Noch ist Polen nicht verloren…

Opole_RatuszaAuch wenn heute eine rechtsradikale, antikommunistische Regierung an der Macht ist – noch ist Polen nicht verloren, oder wie es in der polnischen Nationalhymne heißt: Jeszcze Polska nie zginęła“ – Als 1945 der Krieg zu Ende gegangen war, begann auch im befreiten Polen ein neues Leben. Das Leiden des einfachen polnischen Volkes unter den dem faschistischen Piłsudski-Regime (Sanacja), den preußischen Großgrundbesitzern und den faschistischen-deutschen Okkupanten hatte endlich ein Ende. Mit einem Freundschaftsvertrag zwischen dem polnischen Volk und dem Volk der DDR war auch die Oder-Neiße-Friedensgrenze ein für allemal geregelt und es entwickelten sich freundschaftliche Beziehungen zwischen unseren beiden Völkern. Im Jahre 1954 erschien in Kraków ein bemerkenswertes Buch über das tragische Schicksal des polnischen Volkes. Das Buch „Pamiętniki Opolan“ erhielt 1955 den polnischen literarischen Staatspreis und erschien 1955 auch in der DDR („Oberschlesier erzählen“). Daraus nun ein erschütternder Auszug:

Piotr Linkert aus Gosławice berichtet:

Das schlesische Polen unter dem Nazi-Regime

Es kam der Januar 1933. Adolf Hitler wurde von den deutschen Imperia­listen auf den Reichskanzlerstuhl geschoben. Die Nazihorden der SA und der SS füllten die Straßen. Offener Terror wurde vor allem an den Kommunisten und der polnischsprechenden Bevölkerung geübt. Es gehörte zur täglichen Erscheinung, daß Menschen, die auf der Straße ihre polnische Muttersprache sprachen, geschlagen und mißhandelt wurden. Einer meiner Schwager, ein fanatischer Anhänger der NSDAP, der seinen „Führer Hitler“ einfach vergötterte, wurde vor Begeisterung wie verrückt. Als die Nachricht bei uns im Dorf bekannt wurde, daß Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt sei, sprang er vor Freude herum wie ein Irrsinniger. Auf den Straßen der Städte und der Dörfer fanden Umzüge der Faschisten statt, überall schrien sie von nun an „Heil Hitler!“

Der braune Gesinnungsterror

Im März 1933, als die ersten Reichstagswahlen unter dem Naziregime stattfanden, erreichte bei uns der faschistische Terror seinen Gipfelpunkt. In der Mordstätte, dem sogenannten „Braunen Haus“, floß viel Arbeiter­blut. Die Mitglieder der KPD wurden auf Schritt und Tritt verfolgt, wer nicht Mitglied der SA, SS, HJ, NSKK, NSV oder NSDAP war, der wurde von den Nazis schief angesehen, ja, in vielen Fällen machte man es von der Zugehörigkeit zu einer faschistischen Organisation oder ihrer Gliederungen abhängig, ob jemand Arbeit bekam oder seine Arbeit noch behielt. Es herrschte ausgesprochener Gesinnungsterror.

„Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen“

Im Jahre 1934 wurde das sogenannte Notstandsarbeitsgesetz und einige Zeit später die allgemeine Wehrpflicht durch die Nazis eingeführt. Die Arbeitslosen wurden zu Notstandsarbeiten beim Bau von Straßen, Kanälen und anderen öffentlichen Arbeiten herangezogen. Im Rahmen des soge­nannten Arbeitsbeschaffungsprogramms erhielt ich Arbeit im Steinbruch von Stubendorf, wo die Steine für den Straßenbau gebrochen wurden. Hatte ich vor der Machtübernahme Hitlers, in der sogenannten Systemzeit, als Ver­heirateter mit einem Kind eine Arbeitslosenunterstützung von 17 Mark, so erhielt ich bei den Nazis als Notstandsarbeiter für eine 40-Stunden­Woche 14,20 Mark ausgezahlt. Die Margarine, die vordem das Kilogramm etwa 52 Pfennig kostete, kam jetzt 1,30 Mark.

