Ljubow Pribytkowa: Kennt Putin überhaupt die russische Geschichte? Verbeugung vor einem Massenmörder.

Putin kniet vor ZarendenkmalAm 5. Mai 2021 wurde in Gatschina, unweit von St. Petersburg, ein Denkmal für den russischen Zaren Alexander III. enthüllt. Bei den Feierlichkeiten war auch der russische Präsident Wladimir Putin anwesend. Er kniete vor dem Denkmal nieder, legte Blumen nieder und hielt dann eine enthusiastische Rede — „Die Ära Alexanders III. gibt uns ein Beispiel…“, „Der Zar hat seinem Volk treu gedient“, „Alexander III. ist ein Fels in der Brandung, super“… Putin nannte Alexander III. sogar „Der Zaren war ein Friedensstifter“. Um es gelinde auszudrücken – das Erstaunen ist grenzenlos. Hat Putin wirklich so wenig Ahnung von der Geschichte…?

Der letzte Vertreter der Romanow-Dynastie

Der Imperator von Rußland Zar Alexander III. (1845-1894) war der Sohn des Zaren Alexander II. (1818-1881) und sein Großvater war Nikolaj I. (1796-1855). Der Sohn von Alexander III. war der letzte Vertreter der Romanow-Dynastie. Nikolaj II. (1868-1918) erhielt im Volk den Beinamen „Der Blutige“.

Schauen wir uns zunächst einmal an, wie Rußland während der Herrschaft dieser Familie aussah. Vierhundert Jahre lang bestand im zaristischen Rußland die Leibeigenschaft. Dies waren die schwärzesten Seiten unserer Geschichte. Das Leben der meisten Menschen war unerträglich. Es ist kein Zufall, daß der bedeutende Dichter Michail Lérmontow, der in den Kaukasus auswanderte, im Jahre 1841 schrieb: „Leb‘ wohl, schmutziges Rußland, Land der Sklaven, Land der Herren…“ Ein großer Teil der Gesellschaft war ungebildet, machtlos, niedergedrückt von Armut, Ungleichheit und Angst…

Leibeigenschaft in Rußland

Über das Wesen der Leibeigenschaft habe ich bereits in dem Artikel „Warum sang Nikita Michalkow ein Loblied auf die Leibeigenschaft?“ (http://www.love-cccp.ru) geschrieben. Ich erinnerte meine Leser daran, daß der herausragende russische Schriftsteller Alexander Radischtschew im Jahr 1790 ein Buch „Eine Reise von St. Petersburg nach Moskau“ schrieb. Es ist voller Fakten über das harte Leben und die Rechtlosigkeit der Leibeigenen, die Willkürherrschaft der Grundherren und die politische Unterdrückung, die in Rußland herrschte.

„Ich sah mich um, meine Seele war verwundet vom Leid der Menschen“, schrieb er. „Rings umher war hoffnungslose Sklaverei. Das war die Lebensgrundlage des Adels und der Leibeigenen in der zaristischen Monarchie.“

Aus den „Aufzeichnungen eines Revolutionärs“…

Ich blättere in den Seiten von P.A. Kropotkins bemerkenswertem Buch „Aufzeichnungen eines Revolutionärs“, das er 1902 geschrieben hat. Aufgewachsen in einer Familie eines Großgrundbesitzers, beschrieb er mit enzyklopädischer Genauigkeit das Leben des russischen Adels und der Leibeigenen. Bei der Leibeigenschaft besaß der Grundherr das Land, und die dort lebenden Bauern waren de facto sein Eigentum. Der Grundherr hatte das Recht, die Bauern zu verkaufen, zu kaufen und zu tauschen. Die Zeitung „Moskowskije Wedomosti“ veröffentlichte solche Anzeigen: „Verkauft werden zwei Hofleute, von denen der eine ein Schreiber und der andere ein Musiker ist.“ Unwidersprochen konnte der Gutsherr seine ihm zugehörigen Bauern gegen ein Paar Windhundwelpen eintauschen. Nach eigenem Ermessen konnte er sie verheiraten, für das kleinste Vergehen auspeitschen oder zu den Soldaten geben.

