Dr.rer.oek. Gerhard Tietze: Die Situation der westdeutschen Arbeiter unter den Bedingungen des wiedererstandenen Imperialismus in Westdeutschland 1963

Westdeutsch

Adenauer – Freund der Konzerne

Wenn man den nachfolgenden Bericht liest, wird deutlich, daß sich die grundlegende Situation in der BRD seither kaum verändert hat. Die Ausbeutung hat sich weiter verschärft und die für Westdeutschland damals zutreffenden Tendenzen haben sich bestätigt. Während in der DDR der Sozialismus aufgebaut wurde, der Gesundheits- und Arbeitsschutz sowie die Sozialversicherung der Werktätigen für ganz Europa beispielgebend waren, wurde in Westdeutschland das soziale Niveau weiter nach unten korrigiert. Ein deutlicher Indikator: Die Zahl der Arbeitsunfälle und Frühinvaliden übertraf bei weitem den Stand während der Nazizeit. Den BRD-Bürgern wurde ein „Wirtschaftwunder“ vorgegaukelt, das es niemals gab. Die Rüstungsausgaben und die Profite unter der Adenauer-Regierung, und später unter Wehner/Brandt, stiegen weiter an und die Verarmung nahm zu. Aber lesen Sie selbst, was Dr.Tietze schreibt:

Während in einem Teil Deutschlands – in der Deutschen Demokratischen Republik – die Arbeiterklasse und mit ihr alle Werktätigen auf der Grundlage der Arbeiter-und-Bauern-Macht erstmalig in der deutschen Geschichte den Schutz ihrer Gesundheit und ihrer Arbeitskraft in die eigenen Hände genommen haben und uneingeschränkt verwirklichen, schreitet die, absolute Verelendung der Arbeiterklasse* in Westdeutschland, verschärft durch den wiedererstandenen Imperialismus und Militarismus, unvermindert fort; das betrifft besonders den Raubbau an der Arbeitskraft.

*In der BRD betrug die Armutsquote 1963 rund ein Sechstel aller Haushalte (Lauterbach, 2003). Seit Beginn der 1950er Jahre wird das Armutsproblem in der BRD in fast allen offiziellen BRD-Publikationen kleingeredet. Stattdessen bemüht man sich, eine angeblich vorhandene Armut in der DDR zu erfinden, die es nicht gab. Bei den vergleichsweise extrem niedrigen Mieten, Fahrpreisen, Lebensmittel- und Eintrittspreisen und einer kostenlosen medizinischen Versorgung war selbst Geringverdienern, kinderreichen Familien oder Rentnern eine Beteiligung am gesellschaftlichen Leben jederzeit gewährleistet. Die Teilnahme an Kinderferienlagern, der Besuch einer Musikschule oder Sportgemeinschaft oder ein Studium war nie eine Frage des Familieneinkommens. Praktisch hatten alle Kinder des Volkes das Recht und die Möglichkeit die sozialen Leistungen unseres Landes in Anspruch zu nehmen. (Es ist klar, daß solche tendenziösen Publikationen mit allen ihren irreführenden Umschreibungen der sozialen Problematik in der BRD allein den Zweck verfolgen, die sozialen Errungenschaften der DDR herabzuwürdigen und verächtlich zu machen, und den Kapitalismus als die einzig mögliche Wirtschaftsform darzustellen.) N.G.

Die Herrschaftsverhältnisse in der BRD

Die Arbeiterklasse in Westdeutschland befindet sich dabei in der schwierigen Situation, den Kampf gegen die absolute Verelendung nicht nur gegen den deutschen, sondern zugleich auch gegen den amerikanischen Imperialismus führen zu müssen. Die zunehmende Militarisierung und atomare Aufrüstung führen zu immer größeren sozialen Belastungen und beschwören die tödliche Gefahr des atomaren Infernos herauf. Gleichzeitig zeigt sich in zunehmendem Maße ein immer frecheres Auftreten faschistischer Kräfte.