„Nieder mit den Polen!“

Die jüngeren Jahrgänge wurden zum Heeresdienst eingezogen, Männer bis zum Alter von 40 Jahren mußten an Militärübungen teilnehmen. Diese Übungen wurden bei uns nach der Arbeitszeit in Zivilkleidung unter An­leitung von Berufssoldaten durchgeführt. Die Militarisierung begann bereits ab 1934 offenen Charakter anzunehmen. Auf den Exerzierplätzen wurden die Männer vom frühen Morgen bis zum späten Abend als Soldaten ge­drillt. In den Dörfern des Oppelner Bezirks konnte man immer öfter das Gebrüll hören: „Nieder mit den Polen!“ oder „Raus mit den verfluchten Polen!“

Als Notstandsarbeiter im Straßenbau

Von dieser Zeit an wurde für mich das Leben immer unerträglicher. Von einer Stelle auf die andere geschickt, als Notstandsarbeiter hin und her geworfen, verdiente ich im Durchschnitt 14 bis 18 Mark in der Woche, da­für mußte ich 14 Kubikmeter Erdreich ausheben und verladen. In mir wuchs über dieses Antreibersystem Empörung. Ständig hatte ich mich mit der Bauleitung und dem Schachtmeister in den Haaren. Am Ende gab ich die Notstandsarbeiten auf und fing an, als Straßenbauarbeiter Steine für die Straßendecken zu klopfen. Diese Arbeit war bedeutend schwerer, es war aber Akkordarbeit, und ich wurde nicht dauernd wie zuvor vom Auf­seher angetrieben.

Schuften für die „Volksgemeinschaft“…

Wollte man 4 Mark täglich verdienen, so mußten acht Kubikmeter Granitsteine geklopft werden. Bis mir das gelang, dauerte es eine Weile. Die erste Zeit klopfte ich an einem Granitbrocken manchmal bis zu einer Stunde, verletzte mich mit den Splittern dabei und biß die Zähne zusammen wegen der vielen Blutblasen an meinen Händen. Doch setzte hier die Solidarität der Arbeitskollegen mit besserer Ge­schicklichkeit ein. Sie halfen mir in jeder Beziehung, bis ich soweit war, das Pensum zu schaffen. Das Leben war auch für andere nicht leicht. Steinbrucharbeiter waren alle, die bei uns auf Veranlassung der Nazis, und das im Rahmen ihrer sogenannten „Volksgemeinschaft“, keine bessere Arbeit erhalten durften. Anders erging es den Faschisten.

Naziführer feiern in Saus und Braus

Zum Kreisleiter der NSDAP wurde in Oppeln ein gewisser Johann Witola, der bis 1933 in unserer Gemeinde Briefträger gewesen war, ein­gesetzt. Als Kreisleiter hatte Witola ohne Zweifel sein großes „Glück“ gemacht, denn als er ein Mädchen aus unserer Gemeinde heiratete, gab es an diesem Tage eine wahre Autoparade im Ort. Den ganzen Weg vom Hochzeitshaus bis zur Gastwirtschaft, wo das Tanzvergnügen stattfand, ließ er mit Tannen­grün schmücken. Das war eine Prunkhochzeit, deren sich nicht einmal der Graf Strachwitz hätte zu schämen brauchen. Auch der Tanzsaal war ringsum mit Tannengrün ausgeschmückt, an den Zweigen hingen Südfrüchte und teures Konfekt. Die ausgebeuteten Volksmassen, die sich diesen Aufwand anschauten, konnten dabei nur die Fäuste in den Taschen ballen.

