Dr. Fritz Klein: Zur Bedeutung der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution (1953)

20143011_revoluciaAls der ehemalige Privatsekretär und enge Vertraute Gustav Stresemanns, Henry Bernhard, 1932 Stresemanns Nachlaß in drei umfangreichen Bänden herausgab, war ihm, wie er in einem Vortrag im Oktober 1949 aus Anlaß von Stresemanns zwanzigsten Todestag in Berlin erklärte, zuvor vom Auswärtigen Amt die Publikation derjenigen Dokumente untersagt worden, die das Verhältnis Deutschlands zur Sowjetunion betrafen. Man befürchtete da wohl, einige unbequeme Wahrheiten lesen zu müssen. So konnte der DDR-Historiker Dr. Fritz Klein auch nur auf das zurückgreifen, was ihm an den umfangreichen Werken Lenins und Stalin, der sowjetischen Wissenschaft, aus der Memoirenliteratur und an Parlamentsberichten u.dgl. zur Verfügung stand. Es ist klar, daß die antikommunistischen und DDR-feindlichen Auftragssschreiberlinge heute erst recht versuchen, die geschichtlichen Zusammenhänge zu verfälschen und zu ihren Gunsten umzudeuten. Doch mit Fritz Klein äußert sich ein sachkundiger Zeitzeuge, der Geschichte nicht nur aus eigenem Erleben, sondern auch aus wissenschaftlicher Sicht in ihrer materialistischen Dialektik zu beurteilen imstande ist.

Die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik, als erstem sozialistischen deutschen Arbeiter-und Bauern-Staat, war für uns zugleich Chance und moralische Verpflichtung. Es ist wohl auch einmalig in der Geschichte, daß eine militärische Siegermacht einem besiegten Land die Möglichkeit bot, ein eigenes souveränes Staatswesen aufzubauen. Für die Bürger bedeutete das aber auch, wenigstens einen kleinen Teil dieser unermeßlichen Schuld, die das deutsche Volk durch den heimtückischen und barbarischen, faschistischen Überfall auf die Sowjetunion auf sich geladen hatte, wieder abzutragen, wobei vom Volk der DDR fast die gesamten Reparationen an die Sowjetunion allein getragen wurden, sich darüberhinaus aber – ganz im Sinne Lenins und Stalins – enge freundschaftliche Beziehungen zu den Völkern der Sowjetunion entwickelten.

Ohne die große Sozialistische Oktoberrevolution und ohne den bedeutsamen Sieg der Sowjetunion über den deutschen Faschismus hätte es nie eine sozialistische DDR gegeben. Wir hatten in der DDR 40 Jahre lang die Möglichkeit, den Sozialismus aufzubauen, was uns auch gelang. Doch die politischen Umstände (die subversive Zerstörung der UdSSR und die massive ideologische Beeinflussung der Bürger unseres Landes) führten nach mehreren vergeblichen Versuchen 1990 zum konterrevolutionären Sturz des Sozialismus und zur Restauration kapitalistischer Produktionsverhältnisse. Daß dies gelang, lag vor allem daran, daß wichtige Grundsätze des sozialistischen Aufbaus nicht eingehalten worden waren. Damit bewahrheitete sich Lenins Warnung [1]:

„Man darf nicht vergessen, daß man zugrunde gehen kann unter Verhältnissen, wo die Schwierigkeiten zwar groß sind, der Untergang aber nicht im allergeringsten zwangsläufig ist.“ 


Aber sei’s drum – die Frage ist doch: Warum hat es sich gelohnt, den Versuch zu unternehmen, in einem und in weiteren Ländern Europas und der Welt den Sozialismus aufzubauen? Worin bestand und besteht wenigstens für uns, die wir den Sozialismus kennenlernen durften, auch heute noch die große Anziehungskraft dieser Gesellschaftsform? Warum ist – wie Peter Hacks es ausdrückte – „der schlechteste Sozialismus immer noch besser ist als der beste Kapitalismus“? [2] Nun muß man allerdings auch sagen, daß es einen „guten Kapitalismus“ nicht gibt, ebensowenig wie man dem Sozialismus das Etikett „gescheitert“ anheften kann. So billig kommen sie nicht davon, diese Damen und Herren Markt-Apologeten…

