Sehr oft wird heute vor allem in politischen Artikeln und Diskussionen oder am Biertisch etwas behauptet und als „Tatsache“ ausgegeben, was mit der Realität nur recht wenig zu tun hat. Es ist etwas Erdachtes, frei Erfundenes oder Gehörtes, woran derjenige glaubt, und wovon er nun andere zu überzeugen versucht. Auf diese Art werden nicht nur Märchen verbreitet, sondern auch handfeste Lügen, deren einziger Zweck es ist, Menschen zu verunsichern oder zu manipulieren. Und immer stecken bestimmte Interessen dahinter, und sei es nur, um eigne Fehler oder Irrtümer nicht eingestehen zu müssen. Doch sowohl in der Wissenschaft als auch im täglichen Leben ist es so, daß Behauptungen eines Beweises bedürfen, und ein Fakt ist eben ein hartnäckig‘ Ding. Das läßt sich nicht bestreiten, insbesondere dort, wo Menschen miteinander umgehen – in der menschlichen Gesellschaft. Lenin hatte schon recht, als er ironisch bemerkte: „Ein bekannter Ausspruch lautet: Würden geometrische Axiome an menschliche Interessen rühren, so würde man sicherlich versuchen, sie zu widerlegen.“ [1] Wie ist das nun mit den Fakten? Und woran kann man falsche Behauptungen erkennen?
Hier nun ein Auszug aus dem Wörterbuch der Logik von N.I. Kondakow:
Fakt [factum lat., das Gemachte, das Vollzogene]:
I. Tatsache, tatsächliches, real existierendes, nichterdachtes Ereignis; das, was tatsächlich geschah; die Grundlage der theoretischen Verallgemeinerung, der Schlußfolgerung. Fakt ist das beweiskräftigste Argument. Als MARX in seinem Brief vom 24. 8. 1867 an ENGELS über die Arbeit an Kap. IV vom „Kapital“ und über die große Mühe beim Feststellen der notwendigen Dinge und bei der Bestimmung ihrer Zusammenhänge berichtete, schrieb er: wenn dieser Zusammenhang jedoch gefunden war, war er „…entzückt“, seine „theoretischen Resultate durch die facts vollständig bestätigt zu sehn“ [2]. LENIN bedauerte PLECHANOW, der sich in „trauriger Gesellschaft“ mit SUCHANOW, TSCHERNOW und TROTZKI befand, die eine prinzipienlose Vereinigung bürgerlicher Intellektueller gegen die Arbeiter zusammengezimmert hatten, und schrieb in dem Artikel „Die Methoden des Kampfes der bürgerlichen Intellektuellen gegen die Arbeiter“: „Möge, wer will, das Bündnis dieser Grüppchen als ,Einheit‘ bezeichnen – wir nennen es einen Abfall von der proletarischen Gesamtheit, und die Tatsachen beweisen die Richtigkeit unserer Ansicht“ [3]. Dabei ist der Fakt nicht nur das beste Argument in der Beweisführung, sondern auch das sicherste für eine Widerlegung. Nachdem LENIN das Buch von A. LANSBURGH „Deutsches Kapital im Ausland“ gelesen hatte, in dem in besonderem Umfange konkrete Angaben über das Verhältnis von Kredit und Export angeführt wurden, bemerkte er: „Seltsamerweise sieht der Verfasser nicht, daß diese Tatsachen ihn gründlich widerlegen…“ [4].
II. Natürlich besteht das ganze Problem darin, wie man Fakten sammelt, wie man ihre Verknüpfung und ihre gegenseitige Abhängigkeit feststellt. In dem Artikel „Statistik der Soziologie“ bemerkt LENIN, „daß exakte Fakten, unbestreitbare Fakten das sind, was opportunistischen Schreiberlingen aller Art besonders unerträglich ist und was besonders notwendig ist, wenn man sich ernsthaft in einer komplizierten und schwierigen Frage zurechtfinden will. Damit aber Fakten wirklich Begründung einer These sind, genügt es nicht, sie nur zu sammeln. „Auf dem Gebiet gesellschaftlicher Erscheinungen“, schreibt LENIN, „gibt es ein außerordentlich verbreitetes und ebenso fehlerhaftes Verfahren, nämlich das Herausgreifen einzelner Tatsachen und das Jonglieren mit Beispielen. Beispiele einfach zusammentragen macht keine Mühe, hat aber auch keine oder nur rein negative Bedeutung, denn worauf es ankommt, das ist die konkrete historische Situation, auf die sich die einzelnen. Fälle beziehen … Nimmt man aber einzelne Tatsachen, losgelöst vom Ganzen, losgelöst aus ihrem Zusammenhang, sind die Daten lückenhaft, sind sie willkürlich herausgegriffen, dann ist das eben nur ein Jonglieren mit Daten oder etwas noch Schlimmeres.“ [5].
