
Kurt Gossweiler
In der DDR gab es zu jeder Zeit viele verantwortungsvolle Genossen, die bereits lange vor deren Gründung für eine klare politische Linie und eine verantwortungsbewußte Verbreitung der marxistisch-leninistischen Weltanschauung gesorgt haben. Daß dies nicht immer leicht war und mit vielen (oft auch unnötigen) Auseinandersetzungen verbunden war, steht außerhalb jedes Zweifels. Und es ist auch klar, daß der Kampf gegen den Revisionismus und Antikommunismus nicht im Schaukelstuhl zu bewältigen war, sondern nur in der der offensiven und täglichen „Kleinarbeit“ mit allen Genossen, selbst mit denen, die „in bester Absicht das Falsche“ taten. In einem Artikel wandte sich Genosse Kurt Gossweiler im Jahre 1949 an die Öffentlichkeit.
Kurt Gossweiler
Mehr Sorgfalt bei der Zirkelvorbereitung
Die Notwendigkeit der Verbesserung der Arbeit der Zirkel zum Studium der Geschichte der KPdSU (B) wurde auf der Großberliner Landeskonferenz mehrfach unterstrichen. Diese. Verbesserung erfordert eine aufs höchste gesteigerte ideologische Wachsamkeit. Folgender Bericht über die Arbeit in einem Wohngruppenzirkel im Kreise Berlin-Reinickendorf mag das noch unterstreichen.
Bei einer Unterredung mit dem Genossen P., der diesen Zirkel leitet, stellte sich folgendes heraus: Der Zirkel besteht seit Februar 1949. Genosse P. hatte seine Leitung übernommen, weil er vom Kreis dazu aufgefordert worden war, als ein Genosse, der durch seine politische Vergangenheit (seit 1928 politisch organisiert) und durch seine geistige Beweglichkeit dazu besonders geeignet sei. Allerdings hatte er damals den kurzen Lehrgang noch nicht gelesen und bereitete sich infolgedessen auf jeden Zirkelabend so vor, daß er jeweils gerade das entsprechende Kapitel durcharbeitete. Auf diese Welse hat er es bis heute dahin gebracht; daß er zehn Kapitel kennt, während ihm die beiden letzten noch unbekannt sind.
Man hätte erwarten können, daß bei dieser Sachlage die Abteilung Schulung des Kreisvorstandes versucht hätte, sich davon zu überzeugen, ob der Zirkel wirklich so geleitet wird, wie es erforderlich ist. Bis heute hat sich jedoch um diesen Zirkel niemand vom Kreis gekümmert.
Wie sah nun die Arbeit des Zirkels aus? Genosse P. konnte uns nicht sagen, wieviel Genossen sich anfangs zur Teilnahme am Zirkel verpflichtet hatten, da er, wie er sagte, „mit der organisatorischen Seite des Zirkels nichts zu tun hatte“. Er wußte nur, daß jetzt gewöhnlich noch sechs Teilnehmer erscheinen und daß es anfangs erheblich mehr waren. Wer die Teilnehmer sind, ist ihm zu einem großen Teil nicht bekannt. Es wird auch keinerlei Anwesenheitsliste geführt, es kommen ab und zu völlig neue Leute, die der Zirkelleiter gar nicht kennt.
„Kürzlich“, -so berichtete Genosse P., „nahm sogar ein richtiger Trotzkist an unserem Zirkel teil, der die Theorie von der Permanenten Revolution entwickelte und behauptete, der Kampf gegen Trotzki sei ein reiner Machtkamp! zwischen Stalin und Trotzkl gewesen, wobei Stalin eben gesiegt habe. Aber“, so fügte Genosse P. hinzu, „ich habe das natürlich alles widerlegt“.
Auf unsere Frage, in welcher Wohngruppe denn der Trotzkist zu Hause sei, mußte uns Genosse P. gestehen, daß er den Namen dieses Mannes nicht kennt, ja daß er nicht einmal weiß, ob der Betreffende überhaupt Mitglied unserer Partei ist und woher er kommt. Dem Genossen P. war bei der Durchführung des Zirkels gar nicht die Idee gekommen, sich für diese Dinge zu interessieren, so sehr hatte er sich darauf konzentriert, zu „widerlegen“.
Unser Genosse hätte es allerdings besser wissen müssen, denn er hatte den Artikel der Genossin H.Wolff: Wie leite ich einen Zirkel – gelesen, wo u.a. auch darauf hingewiesen wird, daß jeder Zirkelleiter sich um jedes einzelne Mitglied seines Zirkels kümmern muß. Es ist ihm jedoch beim Lesen offenbar gar nicht der Gedanke gekommen, daß dieser Artikel auch für ihn eine Anleitung zur Führung seines Zirkels darstellen könnte (womit er – nebenbei bemerkt – leider nicht allein dasteht).
In der weiteren Unterhaltung fragten wir den Genossen, worin er die grundlegende Aufgabe der Politik unserer Partei in der gegenwärtigen Situation sieht. Seine Antwort: „Die Faschisierung Westdeutschlands zu verhindern, daß der Kampf um die Einheit Deutschlands für lange Zeit als aussichtssichtslos erwiesen hat. Die Einheit wäre nur durch Krieg zu erreichen, aber wir müssen den Frieden so lange wie möglich erhalten, damit die SU immer stärker wird. Wenn es uns gelingt, die Faschisierung Deutschlands zu verhindern, haben wir schon viel erreicht.“
Wir fragten ihn daraufhin, ob er den Beschluß des Parteiverstandes vom 4. Oktober 1949 über „Die Nationale Front des Demokratischen Deutschland und die Sozialistische Einheitspartei“, gelesen habe.
