jugend, die er auf dem III. Gesamtrussischen Kongreß des Kommunistischen Jugendverbandes Rußlands im Oktober 1920 gesprochen hatte. Als dringendes Erfordernis für den Aufbau der neuen Gesellschaft verlangte Lenin von der Jugend „die klare Einsicht, daß nur durch eine genaue Kenntnis der durch die gesamte Entwicklung der Menschheit geschaffenen Kultur, nur durch ihre Umarbeitung eine proletarische Kultur aufgebaut werden kann…“ [3]

Marschall Tschuikow ehrt Goethe und Schiller

Es war deshalb eine Tat im Sinne Lenins, als am 7. August des Jahres 1945 der Sowjetmarschall Tschuikow die großen deutschen Dichter Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller ehrte und vor ihren Sarkophagen in Weimar die Worte sprach: ,,Im Namen der Roten Armee, welche die Zivilisation Europas vor den faschistischen Barbaren gerettet hat, im Namen der Stalingrader Gardisten sowie der sowjetischen Militärverwaltung lege ich diese Kränze nieder auf den Gräbern der großen deutschen Dichter und Denker, der Kämpfer für den Triumph der Freiheit und Gerechtigkeit – Goethe und Schiller.“

Schänder und Fälscher der deutschen Literatur

Die deutschen Faschisten hatten die Namen der bedeutendsten deutschen Dichter geschändet, sie hatten ihr Werk verfälscht oder auch – wie das Schaffen von Heinrich Heine und das seiner rechtmäßigen sozialistischen Erben – unterdrückt. Zur gleichen Zeit aber wurden die Gedichte bedeutender deutscher Dichter von sowjetischen Schülern gelernt, Romane deutscher Autoren in den Bibliotheken des großen Sowjetlandes ausgeliehen und deutsche Schauspiele in den zahlreichen Theatern aufgeführt.

Gegen Imperialismus und kalten Krieg

Vom gleichen internationalistischen Geist wie das Handeln der sowjetischen Kulturoffiziere waren die Werke der sozialistischen deutschen Schriftsteller bestimmt. Mit ihrem Schaffen haben sie die jahrzehntelange antisowjetische Propaganda, die bald nach 1945 von den imperialistischen Mächten als ideologisches Banner ihres kalten Krieges erneut ins Feld geführt wurde, wirksam bekämpft. Wer konnte das überzeugender leisten als solche Autoren, die einst vom Faschismus vertrieben, in der Sowjetunion Aufnahme gefunden und die Freundschaft der Sowjetmenschen erlebt hatten und nun mit den Befreiern ihres Landes in ihre Heimat zurückgekehrt waren?

Gegen den westdeutschen Revanchismus

Mit scharfen Worten geißelte Erich Weinert bereits im Jahre 1946 in seinem Gedicht „Genauso hat es damals angefangen“ (Lesebuch 9/10, S. 238 f.) die antisozialistische Entwicklung in Westdeutschland:

Das darf sich heut schon wieder frech vermessen
und sein Bedauern fassen ins Gebet,
daß viel zuwenig im KZ gesessen
und daß es nicht noch mal nach Moskau geht.

Die imperialistischen Rachegelüste

Angesichts solcher unverbesserlichen Revanchegelüste nach all dem Schweren und Furchtbaren, was der deutsche Faschismus dem sowjetischen Volk zugefügt hatte, war es auch für die Angehörigen der Sowjetarmee nicht immer leicht, in ihren ehemaligen Feinden Menschen zu sehen, die ihrer Hilfe und tatkräftigen Unterstützung bedurften. (Lesen Sie hierzu den Auszug aus der Rede des Chefs der Sowjetischen Militäradministration in Thüringen anläßlich der Eröffnung der Universität Jena, in Geschichte 10, Teil I, S. 69!)