Den nun folgenden Text muß man aus dem Geist jener Zeit (1953) heraus verstehen, denn es dürfte wohl auch klar sein, daß es zwischen einem sozialistischen und einem imperialistischen Staat niemals freundschaftliche Beziehungen geben kann. Ebenso ist es vergeblich, von der Arbeiterklasse in den kapitalistischen Ländern eine Unterstützung des revolutionären Kampfes abzuwarten. Wäre das ein Grundsatz der Bolschewiki gewesen, hätte es die Oktoberrevolution nicht gegeben. Doch die entscheidende Erkenntnis aus den nachfolgenden Überlegungen besteht darin:

  1. Der Sozialismus hat in der Sowjetunion den Beweis erbracht, daß er innerhalb von kürzester Zeit in der Lage ist, eine ökonomische Basis aufzubauen, mit Hilfe derer sich alle sozialen, ökologischen und sicherheitspolitischen Fragen lösen lassen.
  2. Der Aufbau des Sozialismus ist nur möglich, wenn eine störungsfreie Entwicklung im Frieden, unter der Bedingung der friedlichen Koexistenz gewährleistet ist.
  3. Die Geschichte hat gezeigt, daß der Frieden nur gesichert ist, wenn die globale Macht des Imperialismus gebrochen ist.
  4. Ohne eine bewußte und planmäßige ideologische Massenarbeit und die Mobilisierung der gesamten Arbeiterklasse ist der Kampf um den Sieg des Sozialismus nicht realisierbar.

DIE BEDEUTUNG DER GROSSEN SOZIALISTISCHEN OKTOBERREVOLUTION FÜR DIE GESTALTUNG DER INTERNATIONALEN BEZIEHUNGEN

von Fritz Klein

Die vorliegende Arbeit behandelt ein Gebiet der internationalen Beziehungen der Neuesten Geschichte. Sie setzt ein mit dem Jahr 1917, dem Jahr der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, und es ist notwendig, der eigentlichen Darstellung eine knappe Skizzierung der grundsätzlich neuen Bedingungen voranzustellen, die durch die Revolution in Rußland für die Gestaltung der internationalen Beziehungen geschaffen worden sind. Es wird sich zeigen, daß in der Tat seit 1917 eine grundsätzlich, qualitativ neue Situation in der Welt besteht. Sie muß deutlich gesehen werden, wenn man die historischen Vorgänge seit dem Ende des ersten Weltkrieges richtig verstehen will.

Die Wut der Imperialisten

Der ehemalige deutsche Reichskanzler Prinz Max von Baden schrieb in seinen Erinnerungen über die Wirkung der Oktoberrevolution auf Deutschland, man habe das „unheimliche Gefühl“ gehabt, daß der Sieg der Bolschewiki in Ruß­land all denen in Deutschland den Rücken stärke, die den Krieg „stören“ wollten. [3] Das ist nur ein willkürlich herausgegriffenes Beispiel für die ängst­liche Wut, mit der die Imperialisten aller Länder die Oktoberrevolution be­trachteten. Es ist deshalb ein gutes Beispiel, weil es deutlich nicht nur die Wut eines Imperialisten über die Revolution zu erkennen gibt, sondern auch mit seltener Offenheit sagt, daß diese Wut wesentlich daher kommt, daß der Krieg gestört, daß der Friede gestärkt wird.