Die Bespitzelung der polnischen Bevölkerung

Opole1938In dieser Zeit, unmittelbar nach der Machtübernahme der Nazis in Deutschland, hatten Hitler und Piłsudski gegenseitige Anknüpfungspunkte gesucht. Nach Abschluß eines „Nichtangriffspaktes“ stellte man sogar die Porträts dieser beiden „großen Staatsmänner“, dieser getreuen Diener des Monopolkapitals, in die Schaufenster. Doch alles das änderte nichts an der Situation des Polentums in Oberschlesien. Verfolgung und Unterdrückung der Polen hörten nicht einen einzigen Augenblick auf. In allen Gemeinden legten die „Ortsgruppenleiter“ geheime Karteien über alle Bewohner an. Systematisch wurden alle Minuspunkte der einzelnen Bürger in diesen Nazikarteien eingetragen, so unter anderem das Polnischsprechen zu Hause, Besuch von polnischen Gottesdiensten, das Meiden von öffentlichen Versammlungen der NSDAP im Dorf, die Weigerung, für das Winterhilfs­werk eine Spende zu geben usw.

Kriegsvorbereitungen der Nazis am Ostwall

Inzwischen machten die Kriegsvorbereitungen der Nazis große Fort­schritte. Es wurden Flugplätze, Kasernen, Truppenübungsplätze, der West­- und der Ostwall gebaut. Der Bau von strategischen Brücken und Bahn­überführungen sowie der Neu- und Ausbau von Straßen, die zur polnischen Grenze führten, wurde mit Eile betrieben. Mit großer Beunruhigung verfolgten wir die internationalen Ereignisse. Die Besetzung der entmilitarisierten Zone im Rheinland, später der Saar, der gewaltsame „Anschluß“ Österreichs an das „Dritte Reich“ waren für uns sichtbare Anzeichen, daß sich die Kriegskatastrophe mit Riesenschritten näherte. Die aggressiven deutschen Imperialisten raubten mit Zustimmung der polnischen Sanacja-Clique – Beck fuhr nach Berchtesgaden zu Hitler – der Tschechoslowakei die Unabhängigkeit. Die blutigen Tatzen des Nazi­-Ungeheuers streckten sich trotz des sogenannten Nichtangriffspaktes nach der polnischen Grenze aus.

Einzimmerwohnung bei einem deutschen Pensionär

Die Goebbels-Propaganda verbreitete die gemeinsten Lügenmeldungen über die Leiden und Qualen der Deutschen in Polen. Im Januar 1939 zog ich nach Oppeln; ich erhielt bei dem pensionierten Baurat Hirnschal eine Einzimmerwohnung, mit der die Arbeit eines Haus­meisters verbunden war, das heißt, für diese Einzimmerwohnung mußte ich Haus und Hof und die Straße vor dem Hause immer in Ordnung halten. Außerdem war in der Heizperiode die Zentralheizung zu besorgen. Alle diese Arbeiten erledigte zum größten Teil meine Frau, denn ich selbst war doch beim Steineklopfen beschäftigt.

Als Dienstverpflichteter im Aufmarschgebiet

Der Bau und die Reparatur der Staatsstraßen wurde in beschleunigtem Tempo durchgeführt. Diese Straßen waren für Militärtransporte bestimmt. Jetzt sah es schon jeder klar auf der Hand, daß der „Marsch nach dem Osten“ unmittelbar bevorstand. Alle diese Bauvorhaben waren mit Dring­lichkeitsstufen in das sogenannte Sofortprogramm eingeschlossen. Das heißt, daß der Brücken-, Straßen- oder Kanalbau in einem bestimmten Zeit­abschnitt termingemäß fertiggestellt werden mußte. Zur Fertigstellung dieser strategisch wichtigen Bauvorhaben wurden Arbeitskräfte ohne Rücksicht auf ihre fachliche Qualifikation dienstverpflichtet. Ob Bäcker, Fleischer, Schlosser, Tischler, Kaufmann, Pferdehändler oder Beamter, wer die Dienst­verpflichtung erhalten hatte, mußte sechs Wochen hindurch seinen Beruf an den Nagel hängen und zu dem angegebenen Termin auf der ihm zu­gewiesenen Baustelle erscheinen. Außerdem mußte er mit dem dort ge­zahlten Verdienst vorliebnehmen: 48 Pfennig Stundenlohn, ohne Rücksicht darauf, was der Dienstverpflichtete in seinem wirklichen Beruf bisher ver­dient hatte.