Das Lebenswerk von Willi Bredel

Die Gedanken und Empfindungen russischer Menschen, aber auch die Vorurteile und Vorbehalte deutscher Bürger, die sich anfangs mehr besiegt als befreit glaubten, hatte Willi Bredel bei der Erfüllung seiner politischen Aufgaben in den ersten Nachkriegsmonaten sehr unmittelbar erleben können. Die Erlebnisse und Eindrücke dieser Zeit gestaltete er in den Jahren 1959-1964 in dem mehrbändigen Romanwerk „Ein neues Kapitel“. In ihm ist als verhältnismäßig selbständiger Teil – auch die Novelle „Frühlingssonate“ (Lesebuch 9/10, S. 217ff.) enthalten.

Die Handlung des ersten Bandes spielt in der Stadt Rostock und reicht vom Einzug der Sowjetarmee bis in den Herbst 1945. Die „Novelle „Frühlingssonate“ bildet einen Höhepunkt des Romans, weil in ihr in verdichteter Form durch eine „unerhörte Begebenheit“ einmal die tiefgehende Wandlung im Denken und Fühlen gegenüber sowjetischen Menschen und zum anderen auch die Größe ihrer Gesinnung gegenüber den Feinden von gestern gestaltet wird. Damit erhält der Titel des Buches „Ein neues Kapitel“ eine tiefe und weitreichende Bedeutung für den Beginn eines neuen Verhältnisses zwischen sowjetischen und deutschen Menschen. Mit starker innerer Anteilnahme erlebt der Leser die bescheidene Bitte des sowjetischen Musiklehrers in der Uniform eines Hauptmanns der Sowjetarmee, den Hausmusikabenden des Rostocker Universitätsprofessors Rinberger beiwohnen zu dürfen. Mit Freude und Hoffnung verfolgt er die sich anbahnenden freundschaftlichen Beziehungen, die durch die völkerverbindende Kraft der Musik geweckt und vertieft werden. Betroffenheit und Erschütterung löst der Gefühlsausbruch des Hauptmanns Pritzker aus, als er beim Anhören von Beethovens Frühlingssonate, überwältigt von der schmerzlichen Erinnerung an den Tod seiner Frau und Kinder, die Beherrschung verliert. Sie waren von faschistischen Mordkommandos erschossen worden. (Vergegenwärtigen Sie sich auch in diesem Zusammenhang das Schicksal Sokolows aus Scholochows Erzählung „Ein Menschenschicksal“!) Und die immer aufs neue wiederholte Erkenntnis des deutschen Professors „Ja, wir sind die Schuldigen, wir. Die Schuldigen sind wir“ bildet schließlich die Voraussetzung für ein „Neues Kapitel“ der deutsch-sowjetischen Beziehungen.

Der Schriftsteller Franz Fühmann

Von dem Gefühl der Achtung vor den sowjetischen Menschen wurden auch viele ehemalige Soldaten der faschistischen Wehrmacht erfaßt. Franz Fühmann (geb. 1922), der bekannte Erzähler und Lyriker, hatte in einem Kriegsgefangenenlager bei Stalingrad die Namen bekannter deutscher Dichter aus Vergangenheit und Gegenwart wie viele seiner Kameraden auch zum erstenmal aus dem Munde eines sowjetischen Arbeiters und Lehrers in der Uniform der Sowjetarmee gehört.

Gleichsam als Dankesschuld hat er wenige Jahre nach seiner Rückkehr dieses Erlebnis in seinem lyrisch-epischen Poem „Die Fahrt nach Stalingrad“ (1953) eindrucksvoll gestaltet.
Dreimal kam er in die Heldenstadt an der Wolga. Einmal als Soldat der faschistischen Eindringlinge, zum zweiten Mal als Kriegsgefangener und schließlich nach dem Kriege als Freund der Sowjetunion. Er hatte gegen dieselben Garderegimenter gekämpft, in deren Namen Marschall Tschuikow im August des Jahres 1945 das Andenken und Vermächtnis von Goethe und Schiller geehrt hatte. Zur gleichen Zeit befand sich der Soldat Franz Fühmann in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. War er bei seiner Gefangennahme zunächst verzweifelt und ohne Hoffnung, so weckte ihn ein Ereignis bald aus seiner Gleichgültigkeit:
Herbstabend. Fall der falben Blätter. Septembergelb
die Tönung der Steppe vor Nacht. Wind kühl von der Wolga her.
Wir waren müd von der Arbeit ins Lager zurückgekehrt,
da standen zwei Lastkraftwagen vor der Kommandobaracke,
Büchern hochbepackt. O Empfangen der Bücher:
Fiebernd entgegengenommen, was uns schon lange vertraut schien
und nun ein Neues, Bestürzendes war: Goethe, Heine und Lessing,
und Schiller, Hölderlin, des Knaben Wunderhorn,
und aller Völker Reichtum: Balzac, Shakespeare, Cervantes;
und da: Die Wege hinab.in unseres Volkes Geschichte;
und da: Die Stimmen, die über die Front zu uns riefen;
und da, unser Leben verändernd: Die Stimme der Größten,
der Denker und der Erbauer der neuen, der menschlichen Welt!

