Der folgende Text, erschienen im Jahre 1980 in der DDR, ist eine kleine Sensation! Der sowjetische Philosoph Georgi Alexandrowitsch Bagaturija, der übrigens im vergangenen Jahr, am 7. Februar 2020, im Alter von 90 Jahren starb, hatte sich schon in den 1970er Jahren in Auswertung der Revolutionen von 1948 und 1949 intensiv mit den Auffassungen von Karl Marx und Friedrich Engels über die Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung befaßt, woraus sich gerade auch für die heutige Situation interessante Schlußfolgerungen ergeben. In der siebenbändigen Ausgabe des Werks „Die internationale Arbeiterbewegung. Fragen der Geschichte und Theorie.“ erläutert Prof. Dr. Bagaturija ausführlich, wieso Marx und Engels zu der Erkenntnis kamen, daß sich der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft a) völlig zwangsläufig aus den gesellschaftlichen Notwendigkeiten ergibt und b) eine wesentlich längere Phase durchlaufen muß, als wir sie beispielsweise in der DDR erlebten. Genau aus diesem Grunde sind auch die Erfahrungen, die wir in der DDR mit dem Sozialismus hatten, für die Zukunft so wichtig und wertvoll.
Die Revolutionen von 1948/49
Die europäischen Revolutionen der Jahre 1848 und 1849 waren die erste historische Prüfung des Marxismus, der revolutionären Theorie des Proletariats. Die Hauptsache bestand darin, daß sie die Richtigkeit der neuen Theorie bestätigten. Zugleich zeigten jedoch die Erfahrungen aus den anderthalb Jahre währenden Revolutionen, daß es notwendig war, diese Theorie weiterzuentwickeln. Entgegen den Hoffnungen auf Erfolg erlitten die Revolutionen eine Niederlage. In aller Schärfe erhob sich die Frage nach den Perspektiven der revolutionären Bewegung.
Nach der Niederlage der Revolutionen emigrierten Marx und Engels endgültig aus Deutschland und ließen sich in England nieder. Wie das wiederholt in der Geschichte des Marxismus – vor wie nach 1848 – der Fall gewesen ist, sahen sich Marx und Engels durch die Unmöglichkeit, den aktiven praktischen Kampf in der Politik fortzusetzen, veranlaßt, den Schwerpunkt der revolutionären Tätigkeit auf die Ausarbeitung der Theorie zu verlegen.
Verallgemeinerung der Erfahrungen
In der Zeit von 1850 bis 1852 galt ihre schöpferische Aktivität hauptsächlich der Verallgemeinerung der in den Revolutionen gewonnenen Erfahrungen. [1] Zu diesem Zweck unternahmen sie 1849 den Versuch, die „Neue Rheinische Zeitung“ wieder ins Leben zu rufen und in neuer Form als Zeitschrift unter dem analogen Titel „Neue Rheinische Zeitung. Politisch-ökonomischs Revue“ herauszugeben. In der Ankündignng des Erscheinens der Zeitschrift hieß es: „Eine Zeit des scheinbaren Stillstandes, wie die jetzige, muß eben benutzt werden, um über die durchlebte Periode der Revolution aufuiklären…“ [2]
Verallgemeinert und ausgewertet wurden die in den Revolutionen gewonnenen Erfahrungen in einer Reihe von Werken der Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus. Am bedeutsamsten sind davon zwei Arbeiten von Marx – ,,Die Klassenkämpfe in Frankreich“ (Januar-März 1850) und „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“ (Dezember 1851-März 1852) – sowie zwei Arbeiten von Engels: „Der deutsche Bauernkrieg“ (Sommer 1850) und „Revolution und Konterrevolution in Deutschland“ (August 1851-September 1852); dazu kam die von Marx und Engels verfaßte „Ansprache der Zentralbehörde an den Bund“ (März 1850). In diesen Werken wurde die marxistische Theorie wesentlich weiterentwickelt.
Heftige Streitigkeiten im „Bund der Kommunisten“
Die weitere Ausarbeitung der theoretischen Probleme des Marxismus erfolgte auf der Grundlage und unter dem Eindruck der kürzlichen revolutionären Ereignisse sowie in der Atmosphäre einer scharfen ideologischen Auseinandersetzung innerhalb des Bundes der Kommunisten. Im Anschluß an die Niederlage von 1849 entstanden im Bund ernste Meinungsverschiedenheiten. Ein Teil seiner Mitglieder verließ die revolutionäre Bewegung. Ein anderer Teil – die Fraktion von Willich und Schapper – schmiedete den abenteuerlichen Plan, entgegen den Umständen Revolution „zu machen“.
Zwischen den Anhängern von Marx und Engels und dieser Fraktion aus Abenteurern entbrannte ein Kampf. Bald nachdem sich viele aktive Teilnehmer der revolutionären Bewegung in der Emigration in London versammelt hatten, offenbar nicht später als im Winter 1849/50, traten die Differenzen zutage. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage nach den Perspektiven der Revolution, aber die Antwort darauf hing davon ab, welche Auffassungen man von den Ursachen, Bedingungen und Gesetzmäßigkeiten des revolutionären Prozesses hatte.
Die Revolution ist unvermeidlich
Bereits in den der Revolution vorausgegangenen Jahren waren die Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus zu dem Schluß gekommen, daß sie unausweichlich ist. Sie deckten die Entwicklung der objektiven und subjektiven Voraussetzungen für die Revolution auf und wiesen nach, daß es notwendig ist, die objektiven Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft auf revolutionärem Wege zu lösen.