Truppenkonzentrationen der Wehrmacht in Polen

Auf diese Weise wurden alle strategisch wichtigen Straßen, die nach dem Osten führten, überholt oder ausgebaut. Man konnte damit rechnen, daß, sobald die Straßen fertig waren, die faschistische Kriegsfurie gegen Polen losschlagen würde. Darum wunderte es uns auch nicht mehr, als die Nazis anfingen, auf der Chaussee, die nach Malapane führt, verstärkte Telefon­kabel an den Masten anzubringen. Diese Telefonverbindung wurde zum sogenannten Ostwall gelegt, von wo aus die Verbindung zum künftigen „Oberkommando der Wehrmacht“ hergestellt werden sollte, dessen Sitz wir in der Nähe von Oppeln bei Bierkowice vermuteten, weil man dort ein solches Bauvorhaben im Rahmen des Sofortprogramms innerhalb von sechs Wochen ausführen mußte. Bereits im Juli 1939 war Oppeln mit faschistischer Wehrmacht voll­gestopft, vor allem waren es motorisierte Einheiten, die ihre Fahrzeuge in Oppeln untergestellt hatten.

Krieg!

Es kam der 1. September 1939 und damit der Überfall Hitlers auf Polen. Alle Lautsprecher in der Stadt, die auf den Straßen aufgestellt waren, übertrugen die Brandrede Hitlers, des eingefleischten Polenhassers.
Krieg!

Grenze_polenIn Oppeln wurden das Büro des Verbandes der Polen in Deutschland, die Bank Ludowy, die Bank Rolnikow, die Bäuerliche Ein- und Verkaufs­genossenschaft „Rolnik“ und die Redaktion und Druckerei der Tages­zeitung „Nowiny Codzienne“ durch die Nazis geschlossen. Für mich begann ein unruhiger Zeitabschnitt. Jeden Tag mußte ich mit meiner Verhaftung rechnen. Ich arbeitete damals gerade beim Bau einer Brücke, die zu den Anlagen des Oberkommandos der Wehrmacht führte. Zum erstenmal in meinem Leben sah ich den wie ein fünfjähriger Wildeber fetten Hermann Göring, der mit seinem Luftwaffenstabe hierher gefahren kam. Schließlich sah ich auch leibhaftig den „Führer Adolf Hitler“. An uns vorbei zogen ununterbrochen motorisierte Einheiten und berittene Wehrmachtseinheiten.

Das Unglück nimmt seinen Lauf

Die faschistische Lawine überrollte blitzartig das Landesinnere Polens, wir erhofften vergeblich eine Hilfe oder einen Widerstand Polens gegen die Nazilandräuber. Doch in der höchsten Not unseres Vaterlandes stellte sich die Unfähigkeit der faschisierten Bourgeoisie sowie die Mitverantwortung der Śmigły, Moscickis und Becks für das über Polen heraufbeschworene Unglück heraus.

Verhaftet!  …und nach Buchenwald.

Am 11. September 1939 begannen die Massenverhaftungen von Polen, die als Funktionäre bekannt waren. In Grudzice wurden folgende Polen verhaftet: Jan Adamek, Josef Dobis, Franciszek Bul mit seinen Söhnen Wicek und Franciszek, Piotr Nolepa, Wawrzyniec Swierzy und Franciszek Pandza. Ich blieb vorläufig noch unbehelligt von alledem. Ich hoffte schon, daß man mich vergessen hätte, bis der 21. September 1939 kam. An diesem Tage regnete es wie aus Gießkannen, so daß unsere Baustelle in ein schlammiges Dreckgelände verwandelt wurde. So kam ich am Abend, bis auf den letzten Faden am Leibe durchnäßt, nach Hause. Einen Augenblick später klopfte es an meiner Wohnungstür, es traten zwei Polizisten herein. Sie fragten mich, ob hier Peter Linkert wohne. Das war genau um 17.30 Uhr, um 18.oo Uhr schloß sich hinter mir die eiserne Tür des Gefängnisses. Einige Tage später war es ein zweites eisernes Tor, das sich hinter mir schloß. Diesmal war es das Tor des Konzentrationslagers Buchenwald. Hier hatte ich Gelegenheit, Bekanntschaft mit der „Kultur“ des deutschen Faschismus zu machen.