Pjotr Kropotkin schrieb:
„Der Soldatendienst war schrecklich: Er dauerte 25 Jahre. Schläge, Ruten, Stöcke hagelte es jeden Tag. Dabei überstieg die Grausamkeit alles, was man sich vorstellen kann. Wenn jemand vor dem Kriegsgericht für schuldig befunden wurde, lautete das Urteil fast immer: Spießrutenlauf. Dann wurden tausend Soldaten in zwei Reihen aufgestellt, bewaffnet mit fingerdicken Stöcken (man hatte den deutschen Namen ,Spitzruten‘ beibehalten). Der Verurteilte wurde drei-, vier-, fünf- und siebenmal durch die Reihen gejagt, wobei jeder Soldat ihm jedesmal einen Hieb versetzte. Die Unteroffiziere sorgten dafür, daß die Soldaten mit voller Kraft zuschlugen. Nach ein- oder zweitausend Hieben wurde das blutende Opfer ins Hospital gebracht, um dort nur behandelt zu werden, damit die Bestrafung zu Ende geführt werden konnte…“

Blutiger Terror unter Nikolaj I.

Der Zar Nikolaj I. war hemmungslos. Jedes Jahr gab es an dem einen oder anderen Ort in Rußland Bauernaufstände. Im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts kam es zu vier Bauernaufständen. Im September 1603 brach ein Aufstand von Bauern und Leibeigenen aus. Zar Boris Godunow schlug den Aufstand nieder. Im Jahre 1606 erhob sich der entlaufene Leibeigene Iwan Bolotnikow, der das Talent eines hervorragenden militärischen Führers und Organisators hatte. Die zaristischen Truppen schlugen den Volksaufstand blutig nieder.

Im Frühjahr 1670 begann am Don ein stärkerer Volkskrieg, angeführt von dem talentierten Anführer Stepan Rasin. Die Aufständischen eroberten Zarizyn, Saratow und Samara. Die Bauern erschlugen die Wojewoden, die Grundherren und ihre Diener, und erhoben sich zum Kampf. Die Grundbesitzer verließen in Panik die Ländereien. Fürst Juri Dolgoruki unterdrückte den Aufstand mit unglaublicher Grausamkeit. Doch Stepan Rasin blieb für immer im Gedächtnis des Volkes, das seine Heldentaten in Liedern und Legenden besang.

Niederschlagung des Volksaufstands unter Pugatschow

Einen großen Auftrieb erhielt die Bewegung von Jemeljan Pugatschow im Jahr 1773. Die Unterdrücker waren im Volk verhaßt. Aufständische zündeten Gutshöfe und erschlugen die Grundbesitzer. Der Volksaufstand wurde niedergeschlagen. Erst im Jahre 1820, während der Herrschaft von Alexander II., kam es in 13 russischen Gouvernements zu Unruhen. Die Situation verschlimmerte sich durch eine schwere Hungersnot in den Jahren 1820-1821. Ganze Dörfer ernährten sich von Spreu, Quinoa und Baumrinde. Hungerepidemien forderten ihren Tribut. Doch die Grundbesitzer trieben den Brotpreis in die Höhe…

Der Vaterländische Krieg 1812

Der Vaterländische Krieg 1812 zeigte den denkenden Menschen Rußlands: die Leibeigenschaft ist ein grausames unmenschliches System. Soldaten der Armee, die einmal in Europa gewesen waren, sahen die Möglichkeit eines Lebens ohne Leibeigenschaft.

Sie sagten: „Wir haben unser Blut vergossen, und nun werden wir wieder gezwungen, in der Fron zu schwitzen. Wir haben die Heimat von einem Tyrannen befreit, und nun werden wir wieder von einem Herrn tyrannisiert.“

Am 14. Dezember 1825 erhoben sich die Dekabristen auf dem Senatsplatz von St. Petersburg. Die Besten der Besten der höfischen Klasse sprachen sich offen „gegen Gewalt, Unterdrückung und Verhöhnung der Anhänger der Leibeigenschaft gegenüber dem rechtlosen Volk“ aus.