Anscheinend waren die objektiven Voraussetzungen für den Beginn und die erfolgreiche Entfaltung der Revolution in den fortgeschrittenen Ländern (in England, Frankreich und Deutschland) schon herangereift. [3] Warum aber erlitt dann die Revolution, die so erfolgreich begonnen, eine Reihe von Ländern erfaßt hatte und in diesem Sinne, wie auch von der Theorie vorausgesetzt., ihrem Wesen nach international geworden war, die Revolution, die im Juni 1848 in Paris bis zum direkten Zusammenstoß zwischen Proletariat und Bourgeoisie gegangen war, letzten Endes dennoch eine Niederlage?
Ist die Macht des Kapitals das Ende der Geschichte?
War dieses Finale nur eine kurze Episode bei der Entfaltung des revolutionären Prozesses? Welche weiteren Perspektiven hat der revolutionäre Prozeß, und welche Strategie muß eine revolutionäre Partei im Einklang damit unter den gegebenen Bedingungen haben? Diese Fragen mußten beantwortet werden, und sie verlangten eine objektive, nicht aber eine Antwort, die einfach die Stimmung derjenigen ausdrückte, welche an den kürzlichen Ereignissen teilgenommen hatten und sich nun in der Emigration befanden.
Solch eine wahrhaft wissenschaftliche und folglich auch für die Praxis verläßliche Antwort konnte nicht gegeben werden, wenn man sich nur auf die bereits vorhandene Theorie stützte, die in ihren Grundzügen vor der Revolution ausgearbeitet worden war und ihre erste Prüfung erfolgreich bestanden hatte. Allerdings war es nur mit Hilfe dieser Theorie möglich, sich in der entstandenen Situation zurechtzufinden. Zu einer wirklichen Lösung der vom ganzen Verlauf der Geschichte gestellten Aufgabe konnte man demnach nur gelangen, wenn man sich der marxistischen Theorie zur Analyse der vorausgegangenen revolutionären Periode bediente und diese Theorie zugleich weiterentwickelte.
Revolutionen treiben die Weltgeschichte voran…
In der Zeit nach der Revolution von 1848/49 wurde die marxistische Theorie in mehreren Richtungen weiter ausgebaut, die zwar verschieden, aber doch miteinander verbunden waren: Anwendung der materialistischen Geschichtskonzeption bei der Untersuchung der revolutionären Perioden in der Geschichte Frankreichs und Deuschlands, bei der Untersuchung der ökonomischen Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft sowie auf dem Gebiete des Militärwesens vertiefte Analyse der kapitalistischen Produktionsweise und des Mechanismus des Klassenkampfes; verstärkte Beachtung des subjektiven Faktors in der Geschichte. In der Zeit, als die Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus die Erfahrungen der Revolution verallgemeinerten und auswerteten, lag der Schwerpunkt ihrer Untersuchungen naturgemäß auf der Theorie der Revolution,
„Die Revolutionen sind die Lokomotiven der Geschichte“, so formuliert Marx eine der wichtigsten theoretischen Verallgemeinerungen. [4] Die Revolutionen sind die treibende Kraft des geschichtlichen Fortschritts, sie beschleunigen ihn. Während der Revolution ,selbst nimmt die geschichtliche Entwicklung einen viel schnelleren Verlauf. Marx spricht von der stürmischen Entwicklung der Revoution. Engels legt dar, was die „Revolution zu einer so mächtigen Triebkraft des sozialen und politischen Fortschritts“ macht, was ein Land während der Revolution zwingt, in kürzester Zeit einen Weg zurückzulegen, den es unter gewöhnlichen Verhältnissen nicht im Laufe eines ganzen Jahrhunderts zurücklagen würde. [5]
Der Sieg in einem Atemzug ist unmöglich!
Bei der Entwicklung des analogen Gedankens von der Ungleichmäßigkeit des Geschichtsprozesses schreibt Marx später an Engels, daß vom Standpunkt der Weltgeschichte aus zwanzig Jahre gewöhnlicher Entwicklung nicht mehr als ein Tag bedeuten können und daß umgekehrt „wieder Tage kommen können, worin sich 20 Jahre zusammenfassen“. [6] Früher, also vor der Revolution von 1848, hatten Marx und Engels ihre Vorstellungen von der Dauer des bevorstehenden revolutionären Prozesses nicht konkretisiert. Derartige Vorstellungen konnten sich zu dieser Zeit hauptsächlich auf die geschichtlichen Erfahrungen aus der französischen bürgerlichen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts stützen.
Als aber die Revolution von 1848 begann, „konnte unter damaligen Umständen“, wie Engels in der Folgezeit erklärte, „für uns kein Zweifel sein, daß der große Entscheidungskampf angebrochen sei, daß er ausgefochten werden müsse in einer einzigen langen und wechselvollen Revolutionsperiode, daß er aber nur enden könne mit dem endgültigen Sieg des Proletariats“ [7]. Die Geschichte aber bewies die Anfechtbarkeit der Vorstellung, daß es möglich sei, die Revolution unter den damaligen Umständen in einem Atemzug bis zum Sieg des Proletariats zu führen. Dieser Vorstellung lagen die Überschätzung des Reifegrades der Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft sowie eine gewisse Unterschätzung der Kompliziertheit des bevorstehenden revolutionären Prozesses zugrunde.
