Die unterschiedlichen Auffassungen von einer Weltanschauung waren schon immer ein Streitpunkt zwischen den Materialisten und den Anhängern eines philosophischen Idealismus. Immer wenn das deutsche Proletariat im Klassenkampf eine Niederlage erlitt, so 1914, 1918 und 1933, haben sich Sozialdemokraten schwer damit getan, aus dem eigenen Wirrwar ihrer Gedanken herauszufinden und zu klaren weltanschaulichen Schlußfolgerungen zu gelangen. Da ihnen der Marxismus insgesamt als zu „dogmatisch“ erschien, bemühten sie sich nach allen Regeln revisionistischer Kunst, ihre Theorien so zurechtzubiegen, daß sie ihrer opportunistischen Praxis entsprachen. Als gegen Ende der 1940er Jahre in Berlin die ersten Exemplare der Monatsschrift „Das sozialistische Jahrhundert“ herauskamen, schien das Chaos nur noch größer zu werden. Der marxistische Wissenschaftler Fred Oelßner erklärt, warum das so war und welche Lehren man aus der Vergangenheit ziehen muß.
Der Marxismus – eine einheitliche Weltanschauung
Die Grundlage des ganzen theoretischen Gebäudes des Marxismus ist seine Philosophie, der dialektische Materialismus. Die ökonomische Lehre, die Staatslehre, die Lehre vom Klassenkampf usw. ergeben sich aus der Anwendung des dialektischen Materialismus auf die menschliche Gesellschaft. Die marxistische Lehre ist eine einheitliche Weltanschauung. Dies war die Ansicht von Marx und Engels selbst, dies war die Ansicht aller bedeutenden Marxisten. Um den früheren Beweisen noch ein Beispiel anzufügen: Der bedeutende marxistische Philosoph Georg Plechanow schrieb: „Der Marxismus ist eine ganze Weltanschauung. Er ist, kurz ausgedrückt, der moderne Materialismus, der die zur Zeit höchste Entwicklungsstufe der Weltanschauung darstellt.“ [1]
Die hochtrabenden Phrasen der Marxfälscher
Die Auffassung, daß der Marxismus eine neue, die fortschrittlichste Weltanschauung, darstellt, war bisher allgemein anerkannt, daß sogar ein solcher Exponent der Marxfälschung wie Klaus Peter Schulz im „Sozialistischen Jahrhundert“ davon sprach. Im November 1946 schrieb er über „Die geistigen Aufgaben der sozialistischen Gegenwart“. In diesem Aufsatz wimmelt es geradezu von „Weltanschauung“. Da ist von „weltanschaulicher Vertiefung“, von „Auseinandersetzungen um die Weltanschauung“, von „unseren weltanschaulichen Gegnern“ und schließlich von den „tiefsten Gehalten unserer sozialistischen Weltanschauung“ die Rede.
…der Wind hat sich gedreht
Ein paar Monate später, im April 1947, sprach derselbe Schulz in seiner Polemik gegen den „christlichen Sozialisten“ v. d. Gablentz zwar auch noch von Weltanschauung, hatte sich inzwischen aber schon so gemausert, daß er nicht mehr von sozialistischer Weltanschauung sprach, sondern meinte, „die wahre Menschlichkeit, in die auch die großen Seher und Propheten vom alten Indien über Plato, Angelus Silesius und Goethe bis zu Rainer Maria Rilke eingeschlossen sind, ist das geistige Fundament einer neuen, bergeversetzenden Weltanschauung.“ [2]
Auf schnurgeradem Wege hin zum Antikommunismus
Hier wurden Marx und Engels bereits schamhaft verschwiegen und die sozialistische Weltanschauung der Arbeiterklasse durch einen bunten Mischmasch von philosophischem Idealismus und Mystizismus ersetzt. Das war bei Schulz freilich nur der Übergang zur restlosen Preisgabe und Entstellung des Marxismus. Inzwischen war ja mit der Truman-Doktrin auch der kompakte ideologische Angriff gegen den Kommunismus eröffnet worden. Dieser Angriff richtete theoretisch seinen Hauptstoß gegen die weltanschaulichen Grundlagen des Marxismus, in der richtigen Erkenntnis, daß diese das unerschütterliche Fundament der sozialistischen Bewegung sind.