Was geschah im faschistischen KZ Buchenwald?

Buchenwald1Es ist im Rahmen dieser Aufzeichnungen nicht möglich, die Erlebnisse im Konzentrationslager Buchenwald zu beschreiben, in dem ich ein Jahr lang inhaftiert war. Ich mußte im Steinbruchkommando arbeiten. Unsere Arbeit bestand darin, daß wir die gebrochenen Steine aus dem Steinbruch bis ins KZ tragen mußten, um dort eine Straße damit zu pflastern, die den Stacheldrahtverhau entlang gebaut wurde. Die Steine, die wir mit den Händen schleppten, waren sehr groß und schwer. Die SS-Männer hetzten uns dabei wie Hunde. Wahllos schlugen sie mit Gummiknüppeln auf uns Gefangene ein. Wehe demjenigen, der etwa aus Schwäche zurückblieb! Die Todesschreie der Sterbenden, das Jammern der Gefolterten um kameradschaftliche Hilfe, die man so oder so nicht gewähren konnte, drangen mir bis ins Mark.

Beim „Höllenkommando“

Zeitweilig wurde ich mit meinem Leidensgenossen Widera aus Nakel, Kreis Oppeln, dem Steinmetzkommando zugeteilt. Als ehemaiiger Stein­brucharbeiter und Fachmann auf diesem Gebiet wurde ich zum Brechen der Steine im Steinbruch kommandiert. Die Aufgabe der Arbeitsgruppe war, die gebrochenen Steine, die sich zur Steinmetzbearbeitung oder zur Bearbeitung als Bausteine eigneten, herauszusuchen. Dieses Steinbruch­kommando hieß in der Lagersprache „Höllenkommando“.

Die blutigen Sadisten des KZ Buchenwald

Bereits am ersten Tage meines Einsatzes im Steinbruch stiegen mir die Haare zu Berge. Die gebrochenen Steine aus der Steinbruchgrube mußten Juden auf den Schultern herausschleppen, und das auf einem steilen Lauf­steg. Der Eingang in den Steinbruch war nur zweieinhalb Meter breit. Diesen Weg mußten täglich die Gefangenen des Steinträgerkommandos im Gänsemarsch benutzen, ‚rauf und ‚runter, ‚rauf und ‚runter ohne Pause. Von der Kommandobude, wo der über das persönliche Leben jedes ein­zelnen Gefangenen allmächtig bestimmende Kommandoführer Blank saß, his zur Steinbruchwand und der Abladestelle bildeten SS-Männer ein Spalier und folterten mit großen Knüppeln die auf und ab jagenden jüdi­schen Kameraden. Wehe dem, der nicht schnell genug auf den Beinen war, wehe ihm, wenn er einen zu kleinen Stein herausgesucht hatte! Die Schläge fielen wie Hagel auf die ausgehungerten Leiber und auf die Köpfe der Kameraden. Das Blut floß dort täglich in Strömen. Mit dem nassen Lehm gemengt, bildete das Ganze einen schlüpfrigen Weg, auf dem man sich nur schwer vorwärtsbewegen konnte.

Gefoltert, abgeknallt und …eine schwarze Rauchwolke.

