Stalin: Der Marxismus und die nationale Frage

Stalin2-266 In den Jahren 1912 bis Anfang 1913, also bevor von einer siegreichen proletarischen Revolution überhaupt die Rede sein konnte, hatte Stalin sich eingehend mit der nationalen Frage befaßt. Das war umso wichtiger, als bürgerliche und reaktionäre Kräfte bemüht waren, die Vereinigung der Arbeiter im Kampf um ihre Rechte zu verhindern. Dazu gehörte vor allem der Nationalismus, der Zionismus unter den Juden, der wachsende Chauvinismus in Polen, der Panslawismus unter den Tataren, das Erstarken des Nationalismus unter den Armeniern, Georgiern und Ukrainern sowie die allgemeine Neigung des Spießers zum Antisemitismus. Sehr hoch hatte daher Lenin die Arbeit Stalins bewertet. Doch das zaristische Regime geriet in Panik. Kurz nach ihrem Erscheinen ließ der zaristische Innenminister die Broschüre aus allen öffentlichen Bibliotheken und Lesehallen entfernen. Stalin wurde verhaftet und für vier Jahre in die politische Verbannung geschickt.

Hier nun Auszüge aus der o.g. Broschüre vom Januar 1913:

J. Stalin

Marxismus und nationale Frage

Die Periode der Konterrevolution in Rußland brachte nicht nur „Donner und Blitz“, sondern auch Enttäuschung über die Bewegung, Unglauben an die gemeinsamen Kräfte. Man hatte an eine „lichte Zukunft“ geglaubt – und da hatte man gemeinsam gekämpft, einerlei zu welcher Nationalität man gehörte: Die gemeinsamen Fragen vor allem! Zweifel schlichen sich in die Seele, und man begann auseinander zugehen, jeder in sein nationales Kämmerlein: Ein jeder baue nur auf sich selbst! Das „nationale Problem“ vor allem!

Wirtschaftliche Veränderungen

Im Lande vollzog sich unterdessen eine bedeutsame und jähe Wandlung des wirtschaftlichen Lebens. Das Jahr 1905 war nicht umsonst gewesen: Die Überreste der Leibeigenschaftsordnung auf dem Lande hatten einen weiteren Stoß erlitten. Eine Reihe von Jahren guter Ernte nach den Hungerjahren und der auf sie folgende industrielle Aufschwung brachten den Kapitalismus vorwärts. Die Differenzierung auf dem Lande und das Wachstum der Städte, die Entwicklung des Handels und der Verkehrswege machten einen großen Schritt vorwärts. Das gilt besonders für die Randgebiete. Dieser Umstand mußte aber zwangsläufig den Prozeß der wirtschaftlichen Konsolidierung der Nationalitäten Rußlands beschleunigen. Sie mußten in Bewegung geraten…

Nationalistische Tendenzen

Die von oben ausgehende Welle eines streitbaren Nationalismus, eine ganze Reihe von Repressalien der „Machthabenden“, die sich an den Randgebieten wegen ihrer „Freiheitsliebe“ rächten, lösten eine Gegenwelle des Nationalismus von unten aus, der mitunter in brutalen Chauvinismus überging. Das Erstarken des Zionismus unter den Juden, der wachsende Chauvinismus in Polen, der Panislamismus unter den Tataren, das Erstarken des Nationalismus unter den Armeniern, Georgiern und Ukrainern, die allgemeine Neigung des Spießers zum Antisemitismus – alles das sind allbekannte Tatsachen. Die Welle des Nationalismus rollte immer stärker heran und drohte, die Arbeitermassen zu erfassen. Und je mehr die Freiheitsbewegung abebbte, umso üppiger kamen die Blüten des Nationalismus zur Entfaltung.

Quelle: J. Stalin „Marxismus und nationale Frage“. In: J. Stalin, Werke, Dietz Verlag Berlin, 1950, S.266f. (Zwischenüberschriften eingefügt!)

Wie reagierte der bürgerliche Staat?

Mit allen möglichen juristischen Tricks, mit Verhaftungen und wahltaktischen Manövern, mit scheinbaren Zugeständnissen und Versprechungen versuchte die herrschende Klasse, die Unzufriedenheit unter der werktätigen Bevölkerung des zaristischen Rußland zu beschwichtigen. Doch das Maß war bereits voll. Den ökonomischen Aktionen der Arbeiter folgten politische Aktionen. Und den Lohnstreiks folgte – das Blutbad an der Lena.