Die Übergangsphasen
Die Niederlage der Revolution sowie die Notwendigkeit, die vom Wunschdenken bestimmten Pläne der Abenteurerfraktion im Bund der Kommunisten zu bekämpfen, trugen dazu bei, die Perspektiven der revolutionären Entwicklung gründlich neu zu durchdenken. Marx und Engels richteten jetzt ihr besonderes Augenmerk auf die Dauer und Kompliziertheit des bevorstehenden revolutionären Prozesses. Gerade darauf lenkten sie bei ihrem öffentlichen Auftreten ständig die Aufmerksamkeit.
Als Marx zum Beispiel im Winter 1849/50 im Deutschen Bildungsverein für Arbeiter in London Vorträge über das „Manifest der Kommunistischen Partei“ hielt, entwickelte er den Gedanken von der langen Dauer und dem Stadiencharaktor (den „Phasen“) des revolutionären Übergangs von der bestehenden zur kommunistischen Gesellschaft. Das war wahrscheinlich ein Widerhall der ideologischen Auseinandersetzung innerhalb des Bundes der Kommunisten.
Eine Absage an alle Abenteurer und Phrasendrescher
Etwas später griff Marx in dem im März 1850 geschriebenen 3. Kapitel des Werkes „Die Klassenkämpfe in Frankreich“ (gedruckt wurde dieses Kapitol Mitte April) Gedanken auf, die bereits in der „Deutschen Ideologie“ formuliert worden waren (der internationale Charakter der kommunistischen Revolution, die Revolution als zweifacher Prozeß der Veränderung der Verhältnisse und der Veränderung der Menschen), und hob dabei hervor, daß die proletarische Revolution „keine kurzatmige Revolution“ sei. Er wählte ein biblisches Motiv und erläuterte: „Das jetzige Geschlecht gleicht den Juden, die Moses durch die Wüste führt. Es hat nicht nur eine neue Welt zu erobern, es muß untergehen, um den Menschen Platz zu machen, die einer neuen Welt gewachsen sind.“ [8]
Sehr eindringlich sprach Marx über die Kompliziertheit der bevorstehenden revolutionären Umgestaltung auf einer Sitzung der Zentralbehörde des Bundes der Kommunisten am 15. September 1850. Er wandte sich gegen die kleinbürgerlichen Phrasendrescher und Abenteurer (die Fraktion von Willich und Schapper): „An die Stelle der kritischen Anschauung setzt die Minorität eine dogmatische, an die Stelle der materialistischen eine idealistische. Statt der wirklichen Verhältnisse wird ihr der bloße Wille zum Triebrad der Revolution. Während wir den Arbeitern sagen: Ihr habt 15, 20, 50 Jahre Bürgerkriege und Völkerkämpfe durchzumachen, nicht nur um die Verhältnisse zu ändern, sondern um euch selbst zu ändern und zur politischen Herrschaft zu befähigen, sagt ihr im Gegenteil: Wir müssen gleich zur Herrschaft kommen, oder wir können uns schlafen legen.“ [9]
Ein komplizierter und widersprüchlicher Prozeß
Aus dieser Rede folgt überzeugend, wie realistisch Marx sich bereits damals angesichts der Erfahrungen der Revolution von 1848/49 die lange Dauer, die Kompliziertheit und den widersprüchlichen Charakter der bevorstehenden revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft vorstellte. Ein Jahr später schrieb Engels am Anfang seiner Arbeit „Revolution und Konterrevolution in Deutschland“ im gleichen Sinne: „Eine schwerere Niederlage als die, welche … die Revolutionsparteien … auf dem Kontinent … erlitten, ist kaum vorstellbar. Doch was will das besagen? Umfaßte nicht das Ringen des britischen Bürgertums um die soziale und politische Vorherrschaft achtundvierzig, das des französischen Bürgertums vierzig Jahre beispielloser Kämpfe?“ [10]
Wie Marx etwas später in seiner Arbeit „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“ darlegte, würden Dauer und Kompliziertheit des bevorstehenden revolutionären Prozesses in erheblichem Maße vom spezifischen Charakter der proletarischen Revolution, von ihrem prinzipiellen Unterschied von den bürgerlichen Revolutionen sowie von den beispiellosen Aufgaben bestimmt, die sie lösen muß. Dataus folgen ihre Gründlichkeit und die ihr innewohnende Selbstkritik. [11]
Die Grundsätze des Kommunismus
Die tiefe Erkenntnis, daß die bevorstehende Revolution von langer Dauer und kompliziert sein werde, kann man als eine Art Prognose der quantitativen Seite des Prozesses ansehen. Marx und Engels. gingen jedoch wesentlich weiter: Sie schufen auch die Grundlagen, für die richtige Erkenntnis seiner qualitativen Seite. Bei der Verallgemeinerung der kurz zuvor gemachten geschichtlichen Erfahrungen entwickelten sie ihre Konzeption von der Revolution in Permanenz, die Engels bereits im Herbst 1847 in seinen Arbeiten „Die Kommunisten und Karl Heinzen“ und „Grundsätze des Kommunismus“ erstmals formuliert hatte, bis zu klassischer Reife. Am vollständigsten ausgearbeitet wurde diese Konzeption im März 1850 in den Arbeiten „Die Klassenkämpfe in Frankreich“ und besonders in der „Ansprache der Zentralbehörde an den Bund“.