Die Macht in den Händen des Proletariats

In der Großen Sozialistisehen Oktoberrevolution kam die allgemeine Krise des Kapitalismus offen zum Ausbruch, deren Hauptmerkmal darin besteht,

„daß der Kapitalismus nicht mehr ein einziges und allumfassendes System der Weltwirtschaft darstellt, daß neben dem kapitalistischen Wirtschaftssystem das sozialistische System besteht, das wächst, das gedeiht, das dem kapitalistischen System entgegengesetzt ist und das schon allein durch die Tatsache seines Bestehens die Fäulnis des Kapitalismus demonstriert und seine Grundlage erschüttert“. [4]

 Ein Menschheitstraum wird Wirklichkeit

Die kapitalistische Welt reagierte deshalb so stark auf die russische Revolu­tion. weil durch sie ein großes Land die Ketten des Imperialismus sprengte, die bis dahin die ganze Welt in Banden hielten. Das aber bedeutete, daß der Imperialismus überhaupt in Frage gestellt war: denn die Praxis hatte be­wiesen, daß die Menschheit über ihn hinausschreiten konnte. Kein Wunder: daß die ganze imperialistische Welt erzitterte. Das große Beispiel Sowjet­rußlands mußte die Kräfte jener vervielf achen, die in allen Ländern für eine höhere Gesellschaftsform kämpften. Es mußte zugleich die Kräfte jener läh­men, die die alte Gesellschaftsform verteidigten und die bis 1917 das „Argu­ment“ für sich ins Feld hatten führen können, daß ihre Gegner Phantasten, Utopisten, Träumer seien.

Beispielgebend für die ganze Welt

1917 entstand ein neuer Gegensatz in der internationalen Arena, der die bis­her vorhandenen Gegensätze überschattete und zum entscheidenden Gegen­satz wurde. Die Schärfe dieses Gegensatzes entspringt daraus, daß allein die Tatsache der Existenz eines oder mehrerer Länder in der Welt, in der die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen aufgehoben ist, den einfachen Menschen in der imperialistischen Welt beweist, daß das möglich ist. Die unterdrückten und ausgebeuteten Klassen werden so dazu gebracht, gegen ihre herrschen­den Klassen und Regierungen Stellung zu nehmen, deren Position auf der Aufrechterhaltung der Ausbeutung beruht.

Die aggressive Tendenz des Kapitalismus

Wie steht es nun mit den Beziehungen zwischen der Sowjetunion und kapi­talistischen Ländern? Ist es möglich, daß trotz der tiefgreifenden Gegensätze friedliche Beziehungen zwischen kapitalistischen Ländern und der Sowjet­union bestehen? Auf dem XVI. Parteitag der KPdSU (B) im Jahre 1930 hat Stalin grundsätzliche Ausführungen über die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und kapitalistischen Ländern gemacht. Er ging dabei von dem entscheidenden Gegensatz zwischen den Lagern in der Welt aus. Dieser Gegen­satz, sagte er, „legt alle Gegensätze des Kapitalismus bis auf die Wurzeln bloß und schürzt sie zu einem Knoten zusammen, indem er sie in die Frage von Sein oder Nichtsein der kapitalistischen Ordnung selbst verwandelt“. [5] Daher rührt die aggressive Tendenz in der Politik der kapitalistischen Länder, die Tendenz zur Entfesselung eines Krieges gegen. die Sowjetunion, mit dem Ziel, die Gegensätze und Schwierigkeiten der Weltbourgeoisie auf Kosten der Sowjetunion zu lösen. Diese Tendenz trat in den ersten Jahren nach 1917 in den Interventionskriegen gegen Sowjetrußland zunächst in den Vordergrund.

Sehnsucht der Welt nach Frieden

Es gibt aber, betonte Stalin, nicht nur diese aggressive Tendenz im Lager der kapitalistischen Länder, sondern auch eine andere, entgegengesetzte. Diese Tendenz drängt zur Wahrung friedlicher Beziehungen mit der Sowjet­union. Sie ist die Folge der Stärke der Sowjetunion, die in ihrem Sieg über die Interventionsarmeen zum Ausdruck kam und ihrer danach ständig wachsenden Macht; sie ist die Folge der Stimmung der Arbeitermassen in den kapitalistischen Ländern, die von einem Krieg gegen die Sowjetunion nichts wissen wollen; sie ist die Folge der Überlegungen eines Teiles der Kapitalisten, der an Handelsbeziehungen zur Sowjetunion interessiert ist, weil er von ihnen wirtschaftlichen Vorteil hat.

