Am 3. Mai 1955 – also 10 Jahre nach Beendigung des 2. Weltkrieges und der Befreiung des deutschen Volkes vom Faschismus – schrieb der Oberbürgermeister der Stadt Erfurt an die Redaktion der Zeitung „Neues Deutschland“ den folgenden Brief:
Am 12. April 1945 zogen amerikanische Truppen in Erfurt ein. Sie wurden von den Einwohnern unserer Stadt als ihre Befreier vom faschistischen Joch betrachtet. Die meisten Bürger Erfurts hofften, daß sich nach den zwölf Jahren Hitlertyrannei fortan ein neues, demokratisches Leben entwickeln würde. Sie wurden jedoch bald enttäuscht.
Amerikaner verboten Mai-Demonstration
Wenige Tage nach dem Einzug der amerikanischen Truppen bildete sich aus fortschrittlichen Bürgern ein Antifa-Komittee. Es nahm sich vor, die antifaschistisch-demokratischen Kräfte der Stadt zu sammeln, um alsbald die Voraussetzungen für eine demokratische Umgestaltung des politischen und gesellschaftlichen Lebens zu schaffen.
Solche Bestrebungen waren aber dem amerikanischen Stadtkommandanten keineswegs angenehm. Ja, er scheute sich nicht, eine Haussuchung im Gebäude des Komitees durchführen zu lassen, wobei Türen aufgebrochen wurden. Einige Zelt später verstieg er sich sogar dazu, bewährte Widerstandskämpfer zu verhaften. Das Ungeheuerlichste war jedoch folgendes: Die Demonstration zum l. Mai wurde verboten. Ausdrücklich ließen die Amerikaner bekanntgeben, daß der 1. Mai kein Feiertag sei.
Dem Theater wurde das Spielen nicht erlaubt, nicht einmal Proben durften in dieser Zeit stattfinden. Um die Ingangsetzung der Wirtschaft kümmerte sich die Besatzungsmacht nicht, auch nicht darum, daß die Straßen von den Schuttmassen, die von den amerikanischen und britischen Bombenangriffen herrührten, geräumt wurden.
Mit welchen Absichten die Amerikaner nach Deutschland kamen, zeigte auch die Entwendung der Patente der „Mako-Werke“, Rudisleben, bei Arnstadt. Die Frau des Besitzers war Helfershelferin des CIC-Agenten Göbel, der die rechte Hand des von den Amerikanern wegen seiner englischen Sprachkenntnisse eingesetzten Oberbürgermeisters Gerber war. Göbel treibt jetzt in Westberlin sein Unwesen in einer Agentenzentrale.
Nach Abzug der USA-Truppen am 2. Juli 1945 marschierten Truppen der Sowjetarmee am 3. Juli in Erfurt ein.
Sowjetische Freunde halfen sofort
Am 7. Juli wurde der bewährte Kämpfer gegen den Faschismus, der viel zu früh verstorbene Hermann Jahn, als Oberbürgermeister eingesetzt. Konnte man vorher von systematischen Aufbaumaßnahmen nicht sprechen, so wurde nun der Aufbau durch die Initiative der Sowjetischen Militäradministration und des Erfurter Stadtkommandanten auf allen Gebieten planmäßig gefördert.
Das Stadttheater eröffnete bereits am 22. Juli seine Pforten. Die Schulen wurden verpflichtet, den Unterricht wieder aufzunehmen. Alle Geschäfte wurden wieder eröffnet. Ab 20. August begann das Abfahren des Schuttes und der Trümmermassen aus der Stadt, ebenso die Instandsetzung der Straßen.
War unter der amerikanischen Besatzung der Arbeiterklasse so gut wie keine Möglichkeit zur Betätigung in der Stadtverwaltung gegeben, so erhielt sie nunmehr weitgehenden Einfluß.
Oberbürgermeister Jahn wurde vom Stadtkommandanten beauftragt, Fühlung mit dem Dompropst Dr. Freusberg aufzunehmen, mit dem Ziel, Persönlichkeiten aus dem Bürgertum für eine Mitarbeit in der Stadtverwaltung zu gewinnen. Erst jetzt wurde auch die Entnazifizierung gründlich durchgeführt und alle ehemaligen aktiven Faschisten aus der Stadtverwaltung entfernt.
