Lunatscharski: Der Kampf gegen die Unbildung

lunatscharskiDie Verwirrung in den Köpfen ist groß. Das heutige (politische) „Analphabententum“ besteht vor allem im Fehlen einer wissenschaftlichen Weltanschauung. Deshalb ist es notwendig, nicht nur über gewisse fachliche Kenntnisse zu verfügen und eine bestimmte Qualifikation zu erwerben, sondern sich zugleich auch die Philosophie des Marxismus-Leninismus, den dialektischen und historischen Materialismus, bewußt anzueignen (und der ist keineswegs überholt!). Anders wird man sich wohl kaum in der Welt zurechtfinden oder gar Veränderungen der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse herbeiführen können. In seinem Referat auf dem XI. Gesamtrussischen Sowjetkongreß am 25. Juni 1924 sagte A.Lunatscharski folgendes:

Lenin verstand ausgezeichnet, daß die Volksbildung in den bürgerlichen Ländern dazu dient, den Massen durch äußeres, dekoratives Demokratiegebahren die Augen zu verkleistern und sie auf dem Stand der Zufriedenheit mit ihrer Verfassung zu halten. (…)
Was aber tun? Wenn ein bestimmtes Selbstbewußtsein für das Volk insgesamt und für das Proletariat insbesondere erforderlich ist, um die revolutionären Probleme anzugehen und richtige Wege zu deren Lösung zu finden, und wenn diese Aufklärung ohne Revolution keinesfalls durchzusetzen ist, – ist das nicht wie eine Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt? Ist das nicht ein unlösbares Problem: ohne Bewußtsein keine Revolution, ohne Revolution kein Selbstbewußtsein?

Parteitag

…auf zum XVIII.Parteitag

Die kommunistische Partei wird die Massen führen

Diese Frage wurde in gewissem Grade „aristokratisch“ gelöst, d. h. durch Übertragung der Problemstellung auf folgende Ebene: Die Volksmassen bringen – wenn auch schwer, wenn auch unter Leiden, wenn auch unter Opfern – eine bestimmte Avantgarde hervor, vorwiegend natürlich aus dem Proletariat, aus dem eigenen, besonders fortschrittlichen Teil. Die ganze Masse kann noch nicht auf der Höhe dieses Selbstbewußtseins stehen, darum würde sie, sich selbst überlassen, unvermeidlich Fehler begehen. Diese Avantgarde, die über die gesamte Fülle des Bewußtseins verfügt, ist die kommunistische Partei.

Und die Masse wird tätig werden können, weil keine Avantgarde für sie tätig sein kann, und sie wird als Masse richtig tätig sein können – denn die Revolution ist eine Tat der Massen –, wenn sie genügend Vertrauen in ihre Vortrupp-Partei haben wird und wenn die Vortrupp-Partei ausreichend stark und konsequent ist, um die Masse zu führen. Das war eben die erste, die Vorablösung des revolutionären Problems: es wird eine Avantgarde hervorgebracht, es wird die Revolution vollzogen.

Doch nun vollzieht sich die Revolution. Was weiter? Die erste These Wladimir Iljitschs: Es wäre kindisch anzunehmen, daß die Kommunisten den Kommunismus allein errichten können. Die Kommunisten sind ein Tropfen im Meer. Ausgehend von dieser These formuliert Wladimir Iljitsch auch andere: Man muß sich auf die Kräfte außerhalb der Partei stützen, man muß sie in die staatliche, in die wirtschaftliche, in die kulturelle Arbeit einbeziehen. Zwei Aufgaben zeichnete Wladimir Iljitsch vor.

1. HEBUNG DES BILDUNGSNIVEAUS

Erstens ist es notwendig, so schnell wie möglich das kulturelle Niveau der Massen zu heben, und nicht nur der proletarischen, sondern auch der bäuerlichen Massen. Der Weg zu dieser Hebung ist die Bildung. Der Hunger [im Jahre 1921] hat unserem gesamten Kampf gegen das Analphabetentum eins ausgewischt. Als aber der Hunger vorbei war, beeilte sich Wladimir Iljitsch einen Artikel zu schreiben, in dem gesagt wird, daß es unsere direkte Pflicht ist, das Analphabetentum der Bevölkerung unter 35 Jahre bis zum 10. Jahrestag zu liquidieren.(1) Wladimir Iljitsch wußte ausgezeichnet, daß dies schwer ist, er war ein großer Realist, und er empfand diese Schwierigkeiten besser als irgendeiner von uns, er kannte die Zahl der Analphabeten und wußte auch, wieviel das ungefähr kosten wird, und er hat gesagt, daß dies zu erreichen möglich ist.