Im letztgenannten Dokument verallgemeinern Marx und Engels die Erfahrungen der deutschen Revolution und gehen eine Prognose. Nach der Märzrevolution von 1848 ergriffen liberale Großbürger die Macht. Die Arbeiter waren ihre Bundesgenossen im Kampf. Um die Arbeiterbewegung zu unterdrücken, verbündete sich die Bourgeoisie mit den Feudalen und überließ ihnen schließlich erneut die Macht. Die „Ansprache“ ging von der Voraussetzung aus, daß bald „eine neue Revolution bevorsteht“ [12] (schon nach einem halben Jahr wurde jedoch den Verfassern der „Ansprache“ klar, daß diese Annahme nicht ausreichend begründet war). Das Ergebnis dieser Revolution würde die Herrschaft kleinbürgerlicher Demokraten sein. Erst nachdem demokratisch gesinnte Kleinbürger an die Macht gekommen sind, wird der unmittelbare Kampf um die politische Herrschaft des Proletariats beginnen können.
Der Gedanke der permanenten Revolution
Bei der Entwicklung dieser Konzeption formulierten Marx und, Engels den Gedanken von der permanenten Revolution in klassischer Form:
„Während die demokratischen Kleinbürger die Revolution möglichst rasch … zum Abschlusse bringen wollen, ist es unser Interesse und unsere Aufgabe, die Revolution permanent zu machen, so lange, bis alle mehr oder weniger besitzenden Klassen von der Herrschaft verdrängt sind, die Staatsgewalt vom Proletariat erobert und die Assoziation der Proletarier nicht nur in einem Lande, sondern in allen herrschenden Ländern der ganzen Welt so weit vorgeschritten ist, daß die Konkurrenz der Proletarier in diesen Ländern aufgehört hat und daß wenigstens die entscheidenden produktiven Kräfte in den Händen der Proletarier konzentriert sind. Es kann sich für uns nicht um Veränderung des Privateigentums handeln, sondern nur um seine Vernichtung, nicht um Vertuschung der Klassengegensätze, sondern um Aufhebung der Klassen, nicht um Verbesserung der bestehenden Gesellschaft, sondern um Gründung einer neuen.“ [13]
Daran schließt sich eine Analyse der drei Stadien an. Das sind die Periode vor der bevorstehenden Revolution, die Periode nächsten Revolution se1bst und die Periode nach der nächsten Revolution, wenn die demokratischen Kleinbürger an die Macht gekommen sind. Unter dem Druck des Proletariats werden sie genötigt sein, „mehr oder weniger sozialistische Maßregeln vorzuschlagen“. Die Arbeiter können natürlich zu Anfang der Bewegung noch keine „direkt kommunistischen Maßregeln“ verlangen. Aber „ihr Schlachtruf muß sein: die Revolution in Permanenz“. [14]
Die unterschiedlichen Kräfte lösen einander ab…
Welchen Inhalt gaben die Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus dem Begriff „permanente Revolution“? Die bevorstehende revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft ist kein einmaliger Akt, sondern ein langer Prozeß. Sein Endziel ist die kommunistische Gesellschaft. Die permanente Revolution hat sozusagen stadialen Charakter. Es ist ein Prozeß, der in seiner Entwicklung gesetzmäßig einige bestimmte Phasen durchläuft. Dabei können Perioden des direkten Kampfes um die Macht mit solchen einer relativen Stabilität wechseln, die allerdings verhältnismäßig kurz sind (damit wird der Gedanke, daß ein Stadium der Revolution in das nächste hinüberwächst, umrissen).
An der Macht lösen sich nacheinander verschiedene Klassenkräfte bis zur Errichtung der Diktatur des Proletariats ab, die den Übergang zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft bildet. Die Revolution hat außerdem internationalen Charakter und erfaßt als wechselseitig zusammenhängender einheitlicher Prozeß die am weitesten entwickelten Länder. Insgesamt kann dieser revolutionäre Prozeß bis zur Errichtung der Diktatur des Proletariats in diesen Ländern einige Jahrzehnte, sogar ein halbes Jahrhundert dauern. So stellten sich damals die Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus den bevorstehenden revolutionären Prozeß, die permanente Revolution, in allgemeinen Zügen vor.
Was sagte Lenin dazu?
Später benutzte Lenin den von ihm als sehr wertvoll angesehenen Gedanken von der permanenten Revolution, um die Konzept des Hinüberwachsens der bürgerlich-demokratischen in die sozialistische Revolution zu begründen und um die durch diesen Prozeß bedingten Grundlagen der Strategie und Taktik einer revolutionären marxistischen Partei auszuarbeiten. Nach seinem Inhalt und seiner Richtung steht dieser Gedanke in einem grundlegenden Gegensatz zur Losung von der „permanenten Revolution“, einer Losung, die Marxfälscher heute wie früher, indem sie sich zu Unrecht auf Marx berufen, aus diesem Gedanken ableiten wollen. Seinerzeit spekulierte Trotzki mit dieser Losung. Er versuchte, das Prinzip der aufeinanderfolgenden Etappen des revolutionären Prozesses zu negieren, und stellte ein abenteuerlichen Schema auf, nach dem Entwicklungsetappen dieses Prozesses übersprungen werden können.
Ultralinke und Maoisten verfälschen den Marxismus
Unter Berufung auf die „permanente Revolution“ bestritt er auch die Möglichkeit des Aufbaus des Sozialismus in einem einzelnen Lande, was unter den damaligen konkreten Bedingungen dem Kurs auf die Restauration des Kapitalismus in Sowjetrußland gleichkam. Auf den Gedanken von der „permanenten Revolution“ berufen sich allerorts auch die heutigen ultralinken Theoretiker, die die Notwendigkeit bestreiten, daß als höchst wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Revolution eine objektive revolutionäre Situation heranreifen muß.