Versunken im Sumpf des bürgerlichen Mystizismus
Klaus Peter Schulz beeilte sich, den Anschluß an die ideologischen Vorausabteilungen des amerikanischen Monopolkapitals nicht zu verpassen. Bedenkenlos warf er über Bord, was er noch ein halbes Jahr vorher geschrieben hatte und stellte im Juli 1947 in derselben Zeitschrift die grundlegende Frage „Ist der Sozialismus eine Weltanschauung?“, um sie in dem Sinne zu lösen, daß „dem Sozialismus seine vermeintliche weltanschauliche Würde genommen wird.“ [3] In diesem Aufsatz ist Schulz nicht nur gedanklich, sondern auch sprachlich ganz im Sumpf des bürgerlichen Mystizismus versunken. Man sehe sich nur dieses Kauderwelsch an! Er schreibt:
„Kein Unvoreingenommener wird mehr leugnen wollen, daß hinter dem Beweisbaren das Reich der Spekulation beginnt, wobei es völlig gleichgültig ist, ob man hier das verborgene göttliche Prinzip oder das absolute Nichts vermutet: in keinem Falle ist jenes Reich der Spekulation dem menschlichen Verstande kommensurabel. Daraus erhellt, daß die Weltanschauung vom wissenschaftlichen Standpunkte aus immer etwas Hypothetisches sein wird und sein muß … Damit ist die Weltanschauung als etwas eindeutig Individuelles definiert: nur in der Seele des einzelnen wird ihre eigentliche Heimat, die subtile Sphäre des Transzendentalen, in Bildern und Symbolen plastisch und gewinnt ihre eigentümliche Identität. Hieraus ergibt sich, daß jeder Mensch eine andere Weltanschauung besitzt und daß dieser empfindliche Begriff keine allgemeine Kollektivierung uerträgt.“ [4]
Phrasen, Phrasen – nichts als Phrasen…
Welch anderen Zweck sollten denn diese verschrobenen Phrasen haben, als dem erstaunten Leser Ehrfurcht vor dem „gelehrten Genie“ Klaus Peter Schulz einzuflößen und dadurch die ganze geistige Armut und Gedankenlosigkeit dieses Gewächses zu verdecken?
„Kein Unvoreingenommener wird mehr leugnen wollen, daß hinter dem Beweisbaren das Reich der Spekulation beginnt“ orakelt Schulz. Doch, das leugnet der Marxismus ganz entschieden! Hinter dem Beweisbaren liegt weder das „göttliche Prinzip“ noch das „absolute Nichts“, sondern das weite Feld der wissenschaftlichen Forschung, in das diese immer tiefer erfolgreich eindringt! „In keinem Falle ist jenes Reich der Spekulation dem menschlichen Verstande kommensurabel“, dekretiert Klaus Peter Schulz mit erhobenem Finger. Dummes, gedankenloses Geschwätz!
Ist das Unbeweisbare auch das „Unerforschliche“?
Hätte Schulz recht, dann könnte die ganze Wissenschaft einpacken, denn welchen Zweck sollte es haben, Fragen klären zu wollen, die dem menschlichen Verstande unzugänglich sind? Die ganze Entwicklung der Wissenschaften, besonders der Naturwissenschaften, ist ein Beweis dafür, daß das „Unbeweisbare“ sehr wohl erkannt und bewiesen werden kann. Wenn die Struktur und das Wesen des Atoms vor fünfzig Jahren noch zum Klaus-Peterlichen „Reich der Spekulation“ gehörten, so hat die Atombombe sie längst in sehr drastisch beweisbare Erkenntnisse verwandelt!
Ist eine Weltanschauung etwas „Hypothetisches“?
„Weltanschauung wird und muß vom wissenschaftlichen Standpunkt aus immer etwas Hypothetisches sein.“ Ein längst durch die Naturwissenschaften überwundener Standpunkt. Hatte schon Laplace in seiner „Mechanique celeste“ die Hypothese des Schöpfers nicht nötig, so läßt unser Weltbild, wie schon Engels feststellte, dafür überhaupt keinen Raum mehr. Der große Fortschritt des dialektischen Materialismus bestand doch gerade darin, daß er die wissenschaftliche Weltanschauung schuf!
Der Unsinn von der „individuellen“ Weltanschauung
„Weltanschauung ist etwas eindeutig Individuelles“, „jeder Mensch besitzt eine andere Weltanschauung“, „dieser Begriff verträgt keine allgemeine Kollektivierung“. Geistloses Wiederkäuen längst widerlegter Ansichten des subjektiven Idealismus! Hätte Schulz nur ein bißchen nachgedacht, dann hätte er sich gehütet, solche „hypothetischen“ Argumente anzuführen. Denn selbst die unwissenschaftlichen Weltanschauungen, wie sie vor dem Marxismus herrschten, wurden von der Geschichte nur registriert, weil sie nicht nur „in der Seele des einzelnen in Bildern und Symbolen plastisch“ wurden, sondern weil sie Massenideologien waren. Die großen Religionen, der Buddhismus, der Islam, das Christentum usw. haben ihre geistige und auch weltliche Rolle darum gespielt, weil sie einer „allgemeinen Kollektivierung“ unterworfen waren, d.h. Massenreligionen bildeten. Für die Welt- und Bauchschmerzen individualistischer Intellektueller hat die Geschichte überhaupt kein Interesse.