Lernen

Kommunistische Erwachsenenbildung in der Sowjetunion

Schulen und Massenbüchereien

Genauso interessierten Wladimir Iljitsch auch Fragen der Schule und Fragen der Massenbüchereien. Und es ist klar, warum. Weil er, in vollem Maße Demokrat in der heiligsten und lichtesten Bedeutung dieses Wortes, auf jede Weise den Zeitpunkt näher bringen wollte, da die Volksmassen, nicht nur die Arbeiter-, sondern auch die Bauernmassen, ihre Belange und die Wege zu ihrer Befreiung nicht nur auf der Ebene der Politik, sondern auch auf der Ebene ihrer gesamten tagtäglichen Wirtschaftsführung und ihres Daseins in der ganzen Fülle begreifen werden. Dies ist so. Doch daraus folgt nicht, daß wir uns voll auf die Stufe der untersten Bildung hinab begeben müssen, daß die ganze Hauptaufgabe auf Schulen für die Beseitigung des Analphabetentums und auf Massenbüchereien hinausläuft.

Eine funktionstüchtige staatliche Leitung

Wladimir Iljitsch begriff ausgezeichnet, daß wir die Schule nicht richtig auf die Beine stellen, daß wir weder die Massenbücherei auf die Beine stellen noch das Analphabetentum beseitigen werden, wenn sich unsere Wirtschaft nicht entwickeln wird, wenn die staatliche Verwaltung ewig die stockend arbeitende Maschine bleiben wird, die er zu sehen bekam. Denn er sagte unumwunden: Bei uns macht, mit Ausnahme vielleicht des NarKomInDjel (Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten), das noch nach etwas aussieht, kein Kommissariat einen gescheiten Eindruck, alle arbeiten, wie es gar nicht schlechter geht. Das erklärte er mit aller Strenge. Wir haben einen Staatsmechanismus aufgebaut, der im Gefecht standgehalten hat, der sich als lebenstüchtig erwies, doch seht, wie störanfällig er ist. Man muß ihn umgestalten, man muß die Menschen lehren zu leiten, und gut zu leiten, in handlichen Formen, in klaren, exakten und einfachen Formen.

Allgemeinbildung, technische Bildung und politische Aufklärung

Man muß wirtschaften, darunter auch handeln lernen. Man muß aufklären lernen, so aufklären, daß alle drei Seiten – die Allgemeinbildung, beim Alphabet angefangen, die technische Bildung und die politische Aufklärung – zu einem Strang verschweißt, zu einem Drahtseil des einheitlichen Bildungssystems verflochten werden. Doch für all das ist Voraussetzung, daß die Aufklärer selbst vorhanden sind, daß Wirtschaftsfachleute, daß Verwaltungsexperten vorhanden sind. An denen aber mangelt es.

Geeignete Fachleute

Welchen Ausweg gibt es da? Es gibt für uns einen Ausweg: an die Jugend appellieren. Wir appellieren an die Arbeiter- und Bauernjugend. Sie ist ungebildet? Ja. Man muß ihr Bildung angedeihen lassen, man muß ihr jene Bildung geben, die sowohl von ihr als auch von uns benötigt wird. (…) Wir schlagen uns namentlich für einen solchen Staat, der in vollem Maße fähig wäre, Kulturpolitik zu leisten, und solange wir ihn noch nicht erkämpft haben, müssen wir uns im exakten Sinne des Wortes herumschlagen.

2. UMFASSENDE ANEIGUNG DER GESAMTEN WISSENSCHAFT

Die zweite Frage ist, was lehren und wie lehren. Sie wissen, daß Wladimir Iljitsch seine glänzende und tiefgründige Rede an die Komsomolzen gerade dieser Frage gewidmet hat. In allgemeinen, grundsätzlichen Umrissen hat er diese Frage mit erschöpfender Klarheit beantwortet: Wenn wir uns nicht die gesamte Kultur der Vergangenheit zu eigen machen, werden wir keinen Schritt vorankommen.

Alles lernen und dann sortieren!