„Somit haben wir“, sagte Stalin, „zwei Reihen von Faktoren und zwei verschiedene Tendenzen, die in entgegengesetzter Richtung wirken:
1. eine Politik der Untergrabung der Wirtschaftsbeziehungen der Sowjet­union zu den kapitalistischen Ländern, provokatorische Vorstöße gegen die Sowjetunion, offene und versteckte Arbeit an der Vorbereitung der Intervention gegen die Sowjetunion…
2. Sympathien für die Sowjetunion und ihre Unterstützung seitens der Arbeiter der kapitalistischen Länder. Anwachsen der ökonomischen und politischen Macht der Sowjetunion, wachsende Werbefähigkeit der Sowjetunion, die von der Sowjetunion unentwegt befolgte Friedenspolitik…“ [6]

Das Dekret über den Frieden

Eines der ersten Dekrete der Sowjetregierung war das berühmte Dekret über den Frieden. [7] Ein entscheidender Auftrag des Volkes an die Sowjetregierung war die Herbeiführung des Friedens, und sie hat bekanntlich alles getan, um diesen Auftrag zu erfüllen. Es war die konsequente Friedenspolitik der Sowjet­regierung, die sie dazu veranlaßte, an der Konferenz von Genua im Früh­jahr 1922 und an den Arbeiten der Abrüstungskommission des Völkerbundes Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre teilzunehmen. Sie hat vom ersten Moment ihres Bestehens an jene Politik verfolgt, die Stalin im Jahre 1939 so formuliert hat: ·

„Wir sind für den Frieden und für die Festigung sachlicher Beziehungen mit allen Ländern. Auf diesem Standpunkt stehen wir und werden wir stehen, soweit diese Länder eben solche Beziehungen zur Sowjetunion unterhalten werden, soweit sie nicht versuchen, die Interessen unseres Landes zu verletzen.“ [8]

Der Frieden muß bewaffnet sein…

So ist es kein Zufall, sondern die Konsequenz einer von Anfang an betriebenenn Politik, daß die Sowjetunion heute an der Spitze all jener Kräfte steht steht, die für den Frieden in der Welt kämpfen. Es gibt also in der sowjetischen Außenpolitik nur eine Tendenz, die Tendenz des Friedens. Das kann auch nicht anders sein, denn wo gibt es in der Sowjet­union Menschen oder Gruppen von Menschen, die an einem Krieg Interesse haben könnten? Der deutsche Großindustrielle Edmund Hugo Stinnes bemerkte in einem Privatbrief im Juni 1931, daß einer der Hauptgründe für den Eintritt der USA in den Weltkrieg die Verschuldung der Entente an Wallstreet gewesen sei. „Ich kenne genau höchst interessante Einzelheiten hierüber und weiß, daß J.P. Morgan vor dem Zusammenbruch stand, wenn seine Guthaben in Frankreich und England nicht durch den Eintritt der USA in den Weltkrieg gutgemacht wurden…“

Warum hat der Sozialismus kein Interesse am Krieg?

Diese kleine Bemerkung zeigt mit großer Deutlichkeit einen fundamentalen Unterschied zwischen einem imperialistischen Land und der Sowjetunion. Es gibt bekanntlich in der Sowjetunion keine Morgans und Rockefellers, keine Personen, die im Besitze entscheidender wirtschaftlicher Machtpositionen, in Wahrheit den Staat be­herrschen und ihn zum Kriege treiben können, wenn ihr Privatinteresse es ver­langt. Weil es sie nicht gibt, betreibt die Sowjetunion eine Friedenspolitik – nicht aus taktischen Erwägungen, die sich in einer neuen Situation ändern können, sondern prinzipiell. Sie muß eine Friedenspolitik treiben, weil nur im Frieden ihr großes Ziel, der Aufbau des Sozialismus und des Kommunis­mus, erreicht werden kann. Sie kann nur eine Friedenspolitik treiben, kraft ihrer sozialistischen Gesellschaftsordnung, und in diesem Umstand liegt die Garantie für die Konsequenz und Sicherheit ihrer Friedenspolitik.