Lena 1912Die zaristische Regierung entsandte Truppen von Kirensk nach Bodaibo, und in der Nacht des 17. April 1912 wurden alle Mitglieder des Streikkomitees verhaftet. Am nächsten Morgen forderten die Arbeiter ihre sofortige Freilassung. An diesem Tag marschierten etwa 2.500 Menschen zum Nadeshdiner Goldfeld, um eine Beschwerde gegen die Willkür der Behörden bei der Staatsanwaltschaft einzureichen. Die Arbeiter wurden von Soldaten empfangen, die auf Befehl von Hauptmann Tereschenkow in die Menge zu schießen begannen, wodurch es Hunderte von Toten und Verwundeten gab. Die Lokalzeitung „Swesda“ berichtete unter anderem von 270 Toten und 250 Verletzten.

Der Nationalismus der Gegenwart

Unter Nationalismus ist die Überbewertung und Idealisierung des Nationalen zum Zwecke der Verschleierung de Klassengegensätze zu verstehen. Das ist charakteristisch für die bürgerliche Politik und Ideologie. Die DDR war ein sozialistischer Staat deutscher Nation. Die BRD war und ist ein imperialistischer Staat. Wie nun aus einer Randnotiz vom 30. Oktober 1956 in Stalins Werken, Band 2, S.266, zu ersehen ist, war die nationale Frage in der DDR ein wichtiges Thema, denn gerade auch die Deutschen hatten schon mehrfach ein Problem mit ihrem Chauvinismus – sowohl während des ersten, als auch während des zweiten Weltkriegs.

Nicht zuletzt trifft dieser Chauvinismus und der Zionismus in weiten Teilen des imperialistischen Europas auch heute noch zu. Ebenso ist auch der Panislamismus, eine antikolonialistische, von feudalen Kräften unterstützte Ideologie, in einigen arabischen Ländern noch vorhanden. Wir wollen nun erklären, was man darunter versteht:
  • Chauvinismus ist ein eroberungssüchtiger Nationalismus, der Haß gegen andere Völker schürt.
  • Zionismus ist die reaktionär-nationalistische Strömung, die ihre Anhänger unter der jüdischen Bourgeoisie, der Intelligenz und unter den rückständigsten Schichten der jüdischen Arbeiter hat. Die Zionisten waren stets bestrebt, die jüdischen Arbeitermassen vom gemeinsmaen Kampf des Proletariats zu isolieren.
  • Panislamismus ist eine reaktionäre religiös-politische Ideologie, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Türkei des Sultans unter türkischen Gutsbesitzern, der Bourgeoisie und der Geistlichkeit entstand und sich dann unter den besitzenden Klassen der anderen mohammedanischen Völker verbreitete. Der Panislamismus predigte die Vereinigung aller sich zum Islam (der mohammedanischen Religion) bekennenden Völker zu einem einzigen Ganzen. Mit Hilfe des Panislamismus versuchten die herrschenden Klassen der mohammedanischen Völker ihre Position zu festigen und die revolutionäre Bewegung der Werktätigen der orientalischen Völker zu erdrosseln.  (vgl. Stalin, Werke Bd. 2, S. 363f)

Klassengegensätze und die nationale Frage

Und weiter geht’s mit Stalin:

Ob das Proletariat unter das Banner des bürgerlichen Nationalismus tritt oder nicht- das hängt von dem Grad der Entwicklung der Klassengegensätze, vom Klassenbewußtsein und von der Organisiertheit des Proletariats ab. Das klassenbewußte Proletariat hat sein eigenes erprobtes Banner, und es hat keine Ursache, unter das Banner der Bourgeoisie zu treten. […]

Kampf der bürgerlichen Klassen untereinander

Aus dem Gesagten wird klar, daß der nationale Kampf unter den Bedingungen des aufsteigenden Kapitalismus ein Kampf der bürgerlichen Klassen untereinander ist. Manchmal gelingt es der Bourgeoisie, das Proletariat in die nationale Bewegung hineinzuziehen, und dann scheint der nationale Kampf äußerlich ein Kampf „des ganzen Volkes“ zu sein, aber nur äußerlich. Seinem Wesen nach bleibt er stets ein bürgerlicher Kampf, der hauptsächlich für die Bourgeoisie vorteilhaft und ihr genehm ist.

Der Freiheitskampf des Proletariats

Daraus folgt aber keineswegs, daß das Proletariat nicht gegen die Politik der Unterdrückung der Nationalitäten kämpfen soll. Beschränkung der Freizügigkeit, Entziehung des Wahlrechts, Knebelung der Sprache, Verringerung der Zahl der Schulen und sonstige Repressalien treffen die Arbeiter in nicht geringerem, wenn nicht in höherem Maße als die Bourgeoisie. Eine solche Lage kann die freie Entwicklung der geistigen Kräfte des Proletariats der unterworfenen Nationen nur hemmen.

Quelle: J. Stalin „Marxismus und nationale Frage“. In: J. Stalin, Werke, Dietz Verlag Berlin, 1950, S.280. (Zwischenüberschriften eingefügt!)

Warum ist das auch heute noch aktuell?