(Interpretieren Sie die letzten vier Zeilen, und nennen Sie Namen und Werke,
die Franz Fühmanns Gedanken in diesen Versen bestimmt haben könnten!)


Internationale Solidarität

Die internationale Solidarität zwischen deutschen Kommunisten und ihren sowjetischen Genossen, ihre menschheitsbefreiende Wirkung erfaßte nun auch solche Menschen, die irregeleitet in den Freunden der Sowjetunion „vaterlandslose Gesellen“ zu sehen glaubten. Die deutschen und sowjetischen Kommunisten lehrten sie, das falsche von dem wahren Vaterlande zu unterscheiden, sie ermöglichten es, daß der Dichter Franz Fühmann sagen konnte: und endlich kann ich singen, was die Seele sich ersehnt: das Glück des Vaterlandes und die Liebe! (Aus: Die Fahrt nach Stalingrad)

Die Abrechnung mit dem Faschismus

Die demokratisch-revolutionäre Politik in der damaligen sowjetischen Besatzungszone, die Vereinigung der Arbeiterklasse durch den Zusammenschluß von KPD und SPD zur So­zialistischen Einheitspartei Deutschlands sowie die sich entwickelnden freundschaftlichen Beziehungen zur Sowjetunion im Geiste des sozialistischen Internationalismus bestimmten die Entscheidung vieler bedeutender Schriftsteller, die von den Faschisten außer Landes getrieben worden waren, in diesen Teil Deutschlands zurückzukehren. Hier fanden sie gleichzeitig die Möglichkeit, mit der Macht ihres Wortes die revolutionären Umwälzungen zu fördern. Sie waren bereit, entsprechend der Aufforderung WILHELM PIECKS zu handeln, die er auf der ersten Zentralen Kulturtagung der KPD im Februar 1946 in Berlin an alle Kul­turschaffenden gerichtet hatte:

,,Vor uns steht die Aufgabe, ein neues deutsches Kulturleben zu. begründen; ein Kulturleben, das uns auf unserem schweren Weg in eine bessere Zukunft, . . . in die Familie der großen Kulturvölker die Energien zuführt, die wir nicht entbehren können.“ [4]

Schonungslose Kritik an der faschistischen Vergangenheit

Ein wichtiges Anliegen der Schriftsteller bestand darin, mit der faschistischen Diktatur abzurechnen. Die schonungslose Kritik an der jüngsten Vergangenheit bildete auch das Hauptthema der sozialistischen und demokratischen Literatur nach 1945. Viele Werke waren bereits in der Emigration begonnen worden; sie sollten unmittelbar in den weltanschaulichen Klärungs- und Umwälzungsprozeß eingreifen. ANNA SEGHERS verdeutlichte-diese Absicht bereits im Jahre 1944 in dem Aufsatz „Aufgaben der Kunst“ mit den Worten:

,,Der Künstler von heute muß die Angriffspunkte ersinnen, von denen aus er die Mentalität der faschistischen Jugend von ungeheurem Wahn, von lügenhaften Vorstellungen, von totenstarrer Ver­krampftheit in Herrschsucht und mechanischem Gehorsam befreien kann … „212