Alle zwei Minuten hörte ich die Schreie eines durch den Kommando­führer Blank malträtierten Kameraden, der mit einem Kabel 25 Hiebe auf das nackte Gesäß erhielt. Ich habe täglich beobachtet, wie man Kameraden durch die Postenkette hinausjagte, um sie anschließend wie ein Wild abzuknallen, sie zu morden. Die faschistischen Scheußlichkeiten im Konzentrationslager Buchenwald haben sich so tief in mein Gedächtnis eingegraben, daß ich sie zeitlebens nicht mehr vergessen werde. Täglich sah ich den aufsteigenden Rauch des Lagerkrematoriums und dachte bei mir: Vielleicht bist du schon morgen mit dabei, und wirst durch den verfluchten Schornstein als eine schwarze Rauchwolke aufsteigen. Aber mit größter Energie nahm ich täglich meine ganzen Kräfte zu­sammen, stets von dem Gedanken geleitet, diese Hölle zu überleben.
Ich habe es überstanden…


Wieder zurück in der Heimat

So meldete ich mich am 28. Juli 1943 in Sieradz, also im okkupierten polnischen Gebiet, wo ich nach einer zehnwöchigen Ausbildung, im Arbeits­bataillon mit einer Gruppe von sechzig Mann, nach Modlin bei Warschau verladen wurde. In Koluschken wurde der Transport zwei Tage aufgehalten. Wir beschlossen, die polnische Stadt zu besichtigen. Vier Kameraden zogen wir also los: Gerard Kotus, Ryszard Krysteczko, August Jelen und ich, um u.a. auch für einen von uns einen Rasierpinsel zu kaufen. Wir betraten einen Laden. Die Ladenbesitzerin war eine gut­aussehende 35-jährige Frau. Als sie von uns erfuhr, daß wir Polen aus Ober­schlesien waren, schenkte sie unserem Freund den Rasierpinsel und lud uns alle vier zu einer Tasse Tee ein.

Katyn…

Im Verlauf der Unterhaltung kamen wir rein zufällig auf Katyn zu sprechen. In Katyn ermordeten die Nazis Tau­sende von polnischen Offizieren. Die Frau bekam vor Erregung einen Schüttelfrost und begann schrecklich zu weinen. Vor wenigen Tagen hatte sie in den Veröffentlichungen der Nazipresse die Namen dieser Offiziere, darunter auch den Namen ihres Mannes, der als Kapitän in der polnischen Armee diente, gelesen. Ihre Erzählungen öffneten uns die Augen über den „Fall Katyn“. Der Ehemann unserer Gastgeberin war nach dem Zusammenbruch der polnischen Armee in nazistische Kriegsgefangenschaft geraten. Aus der deut­schen Gefangenschaft hatte sie von ihrem Manne laufend Post erhalten. Diese Briefe gab uns die Frau des Offiziers zu lesen.

Wer waren die Mörder von Katyn?

Plötzlich hatte er nichts mehr von sich hören lassen, die Post blieb aus, bis sie dann die Nach­richt in der Presse las, daß ihr Mann als Kriegsgefangener von den „Russen“ ermordet worden sei. Dabei stand es einwandfrei fest, das ging klar aus seinen Briefen hervor, daß er in deutscher und nicht in sowjetischer Ge­fangenschaft gewesen war. Diese Tatsachen behielten wir selbstverständlich nicht für uns, wir er­zählten sie allen unseren Kameraden weiter und öffneten ihnen gleichfalls die Augen über dieses Verbrechen der Nazis.….

Ein neues Leben in der sozialistischen Polnischen Volksrepublik

Ich gebe es offen zu, als ich noch fern von meiner oberschlesischen Heimat weilte, hatte ich mir vorgenommen, mich niemals mehr politisch zu be­tätigen, um nicht wieder – wie so oft in meinem Leben – aus politischen Gründen verfolgt zu werden. Doch als ich in meine befreite Heimat zurückkehrte und hier sah, wie ein vollkommen neues Leben, aus den Trümmern erweckt, pulsierte, so, wie ich es bisher nie gekannt hatte, konnte ich unmöglich abseits stehen. Ich be­gann, meine Lebenserfahrungen aus den Jahren der Verfolgung anzu­wenden. Nach sechsmonatiger Untätigkeit fing auch für mich ein neues Leben an. Nun habe ich wieder meinen Anteil an diesem neuen Leben und mobili­siere selbst die Bevölkerung für den sozialistischen, Aufbau im freien Volks­polen.

