Am 5. März 2021 wurde in Warschau eine Ausstellung über den Rittmeister Witold Piletzki eröffnet, die vom lokalen Büro für Volksbildung des Polnischen Instituts für Nationales Gedenken organisiert wurde. Dieses Ereignis betrifft Rußland mehr, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Der Piletzki-Kult ist eines der Elemente einer Propagandakampagne, die Polen gegen die Erinnerung an den Großen Vaterländischen Krieg führt, und es gibt bereits im Internet Auftritte polnischer Historiker über Piletzki in russischer Sprache. Man kalkuliert auf die Dummheit der russischsprachigen Zuhörer…
Soviel nun als Vorwort, das entnommen ist einem ähnlichen Beitrag des ukrainischen Publizisten Wladislaw Skworzow. Doch kommen wir nun zum eigentlichen Thema: Wer war eigentlich dieser Rittmeister Piletzki? (poln. Schreibweise Pilecki) Für die einen ist er ein Held, für die anderen ist er ein ganz gewöhnlicher Krimineller. Der polnische Autor W. Gulewicz geht der Sache auf den Grund…
Władysław Gulewicz / 21.05.2021 / Meinung des Experten
Der polnische Rittmeister Pilecki – oder:
Eine Legende ohne Wahrheit
Der Mann, der ein Epos über sich selbst schrieb
Die polnisch-israelischen Beziehungen erleben nicht gerade die besten Zeiten. Tel Aviv will von Warschau die Anerkennung der Tatsachen der Beteiligung polnischer bewaffneter Formationen an der Vernichtung der Juden während der Hitler-Besatzung erreichen, Warschau will diese Tatsachen nicht anerkennen. Im Jahr 2018 hat Polen sogar ein Gesetz zur strafrechtlichen Verurteilung von Erklärungen über die Verantwortlichkeit des Landes an der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung verabschiedet.
Woriun besteht der Streit zwischen Israel und Polen?
Die Minister und Premierminister beider Länder beschuldigen sich gegenseitig des Rassismus und des Hasses, und im Februar 2021 kam es zu einem Prozeß gegen die Vorsitzende des Internationalen Auschwitz-Rates in Polen, Barbara Engelking, und den Mitarbeiter der Universität Ottawa, Jan Gabrowski, in Kanada. Ihre Schuld bestand darin, daß sie in ihrem Buch „Nacht ohne Ende“ (Night Without End) über die Kollaboration der katholischen Polen mit den Nazis bei der Vernichtung der Juden geschrieben hatten.
Die doppelte Tragik der polnischen Juden
Warschau argumentiert, daß siebentausend Polen von Israel als „Gerechte der Völker der Welt“ anerkannt wurden – mehr als die Vertreter anderer Nationen. Dies ist tatsächlich der Fall, da Polen vor dem Krieg der am meisten „jüdische“ Staat Europas war und Fälle der Rettung von Juden durch die Polen tatsächlich stattgefunden haben. Es gibt jedoch eine Kehrseite der Medaille: Die aktivste Hilfe für die Hitleristen in Europa bei Razzien und Erschießungen von Juden haben auch die Polen erwiesen. Von den 6 Millionen Toten in den Jahren der Okkupation Polens waren 50% polnische Juden.
Ein Denkmal für Hitler?
1938 versprach der polnische Botschafter in Deutschland, Józef Lipski, Hitler ein Denkmal in Warschau zu errichten, wenn er Warschau helfen würde, die Juden nach Afrika umzusiedeln. In den Jahren 1939 und 1941 fanden im bereits besetzten Polen massive antijüdische Pogrome in Szczuczin und Jedwabne statt, 1945 in Kraków und 1946 in Kielce. Hunderte Juden kamen ums Leben, darunter Kinder und Frauen. In Szczuchin gab es zwei Pogrome und beide mit der Zustimmung des örtlichen katholischen Klerus.