Das Prinzip der friedlichen Koexistenz

Aus diesen beiden Tatsachen, der konsequenten Friedenspolitik der Sowjet­union und der Existenz einer zum Frieden mit der Sowjetunion neigenden Tendenz in der Politik der kapitalistischen Länder, ergibt sich die Theorie Lenins und Stalins über das friedliche Nebeneinanderbestehen zweier Systeme in der Welt, des sozialistischen und des kapitalistischen Systems. [9] Im Februar 1920 hat Lenin den Gedanken der Möglichkeit des friedlichen Nebeneinanderbestehens zuerst ausgesproohen, als er einem amerikanisehen Korrespondenten die Frage, ob ein Friede zwisehen den USA und der Sowjetunion möglich sei, bejahend beantwortete.

Handel als Alternative zum Krieg

Die Grundlage dieses Friedens müsse sein, daß die amerikanischen Kapitalisten die Sowjetunion in Frieden lassen. Im November des gleichen Jahres, nach der Zerschlagung der Intervention, stellte Lenin fest, daß sich Sowjetrußland Bedingungen gesichert habe, unter denen es neben den kapitalistischen Staaten bestehen könne. [10] Dieselbe Auffassung lag den Worten Lenins zugrunde, wenn er hinsichtlich der Konferenz von Genua sagte, …daß wir nicht als Kommunisten, sondern als Kaufleute nach Genua gehen. Wir müssen Handel treiben, und sie müssen Handel treiben“. [11]

Die Strategie des gegenseitigen Vorteils

Ausführlich und wiederholt hat dann Stalin von der Möglichkeit des fried­lichen Nebeneinanderbestehens zweier Systeme gesprochen, vor allem in sei­ner Unterredung mit der ersten amerikanischen Arbeiterdelegation im Jahre 1927. In bezug auf Abkommen zwischen der Sowjetunion und kapitalisti­schen Ländern auf dem Gebiete der Wirtschaft, des Handels und der diplo­matischen Beziehungen sagte Stalin:

„Ich glaube, daß das Bestehen zweier entgegengesetzter Systeme – des kapitalistischen Systems und des sozialistischen Systems – die Möglich­keit solcher Abkommen nicht ausschließt. Ich glaube, daß solche Ab­kommen in einer Zeit der friedlichen Entwicklung möglich und zweck­mäßig sind. Export und Import sind die geeignetste Basis für solche Abkommen. Wir brauchen Maschinen, Rohstoffe (zum Beispiel Baum­wolle), Halbfabrikate (der Metallindustrie und anderer), die Kapitalisten aber brauchen einen Absatzmarkt für diese Waren. Da haben sie eine Basis für Abkommen. Die Kapitalisten brauchen Naphta, Holz, Ge­treide, wir aber brauchen einen Absatzmarkt für diese Waren. Da haben sie eine weitere Basis für Abkommen. Wir brauchen Kredite, die Kapi­talisten brauchen gute Zinsen für diese Kredite. Da haben sie eine weitere Basis für Abkommen, diesmal in Kreditfragen, wobei bekannt ist, daß die Sowjetorgane die pünktlichsten Zahler in Kreditangelegen­heiten sind.

Dasselbe kann man bezüglich des diplomatischen Bereichs sagen. Wir treiben eine Friedenspolitik, und wir sind bereit, mit den bürgerlichen Staaten Nichtangriffsverträge zu schließen. Wir treiben eine Friedenspolitik, und wir sind bereit, Übereinkommen über die Abrüstung zu schließen, bis zur vollständigen Abschaffung der bestehenden Armeen, was wir vor der ganzen Welt schon auf der Konferenz von Genua erklärt haben. Da haben sie eine Basis für Abkommen diplomatischer Art.“ [12]

Und weiter, auf dem XV. Parteitag der KPdSU (B) im Dezember 1927: „Die Grundlage unserer Beziehungen mit den kapitalistischen Ländern besteht darin, daß wir das Nebeneinanderbestehen zweier entgegen­gesetzter Systeme gelten lassen. Die Praxis hat dieser Einstellung völlig recht gegeben.“ [13]

