Horst Paul: Bei „Max“ zu Gast…

ImpressionenIm Jahre 1970, in der Blütezeit der DDR, erschien im Greifenverlag Rudolstadt das folgende interessante Buch „Ostthüringer Impressionen“, in dem das pulsierende Leben in unserer Republik beschrieben wird. Der Historiker Prof. Dr. habil. Karl Czok (1926-2013) schrieb damals im seinem Geleitwort:

„Wenn von den Bezirken der Deutschen Demokratischen Republik die Rede ist, so wird meist der Bezirk Gera nicht an erster Stelle genannt. Aber das besagt keinesfalls, daß in seinen Städten und Dörfern, Betrieben und For­schungsstätten das sozialistische Leben weniger pulsiert als anderswo; neben der Bezirkshauptstadt ist es die Universitäts- und Zeiss-Stadt Jena, die das für jeden Menschen sichtbar macht. Wissenschaftlicher Gerätebau, Elektrotechnik und Elektronik, Maschinenbau, chemische und textile Indu­strie sowie Bergbau gehören zu den profilbestimmenden Industriezweigen dieses Bezirks im Süden der Republik….“

„…Und auch die Landwirtschaft mit ihrer besonders beachtlichen Schlachtviehaufzucht steht den vielseitigen Leistun­gen der volkseigenen Betriebe und handwerklichen Produktionsgenossen­schaften in nichts nach. Neben der Universität Jena, der Salana, wie sie ge­nannt wurde, an der Friedrich Schiller lehrte und Karl Marx zum Doktor der Philosophie promovierte, gibt es noch zahlreiche Forschungsinstitute sowie Ingenieur- und Fachschulen, die mit dem wirtschaftlichen Profil des Bezirkes aufs engste verbunden sind. Viele ihrer Absolventen arbeiten an der Verbesserung und Verschönerung jener Produkte mit, die überall in der DDR und über ihre Grenzen hinaus sehr begehrt sind: die Präzisions­geräte der Zeiss-Werke, das Jenaer Glas, Dederon aus Schwarza, Keramik aus Hermsdorf, Porzellan aus Kahla, Möbel aus Zeulenroda und Eisenberg und vieles andere mehr, das aufzuzählen hier unmöglich ist. Text und Bilder dieses Buches geben einen anschaulichen Eindruck davon.

Eine Million Besucher kommen jährlich in das reizvolle Geraer Land, weil sie in der Ruhe der Wälder Entspannung und neue Kraft zugleich suchen, sich an der Schönheit der Täler und Seen erfreuen und die Zeugen der Vergangenheit bewundern. Dabei werden sie aber auch an revolu­tionäre Traditionen erinnert: an die aufständischen Bauern und Bürger des ausgehenden Mittelalters und die Kämpfer der Revolution von 1848/49, an die Klassenschlachten des Proletariats und an ihre Führer, wie August Bebel, Karl Liebknecht, Wilhelm Pieck, Magnus Poser und Walter Ul­bricht, die in der ersten Reihe dafür kämpften, was heute Wirklichkeit ist.

Bücher wie dieses, das uns in Wort und Bild Ostthüringer Impressionen vermittelt, gehören zu unserer neuen, sozialistischen Heimatliteratur, denn in ihr erscheint uns die Natur und das Werk der Menschen als untrenn­bare Einheit, deren vielfältige Wechselbeziehungen man immer wieder erforschen muß, weil manches vergeht und vieles Neue entsteht, das die Landschaft und ihre Menschen stetig verändert. Möge deshalb der Leser, sei er „Einheimischer“ oder „Fremder“, von diesem ständigen Forschen und Ergründen erfüllt sein, will er sich die Werte unserer sozialistischen Heimat zu eigen machen.

Prof. Dr. habil. Karl Czok


Bei „Max“ zu Gast…

von Horst Paul

Ein älterer Arbeiter erzählte die Geschichte am Stammtisch. Er arbeitete bereits seit vielen Jahren am Hochofen; mit dem Wachsen der Hütte waren seine Schläfen ergraut. Man hörte aufmerksam zu; die Lärmenden wurden ermahnt, sich ruhig zu verhalten:

„Daß die Maxhütte früher zum Flick-Konzern gehörte, ist bekannt. Ver­altet war sie schon damals. Als 1929 die Weltwirtschaftskrise ausbrach, wurde der Hüttenbetrieb stillgelegt, die Arbeiter flogen auf die Straße.“

„Aber sag mal, Louis“, meldete sich einer der Jüngeren, „da hörte ich doch vom Bau der Wohnsiedlung bei Kleinkamsdorf. Wie konnte die Hüttenverwaltung bauen, als nicht mehr gefahren wurde?“