Judenmorde auch durch die Armia Krajowa
Juden wurden auch von Abteilungen der Armia Krajowa (AK) ermordet. Im August 1944 ermordete die AK 60 Juden, die aus dem deutschen Lager in Skarzisko Kamenno geflohen waren, im Sezensker Wald. Im April 1946 tötete die Bande von Józef Kurasz sieben jüdische Kinder, die aus einem Sanatorium in der Nähe des Dorfes Waxmund der Wojewodschaft von Kleinpolen gestohlen worden waren.
Die polnische Regierung ehrt Nazikollaborateure
Die AK-Kämpfer im heutigen Polen wurden von seiten der deutschen Okkupanten mit dem Status von Helden und Befreiern des Landes ausgestattet. Kurasz sind Bücher gewidmet, und an der Wand der St.-Stanisław-Kostka-Kirche wurde ihm zu Ehren eine Gedenktafel angebracht. Im Jahr 2009 überreichte Präsident Lech Kaczynski dem Leon Taraszkiewicz, der im Februar 1946 in der Wojewodschaft Lublin eine Razzia gegen Juden in Parczew organisierte, das Große Kreuz des Ordens der Wiedergeburt Polens „für seine herausragenden Verdienste um die Unabhängigkeit Polens“.
Rittmeister Pilecki als Helfer der Nazis in Auschwitz
Und schon gibt es einen neuen Skandal. Die Journalistin der jüdischen Telegrafenagentur Katarzyna Markus erklärte die Kollaboration von Mitgliedern des polnischen Untergrunds im Konzentrationslager Auschwitz unter der Leitung des Rittmeisters Witold Pilecki mit den Nazis. Um die Schwere der Beschuldigung zu verstehen, muß man wissen, wer dieser Pilecki im heutigen Polen ist.
Pilecki als Informant der westlichen Geheimdienste
In seiner „offiziellen“ Biografie steht: Teilnehmer an den Kämpfen gegen die Rote Armee 1919 in Litauen, am sowjetisch-polnischen Krieg 1920 und dem Krieg gegen die Hitleristen 1939. 1940 fällt er freiwillig in die Hände der Deutschen, um nach Auschwitz zu kommen und dort einen antifaschistischen Untergrund zu organisieren. Von Auschwitz aus versorgt die Gruppe von Pilecki drei Jahre lang die Emigrantenregierung in London mit Informationen über die Lage im Lager. Nach 2½ Jahren flüchtet Pilecki aus dem Lager, kämpft und gerät wieder in Gefangenschaft, flüchtet erneut und kämpft wieder. 1945 nahm er Kontakt auf zu Offizieren des Verteidigungsministeriums der Polnischen Volksrepublik (PNR) und übergab vertrauliche Informationen an die westlichen Geheimdienste.
Der aufgebauschte Helden-Kult um einen Verbrecher
Nach der Anzahl der ihm gewidmeten Bücher, Filme, Ausstellungen, Denkmäler, Musikstücke und Theateraufführungen belegt Pilecki den ersten Platz unter den Mitgliedern des antikommunistischen Untergrunds des Nachkriegspolens. Es wurde ein Pilecki-Institut eingerichtet, um die Geschichte der „totalitären Regime“ im Europa des 20. Jahrhunderts zu studieren (das bezieht sich auf Hitler-Deutschland und die Sowjetunion). Und es wird versucht, den Warschauer Pilecki-Kult nach Rußland zu exportieren, indem man ihn als Helden Kareliens und Europas bezeichnet (der Rittmeister wurde in Olonjez geboren), und es gibt viele Artikel über ihn in russischer Sprache.
Im wirklichen Leben war Pilecki eine andere Person.
