Der Stuttgarter Aufstand 1948

1948-generalstreik-stuttgartVor etwa 70 Jahren, im Oktober 1948, fand in der von anglo-amerikanischen Bombern schwer zerstörten Baden-Württembergischen Stadt Stuttgart der erste Arbeiteraufstand nach 1945 statt. Er richtete sich gegen die verschärfte Ausbeutung und die rücksichtslosen Preiserhöhungen. Es war dies der erste und vorläufig letzte Arbeiteraufstand in der BRD. Daran nahmen in Stuttgart etwa 70.000 Werktätige teil. Dieser Aufstand wurde am 28. Oktober 1948 von der US-amerikanischen Militärpolizei und deutschen Polizisten gewaltsam niedergeknüppelt. Mit schußbereiten Maschinenpistolen, Panzern und Tränengas bewaffnet, ließ die US-amerikanische Besatzungsmacht aufmarschieren, und deutsche Polizisten droschen mit Gummiknüppeln und Bajonetten brutal auf die Demonstrierenden ein, von denen einige schwerverletzt wurden. So sah die westliche Freiheit aus, und so zeigte sich die Fratze des wiederstarkenden deutschen Imperialismus in der US-amerikanischen Besatzungszone. Hier einige Zeitungsberichte aus der SBZ:

Berliner Zeitung, 30.10.1948:

Die Stuttgarter Waffen

Seit Monaten schon wuchs die Erbitte­rung der arbeitenden Menschen in den Westzonen, denen ein auf Profitsucht und Korruption gegründetes Wirtschafts­system, gepaart mit der kolonialen Aus­powerungs- und Verschuldungspolitik der Besatzungsmächte, die Früchte ihrer Ar­beit vorenthält. Wer Geld hat, verschafft sich leicht alle Annehmlichkeiten des Lebens – ohne daß überprüft worden wäre, woher er es hat –, und wer keins besitzt, dem werden sämtliche Lasten des sinkenden Staatsschiffes aufgebürdet. Nichts also war natürlicher, als daß es nach kleineren Unruhen in den verschie­densten Gegenden Bizoniens, nach ver­geblichen Protesten und Resolutionen eines Tages zu einer großen Massenkund­gebung gegen die rücksichtslosen Preis­steigerungen und Lohnsenkungen kam.

Inzwischen wissen wir, daß diese Kundgebung – sie fand in Stuttgart statt und war von 70.000 Menschen be­sucht – zu schändlichen Exzessen gegen die Teilnehmer führte. Die Amerikaner, nicht gewillt, die Forderungen der Werk­tätigen ihrer Zone sich anzuhören, ge­schweige denn, sie zu erfüllen, griffen zu ihrem Hausmittel: Konstabler-Truppen wurden mit Tanks, Maschinengewehren, Kavallerie und Tränengas eingesetzt, und deutsche Polizei droschen mit Gummi­knüppeln auf die Demonstranten ein, und 32 Menschen wurden verhaftet – dies ist nicht unsere Darstellung, sondern die der amerikanischen Agentur Associa­ted Press. Es hat sich deutlich gezeigt, daß die Waffe der westlichen „Demo­kratie“ wie in Frankreich auch in Bizo­nesien mindestens der Gummiknüppel ist.

Aber diese handgreifliche Waffe ist im Fall Stuttgart nicht die einzige. Eine pro­pagandistische kam hinzu. Schlagartig setzte die Behauptung ein, es habe sich um ein von „den Kommunisten“, vom „Kominform“ organisiertes Unternehmen gehandelt. Als ob – erstens – allein kommunistische Werktätige über die hohen Preise und die schlechten Lebens­verhältnisse im Westen erbittert wären, und als ob – zweitens – die Gewerk­schaften Stuttgarts, die die Kundgebung einberiefen, und der Redner, der Ge­werkschaftsvorsitzende Stetter, nicht viel­mehr sozialdemokratisch gelenkt wären!
Selbstverständlich – jetzt ziehen sie sich zurück, die Veranstalter von der SPD, lassen die Arbeiter im Stich und bezeich­nen die Verletzten und Verhafteten als „Kommunisten“. Der „Sozialdemokrat“ von gestern hat sogar die Unverschämt­heit zu schreiben „die Unruhen kämen offensichtlich zu einem Zeitpunkt, an dem die Kommunisten in Frankreich versuch­ten. durch Gewalt den europäischen Wie­deraufbau (!) zu stören“. Das paßt nur zu gut in die Freude dieses Blattes über jedes Vorgehen der marokkanischen Truppen gegen die streikenden Arbeiter und zeigt, auf welcher Seite die Verfasser stehen.