Von den Maoisten wird der Gedanke von der „permanenten Revolution“ noch stärker zu einer Karikatur gemacht. Sie übernehmen seine trotzkistische Interpretation voll und ganz und benutzen sie außerdem, um die Vernichtung der in Opposition zum Maoismus stehenden gesunden proletarischen Kräfte in der Volksrepublik China zu rechtfertigen und um die Zwistigkeiten zwischen den miteinander konkurrierenden degenerierten Cliquen zu verdecken. Im Einklang hiermit wird jede neue Reinigung, jede Woge von Repressalien als eine neue Etappe der „permanenten Revolution“ hingestellt.
Eine interessante Entdeckung
Anfang der fünfziger Jahre entwickelte Marx auch einige sehr wesentliche Aspekte der Theorie der künftigen kommunistischen Gesellschaft. In den vergangenen Jahren sind zahlreiche neue Dokumente aufgefunden und veröffentlicht worden, die sich auf die Geschichte des Bundes der Kommunisten beziehen. Von sehr großem Interesse sind die Aussagen Peter Gerhardt Rösers. Dieser gehörte zu den Führern des Bundes der Kommunisten in Köln und war einer der Angeklagten auf dem Kölner Kommunistenprozeß von 1852. Nach dem Prozeß, Ende 1853 bis Anfang 1854, machte er bei Vernehmungen im Moabiter Gefängnis, wo er inhaftiert war, zusätzliche Aussagen über die Tätigkeit des Bundes der Kommunisten.
Dieses Dokument ermöglicht eine anschauliche Vorstellung vom Charakter der Tätigkeit der ersten internationalen kommunistischen Organisation. Angesichts der Bedingungen, unter denen sich Röscr befand, muß man sich selbstverständlich den in seinen Aussagen mitgeteilten Fakten gegenüber kritisch verhalten (einen Teil davon entstellte er vorsätzlich), aber insgesamt sind die Aussagen glaubwürdig.
Der Kommunist Peter Gerhardt Röser sagt aus…
Sehr wichtige Fakten teilte er in den Aussagen vom 31. Dezember 1853 mit:
„Ende Juli (1850 – Der Verf.) [15] kehrte der … Scherenfeiler Wilhelm Klein, von London nach Deutschland zurück … Er kam in Köln an und überbrachte mir einen Brief von Marx, worin derselbe seinen Ärger über Willich und Konsorten aussprach und sehr bedauerte, daß Schapper sich dieser Clique angeschlossen habe. Er sagte, daß er während des Winters von 1849/50 im Londoner Arbeitervereine Vorträge über das Manifest gehalten und darin dargetan habe, daß der Kommunismus erst nach einer Reihe von Jahren eingeführt werden könne, daß derselbe mehre Phasen durchzumachen und daß er überhaupt nur auf dem Wege der Bildung und der allmähligen Entwicklung könne eingeführt werden, daß aber Willich mit seinem Schund – so nannte es Marx – ihm heftig opponiert und gesagt habe, daß er bei der nächsten Revolution einzuführen wäre, wenn auch nur durch die Macht der Guillotine, daß die Feindschaft zwischen ihnen schon groß, und daß er befürchte, es werde dadurch eine Spaltung im Bunde entstehen, da der Feldherr Willich es sich einmal in den Kopf gesetzt habe, bei der nächsten Revolution mit seinen tapferen Pfälzern auf eigene Faust auch gegen den Willen des allgemeinen Deutschlands den Kommunismus einzuführen.“ [16]
Der Brief von Marx, von dem hier die Rede ist, ist nicht erhalten geblieben, und Rösers Aussagen sind das einzige Zeugnis dafür, daß es ihn gegeben hat. Drei Tage später, am 3. Januar 1854, kam Röser bei seinen Aussagen erneut auf den Inhalt dieses Briefes zu sprechen:
„Schließlich will ich noch bemerken, daß man uns den Vorwurf gemacht, beide Parteien, sowohl die von Marx, als die von Schapper wollten den Kommunismus. Beide Parteien sind indessen bei der Frage über die Einführung des Kommunismus entschiedene Gegner, ja Feinde geworden. Schapper-Willich wollten den Kommunismus auf Grundlage der gegenwärtigen Bildung, ihn nötigenfalls bei der nächsten Revolution mit der Gewalt der Waffen einführen. Marx hielt ihn nur auf dem Wege der Bildung und der allmählichen Entwicklung für möglich und gibt in einem Briefe an uns vier Phasen, die er bis zu seiner Einführung zu durchlaufen habe, an. Er sagt, gegenwärtig geht das Kleinbürgertum und Proletariat zusammen gegen das Königtum bis zur nächsten Revolution. Diese Revolution wird nicht von ihnen gemacht, sie geht aus der Macht der Verhältnisse, dem allgemeinen Elend hervor. Die periodisch wiederkehrenden Handelskrisen befördern dieselbe. Nach der nächsten Revolution: wo die Kleinbürger am Ruder sind, fängt erst die eigentliche Tätigkeit und Opposition der Kommunisten an.“
Alles, was Röser bis dahin mitgeteilt hat – wenn man von den vier Phasen und der vorsätzlichen Übertreibung der Rolle der „Aufklärung“ usw. absieht – ist allgemein bekannt und bringt die Auffassungen von Marx und Engels klar genug zum Ausdruck. Weiter teilt Röser aber dann etwas völlig Neues mit: „Es folgt die Sozialrepublik, alsdann die soziale kommunistische, um endlich der rein kommunistischen Platz zu machen.“ [17]
Hatte Röser die Wahrheit gesagt?