Stärkung der friedlichen Kräfte

Wir sagten oben, daß die Theorie des friedlichen Nebeneinanderbestehens sich aus dem Bestehen einer Tendenz zur friedlichen Zusammenarbeit mit der Sowjetunion im Lager der kapitalistischen Länder ergibt, die ihrerseits vor allem die Folge der großen, stets wachsenden, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Macht der Sowjetunion ist. So wird es klar, daß die Losung des fried­lichen Nebeneinanderbestehens der beiden Systeme die schärfste Kampfansage gegen die aggressiven Kräfte des Imperialismus darstellt, denn sie spaltet das Lager des Imperialismus, sie stärkt die Träger der friedlichen Tendenz gegenüber denen der aggressiven Tendenz.

Mobilisierung der Volksmassen gegen Imperialismus und Krieg

Vor allem aber zieht sie das Volk, die einfachen Menschen der ganzen Erde, die im Krieg nichts zu gewinnen, sondern nur alles zu verlieren haben, auf die Seite des Lagers des Friedens und veranlaßt sie, einen ständig wachsenden Druck auf diejenigen Kräfte aus­zuüben, die an der Vorbereitung neuer Kriege arbeiten. Die scheinbar passive Losung vom friedlichen Nebeneinanderbestehen erweist sich also bei ge­nauer Prüfung als eine ungeheuer aktive, die Massen mobilisierende Losung. Das imposante Anwachsen der Weltfriedensbewegung in den letzten Jahren hat den Nachweis erbracht, daß diese Losung es in der Tat vermocht hat, die Völker der Welt gegen die Kriegstreiber zu mobilisieren.

Je stärker der Sozialismus – desto sicherer der Frieden!

Es wird schließlich klar, in welch hohem Maße die angestrengte Arbeit aller Menschen in den Staaten des Friedenslagers dazu beiträgt, den Frieden zu erhalten. Die Stärke des Friedenslagers ist die Voraussetzung für das Bestehen der Tendenz zu friedlichen Beziehungen mit der Sowjetunion im Lager der kapitalistischen Länder. Also: je stärker das Friedenslager, je mächtiger das Wachstum seiner politischen, wirtschaftlichen, kulturellen Potenz – desto größer die Chance für die Erhaltung des Friedens. Wir haben allen Grund, in dieser Hinsicht zuversichtlich zu sein. Folgende Tabellen zeigen die Entwick­lung der Industrieproduktion nach 1945 in den USA und der Sowjetunion: [14]

USA-UdSSRAuf der einen Seite Stagnation, 1946 und 1949 bedeutende Rückwärtsent­wicklung, der an sich unbedeutende Aufschwung von 1950 kennzeichnender­weise lediglich infolge der „Geschäftsbelebung“ durch den Koreakrieg, aufder anderen Seite planmäßiger und rascher Aufstieg, der die Entwicklung der vorangegangenen Jahre fortsetzt und der sich in der Zukunft immer rascher und imponierender fortsetzen wird. Die großen Wirtschaftspläne der Länder des Friedenslagers, koordiniert im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, garantieren, daß die Kraft des Friedenslagers immer mehr und in immer schnellerem Tempo anwachsen wird.

Die problematische Schuldenkrise

Fragen wir schließlich nach der internationalen Position Deutschlands zwischen 1917 und 1933. Unzweifelhaft gehörte Deutschland zum Lager des Imperialismus. Dies Lager aber ist durchzogen von einer Reihe von Gegen­sätzen. Es gab den Gegensatz zwischen England und Frankreich um die Vorherrschaft in Europa. Es gab den Gegensatz zwischen England und den USA um die wirtschaftliche Hegemonie in der Welt. Es gab schließlich den Gegen­satz zwischen den Siegermächten und den Besiegten des ersten Weltkrieges. Stalin hat das Verhältnis zwischen den Siegermächten und Deutschland ein­mal mit einer Pyramide verglichen, auf deren Spitze Amerika, Frankreich, England und so weiter wie Herren sitzen und Zahlungen verlangen, während unten Deutschland hingestreckt liegt, das seine letzten Kräfte aus sich heraus­holen und alle Kräfte einsetzen muß, um dem Befehl zur Zahlung von Mil­liarden Kontributionen nachzukommen. [15] Zweifellos eine treffende Charak­terisierung der Lage.