Nur hat es diesmal nicht ganz geklappt mit dem Schwindel von der „Hand Mos­kaus“. Der Kommandeur der deutschen Polizei in Stuttgart, ein Herr Frank, teilt mit. daß von den 32 Verhafteten sage und schreibe ganze fünf „bekannte kommu­nistenfreundliche Personen“ festgestellt worden seien. Also erstens einmal: die Mehrzahl der „kommunistischen Unruhestifter“ hat absolut nichts mit den Kom­munisten zu tun. Und zweitens: die fünf nun glücklich herausgestellten „Roten“ sind bestenfalls – woher weiß man das übrigens so genau? – kommunisten­freundlich, also nicht ein einziger organisierter Kommunist ist dabei. Offen­sichtlich handelte es sich also um eine ganz gewöhnliche Versammlung von Werktätigen und nicht um ein Komin­form-Meeting.

Die beiden Waffen, die in Stuttgart zum Vorschein kamen – der Gummiknüppel und die Behauptung von der kommu­nistischen Inszenierung (beide „Made in USA“) – decken für jeden denkenden Menschen sichtbar die Gründe für zwei Entwicklungen in Bizonen auf. Die An­wendung des Gummiknüppels gegen pro­testierende Werktätige zeigt den Zweck der Schaffung der Schwarzen Garden und der starken reaktionären Polizeieinheiten: sie dienen der Unterdrückung jeder Willensäußerung der ausgebeuteten und schikanierten Arbeiter. Das Gerede von der „kommunistischen Inszenierung“ beleuchtet den Zweck der dreijährigen antikommunistischen und Antisowjethetze: es erschien den Amerikanern not­wendig, beide Begriffe, den Kommunis­mus und die Sowjetunion, durch Falsch­meldungen so zu diffamieren, daß man damit jede Willensäußerung der aus­gebeuteten Arbeiter als „abscheuerregend“ und „verwerflich“ stempeln und politisch wenig bewußte Menschen von der Teilnahme an einer solchen Willensäußerung abhalten kann.

Dies beides lernen wir außer der richtigen Einschätzung der sozialdemokratischen Politik des Verrats aus den in Stuttgart zur Anwendung gebrachten Waffen gegen eine berechtigte Protestkundgebung. Und die Teilnehmer an der Kundgebung lernten obendrein, was sie davon zu hal­ten haben, wenn sie aus Indonesien, Frankreich oder Palästina hören, daß die Proteste, Streiks und Demonstrationen „von den Kommunisten inszeniert“ seien. Sie haben selbst gesehen, wie so etwas in Wirklichkeit aussieht. A. R.


Quelle: Berliner Zeitung, 30.Oktober 1948.

481030BZ


ND481031aND481031bND481031c


Nun wissen wir aus den Berichten, daß „die Kommunisten“ mit diesem Arbeiteraufstand in Stuttgart nicht das geringste zu tun hatten und erst recht nicht dafür verantwortlich gemacht werden konnten. Der Einfluß der KPD war viel zu gering. Aufgerufen hatte dazu die SPD, die sich aber dann, als es Ernst wurde, wieder aus der Verantwortung zurückzog. Es waren die sich verschlechternden Lebensbedingungen und die soziale Not, die die Werktätigen zu dieser Demonstration veranlaßten. Und es war die wachsende Empörung über die Geschäftemacher und Kapitalisten, die schon in der Hitlerzeit das große Geld verdient hatten und nun im Westen wieder verdienten.


