Erich Weinert: Von allerhand Tieren. (Eine Ballade über die Dummheit der Schafe…)

WeinertNicht wenige kennen von ihm sein Gedicht über „John Schehr und Genossen“, sein Lied über die „Thälmann-Kolonne“ oder manches andere scharfzüngige Gedicht. Erich Weinert schrieb für die Arbeiter, für seine Genossen, denn er war einer von ihnen. 1890 als Sohn eines Ingenieurs in Magdeburg geboren, erlernte er den Beruf eines Lokomobilbauers. Schon sehr frühzeitig hatte sein Vater, wie Weinert schreibt, „sich zum Gedanken des Sozialismus durchgerungen“, er haßte die Monarchie und den preußischen Militarismus, und er erzog seinen Sohn zum kritischen Denken. Zwischen 1926 und 1933 entwickelte sich Erich Weinert zu einem kommunistischen Agitator. Auf rund 2000 Versammlungen und Kundgebungen stellte er – häufig trotz Verbotes – durch mitreißenden Vortrag seine Dichtungen in den Dienst des Klassenkampfes. Hier nun eine sati(e)rische Geschichte über die Dummheit der Schafe…

Erich Weinert

VON ALLERHAND TIEREN

Einst hatt‘ ein Löwe sein Getier versammelt
Und hatte lange und ergrimmt
Im Gottesgnadenton gestammelt
Und schließlich feierlich bestimmt:
Man müsse sich zum heilgen Kriege rüsten,
Zur Rettung der Nation und Dynastie!
Da scholl bewegt aus Untertanenbrüsten
Ein Hoch dem Kriege und der Monarchie.

Da stiegen alle Esel von Kathedern
Und zeigten militärische Allüren.
Die Füchse spitzten ihre Gänsefedern
Und schrieben Leitartikel und Broschüren.
Der Löwe schrieb: „An meine braven Schafe!
Der König ruft! Erwacht aus eurem Schlafe!
Verkennt den Ernst der großen Stunde nicht!“ –
Da taten auch die Schafe ihre Pflicht.
Sie stürmten wild an ihre Landesgrenzen,
Dem Feind die Hörner in das Herz zu bohren.

Im Lande blieben die Intelligenzen
Als unabkömmliche Kulturfaktoren.
Die Esel stiegen wieder aufs Katheder
Und sprachen von heroischer Verklärung.
Die Schweine handelten mit Fett und Leder
Und garantierten so die Volksernährung.
Die Geier stürzten sich auf die Tribute
Und schufen mit den Wölfen Syndikate.
Die Schafe aber zahlten treu dem Staate
Mit ihrer Wolle und mit ihrem Blute.

Man schreit hurra. Es hagelt nur von Siegen.
Rein überschaflich sind der Schafe Kräfte.
Die Wälder füllen sich mit Beutezügen,
Und alle Welt macht glänzende Geschäfte.
Die Wölfe schmücken sich mit hohen Orden,
Die Schweine werden schier zum Platzen mollig.
Doch nur die Schafe scheinen nicht mehr wollig
Und sind erheblich magerer geworden.
Das ganze Hammelvolk kam auf den Hund.

Die Sache hatte einen tiefren Grund:
Das Schweinevolk in höhren Positionen,
Das fraß begeistert doppelte Rationen.
Doch so was war den Schafen selbst zu bunt.
Und eines Nachts ist plötzlich alles stumm,
Die satten Bäuche fahren aus dem Schlafe:
Die Hammelschaft dreht die Gewehre um
Und konstituiert die Republik der Schafe.

Da flohn die Heimathelden in die Wälder.
Der Löwe selbst verschwand im Siegerkranz.
Das Schweinevolk versteckte seine Gelder.
Man zitterte vor jedem Lämmerschwanz.
Nun fühlten sich, von Etsch bis Belt,
Die Schafe über alles in der Welt.
Dann gaben sie, als einzig Volk von Brüdern.
Für jedes Raubtier volle Amnestie.
Das kroch sogleich heran, sich anzubiedern,
Und predigte von Gleichheitsharmonie.

Es wandelte wie Schafe unter Schafen
Und huldigte Verfassungsparagraphen.
Gefallen waren die sozialen Hürden;
Und Wölfe, Esel, Geier, Schweine
Bekamen wieder Amt und Würden
Und gaben wieder jedem Schaf das Seine.
Der Oberhammel sprach zu seinen Heeren:
„Wir brauchen nichts als unsers Leibes Nahrung.
Die uns regieren, haben die Erfahrung.
Drum laßt euch nur verfassungsmäßig scheren!“

Da wurden gleich die Esel wieder keck,
Die Schweine wurden wieder fett und fetter,
Die Füchse schufen nationale Blätter,
Und selbst der Löwe kroch aus dem Versteck.
Die Wölfe trugen Orden auf den Lenden.
Die Geier schluckten hohe Dividenden.
Und eh man sich versehn, war weit und breit
Auf einmal wieder gute, alte Zeit.

Und auch die Wölfe hauen unterdessen,
Wo sie als Staatsanwälte figuriert,
So manchen armen Hammel aufgefressen,
Der einst für Hammelfreiheit agitiert.
Die Schafe lagen bei den Wiederkäuern
Und kauten Gras und zahlten ihre Steuern.

Und riß zuweilen eine Lammsgeduld,
Da rief das Oberschaf: „Nur kein Tumult!
Ertragen wir mit Würde Gottes Strafe.
Denn wir sind auch nicht ohne Schuld.“
Das sahen denn die treuen Lämmer ein,
Die nichts verstehn und alles gern verzeihn,
Und kehrten heim zum großen Dauerschlafe.
Es waren eben veritable Schafe!

(1921)

Quelle:
Erich Weinert: Die juckt es wieder. Ein Vortragsbuch mit hundert Gedichten und drei Aufsätzen. Verlag Volk und Welt, Berlin, 1964, S. 21-23.

Wilhelm Pieck, der erste deutsche Arbeiter-Präsident, sagte nach dem Tode der Dichters:
„In Erich Weinert verliert das deutsche Volk einen seiner bedeutendsten Dichter der Gegenwart. Kühn und kompromißlos kämpfte er als Meister des Worts in den Reihen der Arbeiterbewegung für die Befreiung des werktätigen Volkes und begeisterte durch sein Schaffen und sein persönliches Vorbild Millionen einfacher Menschen für den Kampf um eine bessere Zukunft. Erich Weinert war unbestritten einer der populärsten und beliebtesten deutschen Arbeiterdichter. Wir verlieren in Erich Weinert einen unermüdlichen Kämpfer gegen Krieg und Faschismus, einen großen Deutschen, der den Kampf gegen alles Morsche und Reaktionäre, gegen alles Verlogenene und Heuchlerische mit der großen echten Leidenschaft führte, die ihre Kraft aus seiner tiefen Liebe und seinem unerschütterlichen Vertrauen zu den gesunden und starken Kräften des deutschen Volkes schöpfte.“

(Übersichten und Biographien zum Literaturunterricht, Klasse 8-10. Volk und Wissen Volkseigener Verlag Berlin, 1965, S.86.)

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