Das verschuldete Deutschland

Wie aber aus dieser Lage herauskommen? Es gab zwei Möglichkeiten: erstens konnte man versuchen, durch Zusammengehen mit den Westmächten, was zugleich eine mehr oder minder große Feindschaft gegen die Sowjetunion bedeutete, die Westmächte allmählich günstiger zu stimmen und durch Verhandlungen eine Abschüttelung der Lasten zu er­reichen. Dieser Versuch wurde gemacht und hat mit einem totalen Mißerfolg geendet. Noch der Youngplan bürdete 1929/30 Deutschland die Zahlung enormer Kontributionen bis zum Jahre 1988 auf. Den schlüssigsten Beweis für die Unmöglichkeit, auf diesem Wege Deutschlands Schicksal zu erleich­tern, hat vor kurzem der Druck der Hohen Kommissare erbracht, die die westdeutsche Separatregierung zwangen, die aus dem Youngplan herrührenden Schulden Deutschlands zu übernehmen.

…von einer Katastrophe in die nächste

Dieser Versuch konnte auch nicht glücken, denn Stalin hatte recht, wenn er einmal sagte, daß die Imperialisten, um Kriegsfolgen zu liquidieren, die besiegten Völker ausrauben „müssen“, daß sie den Krieg aus imperialistische Weise liquidieren müssen. [16] Dieser Mißerfolg führte dazu, daß Deutschland versuchte, durch einen Krieg die Situation zu seinem Gunsten zu wenden. Jedem ist heute klar, was bei diesem Versuch herausgekommen ist. Auf der anderen Seite konnte man versuchen, ein festes Freundschaftsverhältnis zur Sowjetunion herzustellen und darauf gestützt die eigenen Position zu verbessern. Dieser Versuch ist nicht ernsthaft unternommen worden, obwohl er allein Deutschland zu einem besseren Dasein verholfen hätte.

Das Friedensangebot der Sowjetunion

Wenn Stalin im Oktober 1949 von dem russischen und dem deutschen Volk als den Völkern in Europa sprach, die die größte Potenz zur Vollbringung von Aktionen von Weltbedeutung besitzen, und deren Zusammenarbeit den Frieden in Europa sichert, so sprach er damit nur aus, was ein Leitmotiv der sowjetischen Politik gegenüber Deutschland von 1917 an gewesen ist. Die grundsätzliche Möglichkeit friedlicher Beziehungen zwischen kapitalistischen Ländern und der Sowjetunion haben wir erkannt. Deutschland hatte als besiegtes Land besonderen Anlaß, diese Möglichkeit auszunutzen, hätte es doch in der Sowjetunion eine Stiitze in seinem gerechten Kampf gegen die imperialistische Unterdrückungspolitik der Entente finden können. Es wird im folgenden zu zeigen sein, welchen Weg die deutsche Politik gegenüber der Sowjetunion von 1917 bis 1933 tatsächlich gegangen ist, und diese Arbeit wird ihren Zweck erfüllen, wenn es ihr gelingt, aus der Darstellung von Fehlern der Vergangenheit Lehren für die Zukunft zu entwickeln.