Die Dichtung und die deutschen Dichter

Häufig kehrte die Dichtung, die im Exil entstanden war, noch vor dem Autor zurück. Es ist ein einzigartiges Ereignis, daß jetzt erst, vor allem in der sowjetischen Besatzungszone, die Literatur, die zwischen 1933 und 1945 im Exil entstanden war, zu voller Wirksamkeit gelangt. Was viele deutsche Schriftsteller während der Emigrationszeit geschrieben hatten, wurde stets von der Hoffnung getragen, daß es einst den Leser in der Heimat erreichen möge. Bücher oder auch nur einzelne Gedichte, die während der Naziherrschaft auf illegalen Wegen nur wenige Leser fanden, wurden nun von einem breiten, aufnahmebereiten Publikum gelesen.

Ein Licht am Horizont

Diese Romane, Erzählungen, Dramen und. Gedichte wirkten auf die Leser, die unter dem Faschismus von der Begegnung mit der sozialistischen und bürgerlich-humanistischen Literatur hermetisch abgeschlossen waren, wie Neuerscheinungen. In ihnen waren bereits jene Probleme im voraus gestaltet worden, mit denen sich die Masse der deutschen Leser noch auseinandersetzen mußte: die Abrechnung mit dem Faschismus, die Verurteilung des imperialistischen Krieges und nicht zuletzt der Anteil der eigenen Schuld an diesem düstersten Kapitel deutscher Geschichte.

Eine aufrüttelnde Literatur

Von aufrüttelnder Wirkung waren deshalb solche Werke wie „Das siebte Kreuz: von ANNA SEGHERS, ,,Professor Memlock“ von FRIEDRICH WOLF, die Szenenfolge „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ von BERTOLT BRECHT und die Gedichte von JOHANNES R. BECHER und ERICH WEINERT. Die antifaschistische deutsche Literatur. die in den Jahren 1933 bis 1945 im Exil entstanden war, vervielfachte nun nach der Zerschlagung des Hitlerfaschismus ihre Wirkung, als sie die deutschen Leser erreichte. (Das finden Sie bestätigt, wenn Sie in der Biographie A. Zweigs, S. 164, nachlesen, welchen nachhaltigen Eindruck z.B. die Begegnung mit dem Roman „Erziehung vor Verdun“ auf Erik Neutsch ausgeübt hat.)

Sozialistische deutsche Schriftsteller

Mit großem Ernst und hohem Verantwortungsbewußtsein förderten vor allem die so­zialistischen Schriftsteller die demokratische Erneuerung im Fühlen und· Denken ihrer Landsleute. Mit eindringlichen Worten sprach Johannes R. Becher in seiner ersten Rede nach seiner Rückkehr in die befreite Heimat über die Aufgaben, die in ganz besonderem Maße auch die Schriftsteller angingen:

,,Unsere gesamte geschichtliche Entwicklung ist in Frage gestellt, muß neu überprüft und neu beantwortet werden. Wie konnte das geschehen? Wie konnte das möglich werden? Wie ist es möglich geworden, daß Millionen Deutscher – und die meisten wider besseres Wissen – einem Hitler nachfolgten ins Verderben bis zuletzt?! Es ist eine Lebensfrage, eine Frage auf Leben und Tod unseres Volkes, daß wir darauf eine gründliche, geschichtliche, eine uns selbst von allem gespenstischen, reaktionären Unrat befreiende Antwort erteilen … Jeder einzelne von uns ist damit im Zusammenhang aufgerufen, sein Leben, sein Werk zu überprüfen und unerbittlich mit sich zu Gericht zu gehen und alle die Eigenschaften und Ansichten zu verurteilen und aus sich auszuscheiden, welche das Unheil mit heraufbeschworen haben. „213

Bertolt Brecht

„Ich bitt euch, habet mit euch selbst Erbarmen!“, sagt BERTOLT BRECHT in dem Gedicht „An meine Landsleute“ (1949). Die Eindringlichkeit seiner Worte, die der Dichter vor allem an die Mütter richtet und sich zum Sprecher ihr.er Kinder macht, zeugt von tiefer Verbundenheit mit seinen Landsleuten. Er verurteilt sie nicht, er bittet sie inständig, zu einem menschlichen Leben zurückzufinden. Von Strophe zu Strophe erneuert er seine Bitte und verleiht ihr somit einen fast beschwörenden Charakter. (Lesen Sie das Gedicht im Lesebuch 9/10, S. 229, und stellen Sie fest, auf welche Weise der Dichter das Fühlen und Denken seiner Landsleute zu erreichen sucht!)