Nach den Bekundungen Rösers war Marx demnach damals der Ansicht, daß der Kommunismus, d.h. der Prozeß der kommunistischen Umgestaltung der Gesellschaft, des Übergangs von der bestehenden zur rein kommunistischen Gesellschaft, „einige Phasen … durchlaufen muß“, genauer, daß es „vier Phasen“ bis zur Errichtung des vollständigen Kommunismus sein werden. Diese letzte Phase einbezogen, sah Marx folglich damals für Deutschland fünf Phasen der bevorstehenden Entwicklung des revolutionären Prozesses voraus. Wenn man die Aussagen Rösers kritisch analysiert; sie mit der Gesamtheit der diesbezüglichen Auffassungen von Marx und Engels, die uns aus ihren eigenen Werken und Briefen bekannt sind, sowie mit anderen zuverlässigen dokumentarischen Quellen vergleicht, dann lassen sich diese fünf Phasen folgendermaßen festlegen: 1. bis zur nächsten Revolution, in deren Ergebnis demokratische Kleinbürger an die Macht kommen, 2. eine demokratische Republik, 3. eine soziale Republik, 4. eine sozialkommunistische Republik und 5. eine rein kommunistische Republik.
Marx und Engels über den Übergang zum Kommunismus
Nach der Konzeption der „Ansprache“ (März) müssen bereits im Stadium der dernokratischon Republik „mehr oder weniger sozialistische Maßregeln“ [18] durchgeführt werden. Offensichtlich kann jedoch das Programm der sozialistischen Übergangsmaßnahmen in seinem vollen Umfang erst im folgenden Stadium verwirklicht werden, wenn das Proletariat zur herrschenden Klasse wird. Diese dritte Phase, die soziale Republik, charakterisieren Marx und Engels als „Republik mit sozialistischen Tendenzen“ [19], d. h. als Phase des Übergangs zum Kommunismus. In Analogie hierzu liegt der Schluß nahe, daß die nächstfolgende, die vierte Phase – also die sozial-kommunistische Republik – die „Republik mit kommunistischen Tendenzen“, d.h. dasjenige Stadium ist, in dem Maßnahmen zum Übergang zum vollständigen Kommunismus, zur fünften Phase, zur rein kommunistischen Republik, verwirklicht werden. Die beiden letzten Phasen, die vierte und die fünfte, kann man wahrscheinlich in gewissem Maße mit dem Sozialismus und dem Kommunismus gleichsetzen.
Ist es jedoch glaubwürdig, daß Marx bereits 1850 zwischen dem Sozialismus und dem Kommunismus als den zwei Entwicklungsphasen der künftigen Gesellschaft unterschied? Darf man den Bekundungen Rösers Glauben schenken? Ja, zweifellos.
Die Bestätigung der Aussagen
Eine Analyse seiner Aussagen führt zu dem Schluß, daß sie in ihrer Grundlage zuverlässig sind. Die von ihm dargelegte Konzeption mehrerer Entwicklungsphasen des revolutionären Prozesses stimmt gut mit allem überein, was wir bestimmt über die Auffassungen von Marx und Engels wissen. Diese Konzeption stimmt zum Teil mit dem Schema der permanenten Revolution in der „Ansprache“ vom März 1850 überein und ergänzt sie zum anderen Teil. Bezüglich dieses ergänzenden Teils jedoch sind lediglich zwei .Annahmen möglich: Entweder hat, der Arbeiter Röser in seinen. Aussagen eine durch und durch marxistische Konzeption erdacht, oder er hat die Auffassungen von Marx mehr oder minder adäquat dargelegt. Die erste Annahme ist unwahrscheinlich, die zweite dagegen, nach allem zu urteilen mehr als wahrscheinlich. Bestätigt wird dieser Schluß durch eine Analyse aller vorangegangenen Änderungen der Ansichten, die Marx und Engels vom Entwicklungsprozeß der künftigen Gesellschaft hatten. …
… und Trennung von den Revoluzzern.
Im Sommer und Herbst 1850 verschärfte sich im Bunde der Kommunisten die ideologische Auseinandersetzung um den Charakter der künftigen Revolution beträchtlich. Am klarsten machte sich die Position der beiden Seiten in der dramatischen Sitzung der Zentralbehörde vom 15. September geltend, auf der die Spaltung vollzogen wurde. Im Gegensatz zu dem bekannten Standpunkt von Marx behauptete Schapper in seienr Diskussionsrede, daß das Proletariat bereits während der nächsten Revolution in Deutschland zur Macht kommen müsse. Marx antwortete ihm: „Das Proletariat, käme es zur Herrschaft, würde nicht direkt proletarische, sondern kleinbürgerliche Maßregeln ergreifen.“ [20], denn der objektive Inhalt der nächsten Etappe der Revolution werde der Kampf für die demokratische Republik sein.
[1] Eine zusammenfassende Untersuchung dieses Zeitabschnitts in der Geschichte des Marxismus ist die Monographie: T.I. Oiserman: Die Entwicklung der marxistischen Theorie aufgrund der Erfahrungen aus der Revolution von 1848, Moskau 1955 (russ.)