Quelle: Oberschlesier erzählen. Kongreß-Verlag Berlin, 1956, S.239-246 (Zwischenüberschriften eingefügt, N.G.)

pdfimage Noch ist Polen nicht verloren

Siehe auch:
Was geschah während der Befreiung Polens im Jahre 1944?
Über die Beziehungen zwischen Polen und Rußland
Über die Befreiung Polens bis zum Untergang des Sozialismus
Polen: Gedenkstätten gefallener sowjetische Soldaten gepflegt


Profesor Karol Jońca (1930-2008) schrieb 1955 in der historischen Fachzeitschrift „Sobótka“ über dieses Buch:

Karol Jonca

Quelle: Karol Jońca „Pamiętniki Opolan“. In: „SOBÓTKA“, Rocznik X (1955), Nr.3, Wrocław 1955, Seite 519.

Klicke, um auf Sobotka_10_1955_3_518-521.pdf zuzugreifen

Übersetzung:

Ein sehr wichtiges Element des Kampfes der kommunistischen Partei in der Region Oppeln war die Verbindung und Zusammenarbeit mit der Kommunistischen Partei Polens. In der Zeit der Intensivierung des Terror seitens der bürgerlichen Regierungen in Polen in Schlesisch Oppeln fanden die Aktivisten der polnischen Arbeiterbewegung Unterschlupf, u.a.  J. Wieczorek. Die Oppelner Kommunisten unterstützten auch die KPP umfassend beim Druck kommunistischer Schriften. Im Jahre 1932 begannen sie sogar, wie Mrocheń es beschreibt,  in Oppeln ein Parteilehrjahr für die Aktivisten der KPP zu organisieren. In dieser Zeit wurden in Zabrze und Gliwice auch Demonstrationen  unter Teilnahme des Führers des deutschen Proletariats E. Thälmann und Vertretern der kommunistischen Parteien Polens und der Tschechoslowakei organisiert.
Eine besondere Bedeutung in der Geschichte des Kampfes um die soziale und nationale Befreiung haben auch die Ereignisse von 1933 an, d.h. von der Zeit an, als Hitler an die Macht kam und die Faschisierung des politischen und wirtschaftlichen Lebens in Deutschland. Während dieser Zeit kämpften die arbeitetenden Massen Schlesisch Oppelns unter heldenhaften Opfern gegen die faschistische Herrschaft. Diese Sichtweise konnten auch die Massenverhaftungen von gesellschaftlichen und politischen Aktivisten nicht zerbrechen. (Übersetzung: F. Geißler)
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7 Antworten zu Noch ist Polen nicht verloren…

  1. Hausmeister schreibt:

    Die Regierung Polens wurde von den Faschisten bestochen damit sie ins Exil (London, Anger, Paris) geht. Wie hoch war denn der Betrag?

  2. Johann Weber schreibt:

    Danke Sascha,
    ich habe mir umgehend das Buch „Oberschlesier erzählen. Kongreß-Verlag Berlin, 1956“ besorgt.

    Für 0,99 Euro bekomme ich geballtes Geschichtswissen, dass es bei uns im Westen nie zu Lesen gab. Wir Wessi´s müssen den Menschen in der DDR so dankbar sein, dass wir heute auf diese so wichtige Literatur zugreifen können. Nur so ist es möglich, diesen antikommunistischen Mist, der mir 60 Jahre eingetrichtert wurde, zu entfernen.
    Wenn ich bedenke, 0,99 Euro dürfte die menschenverachtende BILD heute kosten. Mit diesem Buch bekomme ich für das gleiche Geld 350 Seiten, auf Zeitzeugen gestütztes Geschichtswissen über die Vorgänge in Schlesien.