- Erstens ist er nicht freiwillig nach Auschwitz gekommen, sondern auf Befehl der Kommandanten, und der stolze Titel „freiwilliger Gefangener eines faschistischen Konzentrationslagers“ paßt nicht zu ihm. Die AK entstand als Folge der Fusion vieler polnischer Untergrundorganisationen, einige von ihnen waren gegeneinander feindselig. Bevor er zum AK kam, war Pilecki ein Kämpfer der Allianz des bewaffneten Kampfes, und die Kommandeure der AK in Warschau wollten ihn loswerden. Um sein Einverständnis, ins Konzentrationslager zu gehen, wurde er nicht gefragt.
- Zweitens weigerte sich Pilecki in Auschwitz, jüdischen Häftlingen zu helfen und verkehrte mit dem kollaborierenden Arzt Władysław Dering. An diese Tatsachen erinnert der Historiker Michał Wójcik in seinem Buch „Zapomniane Powstania w obozach Zagłady: Treblinka, Sobibór, Auschwitz-Birkenau“ (Die vergessenen Aufstände in den Todeslagern Treblinka, Sobibór, Auschwitz-Birkenau).
Der SS-Arzt Władysław Dering
Auf Befehl von SS-Offizieren kastrierte Dering 80 Häftlinge, einige von ihnen starben. 1991 nannte die britische Ausgabe des Observer Dering einen Hitler-Kriegsverbrecher. Pilecki wußte von Derings Verbrechen, das störte ihn aber nicht. Die Rettung der Juden in Auschwitz gehörte nicht zu seinen Plänen, ebensowenig wie zu den Plänen des AK-Kommandos. Obwohl die AK über Pilecki von den Hunderttausenden von Juden, die in das Lager gebracht wurden, informiert war, unternahm sie nicht eine einzige große Aktion, um Menschen zu retten. Einige Mitglieder der Zelle Pileckis haben Gefangene ermordet. Wenn einer der inhaftierten Kollaborateure den Polen half, ließ sich Pilecki wegen seiner Verbrechen gegen die Juden nicht in Verlegenheit bringen.
Die gehaßte Wahrheit über den Massenmörder von Auschwitz
Die Versuche jüdischer Journalisten, in Polen die Wahrheit über Pilecki zu erzählen, laufen ins Messer. Der Historiker Dr. Adam Cira versucht zu beweisen, daß Dering, indem er Gefangene kastrierte, ihnen dadurch das Leben rettete, weil von den Deutschen die Versuchspatienten nicht getötet wurden. Selbst die „Geretteten“ glaubten das nicht und bezeugten das im Prozeß gegen Dering nach dem Krieg. In einem Interview über Pilecki bemerkte Wujczik:
„Der berühmte Bericht dieses ,Freiwilligen ohne freien Willen‘ ist ein sensationelles, beruhigendes Geschwätz, aber kein störendes Signal [an die internationale Gemeinschaft]. Er schrieb ein Epos über sich selbst – über einen geschickten Rittmeister, der selbst in der Hölle eine Aufgabe erfüllte. Er berichtete, wie die Polen in Auschwitz die Deutschen geschickt an der Nase herumführen.“
Wegen Spionage für den USA-Geheimdienst hingerichtet…
Pilecki wurde 1948 wegen Spionage nach einem Urteil des Gerichts der VR Polen hingerichtet. Es ist bekannt, daß die USA einen Plan für massive Bombardements auf polnische Städte hatten. Die Informationen von Pileckis waren hierbei sicher hilfreich. Doch wie kann man ihn als Helden betrachten, wenn er freiwillig Hunderttausende von Landsleuten durch amerikanische Bomben zum Tod verurteilt hat?
Quelle: https://www.fondsk.ru/news/2021/05/21/rotmistr-pileckij-ili-legenda-bez-pravdy-53621.html?ysclid=ld33x4npv5456784675
Foto: dagospia.com
Siehe auch:
Der polnische Spion und Antikommunist Witold Pilecki
Местечковые страсти по придуманному герою
Витольд Пилецкий – преступник, но не герой
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