„Ja, den kenne ich!“
„Na und, was hältst du nun davon, daß unsere Partei eine so aussichtslose Sache wie den Kampf um die Einheit Deutschlands zur Hauptaufgabe der Partei macht? Hast du gar nicht bemerkt, daß deine Linie und die Linie der Partei zweierlei sind?“
Der Genosse war etwas überrascht. Nein, er hatte das nicht bemerkt. Ihm war auch nicht aufgefallen, daß in unserem Beschluß aufgezeigt worden war, daß gerade der Kampf um die Einheit Deutschlands unser stärkster Beitrag zur Erhaltung des Friedens ist. Er versicherte aber, daß er sich immer bemüht habe, aus jedem Kapitel die entsprechenden Schlußfolgerungen für die Gegenwart zu ziehen …
Wenn wir noch erwähnen, daß dieser Genosse über unser Verhältnis zur SU ebenfalls recht starke Unklarheiten besaß, da er z.B. der Auffassung war, daß die Interessen des deutschen Volkes und die der SU als Besatzungsmacht in manchen Fällen „durchaus gegensätzlich“ sein können, und daß es in solchen Fällen Aufgabe unserer Genossen sein müßte, „die deutschen Interessen gegenüber den Vertretern der Besatzungsmacht durchzusetzen“ – dann ist klar, warum wir uns mit dem Genossen darauf einigten, daß er darauf verzichtet, den Zirkel weiterzuführen. Lieber, gar keinen Zirkel, als einen solchen!
Welche Schlußfolgerungen ergeben sich aus diesem Beispiel?
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Die Oberprüfung sämtlicher Zirkelleiter, die der Beschluß des Parteivorstandes vom 4. Mal 1949 den Landesvorständen zur Pflicht machte, und die in Berlin kaum ernsthaft in Angriff genommen wurde, muß in kürzester Frist durchgeführt werden.
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Die Kreisvorstände müssen endlich Schluß machen mit der Gleichgültigkeit und Sorglosigkeit gegenüber der ideologischen Arbeit, insbesondere gegenüber der Arbeit der Zirkel zum Studium der Geschichte der KPdSU (B). Wenn auch der Landesvorstand die Verantwortung für die Überprüfung der Zirkelleiter trägt, heißt das noch lange nicht, daß die Kreisvorstände die Zirkelleiter ihres Kreises nicht auch kennen müssen.
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Jeder Zirkelleiter muß seine Arbeit mit dem Ernst und der Gründlichkeit durchführen, die der großen Verantwortung, die er übernommen hat, entspricht. Das bedeutet u.a., daß er natürlich nicht nur den Kurzen Lehrgang studiert, sondern über alle Fragen der Politik unserer Partei gründlich orientiert sein muß.
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Die Teilnehmer an den Zirkeln müssen vom kritiklosen Hinnehmen der Ausführungen des Zirkelleiters zur aktiven kritischen Mitarbeit übergehen, und wenn Zweifelsfragen auftauchen, von unseren Konsultationsbüros Gebrauch machen.
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Durch gemeinsame Anstrengungen von den Kreisvorständen bis zum Parteivorstand ist eine bessere Anleitung und Steigerung der Qualifikation der Zirkelleiter zu erreichen. Das bedeutet z.B.: regelmäßige Zusammenfassung der Zirkelleiter im Kreis- bzw. Landesmaßstab; Ausbau der Lehrgänge für Zirkellelleiter; beschleunigte Herausgabe schriftlichen Materials.
Solche Zirkel wie der geschilderte, die heute schon relativ selten sind, müssen in kürzester Frist völlig verschwinden. Aber dazu ist notwendig, daß die ganze Partei sich die Aufgabe stellt: endlich Schluß mit der ideologischen Sorglosigkeit.
Kurt Gossweiler
Quelle: Neues Deutschland, 14. Dezember 1949
(Vielen Dank an Genossen J.W. für das Heraussuchen dieses Artikels!)
Kurt Gossweiler Schluß mit der ideologischen Sorglosigkeit
Siehe auch:
Zum 100.Geburtstag von Genossen Dr. Kurt Gossweiler
Der Historiker Kurt Gossweiler äußert sich über die DDR
Kurt Gossweiler: Der Anti-Stalinismus – Haupthindernis für dei Einheit aller Kommunisten
Historisch interessant, für heute eher schwierig umzusetzen.
Stimmt. Der Artikel von 1949 ist jedoch in zweierlei Hinsicht von Nutzen – erstens, weil er den Nachweis erbringt, daß nicht nur Kurt Gossweiler, sondern mit ihm auch Tausende andere Kommunisten der ersten Stunde einen bedeutenden Beitrag leisteten, den Weg zum Sozialismus auch in der DDR zu ebnen und zu beschreiten, und zweitens, weil er zeigt wie man das machen muß. Schwierig war das ja auch damals…