Zitate:
[1] W.I. Lenin: Notizen eines Publizisten, Werke Bd. 33, S. 194.
[2] Peter Hacks – Marxistische Hinsichten, S. 272.
[3] Prinz Max von Baden: Erinnerungen und Dokumente, Berlin-Lepzig, 1927, S.211.
[4] J. Stalin: Politischer Bericht des ZK an den XVI.Parteitag der KPdSU, Berlin, 1947, S.18.
[5] ebd. S.21.
[6] ebd. S.22f.
]7] Der Kampf der Sowjetunion um den Frieden 1917-1929. Dokumentensammlung, Berlin, 1919, S.23ff.
[8] J. Stalin: Rechenschaftsbericht an den XVIII.Parteitag über die Arbeit des ZK der KPdSU (B). In: „Fragen des Leninismus“, Moskau 1947, 691 (deutsche Übersetzung)
[9] vgl. zu dieser Frage den Artikel von J.Kriwski „Zur Frage des friedlichen Nebeneinanderbestehens zweier Systeme“. In: „Neue Welt“, Heft 23/1950.
[10] zitiert bei J.Kriwski a.a.O., S.17.
[11] W.I. Lenin: Ausgewählte Werke in zwei Bänden, Bd.II, S.913.
[12] J. Stalin, Werke, Bd. 10, S.123.
[13] ebd. Bd.10, S.289.
[14] Angaben nach: Kusminow, „Neue Welt“, Heft 20, 1951, S.46f.
[15] J. Stalin: Politischer Bericht des ZK an den XVI.Parteitag der KPdSU, a.a.O., S.16.
[16] ebd. S.4 (deutsche Übersetzung)

Quelle:
Dr.Fritz Klein: Die diplomatischen Beziehungen Deutschlands zur Sowjetunion 1917-1932. Rütten & Loening Berlin, 1952, S.9-16.

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Siehe auch:
Kurt Gossweiler: War der Untergang des Sozialismus unvermeidlich?

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4 Antworten zu Dr. Fritz Klein: Zur Bedeutung der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution (1953)

  1. S. Erfurt schreibt:

    Schön daß der Youngplan hier mal erwähnt wird. Der ist nämlich auch einer der Gründe dafür, daß Deutschland Ende der 80er plötzlich Geld brauchte, wofür bekanntlich die DDR geschlachtet wurde. Und natürlich sorgt die BIZ auch weiterhin dafür, daß keine Reparationen bezahlt werden sondern das Geld weiterhin genau andersherum fließt. MFG

    • sascha313 schreibt:

      Die exorbitante Verschuldung der BRD wird wohl auch der Hauptgrund sein, warum nach der Liquidierung der Kommunistischen Parteien und der Beseitigung der DDR ausgerechnet die BRD (nunmehr als gesamtkapitalistisches deutsches Reich) zum Hauptfaktor der erpresserischen Corona-Politik des USA-Imperialismus ausgewählt wurde. Alle führenden Politiker der BRD sind daher erpressbar. Wer nicht spurt, der wird mundtot gemacht oder „ausgeschaltet“!

      • Erfurt schreibt:

        Ja, der BRD wurde die führende Rolle in der EU zugeteilt. Das heißt, daß die Interessen Deutscher und USA-Unternehmer unter allen Umständen durchzusetzen sind und das ist auch der Grund dafür, daß die Merkeln wie ein böses Kind im Reichstag mit den Füßen aufstampft wenn das mal nicht so laufen sollte.

        So hat die derzeit inszenierte Brexitannienblockade gar nichts mit der Mutation des Coronavirus zu tun sondern ist eine Absprache zwischen Macron und Merkel hinter denen Deutsche und Amerikanische Spekulanten stecken die an der Wallstreet ihre Geschäfte machen. Das ging also schon los noch bevor eine neue mutierte Variante des Coronavirus bekanntgegeben wurde. Und natürlich spielen auch die Briten dieses üble Spielchen mit.

        Eene mene muh und raus bist Du, so läuft das 😉

      • Erfurt schreibt:

        An der derzeitigen Kanalblockade gegen Brexitannien zeigt sich auch optisch die hoffnungslose Überproduktionskrise des real existierenden Kapitalismus. Brexit und Corona 2.0 sind nur erfunden um davon abzulenken. Der Warenstau zwischen Dover und Calais ist das Ergebnis skrupelloser Börsenspekulanten denen es scheißegal ist ob das was in den Containern ist irgendwelche menschlichen Bedürfnisse befriedigt oder im Atlantik versenkt wird.

        https://www.rolfrost.de/forum.phtml?show=62

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