Dank der Regierung der UdSSR
Den Offizieren der sowjetischen Besatzungsmacht bin ich für immer auf das tiefste verpflichtet, für die vielen Hinweise in der operativen Arbeit und für die Übermittlung neuer Arbeitsmethoden In der Verwaltung.
Sie machten mich mit den Grundlagen der Planung bekannt. Immer wieder halfen mir die Stadtkommandanten das Leben zu normalisieren. Ob auf dem Gebiet der Landwirtschaft oder der Industrie, ob in den Fragen des Handels und der Versorgung oder der Hygiene – immer halfen mir ihre Ratschläge, das Leben in der Stadt zu verbessern. Vor allem verdanke ich dem Genossen Oberstleutnant Tscherstinski und dem Genossen Major Krutik. aber auch dem späteren Stadtkommandanten, Genossen Oberstleutnant Tarassow – der bei der Belagerung Leningrads seine Eltern und Geschwister verloren hatte –, viele Kenntnisse aus den reichen Erfahrungen der Sowjetunion auf den Gebieten des wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Lebens. Diese Stunden der Zusammenarbeit werden mir für immer unvergeßlich bleiben.
Der ideellen und materiellen Unterstützung der sowjetischen Genossen verdankt die Stadt Erfurt, daß sie nach dem Kriege ein zweites Theater bauen konnte; ohne das zweite Haus könnten die sich von Jahr zu Jahr steigernden Ansprüche der Erfurter Theaterfreunde nicht mehr befriedigt werden.
Dem Genossen Generalmajor Kolesnitschenko, dem Chef der damaligen SMA, verdankt die Stadt Erfurt den Bau der schönen Siedlung am „Roten Berg“ in Erfurt-Nord, wo heute schon über tausend Menschen wohnen. Dank der Regierung der UdSSR. die unserer Deutschen Demokratischen Republik die Souveränität gab und uns den Aufbau eines Staates ermöglichte, in dem die Arbeiter und Bauern die Herrschaft ausüben!
Quelle: Neues Deutschland, 3. Mai 1955, Nr.102, Seite 3.
Ja, aber leider will davon heute niemand etwas wissen. Man geht sogar soweit zu sagen, solche Berichte wie dieser seien nicht echt, sondern dienten nur der Propaganda.
Ich lese derzeit ein Buch: von Regina Scheer „Machandel“ – die Opposition der DDR in den 80-er Jahren bis zur Okkupation, weil ich verstehen will. Ich habe nicht ganz die Hälfte gelesen, aber jede Seite macht mich so unendlich wütend und traurig. Der Vater der Autorin war Widerstandkämpfer und Kommunist, Häftling in Sachsenhausen; aber seine beiden Kinder von Jugend an, voller Kritik an der DDR, hatten nichts begriffen. Die DDR befand sich in Handlungszwängen, politisch und ökonomisch. Das kann man meiner Heimat doch nicht zum Vorwurf machen! Wir existierten nicht im luftleeren Raum, unsere Soldaten waren wichtig zum Erhalt des Friedens und werden von dieser Frau gleichgesetzt mit allen Soldaten dieser Welt – jeder Soldat sei ein Mörder….
Es schmerzt, so ein Buch zu lesen.
Du hast recht, ropri. Doch was lehrt uns die Geschichte? Entweder der Mensch begreift sie oder er begreift sie nie, weil er sie nicht begreifen will. Im zweiten Falle bleibt er stehen, wird zum Opportunisten oder zum Verbrecher. Diejenigen die heute die DDR „delegitimieren“ und den Sozialismus beschuldigen, tun auch nur das, was die Bourgeoisie schon immer tat: Andersdenkende verfolgen und zum Schweigen bringen – aus Angst vor der Wahrheit und vor dem Verlust ihrer Privilegien. So ein Geschreibsel wird ja heute gut honoriert! Aber wer schreibt denn heute z.B. über die Geschichte der BRD? Da könnten noch ganz andere Sachen ans Licht kommen! Meine Buchempfehlung: Petershagen „Gewissen in Aufruhr“. Seghers „Die Entscheidung“…
Hallo roprin, es gibt Töchter und Söhne, die das Erbe der Mütter und Väter, die Kommunisten waren, die Lager und Folter überlebt haben und nach 1945 unter Adenauer gnadenlos politisch wieder verfolgt wurden angenommen haben und dem Schwur von Buchenwald bis zu ihrem Lebensende in Liebe, Achtung, Verehrung, Würde, Schmerz und Stolz gerecht werden: „…….erst wenn der Letzte vor den Richtern der Völker stehen wird, werden wir unsern Kampf einstellen.“
11.. 1945, Tag der Selbstbefreiung.
