Eines der schönsten Bücher für Kinder in der DDR war der Bildband „Meine Heimat DDR“ von Hans Krumbholz. Es erschien 1980 in zweiter Auflage im Kinderbuchverlag der DDR. In diesem Buch, liebevoll gestaltet von Horst Wendland, beschreibt der Autor sein ganz persönliches Verhältnis zu seinem (und unserem!) sozialistischen Vaterland, der Deutschen Demokratischen Republik. Ganz unprätentiös und mit viel Detailgenauigkeit vermittelt er seinen jungen Lesern das Bild eines sozialistischen Staates, der sich von der kapitalistischen BRD – und nicht nur der heutigen! – unterscheidet, wie der Tag von der Nacht. Viele Ereignisse hat Hans Krumbholz miterlebt. Er berichtet darüber aus der Sicht eines Journalisten für alle, die in unsere neue Welt hineingeboren wurden, hält die Ergebnisse des Wirkens der älteren Generation fest und gibt Anregungen, die Heimat DDR zu entdecken. Hier nun ein kleiner Ausschnitt davon…
von Hans Krumbholz
Mit ihren fast 1250 Jahren ist Erfurt eine der ältesten Städte der DDR. Da ist die Krämerbrücke, eine Holzbrücke mit zweiunddreißig mittelalterlichen Fachwerkbauten darauf, die mit großem finanziellem Aufwand restauriert wurde. Über diese Brücke führten einst die Handelsstraßen von Lübeck nach Augsburg und von Kiew nach Köln. Die Krämerbrücke liegt heute inmitten idyllischer Grünanlagen, und so kommt ihre Schönheit erst zur Geltung; viele alte Bauten, die früher ringsherum standen, aber keinerlei historische Bedeutung besaßen, wurden abgerissen. Da ist der Anger, die größte Geschäftsstraße der Stadt, nunmehr eine gefällige Fußgängerpassage. Die Wohnungen in den alten Patrizierhäusern wurden modernisiert und die Fassaden in alter Schönheit wiederhergestellt.
Der Schuttabladeplatz, auf dem ich einst die Teile meines Fahrrades zusammenfand, und das Feld dahinter existieren überhaupt nicht mehr. Hier entlang ziehen sich heute breite Straßen, an modernen Wohnbauten des Rieth-Viertels vorbei, fahren Autos auf vierspurigen Fahrbahnen, rot-gelbe Tatrastraßenbahnen und blaue Ikarusbusse.
Als ich bei meinem letzten Besuch an der Gorki-Bibliothek vorbeikam, sah ich einen Maler auf einem Gerüst stehen, und der malte an einem riesigen Wandbild, das, wie ich dann später sah, alle vier Seiten der Fassade des Gebäudes einnehmen wird. Das interessierte mich, versuchte doch hier ein Künstler, einem Neubaugebiet ein eigenes Gesicht zu geben, eine riesige Bildergalerie, auf die man aus allen Hochhäusern, von den Fenstern und Balkons der Wohnhäuser herüberschauen kann. Ich kletterte zu dem Maler aufs Gerüst und schaute ihm bei der Arbeit zu. Natürlich hatte ich vorher gefragt, ob er etwas dagegen hätte. Ich erfuhr, daß er, Erich Enge, ein Erfurter, schon seit Monaten auf diesem Gerüst stehe und am größten Wandbild der DDR arbeite.
Viele Einwohner der Stadt, vor allem Kinder, fänden sich ein. „Oft“, so erzählte mir Erich Enge, „kommen die Neugierigen zu mir aufs Gerüst, denn eine Wandfläche von sechshundert Quadratmeter Größe wurde in unserer Republik noch nicht bemalt, noch dazu eine, die um vier Ecken geht. Das erhöhte für mich den Reiz der Aufgabe. Die Ecklösungen des Wandfrieses müssen logisch sein, und ich möchte erreichen, daß der Betrachter neugierig um die Ecken läuft und daß er nachdenkt. Das Gemälde soll Lenins Worte: ,Die Idee wird zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen ergreift!‘ ausdrücken.