,,Das Rätsel sollte sich bald lösen. Kurz nach 33 fing die Produktion wieder an. Die Faschisten brauchten sie. Das Werk lag weit weg von den Grenzen und dadurch günstig für die Rüstung. Die Arbeitslosen marschierten durch die Fabriktore, Eisen und Stahl für Kanonen, Gewehre, Granaten, für Panzer, Schiffe und Flugzeuge herzustellen. Die aus Saalfeld und den Dörfern fuhren wieder zur Hütte, für Hitler und seinen Krieg das Erz zu schmelzen. Dabei blieb die Hütte ein überalterter Betrieb, trotzdem wurde auf den Knochen der Hüttenwerker die Produktion immer mehr gesteigert.“

Der alte Louis hatte selbst vieles davon erlebt, was er be­richtete.

„Im Krieg holten sie nun raus, was rauszuholen war, die Herren vom Flick-Konzern Investiert hatten sie kaum das Nötigste, aber scheffeln wollten sie. Weil ihre Werke an anderen Orten unter Bombenhagel zusammenstürzten, wurden sie noch unersättlicher. So gab’s viel zu tun, als 1945 die Bonzen davonliefen und bald darauf der Betrieb in Volkseigentum über­ging. Es dauerte lange, bis der erste Hochofen wieder flott war. Als 1948 der vierte angeblasen werden sollte, reichte das Kühlwasser nicht mehr aus. Da eilte der Ruf ins Land: Max braucht Wasser! Viele kamen, verließen die Hörsäle und Labors, um zu schachten, zu hacken, zu graben und die Rohre zu verlegen, durch die das Wasser aus der Saale über den Berg zum Werk gepumpt werden sollte.

Und die Schüler und Studenten, Mäd­chen und Jungen, die Lehrlinge, Arbeiter und Angestellten aus Wickers­dorf, Schleusingen, Brandenburg, aus Großenhain, Frankfurt, aus ganz Thüringen und allen Teilen unseres Landes lösten diese Aufgabe in bewun­dernswert kurzer Zeit: im Januar 1949 begannen die Sehachtarbeiten, am 1. April konnte die Leitung in Betrieb genommen werden. Es floß das Wasser, es floß das Eisen, es wand sich der Stahl im Walzwerk. Wie viele Anstrengungen waren nötig gewesen, die 2.000 Betonrohre zu verlegen, denn jedes wog mehr als sieben Zentner, 4.500 Tonnen Erde waren für die Talsohle, 2.000 Tonnen für die Bergseite zu bewegen – oft mit primitiven Mitteln, denn Kraftfahrzeuge, Bagger und Planierraupen zählten damals noch zu den Kostbarkeiten.“

„Aber man dachte doch auch schon an andere Dinge, es begann damals der Wettbewerb der Stahlwerker“, warf einer aus der Runde ein.

„Man dachte auch daran, wie die Produktion gesteigert und die Arbeit erleichtert werden konnten“, fuhr Louis fort. „Von 1958 bis 1963 erhöhten wir unsere Produktion an Roheisen …. Sag mal die Zahl, Reporter, du hast sie doch herausgesucht…“
„Um 67.000 Tonnen, Rohstahl um 53.000“, warf ich ein.

„Dann bauten wir die neue Möllerung, sie übertrifft alle bisherigen Rekonstruktionsmaßnahmen. Arbeitsablauf und Arbeitsbedingungen ver­wandelten sich.“
„Na dann Prost auf die neue Anlage“, rief einer der Durstigen.
„Das Prost soll auch den Kamsdorfern gelten“, ergänzte Louis. „Die sind ganz schön vorangekommen, haben den Tagebau erweitert. Ich war draußen. Damals, bis 1963, haben sie in zwei Jahren dort eine Förderanlage hineingebaut, die sich sehen lassen kann!“

Der VEB Maxhütte Unterwellenborn

Das Hüttenkombinat vermittelt ein Erlebnis eigener Art. Aus früheren Besuchen und von meinem Praktikum her kannte ich den Betrieb bereits aus den vergangenen Jahren. Was mich aber auch diesmal wieder fesselte, war der volle metallurgische Zyklus, den man in der Maxhütte verfolgen kann. Da war der Abstich am Hochofen, da waren die Schmelzprozesse im Thomasstahlwerk, im Elektrostahlwerk oder das glühende Metall, wie es auf der Walzstraße Gestalt annahm. Voller Farbenwunder waren die einzelnen Arbeitsvorgänge.