„In der westdeutschen Bundesrepublik herrschen heute wieder Menschenverachtung, Ausbeutung, klerikales Dunkelmännertum, Geld- und Eroberungsgier und Militarismus“, heißt es in dem Dokument des Nationalrats der Nationalen Front des demokratischen Deutschland über „Die geschichtliche Aufgabe der Deutschen Demokratischen Republik und die Zukunft Deutschlands“ [49]

Daraus ergibt sich mehr als je die Notwendigkeit, den ökonomischen Kampf gegen die absolute Verelendung mit dem politischen Kampf zu verbinden. Die Arbeiterklasse hat hierbei eine große nationale Verantwortung. „Nur unter der Führung der Arbeiterklasse, in breitester Einheitsfront mit allen demokratischen und friedliebenden Kräften, können die Verhältnisse in Westdeutschland geändert, können Militarismus und Imperialismus überwunden werden.“ [50]

Auswirkungen der Aufrüstungspolitik in der BRD

Der Kampf gegen die absolute Verelendung auf dem Gebiete des Gesundheits- und Arbeitsschutzes ist unmittelbar mit dem Kampf gegen die Atomkriegspolitik des Adenauer-Regimes verbunden, denn die Aggressionspläne der Bonner Militaristen stellen die größte Gefahr für Leben und Gesundheit der Menschen dar. Jeder Erfolg im Kampf um den besseren Schutz von Leben und Gesundheit in den Betrieben, jeder Erfolg im Kampf um höhere soziale Leistungen und gegen die beabsichtigte Krankenkassenreform ist ein Beitrag im weltweiten Kampf zur Bändigung des westdeutschen Militarismus.

Vom USA-Imperialismus beherrscht…

Entsprechend der Kriegspolitik des deutschen und amerikanischen Monopolkapitals konzentriert sich – wie unter dem Faschismus – die Rationalisierung besonders in den kriegswichtigen Wirtschaftszweigen. In diesen – zum überwiegenden Teil vom amerikanischen Kapital beherrscht – wurde durch intensive Ausbeutung eine Steigerung der Arbeitsleistung erreicht, die weit über derjenigen liegt, die der Faschismus unter grausamster Antreiberei herauszupressen in der Lage war. [51]

Rasantes Wachstum der Profite

Das Produktionsergebnis je Arbeitsstunde ist in der westdeutschen Industrie sowie im Bergbau und Bau von 1950 = 100 Prozent 1959 auf 171 Prozent gestiegen, der realisierte Mehrwert in der gleichen Zeit von 57,788 Milliarden Mark auf 143,104 Milliarden Mark. [52] Dies bedeutet einen Anstieg auf 248 Prozent. Bezogen auf den produktiv Beschäftigten ist der realisierte Mehrwert auf 184 Prozent angewachsen.

Die Konjunktur und ihre nachteiligen Auswirkungen

Diese vor allem durch die Atomkriegsrüstung hervorgerufene konjunkturelle Entwick1ung ist infolge der von den Monopolen betriebenen Erneuerung des fixen Kapitals durch Einführung einer hochentwickelten Technik mit einem Anwachsen der Produktivität verbunden. Aus der Mechanisierung und Automatisierung der Produktion ergeben sich sekundär insofern auch Einflüsse auf den Gesundheits- und Arbeitsschutz, daß die körperlich schwere und schmutzige Arbeit teilweise zurückgedrängt wird. Aus der kapitalistischen Anwendung der modernen Technik und insbesondere unter dem Aspekt der Rüstungskonjunktur ergibt sich hieraus jedoch kaum ein Vorteil für die Werktätigen, denn die Einführung der produktiven modernen Technik geht einher mit einer enormen Zunahme der Intensität und Arbeitshetze.

Eine gefährliche Tendenz

Gleichzeitig zeichnet sich eine gefährliche Ver1agerung von der körperlichen zur geistigen Intensität ab – eine Folge des erhöhten Tempos und der wachsenden Zahl zu bedienender Mechanismen, der einseitigen Ausbildung und des einförmigen Einsatzes der Arbeitskräfte u.a. Die Gefährlichkeit dieser Entwicklung besteht vor allem darin, daß die Steigerung der geistigen Intensität zunächst nicht so spürbar ist wie eine Steigerung der körperlichen Intensität, dafür, aber von viel schwerwiegenderen Folgen. Das beweist die hohe Frühinvalidität in Westdeutschland.