[2] Karl Marx/Friedrich Engels: Ankündigung der „Neuen Rheinischsn Zeitung. Politisch-ökonomische Revue“. In: Werke, Bd.7, S.5
[3] Siehe Friedrich Engels: Grundsätze des Kommunismus. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd.4, S.374.
[4] Siehe Karl Marx: Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848-1850. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd.7, S.85
[5] Siehe Friedrich Engels: Revolution und Konterrevolution in Deutschland. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd.8, S.36.
[6] Marx an Engels. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd.30, S.342; siehe auch W.I. Lenin: Karl Marx. In: Werke, Bd.21, S.64.
[7] Einleitung zu Karl Marx‘ [„Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850“]. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd.22, S. 512.
[8] Karl Marx: Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848-1850. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd.7, S.79.
[9] Karl Marx: Enthüllungen über den Komrnunistenprozeß zu Köln. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd.8, S.412; siehe auch S.597-601.
[10] Friedrich Engels: Revolution und Konterrevolution in Deutschland. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd.8, S.5.
[11] Siehe Karl Marx: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd.8, S.118, 120.
[12] Ansprache der Zentralbehörde an den Bund vom März 1850. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd.7. S.245.
[13] Ebenda, S.247/48; siehe auch S.89.
[14] Ebenda, S.253/54.
[15] Hier ist Röser wahrscheinlich mit Absicht ungenau. Das Mitglied des Bundes der Kommunisten W.Klein kam in Köln am 16. Juni an (siehe Marx an den Vorsitzenden einer Versammlung der Emigranten in London. 30. Juni 1850. In:
Karl Marx/Friedrich Engel: Werke, Bd.27, S.537; „Bund der Kommunisten – Vorläufer der I. Internationale“. Dokumentensammlung. Moskau 1964, S.283, 405/06, russ.: „Marx und Engels und die ersten proletarischen Revolutionäre“, Moskau 1964, S.210/11, 501, russ.).
[16] International Review of Social History, Volume IX-1964, Part 1. Publishers Royal Van Garcum Ltd. Assen, Amsterdam, p.98/99.
[17] Ebenda, p.115/16.
[18] Karl Marx/Friedrich Engels: Ansprache der Zentralbehörde an den Bund vom März 1850. In: Werke, Bd.7, S.253.
[19] Siehe Karl Marx: Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd.7, S.27; Der Bürgerkrieg in Frankreich. In: Karl Marx/Friedrich Engels; Werke, Bd.17, S.338, 554; Marx an Edward Spencer Beesly. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd.33, S.159.
[20] Sitzung der Zentralbehörde vom 15. September 1850. In: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd.8, S.600; vergl. auch S.412/13.
Quelle: G.A.Bagaturija: Die Entwicklung des Marxismus. In: Die Internationale Arbeiterbewegung. Fragen des Geschichte und der Theorie.“ Erster Band: „Die Entsehung des Proletariats und seine Entwicklung zur revolutionären Klasse.“ Verlag Progreß Moskau 1980, S.532-544.
Georgi Alexandrowitsch Bagaturija wurde am 23. März 1929 geboren. 1952 schloß er die Philosophische Fakultät der Moskauer Staatlichen Lomonossow-Universität ab, 1972 verteidigte er seine Doktorarbeit zum Thema „Der Platz der ,Deutschen Ideologie‘ von K. Marx und F. Engels in der Geschichte des Marxismus“, 1988 promovierte er zum Thema „Die Hauptetappen der Entstehung und Entwicklung des materialistischen Geschichtsverständnisses in den Werken von K. Marx und F. Engels“. Seit 1953 war er im Marx-Engels-Sektor des Marx-Engels-Lenin-Instituts tätig, war einer der führenden Experten bei der Vorbereitung der 50-bändigen Ausgabe der Werke von K. Marx und F. Engels. Seit 1981 leitete er die Arbeit an den Gesamtwerken von K. Marx und F. Engels in ihren Originalsprachen im IML des Zentralkomitees der KPdSU und seit 1992 im Russischen Staatsarchiv für Sozial- und Politikgeschichte unter der Schirmherrschaft der Internationalen Stiftung Marx und Engels (Zentren in Amsterdam und Berlin).
Ab 1971 lehrte G.A. Bagaturija an der Staatlichen Universität Moskau. Mehr als 20 Jahre lang las er an der Philosophischen Fakultät der Moskauer Staatsuniversität spezielle Kurse zur Geschichte des Marxismus (Marx- und Engels-Periode), betreute viele studentische Hausarbeiten und Abschlußarbeiten zur Geschichte der philosophischen und gesellschaftspolitischen Ideen des 19.Jahrhunderts. Er bildete 5 Kandidaten der Naturwissenschaften aus. 1989 wurde G.A. Bagaturija per Dekret des Präsidiums des Obersten Rates der RSFSR für seine Leistungen in Forschung und Lehre der Ehrentitel „Ehrenwissenschaftler der RSFSR“ verliehen.
Seit 2003 arbeitete G.A. Bagaturija am Lehrstuhl für Geschichte der Sozial- und Politikwissenschaft der Philosophischen Fakultät und seit 2008 an der Fakultät für Politikwissenschaft der Moskauer Staatlichen Universität, wo er die allgemeine Vorlesung „Geschichte der Politikwissenschaft: ausländische gesellschaftspolitische Lehren des 19. und frühen 20. Jahrhunderts“, die spezielle Vorlesung „Kritische Analyse der gesellschaftspolitischen Konzepte von Karl Marx und Friedrich Engels“ las und das fakultätsübergreifende Wahlfach „Die Theorie von K. Marx und gesellschaftspolitische Konzepte des 20. Jahrhunderts“ leitete.