Wenn Sie sich Wladimir Iljitschs Rede auf dem Komsomolkongreß durchlesen, werden Sie erkennen, daß er diesen Gedanken furchtlos zu Ende denkt: Lerne alles, eigne dir die gesamte bürgerliche Kultur an und danach entscheide, was du brauchst und was nicht. Zu den gewonnenen Kenntnissen füge deinen proletarischen Instinkt, deine proletarische Philosophie, deine marxistische Schule hinzu, und die werden dir das ganze Material auf neue Weise erhellen. Doch denke daran, daß du nur dann wirst lehren und bauen können, wenn du über einen langen Zeitraum hinweg lernst.

Keinen kommunistischen Dünkel!

Wladimir Iljitsch wußte ausgezeichnet, daß die Gefahr, die bürgerliche Wissenschaft könnte die Arbeiter- und Bauernjugend aus dem Konzept bringen, beim Vorhandensein einer proletarischen Kontrolle nicht sehr groß ist, obwohl der Kampf an dieser Front ständig geführt werden muß. Die umgekehrte Gefahr aber – die bürgerliche Wissenschaft abzulehnen und sich ganz der Ketzerei des kommunistischen Dünkels zu verschreiben –, diese Gefahr ist riesig. Dies aber würde eine Atmosphäre der Seichtigkeit, des Dilettantismus, aller möglichen phantasmagorischen, leichtgewichtigen Hirngespinste zuwege bringen, die das ganze Werk von Grund auf verderben könnten.

Proletarisches Bewußtsein und marxistisches Wissen

Darum sagte Wladimir Iljitsch zu den Komsomolzen: Lerne ohne Furcht! Hier erhältst du ein riesiges und von dir benötigtes Material, und fürchte nicht, daß du dich „vom Marxismus losreißen“ könntest. Dein Kern ist höchst gesund, und du wirst ausgezeichnet überblicken können, was für dich erforderlich und was nicht erforderlich ist. Schöpfe daraus, was dir zu schöpfen gelingt, aus dem Meer des sogenannten gesamtmenschlichen Wissens, das bis jetzt in bedeutendem Grade von der bürgerlichen Welt determiniert worden ist. Und wenn du dies getan haben wirst, dann wirst du die Wissenschaft durch dein proletarisches Gedankengut determinieren und ihr eine vollkommen neue Richtung und eine ungekannte Spannweite verleihen.

Anmerkungen:
(1) In seinem Referat sprach Lunatscharski davon, daß das Analphabetentum im Alter von 18 bis 35 Jahren bis zum 10.Jahrestag der Oktoberrevolution auszumerzen sei.
(2) Offenbar meint Lunatscharski die schwere wirtschaftliche Lage des Landes, als es nicht einmal genug Geld gab, um die Arbeiter zu entlohnen.

Quelle:
A. W. Lunatscharski, Wie war Lenin? APN-Verlag Moskau, 1981, S. 142-147.

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8 Antworten zu Lunatscharski: Der Kampf gegen die Unbildung

  1. Ropri schreibt:

    Ja, wie wahr und wie hoch-aktuell! Nur: früher blieb den Arbeitern, dem einfachen Volk Biildung verwehrt Und sie vermittelten sich in Zirkeln, Zusammenkünften Wissen und waren interessiert. Heute dagegen gibt es alle Mögichkeiten, sein Wissen zu erweitern, aber die Masse ist desinteressiert, will mit Politik nichts am Hut haben. Und so sind sie heute bereit, in einen verheerenden Krieg zu schlittern…

  2. „besteht vor allem im Fehlen einer wissenschaftlichen Weltanschauung. Deshalb ist es notwendig, nicht nur über gewisse fachliche Kenntnisse zu verfügen und eine bestimmte Qualifikation zu erwerben, sondern sich zugleich auch die Philosophie des Marxismus-Leninismus, den dialektischen und historischen Materialismus, bewußt anzueignen“

    Kannst du nicht mal einen Aufsatz – die meisten Menschen sind nicht fähig „dicke“ Bücher komplexen Inhaltes zu begreifen – verfassen, „was“ denn die Philosophie des Marxismus-Leninismus, der dialektischen und historischen Materialismus“ ist?