Folgen der Rationalisierung im Bergbau

Die Steigerung der Produktivität und Intensität in Verbindung mit der Einführung der modernen Technik wird zugleich ergänzt durch die Intensivierung der Arbeit auf dem Wege der sogenannten „Rationalisierung ohne Kapital“. So ist z.B. im westdeutschen Steinkohlenbergbau ohne nennenswerte technische Veränderungen die tägliche Förderleistung von 1950 mit 1400 kg je Kopf auf 2150 kg je Kopf 1960 angestiegen.

Um die Situation des Schutzes von Gesundheit und Arbeitskraft der westdeutschen Werktätigen richtig zu beurteilen, darf man sich nicht durch den hohen Stand der Technik im allgemeinen und auch nicht durch einzelne positive Seiten, die sich – wie die Verdrängung der körperlich schweren Arbeit – sekundär aus der neuen Technik ergeben, irreführen lassen. Für die Beurteilung der Situation im Gesundheits- und Arbeitsschutz im Maßstabe der westdeutschen Bundesrepublik gelten analog ebenfalls die Feststellungen von Walter Ulbricht auf dem 14. Plenum des ZK der SED:

„Niemand möge sich täuschen lassen durch die Höhe der technischen Entwicklung in Westdeutschland. Für die Entwicklung einer Nation und des Staates ist entscheidend die Rolle des Menschen. Und der Mensch wird in Westdeutschland durch das Monopolkapital ausgebeutet, dazu durch Militarismus und Klerikalismus geistig und politisch unterdrückt.“ [53]

Die Größe des Raubbaus wurde nicht erkannt…

Die Arbeiterklasse und die Werktätigen Westdeutschlands haben die Größe des Raubbaus an der Arbeitskraft und die mit der Rüstungskonjunktur heraufbeschworene Gefahr noch nicht voll erkannt, obwohl es zahlreiche Kampfaktionen gegen die verschärfte Ausbeutung, die Arbeitshetze und auch gegen die Bonner Atomkriegspolitik gibt. Die Ursachen hierfür sind vielfach. Zu ihnen gehören u.a. die Folgen der Verratspolitik durch die Brandt/Wehner-Mannschaft in der SPD und durch die rechten DGB-Führer, die sich um Leber vereinen, die Irreführung breiter Massen durch die konjunkturelle Scheinblüte der Wirtschaft, die ökonomischen, ideologischen, psychologischen Anreize zur Steigerung der Arbeitsleistung u.a.

Irreführung des Massen wie unter Hitler…

Im Dokument des Nationalrates der Nationalen Front des demokratischen Deutschland „Die geschichtliche Aufgabe der Deutschen Demokratischen Republik und die Zukunft Deutschlands“ wird in diesem Zusammenhang festgestellt: „Ebenso wie Hitler in Vorbereitung seiner Raubkriege durch eine wirtschaftliche Scheinblüte mit Rüstungskonjunktur breite Schichten des Volkes irreführte und für seine Kriegspolitik reif machte, soll heute in Westdeutschland durch das sogenannte Wirtschaftswunder und erneute Rüstungskonjunktur die Bevölkerung aufs neue betrogen und in lebensgefährliche Abenteuer gestürzt werden.“ [54]

Angst vor der Privatinsolvenz

Die in der erwähnten Steigerung des Produktionsergebnisses je Arbeitsstunde enthaltene Zunahme der Arbeitsintensität mit ihren Folgen, wie sie vor allem in der hohen Frühinvalidität und im Unfallgeschehen deutlich zum Ausdruck kommen, wird für brrite Schichten der Werktätigen durch die konjunkturelle Scheinblüte der Wirtschaft und die komplizierte Widersprüchlichkeit der Entwicklung verschleiert. Einen nicht unwesentlichen Einfluß besitzen die Teilzahlungsgeschäfte. Die ständigen Ratenzahlungen ermahnen dazu, das Letzte herauszuholen, sich arbeitsschutzwidrigen Bedingungen zu fügen, Krankschreibungen so lange wie möglich hinauszuschieben usw.