Der politische Führer des Aufstands, Pawel Pestel, sagte: „Die Sklaverei muß entschlossen vernichtet werden, und der Hofadel muß unbedingt und für alle Zeiten dem abscheulichen Vorteil, andere Menschen zu besitzen, abschwören.“

Dekabristen-Aufstand

Der Aufstand der Dekabristen war eine heldenhafte Leistung der adeligen Revolutionäre gegen den Zarismus. Zar Nikolaus I. (übrigens, der Großvater von Wladimir Putins geliebtem Zar Alexander III) hat gnadenlos mit ihnen abgerechnet. Es donnerten die Kanonen und 1271 Teilnehmer des Aufstands blieben auf dem Platz liegen. Viele kamen um, sie ertranken im Fluß bei dem Versuch, die Newa zu überqueren. Oberst Pestel, Oberstleutnant Rylejew, Oberstleutnant Sergej Murawjow-Apostol, Oberstleutnant Bestushew-Rjumin und Oberst Kachowski wurden erhängt. 121 Dekabristen wurden auf Beschluß des Obersten Gerichts in ewige Zwangsarbeit geschickt. Nikolaus I. überraschte Europa mit seiner „Barmherzigkeit“.

Die Dekabristen wurden zwar getötet, doch ihr Banner des Kampfes wurde von dem revolutionären Demokraten Alexander Herzen aufgehoben. Mit seiner Zeitschrift „Die Glocke“ entfaltete er eine revolutionäre Agitation. Die revolutionären nichtadligen Intellektuellen von Tschernyschewski bis Dobroljubow griffen es auf. Der Kampf wurde von den Volkstümlern und den Mitgliedern der Partei „Volkswille“ fortgeführt.

Große Bauernunruhen 1841-1850

Der spontane Bauernkrieg hörte nicht auf. Von 1831 bis 1840 gab es in Rußland 328 Bauernunruhen, von 1841 bis 1850 waren es bereits 545 und von 1851 bis 1860 schon 1.010. Es ist kein Zufall, daß der Führer des russischen Proletariats, Wladimir Iljitsch Lenin, den Übergang von den 1850er zu den 1860er Jahren eine revolutionäre Situation nannte.

In 1861 faßten die Machtorgane Alexander II. den Beschluß über die Beseitigung der Leibeigenschaft. 30 Millionen Bauern schienen die Freiheit erhalten zu haben, die Reform schien ihnen mehr Raum für die Bewegung auf dem Weg der wirtschaftlichen Entwicklung zu geben, aber es gab nur wenig Land, große Armut und Analphabetentum, und vor allem die wirtschaftliche Abhängigkeit von Gutsbesitzern. Viele haben überhaupt ihr Grundstück verloren. Der bedeutende Schriftsteller Lew Tolstoi schrieb an Herzen, daß die Reform von 1861 ein „brutaler Betrug des Volkes“ gewesen sei. Schwierig war auch die Lage der Arbeiter in den Betrieben in den Städten.

Der Henker des russischen Volkes

Zar Alexander II. wurde im Volk nur noch „der Henker“ genannt. Hunderte von Bauern wurden erschossen, Tausende wurden mit Peitschen, Spitzruten und Stöcken geschlagen, viele kamen dabei zu Tode, Überlebende wurden zur Zwangsarbeit und in die Verbannung geschickt. Mit noch mehr Blut unterdrückte Alexander II. den Volksaufstand 1863 in Polen, Litauen und Weißrußland. Die jungen Revolutionäre des „Volkswillens“ kamen aus Haß auf die Selbstherrschaft, aus Liebe und Mitgefühl für das eigene Volk zur Anerkennung des Terrors als einzige Methode des Kampfes. Auf den autokratischen Terror reagierten sie mit revolutionärem Terror.