Zur Geschichte der KPD in Westdeutschland

Die KPD zog als einzige Partei in den Westzonen die Lehren aus Faschismus und Krieg. Die Kommunisten gingen beispielhaft voran, als es galt, die Ernährung zu sichern, das Leben zu normalisieren und die Betriebe wiederaufzubauen. Die KPD wandte sich an die werktätigen Massen in den Westzonen, um sie für die lebensnotwendigen Ziele im Interesse des Volkes und der Nation zu gewinnen:

  • für die Vernichtung des Faschismus und Militarismus mit seinen Wurzeln;
  • für die Bestrafung und Enteignung der Kriegs- und Naziverbrecher;
  • für das Mitbestimmungsreccht der Gewerkschaften und Betriebsräte;
  • für eine demokratische Bodenreform;
  • für den Aufbau demokratischer Verwaltungen;
  • für die Brechnung des Bildungsprivilegs und eine demokratische Schulreform;
  • für die Überwindung des Rassenwahns und Chauvinismus, um so die Voraussetzungen für friedliche Beziehungen zu allen Völkern zu schaffen. …

Der Kampf der Partei wurde jedoch von den imperialistischen Besatzungsmächten (USA, Großbritannien, Frankreich) mit allen Mitteln behindert. Sie hatte gegen einen antikommunistischen Block anzukämpfen, der von den Besatzungsbehörden über die reaktionären bürgerlichen Parteien bis hin zu den rechten Führern der westdeutschen Sozialdemokratie und Gewerkschaften reichte.

Die komplizierten Bedingungen, unter denen die KPD in Westdeutschland kämpfen mußte, das Fehlen echter demokratischer Umwälzungen und der antikommunistische Feldzug gegen die KPD erschwerten auch die innere Festigung der Partei und hemmten die Überwindung des Sektierertums in den Reihen der kommunistischen Bewegung.

Quelle:
Grundriß der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Dietz Verlag Berlin, 1963, S.217-218.

(P.S. Kein Wunder, wenn Sektierertum, Zentrismus und Revisionismus bei einigen Genossen in der West-BRD immer noch vorhanden ist.)
Dieser Beitrag wurde unter Geschichte veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

12 Antworten zu Der Stuttgarter Aufstand 1948

  1. Henk Gerrits schreibt:

    Hoch interesant.Danke fur diese artiekel.

  2. roprin schreibt:

    Offensichtlich war zu dem Zeitpunkt die Presse noch nicht ganz so systemkonform wie heute. Schrieb die Presse da wirklich noch von Ausbeutung? Die gibt es ja heute nicht mehr. Heute gibt es faule HartzV-ler, Demokratie und Freiheit pur…

  3. Weber Johann schreibt:

    Hallo sascha, vielen Dank für den Hinweis. Wir müssen unterscheiden, zwischen SBZ (sowjetische besetzte Zone) und den drei Westzonen. Diese Zeitungstexte wären in den drei Westzonen nie erschienen, denn damals (1946) wurden Menschen verfolgt, die sich für die Arbeiterbewegung einsetzten.

    Die Zeitschrift „Ende und Anfang“ soll als Beispiel dienen. Die Zeitschrift erschien von 1946-1949 in Augsburg: „Ende und Anfang plädierte für die Sozialisierung der Schlüsselindustrien, für die Mitbestimmung der Arbeiterschaft in der Wirtschaft. Und die Zeitung brachte radikaldemokratische Traditionen aus der deutschen Geschichte in Erinnerung, das Jahr 1848, die feige Liaison der damaligen deutschen Bourgeoisie mit dem Obrigkeitsstaat.