Die zynischen Ratschläge der Ausbeuterklasse

Dazu kommen die ständig fortschreitenden Preissteigerungen, Erhöhungen bei Mieten und Verkehrstarifen, die Verschlechterung der sozialen Leistungen. Mit dem sich gegenwärtig abzeichnenden Abflauen der Konjunktur wird der ökonomische Druck auf die Werktätigen noch stärker werden. Der Bonner Wirtschaftsminister Erhard hat dies in den zynischen Bemerkungen zum Ausdruck gebracht, daß die Arbeiter mehr „Maßhalten“ müssen.

Die Illusion von einer „sozialen Partnerschaft“

Der wachsenden Erkenntnis der Arbeiterklasse und der Werktätigen über ihre tatsächliche Lage soll mit Hilfe der rechten SPD- und DGB-Führung durch die verschiedensten Mittel der ideologischen Beeinflussung entgegengetreten werden. Den Werktätigen wird die Illusion einer „sozialen Partnerschaft“ vorgemacht. Durch die Ausgabe sogenannter „Volksaktien“ sollen sie an der Steigerung der Profite interessiert werden. Auf der Sitzung des Bundestages am 31. Mai 1961 hat der CDU/CSU-Abgeordnete Burgbacher bei der Begründung des Gesetzentwurfes über die „Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer“ den wahren Zweck dieser Machenschaften mit den Worten gekennzeichnet:

„Wir wollen die Millionen Arbeitnehmer an dieser Förderung der Produktivität unmittelbar interessieren, weil wir sie aus dem Klassendenken heraus in das individuelle Leistungsdenken hineinführen wollen.“ [55]

Klassenkampf? – Nein, danke!

Durch die systematische Zersetzung des Klassenbewußtseins wollen die Unternehmer die Arbeiter für eine immer größere Steigerung der Intensität und den damit verbundenen Raubbau an der Arbeitskraft gefügig machen. Gleichzeitig werden raffinierte psychologische Methoden angewandt. So unternahm man in der Maschinenbauabteilung der AEG Oldenburg den Versuch, die Arbeiter durch Anbringung von Uhren an den Maschinen, die graphisch Lauf- und Stillstandszeiten anzeigen, zu noch größerer Arbeitshetze anzutreiben. [56]

Ein Staat der Ausbeuterklasse

Der Staat unterstützt durch seine Gesetzgebung das Bestreben des Unternehmers, den Gesundheits- und Arbeitsschutz dem Profit zu opfern, indem er ihn nicht unabdingbar für Leben und Gesundheit der Werktätigen verantwortlich macht, sondern sehr labile Festlegungen trifft. Der Paragraph 120 a der Gewerbeordnung sagt beispielsweise:

„Die Gewerbeunternehmer sind verpflichtet, die Arbeitsräume, Betriebsvorrichtungen, Maschinen und Gerätschaften so einzurichten und zu erhalten und den Betrieb so zu regeln, daß die Arbeiter gegen Gefahren für Leben und Gesundheit so weit geschützt sind, wie es die Natur des Betriebes gestattet.“

Die wachsende Verelendung des Proletariats

Bezeichnend für die absolute Verelendung der Arbeiterklasse in Westdeutschland ist weiterhin, daß neben der Steigerung der intensiven Ausbeutung gleichzeitig – ebenfalls wie in der Zeit des Faschismus – in den vergangenen Jahren eine Zunahme der extensiven Ausbeutung zu verzeichnen war, indem der gesetzliche Achtstundentag im Durchschnitt neben gleichzeitiger Kurzarbeit und der Arbeitslosigkeit überschritten wurde. [57] Diese Tatsachen scheinen im Widerspruch zu stehen mit der in nicht wenigen Betrieben bestehenden 5-Tage-Woche. Hierzu ist folgendes zu sagen:

Dort, wo man in einzelnen Betrieben zur 5-Tage-Woche überging, geschah das nicht unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Arbeitskraft, sondern aus den Profitinteressen der Unternehmer. Von den Arbeitern mußte in diesen Fällen innerhalb von 5 Tagen unverändert eine 48stündige bzw. eine 45stündige Wochenarbeitszeit geleistet werden. In jedem Falle wurde dabei der Achtstundentag überschritten, was eine Steigerung der physischen Belastung des Arbeiters zur Folge hat, die keineswegs durch das verlängerte Wochenende ausgeglichen werden kann, obwohl viele Werktätige dieser Illusion unterliegen. Für den Unternehmer dagegen ergeben sich Vorteile, indem er die überhöhten Betriebskosten eines nur halben Arbeitstages – des Sonnabends – einspart.