Geistige Tiefflieger…
Es zeigt sich, daß die ganze „Widerlegung“ der marxistischen Weltanschauung bei Klaus Peter Schulz auf einem so erbärmlich niedrigen Niveau steht, daß es schon einer recht geschwollen-gelehrten Sprache bedarf, um diese Armseligkeit zu verdecken. Aber Schulz ist nicht der einzige, der Attacken gegen die marxistische Weltanschauung reitet. Im „Sozialistischen Jahrhundert“ blasen Walter May, Ernst Tillich, Hermann L.Brill u. a. in das gleiche Horn.
Die westdeutschen Meinungsmacher und ihr neuer „Marxismus“
Besonders aber in Westdeutschland macht sich diese platte Marxverfälschung immer mehr breit. So erschien beispielsweise in Hamburg eine Broschüre von Ernst Böse „Materialistische Geschichtsauffassung“, die sich angeblich die Aufgabe stellt, „eine junge Generation, die jetzt wieder die Möglichkeit hat, sich eine eigene Meinung zu bilden, mit der Haupttheorie von Karl Marx vertraut zu machen“. Diese Schrift zeichnet sich dadurch aus, daß in ihr mit dummdreister Unverfrorenheit der Marxismus verfälscht und aus Marx ein idealistischer Durchschnittsphilosoph gemacht wird. In dieser Broschüre lesen wir:
„Aus zwingenden Gründen aber kann der Marxismus, wird er einmal als strenge Wissenschaft begriffen, gar keine Weltanschauung sein. Jede Weltanschauung geht vom Zusammenhang der ganzen Welt, der natürlichen und gesellschaftlichen aus und will unter Überschreitung unserer Erfahrung und unseres Wissens in das innere Wesen der Dinge eindringen, das wissenschaftlich nicht mehr erfaßt werden kann. Jede Weltanschauung entwickelt eine bestimmte Auffassung vom Sinn und Wert der Welt, die wissenschaftlich nicht beweisbar ist.“ [5]
Wissenschaftsfeindliche Hirngespinste
Die Argumentation Böses steht auf der gleichen Höhe wie die des Klaus Peter Schulz. Auch er ist der agnostizistischen Ansicht, das innere Wesen der Dinge könne wissenschaftlich nicht mehr erfaßt werden. Jeder Studiosus könnte ihn darüber belehren, daß die Aufgabe aller Wissenschaft gerade darin besteht, ins innere Wesen der Dinge einzudringen und die Gesetze ihrer Entwicklung zu erkennen.
Die Anhänger dieser agnostizistischen Anschauung machen, wie in unserem Falle, geltend, daß Wissenschaft und Weltanschauung streng getrennt werden müßten. Erstere behandele die reale Welt, das Beweisbare und Erkennbare, während die Weltanschauung nach dem „Sinn und Wert der Welt“ frage, die wissenschaftlich nicht beweisbar seien.
Der ganze Denkfehler dieser Auffassung beruht darauf, daß sie in die Welt (Natur und Gesellschaft) von sich aus einen „Sinn und Wert“ hineinträgt, der objektiv gar nicht vorhanden ist.
Gibt es eine „höhere geistige Ordnung“?
Worin besteht denn, so erkläre man uns, der „Sinn und Wert“ einer Kopflaus? Es ist möglich und erstrebenswert, die Kopfläuse (auch die in den Köpfen gewisser Literaten) restlos auszurotten, ohne daß die Welt etwas von ihrem Sinn und Wert einbüßt! Wenn diese Mystiker eine Pflanze betrachten, dann wittern sie in ihr eine „geistige Ordnung“ oder ein „göttliches Prinzip“ und erstarren vor Ehrfurcht, weil sie diese eingebildeten Geheimnisse mit ihrem simplen Verstande nicht begreifen können. Bis schließlich ein Naturforscher kommt und die „geistige Ordnung“ in die dialektischen Entwicklungsgesetze dieser Pflanze auflöst. Und darin besteht eben unsere materialistische Weltanschauung, daß sie die Dinge so nimmt, wie sie wirklich sind, ohne irgendeinen übersinnlichen Schnickschnack hineinzugeheimnissen.