    Die politischen Entwicklungen, die wir kritisierten, wirkten sich auch auf das Blatt aus. Ein Teil der ursprünglichen Leserschaft wurde ihm nun untreu, auf Empfehlungen seitens der Amtskatholiken war nicht mehr zu rechnen, und den Sommer 1948 über durfte die Zeitschrift auf Geheiß der US-Besatzungsbehörde gar nicht erscheinen.“
    http://protest-muenchen.sub-bavaria.de/artikel/1528

  4. Weber Johann schreibt:

    Dieser einzige Arbeiteraufstand, der nach dem 8. Mai 1945 in Gesamtdeutschland stattfand, wurde damals schon verschwiegen. Heute ist es nicht anders. Ich habe am 31.10.2018 an die IGM-Stuttgart und an die Stuttgarter Zeitung geschrieben. Ich hatte beiden folgende Frage gestellt: „Haben Sie Ihren Lesern bzw. Mitgliedern von dieser blutigen Niederschlagung des ersten deutschen Arbeiteraufstandes nach dem 8. Mai 1945 berichtet?“ Ich warte heute noch auf eine Antwort. Es wurde nichts berichtet.

    (Anmerkung: Der sogenannte „Arbeiteraufstand“ am 17. Juni 1953 war kein Arbeiteraufstand. Er wurde geplant, eingeleitet und gelenkt von Akteuren aus dem Westen.)

  5. Henk Gerrits schreibt:

    Sehr interesant diese Stuttgart zeit. Danke

  6. Katja schreibt:

    Ein Lehrstück, wie sich ein linksgedrehter Nachkömmling die Fakten zurecht legt.

    „die Fratze des wiedererstarkter deutscher imperialismus“ – 1948!!!!

    Da gab es noch nicht einmal eine BRD! Noch nicht einmal ein Grundgesetz, geschweige denn eine Verfassung!

    Da war das westliche Restdeutschland ein unterworfenes, ausgepresstes Feindland, ohne die geringsten eigenen politischen Möglichkeiten, ja sogar ohne eigene Regierung! Und dieses Gebilde, das noch nicht einmal ein Staat war, betrieb „wiedererstarkenden imperialismus“? Wie bitte? Und zwar, indem es auf die eigenen Arbeiter einknüppeln ließ?? Absurder geht´s nimmer.

    „ein auf Profitsucht gegründetes Wirtschaftssystem“ – ja das ist etwas ganz, ganz Schlimmes!

    Das wollen die „Werktätigen“ – allein dieser wiederliche Begriff enttarnt den Autor als tiefroten DDR-Nachfolger – natürlich allesamt und ausnahmslos nicht.
    Ich bin in Hamburg groß geworden, wo in diesen ersten Nachkriegsjahren 40.000 Menschen verhungert sind. Auch das eine Folge „des wiedererstarkter deutschen imperialismus“ ?

    Eklige Manipulation, Ihr Artikel, sonst nichts.

    • Eleonore Kraus schreibt:

      Bisschen weniger Schaum vor dem Mund , mehr Sachlichkeit, vor allem aber etwas mehr Wissen um die Geschichte würde den Antikommunismus nicht ganz so deutlich zeigen,
      Bedauerlich ist, dass die Einschätzung eines mir sehr wichtigen Mannes leider zutrifft, dass die „größte Geißel der Menschheit, die Dummheit ist !“

    • Wer etwas in den falschen Hals bekommen will, bekommt es auch so!

      Als ob die Nazis in den drei westlichen Besatzungszonen nicht mit diesen zusammengearbeitet hätten, um in anderer Form den Kapitalismus in einem Teil Deutschlands zu retten und aufrechtzuerhalten!

      Auch ich bin in Hamburg groß geworden: Sie haben die 60.000 Menschen vergessen, die nach der Kapitulation der Wehrmacht — nicht des kapitalistischen Gebildes -Deutsches Reich genannt – in Hamburg erfroren sind!

  7. Atomino schreibt:

    Gesundheit ! (tiefrot)

  8. sascha313 schreibt:

    Leider, muß ich Ihnen sagen, Katja: alles, was hier berichtet wird, ist die Wahrheit. Und über Hamburg in den Nachkriegsjahren können wir gerne noch reden…

Hinterlasse eine Antwort zu Katja Antwort abbrechen