Die Preissteigerungen fressen die Lohnerhöhungen…

Im Ergebnis des Kampfes der Arbeiterklasse Westdeutschlands um die Verkürzung des Arbeitstages trat schließlich ab 1. Oktober 1956 im Bereich der IG Metall das Tarifabkommen über die 45-Stunden-Woche in Kraft. Gegenwärtig arbeitet der größte Teil der Beschäftigten in Westdeutschland nach einer tariflich vereinbarten 44- und 45stündigen Wochenarbeitszeit in Verbindung mit entsprechender Erhöhung der Löhne. Die Erhöhung der Löhne wird jedoch durch die ständigen Preissteigerungen und sozialen Belastungen wieder kompensiert. Die Arbeitszeitverkürzung steht dabei in engstem Zusammenhang mit der zuvor geschilderten Erhöhung der intensiven Anspannung, kann aber deren Folgen keineswegs aufheben. Sie ist begleitet von der gleichzeitigen Ableistung von Überstunden, die die tariflich vereinbarte Verkürzung durchbrechen, und steht im Zusammenhang mit der 5-Tage-Woche bei erhöhter täglicher Arbeitszeit.

Indikatoren des fortschreitenden Raubbaus

Es zeigt sich in den vorstehenden Ausführungen, daß die reale Einschätzung der Situation im Gesundheits- und Arbeitsschutz in Westdeutschland außerordentlich kompliziert ist. Trotzdem gibt es eine Reihe ganz exakter Aussagen, die eindeutig den fortschreitenden Raubbau an Leben und Gesundheit der westdeutschen Werktätigen beweisen: Die Entwicklung der Frühinvalidität und des Unfallgeschehens.

  • Die Frühinvalidität, d.h. die Anzahl der Rentenzugänge vor Erreichen der Altersgrenze, betrug im faschistischen Deutschland 1938 44 Prozent. Sie betrug 1959 in Westdeutschland 70 Prozent, in der Deutschen Demokratischen Republik dagegen nur 33 Prozent.

UnfaelleBRD

  • Besonders deutlich spiegelt sich die verheerende Wirkung der Intensitätssteigerung im Unfallgeschehen wider. Die Zahl der Unfälle – und auch der Berufskrankheiten – liegt heute in Westdeutschland weitaus höher als während des Höhepunktes der Rationalisierung in der Weimarer Republik und während des Faschismus, obwohl Westdeutschland nur einen Teil des damaligen Territoriums umfaßt.
  • Schließlich sei zur Kennzeichnung der wahren Situation im Gesundheits- und Arbeitsschutz hervorgehoben, daß der Bonner Staatshaushalt, der voll und ganz in den Dienst der Atomkriegsrüstung gestellt ist, im Jahre 1960 ganze 58,50 DM je Kopf der Bevölkerung für Gesundheitsfürsorge (ohne Sozialversicherung) zur Verfügung hatte; in der Deutschen Demokratischen Republik waren es 211,18 DM. [59]

Welche Rolle spielten Parteien und Gewerkschaften?

In ihrem Kampf um Gesundheits- und Arbeitsschutz bedarf die Arbeiterklasse Westdeutschlands einer klaren und konse­quenten Führung durch eine revolutionäre Partei der Arbeiterklasse und durch Gewerkschaften, die es verstehen, den Kampf um den Gesundheits- und Arbeitsschutz unlöslich mit dem politischen Klassenkampf erfolgreich zu verbinden.

Die KPD – verboten!