G.A. Bagaturija war einer der führenden Spezialisten des Marxismus in der Welt, Autor von mehr als 200 Publikationen über marxistische Studien, Geschichte und Theorie des Marxismus. In den letzten Jahren konzentrierte G.A.Bagaturija seine Forschungsbemühungen auf die Begründung einer neuen Wissenschaft – der allgemeinen Theorie der Praxis, deren Kern die Dialektik des Materialismus als praktische Methodologie ist. Er starb am 7. Februar 2020 in Moskau.
Ich bin sicher, dass Röser nicht die Wahrheit über Marxens Einschätzung der kommunistischen Revolution gesagt hat. Denn: Wenn zuerst die Kleinbürger an die politische Macht kommen, haben sie in erster Linie die Absicht, Großbürger zu werden. Sie werden also die alten Verhältnisse wieder herstellen und mit der kommunistischen Revolution ist es Essig. Zudem wird nichts über die Rolle der ökonomischen Verhältnisse, zur Rolle der sich entwickelnden Großindustrie gesagt.
Und wenn ich von den drei Phasen der kommunistischen Revolution ausgehe, wie sie Marx dargestellt hat, nämlich soziale Revolution, sozial-kommunistische Revolution und schließlich kommunistische Revolution, habe ich ebenfalls meine Zweifel. Das würde ja bedeuten, dass die BRD oder auch Schweden mit ihrem Sozialstaat auf dem Wege zum Kommunismus waren. Was natürlich Unsinn ist. Vielleicht verfälsche ich jetzt Marx, aber ich bin der Ansicht, dass zumindest die ersten beiden Wege Hand in Hand gehen müssen. Und erst nachdem diese Phasen beendet sind über einen ziemlich langen Zeitraum, kann überhaupt an die kommunistische Revolution gegangen werden. Widerlege mich, wer kann.
Ich halte, was Röser betrifft, nicht viel von solchen „Ferndiagnosen“. Zumal an Hand dieses kleinen, hier zitierten Ausschnitts noch lange nicht die ganze Komplexität der Frage der Revolution ersichtlich wird.
Marx sprach bzgl. des „rückständigen“ Deutschland sogar von 5 Phasen, was zugleich einschließt, wie Du schon richtig bemerkst, daß man ohne Kenntnis der gesamten ökonomischen Situation sich kein Urteil darüber wird bilden können, wann der geeignete Zeitpunkt dafür gekommen ist, anstatt kleinbürgerlicher Forderungen (Wiederherstellung der bgl. Rechte und Freiheiten) nun auch proletarische Forderungen (Vergesellschaftung der Produktionsmittel) durchzusetzen.
Marx wies zudem im „achtzehnten Brumaire“ darauf hin: „Alle Umwälzungen vervollkommneten diese Maschine, statt sie zu brechen.“ (MEW, Bd.8, S.197) – und was haben wir jetzt? Die Merkelsche Maschine als verlängerter Arm der USA-Bourgeoisie funktioniert ja nun heute (fast) perfekt! Was ja nicht heißt, daß sie nicht doch irgendwann zerbrochen werden muß! Wie das geschehen kann, haben 1917 und 1945 gezeigt…
Da hast du natürlich recht, Sascha, kommunistische Revolution ist ein weites Feld. Und selbst wenn es sich um die deutsche Vergangenheit handelt, kann man immer noch zu einem Irrtum gelangen. Die 48er Revolution war eine bürgerliche Revolution. Dass sie zwar mit großem Schwung heranging, aber am Ende kläglich versagte, wissen wir auch. Da hatte sich die alte monarchische Ordnung wieder gefestigt. Wie ich sowieso annehme, dass es für eine wirkliche Einschätzung zu Marxens Zeit noch nicht wirklich möglich war, zumal von England aus. Er kannte den englischen Kapitalismus, aber nicht aus eigener Anschauung den deutschen. Und der entwickelte sich nach 48 sehr rasch bis 71. Da sind Unsicherheiten bei der Einschätzung der Kampfkraft des bis dahin schwachen Proletariats und seiner Partei. Marx hat natürlich fast alles richtig gesehen, ich denke aber, Meldungen aus Deutschland waren bestimmt zu enthusiastisch.
Ich bleibe aber dabei: Kleinbürgerliche Regierungen sind natürlich günstiger für die kommunistische Entwicklung, aber wo Kleinbürgertum ist, ist auch Großbürgertum, und das wird sich die Butter nicht vom Brot nehmen lassen. Es wird nicht eine einzige Reform zulassen zugunsten des Proletariats und auf Kosten des Großbürgertums. Sehen wir doch heute, das Gerangel um den Mindestlohn, der mit Argumenten bekämpft wird, noch immer!, dass man nur den Kopf schütteln kann. Nicht umsonst hat die BRD einen so geringen Mindestlohn. In dieser Situation ernsthaft um den Kommunismus zu kämpfen, ist das nicht etwas voreilig? Natürlich, das Ziel darf man nicht aus den Augen lassen. Ich glaube, es kommt auf den richtigen Zeitpunkt an. Wirklich Genaues weiß keiner im voraus, es kommt immer was dazwischen, mal Positives, mal Negatives.