Maxhütte1988

Wir mußten an Louis denken, an die Leidenschaft, mit der er von seinem Betrieb erzählt hatte. Und wir fanden, daß er mit Recht stolz sein kann, wenn man bedenkt, was die 6.000 Werktätigen der Maxhütte in Tag- und Nachtschichten in zweieinhalb Jahrzehnten geschaffen haben. Jetzt liefern sie 500.000 Tonnen Roheisen das ist ein Fünftel der Gesamterzeugung in der Republik –, dazu Rohstahl und Walzstahl. Auch an die Zukunft wird gedacht: Lehrkombinat, Betriebsberufsschule, Unterrichtskabinette und Lehrwerkstätten zeugen von der großen Aufmerksamkeit, die der Ausbildung des Facharbeiternachwuchses in den verschiedenen Berufen gewidmet wird.

Der Kulturpalast der Maxhütte

Etwas abseits vom alten Unterwellenborn haben die Kumpel ihren Kulturpalast geschaffen. Wahrscheinlich hätte sein Äußeres etwas weniger protzig sein und der landschaftlichen Umgebung besser angeglichen werden können – darüber mögen sich die Architekten streiten und für die Zukunft nach neuen Wegen sinnvoller Bauweise derartiger Kultureinrichtungen suchen. Doch hervorzuheben sind die Möglichkeiten, die der Kulturpalast innen bietet. Die umfangreiche Bibliothek und der Lesesaal werden eifrig benutzt. Einen Musiksaal, einen Theatersaal und zahlreiche Zirkelräume konnten wir besichtigen. Neben den Kumpeln der Hütte trafen wir hier auch Arbeiter aus anderen Betrieben mit ihren Frauen, trafen die Jugend, fröhlich vereint oder lernend.

Wir gingen durch Röblitz und stiegen auf die umliegenden Höhen, von denen man einen wunderbaren Blick auf die Hütte hat. Ein friedliche Bild vorn Bäume im zarten Grün, die weiß leuchtende Dorfkirche mit ihrem schiefergedeckten blauen Turmdach, freundliche Fachwerkbauten schimmerten zwischen den Bäumen hindurch, dahinter die Hütte. Der Lärm der Baumaschinen, Pfeifsignale rangierender Lokomotiven unterbrachen die Stille, Rhythmus des Schaffens. Oberhalb der Hütte steigt das Gelände an, Wald säumt die Berge am Horizont. Aus dieser Landschaft ist das Werk nicht mehr wegzudenken, auch wenn die Schornsteine manche Ladung Staub ins Land schleuderten. Ohne Schornsteine und Rauch – undenkbar wäre jener einmalige Eindruck gewesen, den wir auf der Fahrt nach Könitz empfanden. Die Maxhütte lag im abendlichen Gegenlicht. Die Silhouette in Rauch und Wolken, Luftflimmern und gleißender Sonnenschein ließ das Werk in seiner Größe hervortreten.

Produktionsprofil der Maxhütte

Mit Elan sind die Hütten- und Stahlwerker an die Vorbereitung neuer Produktionszweige herangegangen. Die Bauindustrie brauchte bessere Verfahren für die Fundamentierung der Hochhäuser die Walzwerker entwickelten deshalb Spundwandbohlen, die bei Pfahlgründungen und beim Wasserbau, zum Einfassen von Ufern, als Umschließung von Bau­gruben immer unentbehrlicher werden. Die Vorbereitungsarbeiten zeigten, welche Schwierigkeiten bei der Verwirklichung dieses Programms zu überwinden sind. Nur wenige Werke Europas stellen das walztechnisch komplizierte Profil her. Bereits heute aber ist entschieden, daß in abseh­barer Zeit Unterwellenborn auch Profile für den Stahlleichtbau walzen wird. Neue Verfahren im Bauwesen können sich dann schneller durch­setzen und noch mehr verbreiten.

Quelle: Horst Paul „Ostthüringer Impressionen“.  Greifenverlag zu Rudostadt,  1970, S.97-100.


Siehe auch: Kulturpalast der Maxhütte Unterwellenborn: Westdeutscher Immobilienspekulant ruiniert letztes DDR-Kulturgut

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2 Antworten zu Horst Paul: Bei „Max“ zu Gast…

  1. Erfurt schreibt:

    Zugegeben, die Gegend zwischen Hohenwarte~ und Bleilochtalsperre war schon etwas einsam zu meiner Zeit. Aber unvergesslich schön waren die Urlaube ab der 2. Septemberwoche mit der Romanzeitung beim Licht einer Petroleumlampe, Musik aus dem Kofferradio, dazu ein Saalfelder Helles, körbeweise Steinpilze aus endlosen Wäldern und ein erfrischendes Bad in der 13° warmen Saale nach ausgedehnten Wanderungen…. Glückliche Zeiten!

  2. Pingback: Horst Paul: Bei „Max“ zu Gast… — Sascha’s Welt | Schramme Journal

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