J.Drabkina: Auf dem Weg zur Revolution

DrabkinaJJManchmal sind es kleine Erkenntnisse, manchmal bedeutsame, große Ereignisse, die den Weg der Revolutionäre und ihre Taktik im Klassenkampf veränderten. Sicher werden viele Leser damit übereinstimmen, daß es nötig ist, die heutige kapitalistische Gesellschaft zu verändern, sie zu revolutionieren. Doch mit Einzelaktionen, Petitionen oder Reformen ist da nicht viel zu erreichen. Immer mehr verdrängt die kapitalistische Industrie überflüssige Arbeitskräfte aus der Produktion ins soziale Abseits, größer wird die Masse der Erwerbslosen, Chancenlosen und Resignierten. Ein Neunanfang ist nicht in Sicht. Und je länger die Tatenlosigkeit anhält, das Zeitungsaustragen oder Flaschensammeln sich als nutzlos erweist, desto größer werden die sozialen Spannungen. Doch gesellschaftliche Veränderungen bedürfen klarer Orientierungen, und dazu ist eine umfangreiche Vorarbeit nötig. In einer ähnlichen Situation befanden sich auch die russischen Revolutionäre zu Beginn der 20. Jahrhunderts. Manches kann man von ihnen lernen…

„Ich hatte das große Glück“, schreibt Jelisaweta Drabkina, „die Kampfgefährten Lenins, Wladimir Iljitsch Lenin selbst und auch Nadeshda Konstantinowna Krupskaja persönlich zu kennen. So hielt ich es für meine Pflicht, alles aufzuschreiben, was ich von ihnen weiß und bei Nachforschungen in Archiven entnommen habe. … Auch vor der heutigen Generation stehen große Aufgaben, und sie wird diese nur lösen können, wenn sie die Erfahrungen der Väter kennt und nutzt.“


Jelisaweta Drabkina

Die russische Revolution

Die Reaktion baute ihren Angriff auf die Revolution weiter aus. Die Revolution leistete der Reaktion weiterhin Widerstand. Trotz der zunehmenden polizeilichen Verfolgungen wurde die Parteiarbeit fortgesetzt. Lenin fuhr öfters nach Petersburg und sprach auf Versammlungen und Parteikonferenzen. Auch zu ihm nach Finnland kamen viele· Genossen. Die Eingangstür der „Villa Wasa“ wurde niemals ver­schlossen, im Eßzimmer standen zur Nacht immer Brot, ein Krug Milch und ein hergerichtetes Bett bereit, denn es konnte ja plötzlich· jemand mit dem Nachtzug kommen. Mochte er, ohne die Hausbe­wohner zu wecken, Abendbrot essen und sich ausschlafen. Jeden Tag kam aus Petersburg ein besonderer Kurier zu Lenin, der Material, Zeitungen und Briefe mitbrachte. Wladimir Iljitsch sah sie durch und schrieb sogleich einen Artikel oder Antworten, die der­selbe Genosse mitnahm.

Zahlreiche Beratungen und Treffen mit Lenin

Bei der Arbeit schonte sich Wladimir Iljitsch nicht. In Momenten des scharfen und entschiedenen Kampfes, wie 1906/1907, kannte er keine Ruhepause. In bestimmten Zeitabständen versammelte sich das bolschewistische Zentrum im Landhaus „ Wasa“. Oft tagte hier die Redaktion der Zeitung „Proletari“, fanden Beratungen mit den Funktionären der Petersburger Organisation sowie Gespräche mit Parteifunktionären statt, die. zu Wladimir Iljitsch gekommen waren, um von ihm Rat­schläge und Instruktionen zu erhalten. Es verging kein Tag, ohne daß ein Besucher erschien.

Lenins umfangreiche Vorarbeiten

Wladimir Iljitsch nahm an den Sitzungen teil, führte Gespräche mit Genossen, besonders mit Funktionären aus den örtlichen Organisa­tionen, und schrieb, schrieb, schrieb vom Morgen bis in die späte Nacht hinein – er schrieb Broschüren, Flugblätter, Artikel, Aufrufe, Resolutionen und wissenschaftliche Abhandlungen. Das, was er in den eineinhalb Jahren, die er in Finnland lebte, schrieb, macht fast vier Bände seiner vollständigen gesammelten W crke aus. Etwa zweitausend Druckseiten!

Ein Parteitag in London

Die Bolschewiki agitierten zu der Zeit für die Einberufung eines neuen Parteitags, der die strittigen Fragen der Revolution lösen, eine standhafte und prinzipienfeste Parteiführung schaffen und den verräterischen Schwankungen der Menschewiki ein Ende bereiten sollte. Der Parteitag kam schließlich zustande. Er fand im April 1907 in London statt. Nadeshda Konstantinowna konnte nicht daran teil­nehmen: Sie fuhr jeden Tag nach Petersburg, um sich in der Mensa des Technologischen Instituts mit Genossen, die aus ganz Rußland kamen, zu treffen. Diese Arbeit durfte sie nicht im Stich lassen, und Wladimir Iljitsch reiste allein nach London.