Hier zitieren wir wieder Stalin:

Recht auf Selbstbestimmung, das heißt: Nur die Nation selbst hat das Recht, über ihr Schicksal zu bestimmen; niemand hat das Recht, sich in das Leben einer Nation gewaltsam einzumischen, ihre Schulen und sonstigen Einrichtungen zu zerstören, ihre Sitten und Gebräuche umzustoßen, ihre Sprache zu knebeln, ihre Rechte zu schmälern.

Quelle: J. Stalin „Marxismus und nationale Frage“. In: J. Stalin, Werke, Dietz Verlag Berlin, 1950, S.283.

Das trifft auch auf Rußland und die russischsprachige Bevölkerung im Donnbass zu, sowie auf das Volk von Palästina, nicht aber auf die Aggressivität des USA-Imperialismus, der mit Hilfe faschistischer Regierungen Krieg gegen die Bevölkerung anderer Länder führt.

Die nationale Frage und der Sozialismus

Doch warum hat Stalin die deutschen Kommunisten 1945 davor gewarnt, unmittelbar nach der Niederlage des deutschen Faschismus zum Aufbau des Sozialismus überzugehen?  In einer Rede auf der Wirtschaftskonferenz der KPD im November 1945 erklärte Fritz Selbmann es so:

Eine Arbeiterklasse, die 12 Jahre dem Nationalsozialismus Gefolgschaft geleistet, die am 22. Juni 1941 die Schande des Überfalls auf die Sowjetunion nicht verhindert hat, eine Arbeiterklasse, die bis in die letzten Wochen und Monaten vor dem Zusam­menbruch nicht nur gezwungen, sondern zu einem großen Teil freiwillig mitgegangen ist, eine Arbeiterklasse, von der große Teile geglaubt haben, daß es möglich sei, daß Deutschland auf Kosten anderer Völker sich ein besseres Leben erringen könnte, die 12 Jahre den Grundsatz der internationalen Solidarität vergessen hat, eine Arbeiter­klasse, bei der 12 Jahre lang das Klassenbewußtsein verschüttet und demoralisiert war, kann den Schritt zum Sozialismus noch nicht gehen. Darum wollen wir die De­mokratie, darum wollen wir, daß in dieser Periode der demokratischen Entwicklung Deutschlands auch die Kräfte der Arbeiterklasse organisatorisch und ideologisch herangebildet werden für unsere neuen geschichtlichen Aufgaben.

Quelle: Fritz Selbmann, „Acht Jahre und ein Tag. Bilder aus den Gründerjahren der DDR“, Berlin 1999, S. 89.

Die nationale Frage und der Sozialismus

Und hier noch einmal Stalin:

Erst im Reiche des Sozialismus kann völliger Friede hergestellt werden. Aber den nationalen Kampf auf ein Mindestmaß zu reduzieren, ihn an der Wurzel zu untergraben, ihn für das Proletariat in höchstmöglichem Grade unschädlich zu machen, das ist auch im Rahmen des Kapitalismus möglich. Davon zeugen, sagen wir, die Beispiele der Schweiz und Amerikas. Dazu muß das Land demokratisiert, muß den Nationen die Möglichkeit freier Entwicklung gewährt werden.

Quelle: J. Stalin „Marxismus und nationale Frage“. In: J. Stalin, Werke, Dietz Verlag Berlin, 1950, S.285.

Siehe auch: Lenin, Stalin und der revolutionäre Kampf

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4 Antworten zu Stalin: Der Marxismus und die nationale Frage

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  3. Erfurt schreibt:

    Freiheit, Sprache, Kultur und Demokratie, das sind in erster Linie nationale Fragen. Das heißt, daß man diese Fragen nur innerhalb einer Nation und nur durch nationale Kräfte lösen kann. Die Migration jedoch, also das ständige Einschleusen von Menschen verschiedenster Nationen, ist einem solchen Bestreben entgegengerichtet.

    P.S. Sascha: Stalin 1956? Wahrscheinlich soll es 1950 heißen.

    • sascha313 schreibt:

      Nein, nein – das stimmt schon (s. Foto). Der vorige Besitzer der gesammelten Werke, ein gewisser A.H. aus Altenburg b.Lpz., hat auch vieles unterstrichen. Er notierte „Lektion 61, 30.10.56“ – es ist tatsächlich kurios, denn im Febr.56 hatte der Antikommunist Chru. seine „Geheimrede“ gehalten (die allerdings erst im Dezember 1989 auf Veranlassung von den ebenfalls antikommunistischen Herausgebern Gabert und Prieß im Dietz Verlag Berlin veröffentlich wurde. Im Jan.1990 erschien dann auch im selben Verlag die Lügenbroschüre „Stalinismus“ von diesem Professor Heinz Kühnrich – das ist schon fast ein Krimi!)…

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