Die Praxis ist das Kriterium der Theorie
Der Beweis für die Richtigkeit unserer Erkenntnisse ist die praktische Erfahrung. Das gilt auch für unsere marxistische Weltanschauung. Es kann keine wissenschaftliche und keine kollektive Weltanschauung geben, behaupten die Marxkritiker. Nun, seit hundert Jahren ist der von Marx und Engels entdeckte dialektische Materialismus das wirksame Werkzeug aller wissenschaftlichen Forschung. Der dialektische Materialismus wurde zur Weltanschauung Hunderter von Millionen und in der großen Sowjetunion wurde auf der Grundlage dieser Weltanschauung die alte Gesellschaftsordnung gestürzt und der Sozialismus errichtet. Ist das nicht der schlagendste Beweis für die Richtigkeit der marxistischen Weltanschauung?
[1] Georg Plechanow: „Grundprobleme des Marxismus“, Stuttgart 1910, S. 7.
[2] „Das Sozialistische Jahrhundert“, April 1947, S.182.
[3] Ebenda, Juli 1947, S.279.
[4] Ebenda, S. 278.
[5] Ernst Böse: „Materialistische Geschichtsauffassung“, Hamburg 1947, S. 9.
Quelle:
Fred Oelßner: „Der Marxismus der Gegenwart und seine Kritiker“, Dietz Verlag, Berlin 1948, S.86-91.
Anhang
Was ist eine Weltanschauung?
Eine Weltanschuung ist eine Gesamtheit von Auffassungen über die Natur, die gesellschaft und das Denken, vion Überzeugungen und Grundsätzen (Prinzipien), nach denen die Menschen ihre Ziele setzen und ihr Handeln ausrichten. Jeder Mensch entwickelt seine Weltanschauung aus Kenntnissen, Grundsätzen und Erfahrungen, die er übernimmt und an seinen eigenen Erfahrungen in der praktischen Auseinadersetzung mit seiner Umwelt mißt. Da die Weltanschuung Richtung und Aktivität des Handelns der Menschen entscheidend beeinflußt, haben die herrschenden Klassen seit der Sklavenhaltergesellschaft ein grundlegendes Interesse daran, deren Entwicklung in ihrem Sinne zu bestimmen.
Zur Weltanschauung gehören vor allem Philosophie, Religion, Moral und Kunst. Kern jeder Weltanschauung sind die philosophischen Anschauungen und Überzeugungen. Daher unterscheiden wir nach ihrer Antwort auf die → Grundfrage der Philosophie materialistische und idealistische Weltanschauungen. In der Klassengesellschaft trägt jede Weltanschauung Klassencharakter, da sie Klasseninteressen ausdrückt und begründet.
Die einzig wissenschaftliche Weltanschauung in der Geschichte ist die Weltanschauung der Arbeiterklasse, die von K.Marx, F.Engels und W.I. Lenin begründet wurde. Sie beruht auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen über Natur, Gesellschaft und Denken und ist eine auf die Verwirklichung der welthistorischen Mission des Proletariats gerichtete Anleitung zum praktisch-revlutionären Handeln. Gerade deshalb richten sich die bürgerlichen Ideologen vornehmlich ihre Angriffe auf sie.
Für die Jugend ist daher die Aneignung der marxistisch-leninistischen Weltanschauung als ein Kompaß für das Leben von entscheidender Bedeutung. Sie befähigt uns, die ganze Kompliziertheit der inneren und äußeren Entwicklungsbedingungen zu begreifen und die Sache des gesellschaftlichen Fortschritts zu vertreten und durchzusetzen.
Na das passt doch, Zitat: „Durch die kategorische Ablehnung der Persönlichkeit und damit der Nation und ihres rassischen Inhalts zerstört sie die elementaren Grundlagen der gesamten menschlichen Kultur, die gerade von diesen Faktoren abhängig ist. Dieses ist der wahre innere Kern der marxistischen Weltanschauung, sofern man diese Ausgeburt eines verbrecherischen Gehirns als ,Weltanschauung‘ bezeichnen darf.“ (aus: Mein Kampf)
Unverkennbar woher dieser Schulz sein „Wissen“ hat.
Je mehr man von diesen westdeutschen Meinungsmachern liest, desto deutlicher wird, aus welchen trüben Quellen sie schon damals ihre „Weisheiten“ schöpften.