Die konsequenteste politische Organisation, die in Westdeutschland diesen Erfordernissen gerecht wird, die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) ist verboten; dadurch hat sie aber keinesfalls ihren Einfluß auf den Klassenkampf verloren. Die KPD kämpft trotz Terror unbeirrbar weiter gegen Militarismus und Faschismus, für die Verbesserung der Lebenslage der Werktätigen, für Demokratie, für Frieden und für ein geeintes sozialistisches Deutschland.*

*Das war 1963 noch so. Heute ist die nach 1990 neugegründete (Ost-)KPD mit ein paar Dutzend Mitgliedern politsch so gut wie bedeutungslos.

Der Verrat von SPD und DGB

Demgegenüber findet der Kampf der westdeutschen Arbeiter bei den rechten Führern der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) keine Unterstützung. Von solchen Führern der SPD und des DGB wie Wehner, Erler, Brandt und Leber wird offener Verrat an den Interessen der Arbeiterklasse geübt.

Ein Brief an die „Freunde“ von der SPD…

In dem Offenen Brief des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands an die Mitglieder, Funktionäre und Freunde der SPD vom 16. Juli 1960 wird hierzu unter anderem festgestellt, daß Wehner und Erler mit ihrer Zustimmung zur Politik von Adenauer zugleich bewußt der weiteren sozialen Demontage ihr Jawort gegeben haben.*

*Deutlich wird bereits hier der Revisionismus der SED in seiner Abwendung vom Klassenkampf und der Unterschätzung der Gefährlichkeit des westdeutschen Imperialismus.

Der reaktionäre und volksfeindliche Charakter der BRD

Im Widerspruch zu den Interessen der Arbeiterklasse steht die Haltung der rechten SPD- und DGB-Führung zur Rationalisierung in Westdeutschland. Es wird die „Interessengemeinschaft zwischen Kapital und Arbeiterklasse“ gepredigt, obwohl die Rationalisierung mit wachsender Intensität auf Kosten der Arbeiter durchgeführt wird und ausschließlich der Steigerung der Profite des Monopolkapitals dient. Im Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, beschlossen auf dem VI. Parteitag 1963, wird festgestellt, daß die rechten Führer der Sozialdemokratie· und der Gewerkschaften der Bourgeoisie Hilfestellung leisten, indem sie unter anderem die Illusion verbreiten, „daß im Rahmen der staatsmonopolistischen Herrschaft und der modernen industriellen Entwicklung sich der Kapitalismus selbst aufgibt und in eine gerechte soziale Ordnung verwandelt werden kann. Tatsäch­lich vollzieht sich aber in Westdeutschland nicht eine Abschwächung, sondern eine Verschärfung der Klassengegen­sätze, tatsächlich tritt der reaktionäre, volksfeindliche Charakter des westdeutschen Staates immer offener zutage“. [60]

Das Betriebsverfassungsgesetz – ein Schlag gegen die Arbeiter

Im Gegensatz zu den Interessen der Arbeiterklasse stand z.B. die Befürwortung des Betriebsverfassungsgesetzes vom 14. November 1952. Dieses Gesetz verbietet den Kampf der Arbeiter gegen die Unternehmer und annulliert das Streikrecht. So heißt es im Paragraph 49, daß Unternehmer und Betriebsrat „vertrauensvoll“ und „zum Wohle des Unternehmens unter Berücksichtigung des Gemeinwohls“ zusammenarbeiten sollen, und daß auf „Maßnahmen des Arbeitskampfes“ verzichtet werden soll. In den Erläuterungen hierzu wird unter anderem folgendes ausgeführt:

„Demnach verstößt ein Streik, den etwa der Betriebsrat im Betrieb zum Zwecke des Abschlusses einer Betriebsvereinbarung durchführt, gegen die gesetzliche Friedenspflicht des Betriebsrates und ist deshalb als gegen ein gesetzliches Verbot verstoßend rechtswidrig … Der Betriebsrat ist verpflichtet, gegen Streikaktionen der Belegschaft mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln einzugreifen.“ Und dazu kommt die unverhohlene Drohung: „Beteiligen sich die einzelnen Betriebsratsmitglieder selbst durch Arbeitsniederlegung an einem solchen Streik, so können sie, wie jeder sonstige Arbeitnehmer, fristlos entlassen werden.“ [61]

Klassenkampf oder Duldung – das ist die Frage!