Dieses Thema habe ich bewußt gewählt, denn der Wandfries verschönt ja einen Wissensspeicher. Lenins Idee wurde Wirklichkeit, als die Schüsse des Kreuzers Aurora das Signal zur Oktoberrevolution gaben und die russischen Arbeiter und Bauern die Macht in ihrem Lande übernahmen. Diese Ereignisse stelle ich auf dem Ostgiebel dar. Unsere neue Zeit symbolisiere ich durch Menschen und Gegenstände von heute, zum Beispiel einen Jungen, der auf dem Sonnensegel eines Sojus-Raumschiff es steht. Er deutet an, daß auch ein Mensch aus unserem Land im Weltall flog und andere fliegen werden. Die im Bild dargestellte Erdkugel wird von den Objektiven der Multispektralkamera angepeilt. Sie ist ein Detail, das für den wissenschaftlich-technischen Fortschritt unserer Tage spricht. Auch die Geschichte unserer Republik und unser tägliches Leben beweisen es immer wieder, daß die Ideen von Marx, Engels und Lenin in die Wirklichkeit umgesetzt werden.
Durch Wissen erlangt der Mensch die Macht, die ihm Einfluß auf die Veränderung seines Lebens ermöglicht. Diesen Gedanken habe ich auf der Stirnseite gestaltet. Dort sieht man unter anderem ein Mädchen, das einen Vorhang zur Seite reißt, auf dem eine auf dem Kopf stehende Eule abgebildet ist. Die Eule galt schon im antiken Griechenland als Symbol der Weisheit. Indem ich sie auf den Kopf stellte, will ich Unwissenheit ausdrücken. Unwissenheit, die in unserem Land überwunden wurde.“
Erich Enge hatte mich nachdenklich gemacht. Noch einmal ging ich um seinen Wandfries und entdeckte weitere vertraute Symbole für Ereignisse und Prozesse, die ich in den dreißig Jahren der Entwicklung in unserem Land miterlebte. Hatte ich nicht ebenfalls Unwissenheit beiseite geschoben, als ich auf Entdeckungsfahrt ging? Ich beschloß, nicht nur meiner Heimatstadt Erfurt und meinem alten Kietz einen Besuch abzustatten, sondern noch einmal all die Orte aufzusuchen, an denen ich in den dreißig Jahren des Bestehens der DDR war. Natürlich bin ich auch damals nicht überall mit dem Fahrrad hingefahren, da wäre so manche Reportage, die ich später in meiner Tätigkeit als Journalist für die Zeitung schrieb, beim Erscheinen schon unaktuell gewesen. Ich nutzte Eisenbahnen, Autos, Schiffe und Flugzeuge. Aber vieles habe ich mir doch mit dem Fahrrad erschlossen und so manches gesehen, an dem man mit dem Auto schnell vorbeihuscht.
Ich habe meinen Beschluß, zu dem mich Erich Enges Wandbild anregte, auch verwirklicht. In den folgenden Geschichten will ich euch, meine jungen Leser, erzählen, was ich dabei erlebte, wie ich sah, daß sich aus dem Gestrigen das Heutige in unserer Heimat DDR entwickelte…
Vielleicht kennen Sie auch Otto Damm, seinerzeit Karrikaturist unserer Lokalzeitung „Das Volk“. Eine seiner unglaublich trefflichen Karikaturen habe ich noch im Gedächtnis: Bild 1 zeigt Schafe in einem Pferch. Anhand der Kopf- und Körperhaltung der Schafe war klar: Die wollten alle raus. Das 2. Bild zeigte einen leeren Pferch und Schafe die drumherumstanden: Unmißvertändlich, die wollten alle wieder rein 😉
Spätsommer 1989
Hat dies auf Der Saisonkoch rebloggt und kommentierte:
Es gibt mal ein Kinderbuch nebst der Nennung des Autoren beim Genossen Sascha.
Hans Krumbholz, sein Name. In Kürze, wenn ich mit der Software besser zurecht komme, werde ich meinen Lesern natürlich noch mehr Bücher meiner Genossen vorstellen. Meine Leser wissen, ich bevorzuge Arbeiterliteratur. Und die möchte ich meinen Lesern natürlich vorstellen.