Die Pseudogerechtigkeit der bürgerlichen Justiz

justiceDie Urteile bürgerlicher Gerichte werden „Im Namen des Volkes“ gesprochen. Es erhebt sich nur die Frage, ob dieser Anspruch auch praktisch erreicht wird – und dies ist klar zu verneinen. Die bürgerliche Justiz – Gerichte, Staatsanwälte, Rechtsanwälte (hier von wenigen progressiven Anwälten einmal abgesehen) – hat in ihrem Wirken ebenso wie die imperialistischen Polizeiorgane einen klaren Klassenauftrag zu erfüllen: mittels ihrer „Rechtsprechung“ dem kapitalistischen Staat zu dienen, mit den spezifischen Mitteln des bürgerlichen Rechts die imperialistische Herrschaft in nicht unwesentlichem Maße mit abzusichern. Dies zeigt sich dann auch besonders in der Anwendung des Strafrechts und des Strafprozeßrechts als den hier am ehesten interessierenden Gebieten.

Die zunehmende Kriminalität

Durch die das gesellschaftliche Leben maßgeblich beeinträchtigende Kriminalitäts-explosion in den letzten 20 Jahren in den kapitalistischen Ländern und das widersprüchliche Verhalten seitens des imperialistischen Staates in Reaktion auf diese Entwicklung sind Grundfragen des bürgerlichen Rechts und vor allem bezüglich seiner Durchsetzung in Frage gestellt worden. Speziell der Anspruch der „Rechtsstaatlichkeit“, das heißt der Sicherung der Einhaltung des bestehenden Rechts und der Rechtmäßigkeit bestimmter Maßnahmen des bürgerlichen Staates und seiner Organe, kann immer weniger aufrechterhalten werden.

Die Rechtssprechung in den USA

Für die USA – ähnliche Schlußfolgerungen wären für andere imperialistische Länder zu ziehen – läßt sich diese Entwicklung wie folgt charakterisieren:

Erstens ist die ständig weiter zunehmende Massenkriminalität ein deutliches Zeichen für die schwindende Autorität des bürgerlichen Rechts als eines gesellschaftlichen Regulierungsinstruments der herrschenden Klasse.
zweitens läßt die bei den Staatsorganen zu beobachtende Tendenz, geltende Regelungen nur insoweit zu respektieren und zu gewährleisten, als dies nicht bestimmten Macht- und Profitinteressen der Monopole entgegensteht, eine wachsende Labilität des bürgerlichen Rechts erkennen.
Drittens schließlich zeugt die für die staatliche Praxis – insbesondere in strafrechtlichen Untersuchungs- und Gerichtsverfahren – fast schon ,normale‘ Mißachtung von Bürgerrechten davon, daß bürgerlich-demokratische Verfassungsrechte zunehmend ausgehöhlt und die noch vorhandenen demokratischen Elemente im bürgerlichen Recht reduziert werden.“ [1]

Im Dschungel der Gesetze

Hinzu kommt noch die Tatsache, daß die Chancenungleichheit vor den Justizorganen auch noch dadurch gefördert wird, daß viele Bürger in den kapitalistischen Ländern kaum in der L.age sind, das differenzierte, verschachtelte, kaum übersehbare Gesetzessystem zu durchschauen. Mit der bürgerlichen Justiz konfrontiert, sind sie mehr oder weniger hilflos der Vielfalt der Gesetze, Paragraphen, Verordnungen, Sonderbestimmungen, Klauseln usw. ausgeliefert.

Clevere „Staranwälte“

Vertretern des Monopolkapitals macht dies meist nichts aus: Sie nehmen sich einen – teuren – Staranwalt, der sie dann schon irgendwie „raushauen“ wird, was in der Praxis oft gelingt. Und mit Hilfe dieser Anwälte schaffen es dann die zahlungskräftigen Klienten, Prozesse über Jahre hinweg zu verschleppen, Beweisschwierigkeiten zu ihren Gunsten auszunutzen, selbst in die Offensive gegen das Gericht (z.B. durch die Ablehnung von Richtern); gegen den Staat zu gehen – und das nicht selten mit Erfolg. Diese Prozeßtaktik führt dann für denjenigen, der es sich leisten kann, zu milden Urteilen beziehungsweise zur Abmilderung zunächst ausgesprochener schärferer Urteile in der Revisionsverhandlung nach eingelegter Berufung und und und…