    Denn hier ist es doch so, dass den Leuten schon durch „Trigger-Worte“ (wie Stalin, Lenin, Russland, Polpot, Kommunismus) das „Bewusstsein“ ausgeschaltet wird … und die Dummheit, die gar nichts mit Intelligenz zu tun hat, scheint geradezu grenzenlos … – ich rede dabei immer von mir, nicht von anderen Menschen, denn ich gehöre sicher zu denjenigen, deren Gehirn eine sehr große Intelligenz entwickelt hat, aber dessen Dummheit oft als grotesk bezeichnet werden muss …

    • sascha313 schreibt:

      Du hast völlig recht, Georg. Das habe ich auch festgestellt. Und ich habe auch gemerkt, daß einige junge Leute gar keine Büücher mehr haben wollen; sie nutzen das iPhone, smartphone, Tablet-WC – oder wie die Dinger alle heißen. (Ironie an) Und ich Dummkopf habe mir extra noch ein paar Lenin-Bände besorgt…(Ironie aus) – natürlich ist es richtig, Lenin zu lesen!!!

      Das Internet ist und wird immer mehr ein Schlachtfeld für den Cyber-Kampf. Hier geht es nur um die „richtige“ Ideologie. Was ja eigentlich ganz witzig ist, weil der „Kampf“ doch ziemlich aussichtslos ist, denn es sind ungleiche „Waffen“! Der Marxismus ist eben eine Wissenschaft – und das Gestammel der bürgerlichen Ideologen funktioniert nur, solange die Menschen dumm sind (trotz vorhandener Intelligenz!). Das hat der Kapitalismus sehr schön gelernt: Nicht nur „Teile und Herrsche!“, sondern auch „Mache die Volksmassen dumm, und herrsche!“ – denn: Ein dummes Volk läßt sich leichter lenken…

      Ein einfaches Beispiel aus der Allgemeinbildung: Solange man nicht weiß, was die Oberflächenspannung des Wasser ist, wird man die Treppe auch mit Geschirrspülmittel wischen und sich darüber wundern, daß man ausrutscht. Die technischen Methoden sind also viel feiner und milliardenfach präziser geworden. Heute werden Menschen medikamentös „eingestellt“! Heute wird so ein Mikrochip für ganz wenig Geld hergestellt und ist nicht nachzuahmen – Du weißt nur eines: Genau einen Tag nach Ablauf der Garantie ist Deine Waschmaschine kaputt. So – und zum Marxismus-Leninismus (kurzgefaßt) und auch zur Frage Sein-Bewußtsein bringe ich demnächst was. Danke Dir also nochmal für den Tip!

      • Ich habe „Was tun?“ nun gerade mal zur Hälfte durch, kenne kaum die Hintergründe auf die sich Lenin dort bezieht, und dieser Mann hatte eine Tiefe im Denken, dass es mir wirklich eine intellektuelle Freude bereitet, wie er echte Komplexe Vorstellungen seiner „Gegner“ entkleidet und mit einer grandiosen Logik widerlegt. In jeder „Religion“ hätte er es spielend und mit Leichtigkeit geschafft, mindestens Papst zu werden. Aus christlicher Perspektive müsste gesagt werden: „dass er dieser Versuchung widerstanden hat, macht ihn zu einem Großen Heiligen“, im Islam zu einem Iman oder Ayatollah, im Hinduismus zu einem Guru und im Buddhismus zu einem Buddha, und das Judentum müsste ihn – von seiner inneren Logik her – sogar als Messias anerkennen.“ … langsam habe ich auch verstanden, warum Lenin von keinem der „großen“ Denker dieser Religionen angegriffen wird: a) sie sind ihm nicht gewachsen und b) er hat richtig gedacht, auch wenn der nicht im Denken geübte Mensch dazu neigt zu sagen, dass doch nicht sein kann, was nicht sein darf, weil die eben von einer anderen Perspektive her denken, in der so viel falsches gedacht wird, was einfach für richtig gehalten wird …

        Wenn du jetzt etwas zum Marxismus-Leninismus verfasst, ist es wohl sehr wichtig, herauszuarbeiten, dass es sich um eine Wissenschaft des richtigen Denkens handelt, die ihren „Ursprung“ in der Logik selbst hat, denn ein Jahrhundert Propaganda gegen den Kommunismus haben viel Schaden im Denken angerichtet, dass er mit einen „ach geh mir weg damit“ („mit dieser Ideologie“) abgetan wird, wobei sogar reflexartig die Hand abweisend geschüttelt wird. Tja, so schlimm steht es: die Menschen halten ihn für eine Ideologie – ähnlich – einer Religion [ich spreche hier aus eigener Erfahrung: „mit Schmuddelkindern spielt man nicht“. Um nichts habe ich drei Jahrzehnte einen größeren Bogen gemacht, als um den Kommunismus – und ich bin sicher nicht die Ausnahme …]

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