Als Illustration für die These führt LENIN folgendes Beispiel an: die Mongolenherrschaft ist ein unbestreitbarer historischer Fakt, es werden sich jedoch nur wenige Menschen finden, die im Ernst von sich behaupten, sie würden zur Illustration des Geschehens im Europa des 20. Jahrhunderts mit dem „Fakt“ der Mongolenherrschaft operieren. Welchen Schluß kann man ziehen? – Auf diese Frage gibt LENIN eine erschöpfende Antwort: man darf keinen Einzel-Fakt nehmen. sondern muß mit der Gesamtheit der zu der betrachteten Frage gehörenden Fakten, ohne jegliche Ausnahme operieren, weil sonst unvermeidlich der Verdacht entsteht, daß die Fakten ausgewählt oder willkürlich zusammengestellt wurden. LENIN sagt: „Tatsachen sind, nimmt man sie in ihrer Gesamtheit; in ihrem Zusammenhang, nicht nur ,hartnäckige‘, sondern auch unbedingt beweiskräftige Dinge.“ [6].
Quelle:
N.I. Kondakow „Wörterbuch der Logik“, VEB Bibliographisches Institut Leipzig (DDR), 1978, S.165.
Woran kann man falsche Behauptungen erkennen?
a) Der Wahrheitsgehalt: Zunächst ist festzustellen, daß Behauptungen Aussagen sind, die eines Beweises bedürfen. Unter einer Aussage versteht man ein sprachliches Gebilde, das in irgendeiner Form besagt, daß sich gewissen Dinge der objektiven Realität in angegebener Weise verhalten. Verhalten sich diese Dinge tatsächlich in der in der Aussage beschriebenen Weise, so gilt die Aussage als wahr. Ist das jedoch nicht der Fall, so gilt die Aussage als falsch. Wenn jemand zum Beispiel sagt: „Moskau ist die Hauptstadt von China“, „der Schnee ist weiß“ und „7 ist eine gerade Zahl“, ist z.B. die zweite Aussage wahr, die erste und dritte sind falsch. Nicht immer ist das so einfach zu entscheiden.
b) Überprüfbarkeit: Von einer Aussage wird dabei im allgemeinen nicht verlangt, daß man effektiv nachprüfen kann, ob sie wahr oder falsch ist. Die beiden folgenden Sätze „am 20.7.2068 wird es in Berlin regnen“, „jede gerade Zahl, die größer als 2 ist, kann als Summe zweier Primzahlen dargestellt werden“ oder „Sluzki behauptet, es seien noch nicht genügend offizielle Dokumente gefunden worden, die von einem entschiedenen und unversöhnlichen Kampf Lenins (der Bolschewiki) gegen den Zentrismus zeugen.“ sind z.B. Aussagen, obwohl man gegenwärtig über ihre Wahrheit oder Falschheit nichts sagen kann. Das ist im ersten Fall beim derzeitigen Stand der Meteorologie offensichtlich, und auch die zweite, die als Goldbachsche Vermutung bezeichnet wird, ist zur Zeit weder bewiesen noch widerlegt. Die letzte Behauptung allerdings (ein Zitat aus J.Stalin, Werke, Bd.13, S.85f.) ist recht leicht zu widerlegen, wenn man Stalins Antwort kennt. Demagogen nutzen jedoch recht oft Behauptungen, deren Wahrheitsgehalt nicht sofort überprüfbar ist. Völlig zurecht bemerkt Engels: „Eine historische Notwendigkeit läßt sich nicht in so kurzer Zeit beweisen wie die Kongruenz zweier Dreiecke…“ [7]
c) Entlarvung der Demagogie: Es ist eine bevorzugte Methode bürgerlicher Parteien oder Regierungen und deren Personal, politisch wenig gebildete bzw. wenig klassenbewußte Werktätige durch bewußt falsche Behauptungen, Entstellungen der historischen Wahrheit, verlockende, aber lügenhafte Versprechungen und Losungen sowie durch Schmeicheleien zu täuschen und zu betrügen, um sie vom Klassenkampf abzuhalten bzw. sie zu Aktionen gegen den revolutionären Kampf und für bürgerliche Zwecke zu verleiten. (siehe: → Manipulierung)
Zitate:
[1] W.I. Lenin, Marxismus und Revisionismus, In: Lenin Werke, Berlin 1962, Bd.15, S.17
[2] Marx an Engels, 24. August 1867. In: Marx/Engels Werke, Berlin 1980, Bd.31. S.327.
[3] Lenin: Methoden des Kampfes der bürgerlichen Intellektuellen. In: LW, Bd.20. S.471.
[4] Lenin: Briefe zum Imperialismus. Heft „β“ – Auszüge aus „Die Bank“. In: LW, Bd.39. S.177.
[5] Lenin: Statistik und Soziologie. In: LW, Bd.23, S.285.
[6] Lenin: ebd.
[7] Friedrich Engels: Zwei Reden in Elberfeld II. In: Marx/Engels Werke, Bd.2, S.549.
Unbestreitbare Fakten
Anmerkung: Wir brauchen hier nicht unbedingt Beispiele anzuführen, derer gibt es mehr als genug. Der Leser wird sich sicher an Artikel erinnern, die geschrieben wurden, um die DDR zu „delegitimieren“, um bedeutende kommunistische Persönlichkeiten des „Revisionismus“ zu bezichtigen. Ganz abgesehen von haltlosen Beschimpfungen und Beschuldigungen, denen sich jeder ausgesetzt sieht, der kompromißlos die wissenschaftliche Weltanschauung des Marxismus-Leninismus verbreitet und dabei zwangsläufig in Konfrontation zu bürgerlichen Auffassungen gerät.
Hat dies auf Muss MANN wissen rebloggt.