Die im Paragraph 58 des Betriebsverfassungsgesetzes an den Betriebsrat gerichtete Aufforderung „auf die Bekämpfung von Unfall- und Gesundheitsgefahren zu achten … sowie sich für die Durchführung der Vorschriften über den Arbeitsschutz einzusetzen“, kann aber im Kapitalismus nur durch Kampfaktionen erzwungen werden.


Zitate:
[49] „Die geschichtliche Aufgabe der DDR und die Zukunft Deutschlands“, in: „Neues Deutschland“ vom 27. März 1962, s.1.
[50] Walter Ulbricht, „Einige Grundfragen der Entwicklung der Deutschen Demokratischen Republik“, Referat auf der 15. Tagung des ZK der SED, „Neues Deutschland“ vom 24. März 1962, S.4.
[51] Jürgen Kuczynski, „Die Geschichte der Lage der Arbeiter in Deutschland von 1789 bis in die Gegenwart“, Bd. II, zweiter Teil – Westdeutschland seit 1945, Dritte Auflage, Berlin 1955, s.278/279.
[52] Errechnet nach: „Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland“, 1958, S.190, 1960, S.222, bzw. ebd. 1960, s.146, 206, 542, 549, zusammengestellt bei Franz Köckerbauer „Die Ausbeutung der Arbeiterklasse in Westdeutschland hat sich verschärft“, in: „Einheit“, Heft 2/1962, s.103 ff.
[53] „Der XXII. Parteitag der KPdSU und die Aufgaben der Deutschen Demokratisehen Republik“, Bericht des Genossen Walter Ulbricht und Beschluß, Dietz Verlag, Berlin 1961, S.34.
[54] „Die geschichtliche Aufgabe der DDR und die Zukunft Deutschlands“, a.a,0., S.2.
[55] „Das Parlament“, 21. Juni 1961.
[56] „FDGB-Informationsdienst nationaler Gewerkschaftsarbeit“, Heft Nr. 9/1961.
[57] Dr. Eva Müller, „Zur materiellen Lage der Industriearbeiter Westdeutschlands“, Berlin 1957, S.126.
[58] Jürgen Kuczynski, „Die Geschichte der Lage der Arbeiter in Deutschland von 1789 bis in die Gegenwart“, Bd.II, Erster Teil, a.a.O., s.159. (Die Zahlen über Westdeutschland wurden entnommen und berechnet nach: „Arbeits- und sozialstatistische Mitteilungen“, Herausgeber der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Verlagsort Bonn.)
[59] „Neues Deutschland“ vom 24. September 1961, S.6.
{60] Programm der SED, a.a.0., S.13.
[61] Zitiert nach: Dr.Kurt Görner, „Das BonnerBetriebsverfassungsgesetz – nur Intsrument zur Wiedereinführung der faschistischen Diktatur in den Betrieben Westdeutschlands“, in: Kurt Helbig, „Die Wirtschaftsdemokratie des Herrn Walter Freitag“, in: „Die Arbeit“, Heft 4/1954.
Quelle:
Dr.rer.oek. Gerhard Titze: Das Wesen des Gesundheits- und Arbeitschutzes im Kapitalismus und im Sozialismus, Berlin, 1963, S.45-54. (Zwischenüberschriften und erläuternde Bemerkungen eingefügt, N.G.)
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6 Antworten zu Dr.rer.oek. Gerhard Tietze: Die Situation der westdeutschen Arbeiter unter den Bedingungen des wiedererstandenen Imperialismus in Westdeutschland 1963

  1. Harry 56 schreibt:

    Schon vergessen? Wir schreiben April 2018! Was tun wir HEUTE ?