Überforderte Richter

Hier spielt auch die Tatsache eine Rolle, daß durch die derzeitige Kriminalitätsflut die Richter an den bürgerlichen Gerichten oft zeitlich sowie durch die Vielzahl neuer, komplizierterer Kriminalitätserscheinungen mit erheblichen Beweisproblemen (speziell in Teilbereichen der Wirtschaftskriminalität) nicht selten auch fachlich überfordert sind.

Richtermangel

Ein Beispiel: Unter der – schon ein selten anzutreffendes Eingeständnis beinhaltenden – Schlagzeile „Aus Richtermangel läßt man die Großen laufen“ mußte selbst die Springer-Zeitung „Die Welt“ am 29. März 1986 (Westberliner Ausgabe) berichten:

„Straftaten im Bereich der Wirtschaftskriminalität können … oft nicht mit der gebotenen Sorgfalt ermittelt und geahndet werden. Es fehlt sowohl bei den Staatsanwaltschaften als auch bei den Gerichten an Personal. Während der kleine Betrüger oder Diebe oft hinter Gitter wandert, funktioniert die nordrheinwestfälische Justiz (und nicht nur die – die Verf.) nur noch bedingt bei der Verfolgung etwa der gesellschaftspolitisch ungleichgewichtigen Wirtschaftskriminalität.“

Verschleppungstaktiken

Weiter wird berichtet, daß sich die Anklageschriften in Fällen von Wirtschaftskriminalität zwar häufen, aus Zeit- und Personalgründen Hauptverfahren aber nicht eröffnet, Verhandlungen nicht angesetzt werden, Täter, bel denen „eigentlich bei gründlicher Ermittlung und Beweisführung … fühlbare Freiheitsstrafen ausgesprochen werden müßten“, mit Geldbußen davonkommen.

Und es wird weiter von einem Fall berichtet, wo der Prozeß gegen einen Arzt abgesetzt wurde, der mittels Manipulierung bei der Abrechnung erbrachter Leistungen die Ktankenkassen um etwa 1,2 Millionen DM betrogen haben soll!

USA: „law and order“

Natürlich versucht der bürgerliche Staat alles, um den Eindruck zu verwischen, daß die Rechtsprechung und die dazu gehörenden Maßnahmen irgendwie klassengebunden sind. In den USA ist es vor allem die seit Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre unter der Losung „law and order“ (Wiederherstellung von Recht und Ordnung) vorangetriebene Praxis der Erweiterung der Rechte der Repressiv- und Justizorgane, mit der öffentlichkeitswirksam der Eindruck suggeriert werden sollte und soll, daß alles getan wird, um die Kriminalität einzudämmen und schärfer gegen die Kriminellen und ihre Organisationen vorzugehen.

Brutal gegen politisch Andersdenkende

Nur – auch diese „Law-and-order“-Aktion hat von vornherein zwei Stoßrichtungen. Neben Maßnahmen zur Bekämpfung der ja immer mehr das gesellschaftliche Leben negativ beeinflussenden allgemeinen Kriminalität war und ist auch hier das brutale Vorgehen gegen „politisch Andersdenkende“, gegen demokratische und fortschrittliche Kräfte eingeordnet.

Kampf gegen die „Terroristen“

Dazu wurde, anknüpfend an die durch die hohe Kriminalität hervorgerufene Verunsicherung der USA-Bevölkerung und deren Forderungen nach wirksameren Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung, unter Einschaltung der Massenmedien eine aggressive Stimmung gegen „Verbrecher, Aufrührer und Terroristen“ als dem „ursächlichen Übel“ erzeugt. Dabei wurden die Protestaktionen demokratischer und anderer fortschrittlicher Kräfte auf die gleiche Stufe mit kriminellen Verbrechen gestellt und somit dle Verbrechensexplosion und der legitime soziale und politische Protest gleichgesetzt. [2]

„Der Kampf der Regierung gegen die Verbr,e9hen auf den Straßen wurde in Wirklichkeit der polizei1taatliche Terror gegen die Andersdenkenden.“ [3] Die Kriminalität wurde „ausgenutzt als Waffe gegen Bewegungen, die Reformen oder revolutionäre Veränderungen suchen“ [4]. Dies sind Einschätzungen, denen es nichts hinzuzufügen gibt.