Sei nicht traurig.
Danke, Eleonore Kraus. Wer wird dieses Erbe nach uns annehmen?
Hallo roprin, lange über die Frage, die ich nicht rhetorisch verstehen will, nachgedacht. Verständlich, worüber du (ist du okay?) in diesem Zusammenhang nachdenkst. Ob die Kämpfer im Faschismus diese Frage gestellt haben? Ich weiß es nicht. Ich habe gelernt, solange es die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen gibt, genau solange wird es die geben, die weitermachen und nie vergessen werden, weil das, um was es geht größer ist als man selbst ist, mit dem historischen Optimismus im Gepäck.
100 Jahre KPD und die Reaktion hat alles erdenklich mögliche versucht uns kaputt zu bekommen und es ist ihnen bis zum heutigen Tag nicht gelungen. Ja, es ist wieder einmal eine der verdammt schweren Zeiten, in der wir leben und der Schmerz über verlorenes wird nach lassen, aber er wird nie ganz verschwinden können, weil er als er- und gelebtes bleiben wird. Damit zu leben kann man lernen, ohne zu verhärten, sondern wachsam zu sein und zu bleiben und dem Wissen, dass wir auf der richtigen Seite der Geschichte stehen und mit Mut, Kraft und Zuversicht das Leben meistern und niemals aufgeben werden.
Meine erwachsene Tochter hatte mit dem, was ihre Mutter vertritt, eher weniger zu tun. Oftmals wurden diese Themen ausgeschlossen. Nichts gegen einen reellen Krach, aber wenn wenig wirkliche Begegnung möglich ist, endete es in sinnlosen Streitereien und blöder Rechthaberei. An unserer Liebe und Zuneigung füreinander hat es nichts ändern können, aber genau solch eine Frage, die du zu Beginn gestellt hast beschäftigt mich, wenn es um die Endlichkeit des Lebens geht und um die Familie.
Es gibt nun einmal mehrere Ebenen, die bei der Suche nach Antworten möglich sind, doch letztendlich wird es der Klassenstandpunkt sein und die große soziale Frage und das echte Interesse diesen oftmals,schwierigen und steinigen Weg der Wahrheit zu gehen, um erkennen und einordnen zu können. Vor wenigen Tagen wurde ich im Gespräch überrascht, als meine bezaubernde Tochter mit Fragen um die Ecke kam, an die ich nicht im entferntesten gedacht hatte.
Zum Beispiel zur Tierhaltung im Land, zu Syrien, zum Jemen, zu Waffenlieferungen dorthin und nicht zuletzt, zu ihrem Großvater, den sie nie hat kennen lernen dürfen, weil Faschismus, Konzentrationslager,Krieg und Verfolgung, fortwährender Kampf, auch unter dem Mistkerl Adenauer ihn haben krank werden lassen und sein Sterben war unvermeidlich, mit viel Trauer, Schmerz und Verlust verbunden Die Jahrzehnte Schwerstarbeit im Straßenbau, bei Wind und Wetter um die Mäuler zu stopfen von sieben Personen, in einer Mini Wohnung und einer Mutter, die schwer krank wurde im Faschismus und während des Krieg. Nie hat er aufgegeben, dieser mutige, aufrechte Mann.
Die Erinnerung an ihn habe ich immer wach gehalten, dass war mir wichtig, dass er nicht vergessen wird und mehr als eine Erinnerung ist. Wir werden sehen, wie es sich weiter entwickelt, doch dieses mal ist es anders, als all die Jahre davor, die eher wie ein Strohfeuer, ein Moment gewesen sind und dann war es wieder im Nebel der Geschichte verschwunden und der Alltag rückte in den Vordergrund. Halt die Öhrchen steif und der Wind wird sich wieder drehen in unserem Land.