Die Märtyrer von 1881

Am 1. März 1881 wurde Alexander II von den Revolutionären des „Volkswillens“ hingerichtet. Der Zarismus war erschrocken. Und der Jubel des Volkes kannte keine Grenzen. Nach dem Prozeß wurde in den frühen Morgenstunden an der Kreuzung der Petersburger Straße eine Regierungsmitteilung ausgehängt:

„Heute am 3. April um 9 Uhr werden folgende Staatsverbrecher mit dem Tode durch Hängen bestraft: die Leibeigene Sofja Perowskaja, der Sohn des Priesters Nikolaj Kibaltschitsch, der Bürger Nikolaj Rysakow sowie die Bauern Andrej Sheljabow und Timofej Michajlow.“

Lew Tolstoi wandte sich an den Thronfolger, den Sohn des ermordeten Alexander III., mit der Bitte um die Begnadigung des Jungen, erhielt jedoch eine entschiedene Absage.

Ein Denkmal für einen Mörder

Der russische Präsident Wladimir Putin legte im Mai 2021 begeistert auf Knien Blumen an seinem Denkmal nieder, doch in der UdSSR gab in 36 Städten des Landes die Straßen, die nach Sofja Perowskaja benannt worden waren, und in 20 Städten eine Sheljabow-Straße. Was war doch das Viel-Millionen-Volk des ersten Arbeiter-und-Bauern-Staates der Welt so finster und Putin so klug, daß er den Mörder der Kämpfer für das Volk als „Friedensstifter“ bezeichnete.

Doch inzwischen hat der Imperator Alexander III., der, nach den Worten Putins, „treu dem Volk gedient“ habe, sofort nach der Hinrichtung ein Manifest „Über die Unabhängigkeit der Selbstherrschaft“ herausgegeben. Er verschärfte die administrativen und polizeilichen Repressalien und Zensur im Land. In den Universitäten wurde die Autonomie beseitigt, neue Statuten eingeführt, die den Unfug und den Freigeist beseitigen sollten. entfernt Unter verschiedenen Vorwänden wurden der besten Professoren beseitigt. Ein Rundschreiben „Über die Kucharkin-Kinder“ wurde veröffentlicht, das verbietet, Kinder aus der Unterschicht – von Kutschern, Lakaien, Köche usw. – ins Gymnasium aufzunehmen. Viele Zeitschriften radikaler und liberaler Orientierung, darunter die berühmten „Vaterländischen Aufzeichnungen“, die von den talentierten russischen Schriftstellern Nekrassow, und später von Saltykow-Schtschedrin geleitet worden waren, mußten eingestellt werden.

Zaristische Repressalien

Studenten wurden für ihre Reden hart bestraft; sie wurden von den Universitäten verwiesen und ins Exil verbannt. Selbst ein gewöhnlicher Vergnügungsabend konnte von Studenten nicht ohne die Erlaubnis der Polizei abgehalten werden. Die Grundschulen wurden unter die Kontrolle der Synode (des höchsten Organs der russisch-orthodoxen Kirche) gestellt. Die Volksschulen wurden durch kirchliche Schulen ersetzt. Ab 1892 wurde das Wahlrecht nur noch wohlhabenden Stadtbewohnern gewährt. In den Vororten begann man eine Politik der Russifizierung und der Einschränkung der Rechte von Nicht-Russen (insbesondere Juden) zu betreiben.

Die Greueltaten unter der Selbstherrschaft

Über die unmenschlichen Befehle der Selbstherrschaft im Jahre 1885 hat S.M. Stepnjak-Krawtschinski ein anklagendes Buch mit dem Titel „Rußland unter der Herrschaft der Zaren“ geschrieben. Das Buch wurde in England veröffentlicht, da sich der Autor im Ausland verbergen mußte. Ich lese im Vorwort des Buches, das 1964 in Moskau erschien:

„Die Greueltaten der zaristischen Regierung sind so maßlos, daß es sinnlos ist, sie abzumildern, so als wolle man den Ozean mit einem Becher ausschöpfen.“

Die Despotie der Selbstherrschaft rief Haß und Protest unter den frei denkenden Menschen des Landes hervor. Sie gab den Revolutionären keine andere Methode des Widerstands gegen die zaristische Politik als den Terror. Im Jahr 1887 beschloß eine Gruppe von Volkstümlichen, Alexander Uljanow, Generalow, Andrejuschkin, Osipanow und Schewyrjew ein Attentat auf Alexander III. Ihre heroische Tat war erfolglos und tragisch für sie. Alle fünf wurden zum Tod durch den Strang verurteilt.