Kampf gegen „inneren Aufruhr“

In diesem Sinne ist seit Jahren auch die Gesetzgebungspraxis in den USA ausgerichtet. Typisch hierfür war ein erstmals 1971 vorgelegter Entwurf eines einheitlichen U.S.-Criminal Code. Nach diesem Entwurf, der zwar bis heute nicht verabschiedet wurde, dessen Geist aber am deutlichsten die derzeitigen Tendenzen aufzeigt, waren unter anderem die Einführung der Vorbeugehaft wie auch die Schaffung spezieller Tatbestände zur Verfolgung von Teilnehmern an der Regierung nicht genehmen Demonstrationen sowie deren Darstellung als „innerer Aufruhr“ geplant.

Mit der Reagan-Administration verstärkte sich noch die politische Repression. Durch deren antidemokratische und insbesondere antikommunistische Haltung geht wieder das Gespenst des McCarthyismus der fünfziger Jahre um. Nach dieser Doktrin wurde die politische Repression im Innern mit der »kommunistischen Gefahr«, die von »außen gelenkt und gesteuert wird«, begründet.

Der ständige Antikommunismus

Der Antikommunismus wurde seitdem beibehalten, hinzutraten als Begründung für weitere Repressivmaßnahmen in den siebziger Jahren einzelne Gewaltakte und die Kriminalitätsflut. Nunmehr ist es der „Terrorismus“, der die Basis für die antidemokratischen Kampagnen abgeben muß. Speziell das 1984 dem USA-Kongreß zugeleitete Gesetzespaket zur Terroristenbekämpfung (Antiterrorist bills) machte dies deutlich.

Demokratiefeindliche Gesetze

Zwei Meinungen sollen wiedergegeben werden, die den antidemokratischen Gehalt dieser Gesetze entlarven.

  • Einmal wird festgestellt:
    „Sie könnten genutzt werden, um USA-Bürger unter Anklage zu stellen, die in Nikaragua bei der Alphabetisierungskampagne helfen sollen, denn nach Ansicht der Reagan-Administration ist die sandinistische Regierung terroristisch.“ [5]
  • Und in einer anderen Stellungnahme heißt es:
    „Reagan nutzt das Wort Terrorist als eine Codewort für Andersdenkende. Jeder, der aktiv gegen seine Politik ist, läuft Gefahr, als potentieller, Terrorist Opfer der Aktionen des FBI, der CIA und anderer Behörden zu werden.“ [6] Einschätzungen engagierter USA-Bürger, von denen man nur hoffen kann, daß sie in den USA selbst nicht gänzlich ungehört verhallen.

Sicherheitsgesetze und Staatsschutz

Ähnliche Entwicklungen sind für Großbritannien und die BRD feststellbar. Auch hier erfolgte eine Einschränkung bürgerlicher Rechte im Rahmen verschiedenster „Sicherheitsgesetze“ oder, speziell in der BRD, anläßlich mehrerer Strafrechtsgesetzesänderungen. Die Nutzung des Rechts zur Kriminalisierung von Aktionen fortschrittlicher Kräfte zeigt steh in der BRD in der Praxis des „politischen Staatsschutzes“.

Unterdrückung demokratischer Kräfte

Das politische Anliegen bei der Verfolgung der sogenannten Staatsschutzdelikte besteht in überwiegendem Maße in der fortgesetzten Unterdrückung demokratischer und fortschrittlicher Kräfte, deren Aktionsradius eingegrenzt, überwacht und, wo möglich, weitgehend zerschlagen werden soll. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Verfolqunq, die unter voller E\nbindung des bürgerlichen Strafrechts vorgenommen wurde, und der Anwendung außerstrafrechtlicher Repressionsmaßnahmen, · wie etwa der Berufsverbotspraxis, die vor allem seit Mitte der slebzlqer Jahre verstärkt zur Geltung kam.