Lenin sprach zu den Delegierten…

Die Polizei erfuhr von der Vorbereitung des Parteitags und ver­stärkte die Beobachtung. Auf dem Finnischen Bahnhof wurden einige Delegierte verhaftet. Dennoch hatte der Parteitag viele Teilnehmer. Lenin sprach dort mehrere Male. Später als die anderen kehrte er vom Parteitag zurück. In ihren Er­innerungen schreibt Nadeshda Konstantinowna darüber: „Er sah ganz anders aus als sonst: kurz gestutzter Schnurrbart, ab­rasierter Kinnbart, auf dem Kopf ein großer Strohhut.“ Er war sehr erschöpft. Zur Erholung fuhr er auf einige Zeit ins Innere Finnlands.

Eine Änderung der Taktik

Als Wladimir Iljitsch dort in Muße die politische Lage durchdachte, kam er zu dem Schluß, daß die Partei ihre Taktik ändern müsse. Die Revolution hatte eine zeitweilige Niederlage erlitten. Aber ge­rade diese Niederlage bedeutete für die revolutionäre Partei und die revolutionäre Klasse eine äußerst nützliche Lektion, eine Lektion in der Fertigkeit und in der Kunst, den politischen Kampf zu führen. Ein neuer revolutionärer Aufschwung war unausbleiblich, jedoch noch nicht heute und nicht morgen. Für die Partei galt es, aus dieser Situation die notwendigen Schlußfolgerungen zu ziehen.

Verbindung zu den Massen

Sie mußte sich an den Wahlen zur Dritten Reichsduma beteiligen deren Mehrheit sicherlich die extremen Monarchisten und die rech­ten bürgerlichen Parteien bilden würden. „Ich weiß das“, sagte Lenin. „Und dennoch müssen wir in die Duma gehen, um jede offene, legale Möglichkeit des Kampfes für die Interessen unserer Sache auszunutzen. Vom Podium dieser Schrwarzhunderterduma werden wir zu den Arbeitern und zu den Volksmas­sen über unsere Ansichten sprechen und die Verbindung zu den Mas­sen aufrechterhalten. Anders verwandeln wir uns in eine begrenzte, von den Massen und vom Leben losgelöste Sekte…“

Die Mehrheit der Partei folgte Lenin

Der Aufruf zu dieser schroffen politischen Wende, mit dem sich Lenin an die Partei wandte, stieß auf den Widerstand vieler Parteifunktionäre. „Ich gestehe, mein ganzes Wesen empörte sich gegen die Teilnahme an dieser ekelhaften Duma“, schrieb ein junges Parteimitglied jener Zeit, dessen richtiger Name uns nicht überliefert ist, in sein Tage­buch. „Aber Lenin hat mich schließlich wie immer doch überzeugt.“ Die Mehrheit der Partei folgte Lenin.

Quelle:
J.Drabkina „Oktoberballade“, Der Kinderbuchverlag Berlin, 184, S.110-112.

Siehe auch:
Wiktor Markowitsch Posner: Lenins Kampf gegen den ideologischen Zerfall
Emil Collet: Das Wesen des Marxismus-Leninismus

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10 Antworten zu J.Drabkina: Auf dem Weg zur Revolution

  1. Eleonore Kraus schreibt:

    „Im Esszimmer standen zur Nacht…..“
    In unserem Arbeiterhaushalt wurde immer ein Teller mehr gedeckt in den schweren Jahren der Nachkriegszeit erzählte mein Vater bei einer Gelegenheit.
    Es wurde mehr gekocht und mit Menschen geteilt die nach dem Krieg in unserem Dorf gestrandet sind und ums Essen bettelten.. Sieben Mäuler und mehr hatte der Vater zu stopfen. Nichtsdestotrotz bekam der Mensch der klingelte etwas zum Essen…..und dass an unserem Küchentisch. In der Arbeitersiedlung am Nieder-rhein war das für die Kommunisten Ehrensache. Eine Erinnerung, die mir beim Lesen eingefallen ist.

    • Johann Weber schreibt:

      Eleonore Kraus, ich verneige mich vor Deinem Vater. Unter den Faschisten zahlten die Kommunisten den größten Blutzoll aller politischen Gegner in Nazi-Deutschland.

      Ganze 14 Monate war Adenauer im Amt als er im November 1951 den KPD-Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht stellte. Unter massiven Druck von Adenauer beschloss am 17.8.1956 das Bundesverfassungsgericht die KPD zu verbieten. Bereits am 17.8.1951 wurden die Kommunisten, und alles was von den Alt-BRD-Regierungen als Kommunisten diffamiert wurden, von der Staatspolizei zu Hunderttausenden verfolgt. Viele wurden zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Viele standen wieder vor ihren Blutrichtern aus der Nazi-Zeit. Hoffentlich blieb Eleonore Kraus Vater von dieser Hetzjagd verschont.