Zar „Nikolaj der Blutige“

Für Wladimir Iljitsch Lenin (den damals noch siebzehnjährigen Wolodja Uljanow) war der Tod seines älteren Bruders Alexander Uljanow ein großer Schmerz. Aber er hat damals schon viel verstanden und gesagt: „Nein, wir werden diesen Weg nicht gehen. Nicht diesen Weg dürfen wir gehen.“ – Man mußte unter der Herrschaft von Nikolaj II., dem Sohn Alexanders III., der als „Nikolaj der Blutige“ in die Geschichte einging, nach einem anderen Weg des Kampfes suchen.

  • Viele kennen die erstaunliche historische Tatsache, daß sich am 18. Mai 1895 nach der Krönung von Nikolaus II. etwa anderthalb Millionen Menschen auf dem Chodynka-Feld versammelten, um das „geliebte“ Väterchen Zar zu bestaunen. Bei dem anschließenden Gedränge um kostenlose Lebkuchen starben mehr als tausend Menschen.
  • Nikolaus II. wird nicht zufällig „der Blutige“ genannt. Am 7. Mai 1901 ließ er auf die Arbeiter von Obuchow schießen. Im November 1902 ließ er erneut schießen, diesmal auf die Rostower Arbeiter. Und am 11. März 1903 auf die Arbeiter der Slatouster Waffenfabrik, sechzig Menschen wurden getötet und etwa 200 verwundet.
  • Am 9. Januar 1905 erschossen und zerstückelten die Truppen von Zar Nikolaus II. in der Nähe des St. Petersburger Winterpalastes über tausend Demonstranten, die friedlich mit einer Petition zum Zaren marschierten. Das Ereignis ging als „Blutsonntag“ in die Geschichte ein.

Streiks und Aufstände

Im Januar und März streikten im ganzen Land 810.000 Arbeiter. Im Sommer kam es bereits in vielen russischen Städten zu bewaffneten Kämpfen gegen die zaristische Armee. Im Jahre 1905 wurden 3.500 Bauernaufstände registriert. Im Dezember 1905 kam es in Moskau zu einem bewaffneten Aufstand. Neun Tage lang führten Tausende von bewaffneten Arbeitern einen heldenhaften Kampf. Das Semjonowsker Regiment schlug den Aufstand mit bestialischer Grausamkeit nieder. Und bis April 1906 wurden nach offiziellen Angaben 14.000 Menschen erschossen und gehängt. Die erste bürgerlich-demokratische Revolution von 1905-1907 wurde niedergeschlagen.

Rußland – ein rückständiges Land

Während der 23 Jahre der Herrschaft von Nikolaus II. von 1894 bis 1917 war Rußland war ein rückständiges Land, nach wirtschaftlichen Kriterien eines der letzten in Europa. Es war ein halbkoloniales Land, denn etwa 70% der russischen Wirtschaft wurde von anglo-amerikanischen und belgischem Kapital kontrolliert. Das Land kam nicht aus der Ohnmacht heraus. Von 1891 bis 1913 starben über 17 Millionen der erwachsenen Bevölkerung an Hunger, Krankheiten und Epidemien.