Nicht nur reden, sondern auch handeln!

Obwohl Johannes R. Becher und Bertolt Brecht entschlossen gegen den Faschismus gekämpft hatten, stellten sie sich nicht abseits, gleichsam Lehren erteilend. Sie waren bereit, die schwere moralische Last der vielen schuldig Gewordenen mitzutragen; denn ohne deren mutiges Bekenntnis zum eigenen Versagen, ohne rücksichtslose Selbstkritik konnte keine neue und glaubwürdige Zukunft entstehen. Dem Sinn der Worte Johannes R. Bechers folgend, begnügten sich die sozialistischen Schriftsteller nicht mit der bloßen Verurteilung der faschistischen Verbrechen. Sie waren bestrebt, die Wurzeln bloßzulegen, die Hintergründe zu erhellen und die Zusammenhänge zu verdeutlichen, die jene verhängnisvollen zwölf Jahre der Hitlerbarbarei ermöglicht und begünstigt hatten. Deshalb setzte ihre Abrechnung mit dem Faschismus nicht erst mit dem Jahre 1933 ein. Sie .ergründeten die Vorgeschichte und die Voraussetzungen, die die Gewaltherrschaft der braunen Machthaber ermöglicht hatten.

Quelle:
Lehrbuch für den Literaturunterricht in den Klassen 8-10. Volk und Wissen Volkeigener Verlag Berlin,. 1980, S.201-206.

Anmerkungen:
[1] Werner Horn: Die Entstehung und Entwicklung der DDR im Prozeß der Herausbildung und Festigung des sozialistischen Weltsystems. In: „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft“, Heft 10/1972, S.1273.
[2] Alexander Abusch: Sowjetische Kulturoffiziere (1960). In. Begegnungen und Gestalten. Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung und Literatur (1933-1971). Aufbau Verlag Berlin und Weimar, 1971, S.292.
[3] W.I. Lenin: Die Aufgaben der Jugendverbände. In: Werke Bd.31, Dietz Verlag Berlin, 1959, S.43.
[4] Wilhelm Pieck: Reden und Aufsätze. Auswahl aus den Jahren 1908-1950. Bd.2, Dietz Verlag Berlin, 1952, S.43.
[5] Anna Seghers: Über Kunstwerk und Wirklichkeit. I. Die Tendenz in der reinen Kunst. Akademie Verlag Berlin, 1970, S.198.

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7 Antworten zu Für eine neue deutsche Literatur! Gegen die Lüge vom „verordneten Antifaschismus“ in der DDR

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  2. giskoe schreibt:

    Das kann ich unterschreiben: Bredel, Strittmatter, Wolf, Kant – eine bewußte und klare Sprache, die das „Gute will“.
    Nicht zu vergessen der Einfluß auf die Zirkel Schreibender Arbeiter. Das war echte Volkskunst!

  3. Pingback: Gordon Schaffer: Ein Engländer bereist die Ostzone (1947) | Sascha's Welt

  4. Erfurt schreibt:

    Das Bild zeigt die Heinrich-Heine-Straße in meiner Geburtsstadt Weimar. Links im Bild der Fürstenhof, der später, zu meiner Zeit Russischer Hof hieß. Dort auf dem Balkon stand Wilhelm Pieck, der erste Präsident der DDR, bei einer Maikundgebung in der jungen Republik.

    Danke für das Foto!

    • sascha313 schreibt:

      Thomas Mann – einer der bedeutendsten deutschen Schriftstelle. Niemals hat und hätte er sich von der Bourgoisie und deren schmutzigen Handlangern für irgendwelche „Gefälligkeiten“ mißbrauchen lassen

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