      • Eleonore Kraus schreibt:

        Lieber Johann,

        von ganzem Herzen danke ich Dir für deine mutige und aufrichtige Forschungsarbeit !

        Und nein, auch er war nicht verschont von Hass und Hetze der Adenauer Politik.
        Es gab Hausdurchsuchungen.- Seine Gewerkschaftsarbeit, er war Kassierer bei der IG Bau Steine Erden war ihm nur möglich weiterzumachen, weil seine sozialdemokratischen! Kollegen sich haben schützend und geschlossen vor ihn gestellt, als er dort rausgeschmissen werden sollte.

  2. Ronny schreibt:

    In meiner ziemlich langen politischen Arbeit im Westen war und ist immer der Kampf und die Überwindung des Antikommunismus an erster Stelle gewesen. Durch die Antikommunisten in der PdL, VVN/BdA, Rosa Luxemburg Stiftung usw. ist der Kampf noch verschärft worden.

    Bei vielen jungen Antifaschisten herrscht teilweise ein nicht mehr zu überbietender Antikommunismus. Wir als Kommunisten haben immer noch keine Klassenanalyse in der heutigen Epoche des Kapitalismus fertig gebracht und daher auch keine Strategie und Taktik entwickelt. Auf Grund der zunehmenden sozialen Spannungen wird die Rechtsentwicklung anhalten.

    Natürlich geben wir hier bei uns im Städtchen nicht auf und ergreifen jeden Ansatz. Wir sehen z.Zt. den Rechtsopportunismus in linken Organisationen als größte Gefahr für ein Erstarken der antikapitalistischen Bewegung an. Um mit Lenin zu fragen: Was tun ?, Genossen ?

    • sascha313 schreibt:

      Vielen Dank für deine Worte, Ronny. Ja, das ist tatsächlich ein Problem. So mancher Versuch ist in den letzten 30 Jahren schon gescheitert. Und wie oft haben wir feststellen müssen, daß gerade unter denen, die sich bisher für Fortgeschrittensten hielten, noch erhebliche Unklarheiten bestehen.

      Nun ist es sicherlich nicht ratsam, sich sämtliche Werke der Klassiker des Marxismus „einverleiben“ zu wollen! Doch lernen müssen wir alle. Ich denke aber, wir sollten zwei Dinge tun:
      1. Gegen den Antistalinismus vorgehen, denn das ist der Hauptgrund für die Abkehr vom Kommunismus, und
      2. Das Gespräch suchen mit denjenigen, die für Veränderungen aufgeschlossen sind. Mit den anderen hat es wenig Sinn, zu diskutieren.

      • Ronny schreibt:

        Da geb ich dir Recht, Sascha. Wir versuchen z.B. aus der verfemten DDR und sowjetischen Literatur vieles herauszufiltern und für den Alltag zu verwenden. Sehr schwierig ist es allerdings gute Genossen zum ML Studium, zumindest der Grundbegriffe zu bewegen. Gerade im Bereich Diamat gibt es erheblichen Lücken und das zeigt sich dann in oftmals unproduktiven Debatten. Wie sagte Teddy, „keine revolutionäre Praxis ohne revolutionäre Theorie.“ In diesem Sinne müssen wir in unserem Umfeld immer wieder Überzeugungsarbeit leisten.

      • sascha313 schreibt:

        100%… Teddy hatte recht! Und wer lesen kann, ist klar im Vorteil. Kennst Du die Taubenfußchronik? Ich hab sie von Kurt Gossweiler bekommen – eine Riesen-Lektion in Geschichte! Wir hatten in der DDR das Glück, den dialektischen und historischen Materialismus im FDJ-Studienjahr und dann ausführlich in der 11./12. Klasse bzw. beim Studium kennenzulernen, denn ML war ein Pflichtfach..

        Wer nachlesen will: Das Zitat stammt übrigens von Lenin („Was tun?“, LW Bd.5, S.379). Im Original lautet es so: „Ohne revolutionäre Theorie kann es auch keine revolutionäre Bewegung geben.“ Es wurde auch von Stalin so zitiert („Über die Grundlagen des Leninismus“, SW, Bd.6, S.79). In etwas abgewandelter Form hier aber auch von E.Thälmann und anderen Genossen.

  3. Ronny schreibt:

    Ja, ich hatte das große Glück ihn noch persönlich am Thälmanndenkmal in Berlin kennen zu lernen. Leider war er da schon im Rollstuhl. Ein großartiger Marxist. Bei dieser Gelegenheit möchte ich dir, Sascha, für deine Arbeit danken. Ich habe in den ganzen Jahren viele Anregungen und Fakten von dir nutzen können. Mach weiter so !

  4. Pingback: Sascha's Welt

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