Das Volk starb aus, aber der Adel wurde fett und schaffte das überschüssige Getreide ins Ausland. Lew Tolstoi schrieb, daß das Geld, das für den Bau der „Christus-Erlöser-Kathedrale“ ausgegeben wurde, an dem sich Hunderttausende von Aristokraten und Kaufleuten „vollgefressen“ haben, zehn Millionen Kinder vor dem Tod hätte retten können. (Darüber schrieb ich in meinem Artikel „Die Konterrevolution“. http://www.love-cccp.ru)

Rücksichtslose kapitalistische Ausbeutung

Am Vorabend des Ersten Weltkriegs gab es in Rußland 15 Millionen Arbeiter. Sie waren einer rücksichtslosen kapitalistischen Ausbeutung unterworfen. Der Arbeitstag in den Fabriken und Betrieben betrug 12-16 Stunden. Die meisten Arbeiter hausten in Baracken und Kellern. Im Februar 1912 führte ein spontaner Streik von Arbeitern in den Lena-Bergwerken, die über die härtesten Lebensbedingungen empört waren, zu einem blutigen Massaker an Streikenden. Es ging als die Lena-Exekution in die Geschichte ein. Während des Ersten Weltkriegs, in den Rußland verwickelt war, wuchs die wirtschaftliche Krise. Dutzende von Betrieben wurden stillgelegt. Tausende Arbeiter wurden arbeitslos, ohne Existenzgrundlage. Das Land stand vor einer wirtschaftlichen Katastrophe. Massenhafte Volksaufstände begannen. Und wieder brutale Unterdrückung durch die Selbstherrschaft und Blut…

Der endgültige Sturz des Zarismus

Nicht zufällig begegnen wir in Lenins Schriften Bezeichnungen für Nikolaj II.: „der schlimmste Feind des Volkes“, „blutrünstig“, „Henker“, „Scharfrichter“, „Pogrom-Anstifter“, „Monster“. Es bedurfte einer neuen, aber sozialistischen Revolution. Die Bolschewiki, angeführt von Lenin, bereiteten die Arbeiterklasse, die wichtigste revolutionäre Kraft der damaligen Zeit, darauf vor. Und sie verlief siegreich im Jahre 1917. Der Zarismus wurde gestürzt. Eine Diktatur des Proletariats wurde errichtet.

Die Verehrung Putins für einen Massenmörder

Natürlich weiß Wladimir Wladimirowitsch Putin etwas von der Geschichte unseres Landes, aber er dient den heutigen neuen Herren, der bourgeoisen Klasse. Heute verteidigt er hauptsächlich die Interessen der neuen Ausbeuter des Volkes, die Interessen der Eigentümer. Er tut alles, damit die heranwachsende Generationen nichts wissen über die Revolutionäre, die für die Interessen des arbeitenden Volkes, der Arbeiter und Bauern gekämpft haben. Deshalb trägt er dazu bei, die Verehrung des zaristischen Regimes wiederzubeleben. So kniete er im Mai mit Tränen der Begeisterung und Zuneigung vor dem neu aufgestellten Denkmal des Despoten und Mörders Zar Alexander III. nieder.

Irkutsk, den 14. Mai 2021.

pdfimage Ljubow Pribytkowa – Kennt Putin die russische Geschichte

Siehe: http://bolshevick.org/izuchal-li-prezident-putin-istoriyu-rossii/ (russ.)

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11 Antworten zu Ljubow Pribytkowa: Kennt Putin überhaupt die russische Geschichte? Verbeugung vor einem Massenmörder.

  1. Hanna Fleiss schreibt:

    Wenn Ljubow Pribytkowa fragt, ob Putin die russische Geschichte kennt, würde ich sagen: Er kennt sie. Denn er war Bürger der Sowjetunion und ging durch die sowjetische Schule, auch wenn man berücksichtigt, dass dies schon in der Zeit des Revisionismus geschah. Ich sehe sein heutiges Verhalten so, dass er begriffen hat, er muss dem russischen Volk eine Legende geben, denn sonst ginge es nur um den Profit im nunmehr kapitalistischen Russland. So zu sehen ist auch seine neue Frömmigkeit. Mit diesen Mitteln hält er das Volk ab, auf den Teil der russischen bzw. sowjetischen Geschichte sich zu besinnen, der das größte Ereignis unter allen Aufständen im Land war. Das muss er natürlich verhindern. Es ist schrecklich, den geistigen Niedergang eines Menschen zu sehen, der seine intellektuellen Gaben für eine schlechte Sache verausgabt. Selbst wenn er den Großen Vaterländischen Krieg mit großen Paraden feiert, konnte ich nie den Gedanken verhindern, dass ihm das russische Volk ein gegenteiliges Verhalten nicht verzeihen würde. Er macht das ganz geschickt. Aber ich nehme an, die Veteranen des Krieges, die da so gefeiert werden, denken sich ihr Teil. Anzunehmen, dass sich nach Putins Ausscheiden aus der Politik die Dinge von dem Schnickschnack entkleidet werden und das Volk sie so sehen werden, wie sie sind – kapitalistisch bis an die Wurzel.