    • sascha313 schreibt:

      Bedauerlich, Harry! Gerade das ist ja die Hauptmethode der bürgerlichen Propaganda: Vergessen wir alle die Lügen, Betrügereien und Verbrechen das Imperialismus und reden wir über die „schlimmen Zeiten“ in der DDR! Für den Imperialismus darf es keine Alternative geben, schon gar nicht eine realistische! Die Menschen könnten ja irgendwann mal ins Nachdenken kommen…

      Damals wie HEUTE. Verschweigen und Vergessen. Die Methode ist immer die gleiche! Man kann ein Gleichheitszeichen setzen: 1963=2018
      Damals NATO-Hochrüstung = heute: von der Leyen: Milliarden für die Bundeswehr (angeblich, um „Verantwortung“ zu übernehmen!!!)

      Nochmals: WIDER DAS VERGESSEN.

      Und noch was, Harry: Am Sonntag, den 22. April 2018 war in Berlin-Weißensee eine Kundgebung am Ehrenmal für die Befreiung vom Faschismus. Weissensee ist nämlich schon am 22. April 1946 von der Roten Armee und Einheiten der polnischen Armee befreit worden. Warst Du mit dort? Ich habe Dich nicht gesehen…

      • Harry 56 schreibt:

        Hallo Sascha, vieles in dem obigen Beitrag ist natürlich richtig. Es entspricht auch heute noch oft den Tatsachen, auch wenn dem Arbeitsschutz heute wesentlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird als in früheren Zeiten.

        Leider leben viele gut meinende Leute oft in dem Glauben (man möchte beinahe Wunderglauben sagen!), dass, wenn die (unterdrückten, ausgebeuteten, verarschten, oft auch von den Elitenwirklich verachteten) Massen nur mehr aufgeklärt wären, sie die Verhältnisse nicht mehr akzeptieren und aufbegehren würden – ein typischer bürgerlicher Irrglaube, leider auch allzu oft geteilt von Leuten, welche sich Kommunisten nennen. Sie wollen nicht wahrhaben, dass die große Masse der Bevölkerung an vielen Wahrheiten und zu viel Aufklärung sehr häufig überhaupt nicht interessiert ist, sich lieber in Ignoranz übt, aus Bequemlichkeit oder Angst vor gesellschaftlichen Folgen für den Fall, sich mit nun richtigen Wissen gewappnet gesellschaftlich zu aktivieren.

        Nein, da bleibt der Platz hinter dem Ofen, die endlosen Raten, Versicherungen und sonstigen Verpflichtungen, der kleine Urlaub doch eher die Alternative, also so weitermachen, so weiterleben wie bisher, ganz ohne gesellschaftlichen Engagement, still und leise, pflegeleicht für alle Eliten und deren Staatsschergen.

        Warum sollten wir also glauben, diese im Grunde willentlich- ignorante breite Masse ausgerechnet mit Geschichten aus längst vergangenen Zeiten hinter dem Ofen hervorholen zu können, wenn diese Massen selbst die aktuelle Gegenwart vorsätzlich so weit wie möglich ignoriert, die Augen vorsätzlich vor Dingen verschließt, welche tagtäglich vor ihren Augen geschehen?

        Dazu könnte ich hier Unmengen an Beispielen aufzeigen, doch denke ich, jeder hier findet diese selbst, sofern er will.
        Das war und ist der Sinn meines letzten Beitrages!
        Trotzdem beste soz. Grüße an alle hier!

      • sascha313 schreibt:

        Nein, Du hast schon recht Harry. Es ist manchmal schon richtig erschreckend, wie blöd – wie verblödet – die Menschheit ist. Und nicht zu vergessen: die Kleinkapitalisten, die sich diebisch freuen über jeden noch so kleinen betrügerischen Gewinn, und die allein schon deswegen keine andere Gesellschaftsordnung wünschen können.

        Ich las gerade kürzlich mal wieder über die Oktoberrevolution: wäre das Elend und wäre die Unterdrückung nicht so brutal gewesen, dann hätte es auch nie so einen massenhaften, wütenden Aufstand gegeben (den ja erst die Bolschewiki in die richtige Richtung gelenkt haben). Nur, wie sag‘ ich’s meinem Kinde! – Und sieh mal, wie oft wird zum Beispiel hier die Frage gestellt: Was ist ein Kommunist? Oder was ist Marxismus? Das sind Top-Themen, schon seit Monaten!

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