    • sascha313 schreibt:

      Und das Interessante daran ist, daß das sämtliche heute produzierten Geschichtchen und Filmchen in den Schatten stellt – denn nichts ist so authentisch, wie die erlebte Wirklichkeit selbst. Alle nachträglichen Erzählungen von „Zeitzeugen“ sind meist erfunden. Nicht ohne Grund hat dieses Buch damals einen Literaturpreis bekommen.

  3. Axel schreibt:

    Nicht vergessen. Am 17.September jährt sich der Überfall der Roten Armee auf Polen zum 80sten mal. Tage später schüttelten sich die sowjetisch-deutschen Waffenbrüder die Hände an der Demarkationslinie.

    • Tja, Axel,
      du gibst ein gutes Beispiel für die Indoktrination ab, die dir verpasst wurde. Die Angehörigen der Roten Armee der UdSSR waren nicht die Waffenbrüder der Soldaten der Wehrmacht des Deutschen Reiches. Die Rote Armee hat Polen nicht überfallen.

    • sascha313 schreibt:

      @Axel. Erstens ist das unlogisch, denn die Nazis und die Rote Armee waren (wie schon gesagt wurde) keine „Waffenbrüder“ und zweitens muß man die Geschichte im Zusammenhang sehen. – Der zweite Weltkrieg begann am 1. September 1939 mit dem Überfall Deutschlands auf Polen. Am 3. September erklärten England und Frankreich Deutschland den Krieg. In 17 Tagen war Polen besiegt. Die reaktionäre polnische Regierung war nicht imstande gewesen, das Land zu verteidigen, sondern überließ das polnische Volk seinem Schicksal und floh ins Ausland. Ohne Führung und ohne Kommando haben das polnische Volk und einzelne Truppenteile gleichwohl der deutschen Invasion tapfer Widerstand geleistet. In heroischer Wesie schlugen sich die Verteidiger von Warschau und die Matrosen von Gdynia; diese wurden jedoch bald vernichtet.

      Nach der Eroberung Polens rückten die faschistischen Truppen bis an die West-Ukraine und den westlichen Teil Belorußlands vor, in der Absicht, sich auch dieser Gebiete zu bemächtigen. 7 Millionen Ukrainern und 3 Millionen Belorussen drohte die Gefahr, unter deutsche Herrschaft zu geraten, wodurch die West-Ukraine und Belorußland zu Aufmarschgebieten für den Überfall auf die Sowjetunion geworden wären.

      Auf Befehl der Sowjetregierung begann daher die Rote Armee am 17. September 1939 ihren Befreiungszug, um Leben und Besitztum der Bevölkerung des westlichen Teils Belorußlands und der West-Ukraine unter ihren Schutz zu nehmen. Das von den polnischen Pans befreite ukrainische und belorussische Volk beschloß, sich mit den ukrainischen und belorussischen Brüdern der Sowjetunion zu vereinigen und dieserhalb bei der sowjetischen Armee vorstellig zu werden. Der Oberste Sowjet der UdSSR entsprach am 1. November1939 der Bitte der Volksversammlung der West-Ukraine und am 2. November der der Volksversammlung Belorußlands, ihre Gebiete in die Sowjetunion einzugliedern und die West-Ukraine mit der Ukrainischen SSR sowie Belorußland mit der Belorussischen SSR zu vereinigen.
      Das also ist die wahre Geschichte!

      Um es nochmal klar zu sagen: Die Lüge, daß die UdSSR angeblich Polen überfallen habe, wird von den ukrainischen Faschisten und den heutigen, rechtsradikalen polnischen Machthabern sowie von den baltischen Nazis immer wieder behauptet. Es ist eine Lüge! Die Rote Armee unterstützte den antifaschistischen Widerstand der polnischen Bevölkerung, und sie begann 1944 nach dem fluchtartigen Zurückweichen der geschlagenen Hitlerarmee mit der Befreiung Polens von Faschismus. Im übrigen wurde die Rote Armee von den Polen 1944 begeistert begrüßt.

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