    • Hanz29 schreibt:

      Zunächst einmal Dank an Ljubow Pribytkowa für diesen sehr eindrucksvollen Überblick und auch an den Übersetzer. Dennoch frage ich mich – und ich weiß die Antwort nicht – ob Putin nicht gezwungen ist, in der Religion und der Zarenverehrung „etwas Traditionelles“ zu finden, das dabei hilft, die Einheit Russlands zu erhalten, gegenüber (!) der auch in Russland unterdessen weit verbreiteten westlich-kapitalistischen Ideologie, die sonst vielleicht „alles übernehmen“ würde, ein Übel, das noch nicht ausgeräumt ist. Ich kann von hier aus nicht beurteilen, in welchem Ausmaß die Bevölkerung dem vielleicht doch widersteht und immer noch ein Bewusstsein davon hat, was Sozialismus bzw. Kommunismus bedeuten. Insofern kann ich also nicht sagen, ob Putin – es eigentlich besser wissend – diese Dinge nur tut, weil er keine Wahl hat.
      Sollte daran etwas sein, bleibt natürlich die Frage offen, wie sich Putin, wie sich Russland je aus dieser „Klemme“ befreien könnte. Vielleicht erst, wenn der Kapitalismus-West seinen (laufenden) Untergang mit Schrecken vorführt? (Putins „neue Autonomie“, wenn es diese denn gibt, könnte Russland da heraushalten?
      Sicher ist, dass das laufende, weltweite, kapitalistische System die Welt zugrunde richten wird und nur eine sozialistische Welt die Chance hätte, da einen Ausgleich zu schaffen.
      Im Moment jedoch sehe ich weltweit nichts anderes, als den Zug der Lemminge.
      Auf jeden Fall brauchen wir den Zaren keine Tränen nachweinen und den Popen auch nicht!

      • sascha313 schreibt:

        Ich denke, wir sind uns einig, daß es, solange Putin den Hitlerverehrer Iwan Iljin als Vorbild hat, keinen Kommunisamus in Rußland geben wird. Freilich wäre es zum jetzigen Zeitpunkt unklug auf Konfrontation zur russ.-orthodoxen Kirche (namentlich zu Kyrill) zu gehen. Und so steckt Putin auch manche Kerze in der Kathedrale an und Schoigu bekreuzigt sich, wenn er zum Kreml hinausfährt…

  2. Eine mal wieder gut zusammengefasste Viertelstunde Geschichtsunterricht über das Zarentum.

    Von mir wünscht sich „Sascha“, daß ich mich in meinen Kommentaren kurz fasse — weil er weiß, daß „Diskussionen“ über die Artikel, die „er“ hier einstellt, vom Wesentlichen ablenken.

    Erlaubt mir also ein paar Ergänzungen.

    „Es („das Zarenreich“) war ein halbkoloniales Land, denn etwa 70% der russischen Wirtschaft wurde von anglo-amerikanischen und belgischem Kapital kontrolliert.“

    Das ist nicht richtig.
    Die Kirche = europäischer Adel & Klerus
    TEILEN sich Europa und Rußland und den Rest der ERDE
    schon ewig und drei Tage unter sich auf.
    90 % der damaligen russischen Wirtschaft wurden von der ***Adel-Klerus-MAFIA*** kontrolliert! Denn allein die verfügt über das Kapital und nicht irgendwelche anglo-amerikanischen und belgischen, deutschen oder jüdischen, dänischen oder schwedischen und Blablas!!!