Politische Verfolgung

Betrachtet man die rein zahlenmäßige Entwicklung dieser „Staatsschutzdelikte“, so ist speziell in den letzten Jahren ein beträchtlicher Anstieg zu verzeichnen [7]:

Delikte1

BRD-Strafrecht unterscheidet im übrigen zwischen Straftaten, die generell als »Staatsschutzdelikte« definiert werden, und einem großen Feld von Tatbeständen, die je nach den konkreten Umständen fallbezogen als Staatsschutzdelikte eingeordnet werden.

Gerade die Zunahme im letzteren Bereich zeigt deutlich die derzeitige Tendenz in der· Rechtsprechung der BRD-Justiz, Personen wegen progressiver Aktionen auf der Grundlage von Tatbeständen der allgemeinen Kriminalität zu verurteilen, sie als »gewöhnliche Kriminelle« hinzustellen. Herangezogen werden dabei vor allem solche Tatbestände wie die

Delikte2

Zur Verurteilung werden aber auch Bestimmungen außerhalb des Strafrechts, wie zum Beispiel das Versammlungsgesetz, herangezogen.

Natürlich werden auch Kriminelle in der BRD verurteilt. Nur – ist hier die Schere zwischen der Zahl der registrierten Straftaten, der der aufgeklärten Straftaten und der der Verurteilten sehr groß; und dies sicherlich nicht nur allein deswegen, weil nicht wenige Kriminelle Mehrfachtäter sind. Die folgenden Angaben beziehen sich auf 1983 [8]:

Delikte3

Diese Diskrepanz ist sicherlich auch ein Ergebnis der Tatsache, daß vordergründig die Ressourcen und Möglickeiten der Polizeiorgane und der Justiz entsprechend ihrern Klassenauftrag zur Überwachung beziehungsweise Verfolgung demokratischer und fortschrittlicher Kräfte eingesetzt werden.

Quelle:
Dieter Bohndorf/ Reinhard Gelbhaar. Terror, Mord, Raub, Drogen. Kriminalität im Imperialismus heute. Dietz Verlag, Berlin, 1987, S.291-298.

Zitate:
[1] Karl-Heinz Räder (Hrsg.): Das politische System der USA. Geschichte und Gegenwart, Berlin 1982, S.273.
[2] Siehe Rolf Lämmerzahl: Tendenzen des Ausbaus der militä­risch-polizeilichen· Komponenten der zentralen Staatlichen Re, pressiohsapparate der USA und der BRD. In: Aktuelle Beiträge der Staats- und Rechtswissenschaft, Potsdam-Babelsberg 1985,H.33p, S.74ft.
[3] D. und G. Pumphrey: Ghettos und Gefängnisse, Rassismus
und Menschenrechte in den USA, Köln 1982, S.59.
[4] N. Chomsky und E. S. Hermann: After the cataclysm of the political economy of human rights. Bd.II, Boston 1979, S.297.
[5] Daily World (New York), 28. April 1984.
[6] Daily World, 21. April 1984.
[7] Angaben nach Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung (Bonn), 1984, Nr.51, S.457:
[8] Angaben nach Statistisches Jahrbuch 1985 für die Bundesre­publik Deutschland, Stuttgart/Mainz 1985, S.340f. – In den Anga­ben sind die Werte für Westberlin mit enthalten, obwohl es nicht zur BRD gehört. Die Angaben zu den registrierten Straftaten ba­sieren auf der Polizeilichen Kriminalstatistik, in der einige Straftatengruppen nicht mehr mit erfaßt werden (z.B. Vergehen im Straßenverkehr).

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5 Antworten zu Die Pseudogerechtigkeit der bürgerlichen Justiz

  1. Achim schreibt:

    Bsp. Ab ca 11min-14min
    In 110.000 Prozessen gegen KPD/DKP-Mitglieder werden 30.000 durch BRD-Justiz verurteilt.
    Aussage eines Gerichts: Wir haben sie schon 1937 verurteilt, sie haben nichts gelernt. Also erneute Verurteilung.

  2. Samy Yildirim schreibt:

    Willkommen im Westen!

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