    Das Zarenreich selbst war eine *Imperiale Großmacht* und hatte sich die Gebiete anderer Völker und damit die Menschen dort unterworfen und diese zu Kolonien gemacht. Lenin nannte das Zarenreich ein Völkergefängnis, denn alle ehemaligen „islamischen“ Gebiete – mit Ausnahme von Persien, dem heutigen Pakistan und Afghanistan – die vormals von den „Mongolen“ überrannt wurden, „eignete“ sich der Zarismus an. … während sich der „Westen“ ab 1456 die Karibik, Süd- und Nordamerika, Australien, INDIEN, die südostasiatische Landgebiete, die asiatischen Inseln, JAPAN und dann Afrika (Ende des 19. Jahrhunderts) und schließlich das Osmanische Großreich aneigneten (1914 bis 1923)
    — Es gibt ein sehr interessantes Buch: „Struggle for Africa“ — …

    — Gerade werden vor unseren Augen drei „Bücher geschrieben“:

    *** „The Stuggle for Islam“, „The Struggle for Communism“, „The Struggle for China“ *** .
    China has won! Communism and Islam follow suit.
    And if the rest of the world does not follow suit than IT IS DOOMED by own means!
    —————————————————————————————————————
    Metapher / Gleichnis Anfang:

    Es heißt, daß „man Roß und Reiter nennen muß“!

    Nenn den Reiter „ZAR, QUEEN or KING;
    nenne ihn Fürst, König, Bischof, Kardinal, Papst, Priester oder Pfaffe“!!! …

    Die KIRCHE IST das Roß!

    Wehe dem, der sich darauf setzt und sich einbildet, HERR darüber zu sein!!!

    Reiten tun sie alle DIESELBE HURE — das Flittchen namens Babylon — die durch das sich Reiten-Lassen, die vermeintlichen Herrscher der Welt unterworfen hat … und sie ABWIRFT, wenn sie keinen GEBRAUCH mehr von diesen Psychopathen hat!!!“
    Metapher / Gleichnis – Ende

  3. urania schreibt:

    Wer anders könnte Russland in einer Welt aus Schwarz und Weiß erhalten?
    Putin hat die Ironie des Schicksals der alten Tradition nicht verstanden, welche Revisionismus Ihrer verbietet und dennoch Oppositioneller erfordert um am Leben zu bleiben. „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“. So sei es denn… Es ist sehr schade was passiert ist. Aber jetzt gibt es für Russland keinen Weg zurück. Die Oligarchen haben entschieden. Für Putin; vom Staatsoberhaupt zum Lakaien. Wie nobel. Hoffentlich stolpert er nicht beim Überwurf der Offerte.

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  6. Gurki schreibt:

    […Bei dem anschließenden Ansturm auf kostenlose Lebkuchen starben mehr als eine Million Menschen….] Falsch ! Auf dem Chodynkafeld bei Moskau starben 1389 Menschen, weitere 1300 wurden verletzt.

    • sascha313 schreibt:

      Danke für den Hinweis! Es ist ein Übersetzungsfehler, für den wir um Entschuldigung bitten! Im Text ist es jetzt korrigiert. Richtig muß es heißen: „Viele kennen die erstaunliche historische Tatsache, daß sich am 18. Mai 1895 nach der Krönung von Nikolaus II. etwa anderthalb Millionen Menschen auf dem Chodynka-Feld versammelten, um das ,geliebte‘ Väterchen Zar zu bestaunen. Bei dem anschließenden Gedränge um kostenlose Lebkuchen starben mehr als tausend Menschen.“ (Auch ria.ru nennt diese Zahl.) In einer Tagebuchaufzeichnung von Nikolaj II. ist von ungefähr 1.300 Menschen die Rede. Die genaue Zahl der Toten indes ist unbekannt. Widerlich ist jedoch, mit welch lapidarem Kommentar der Zar über dieses entsetzliche Ereuignis hinweggeht.

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