Werner Lindemann: Das Verhör

Es war im Jahre 1946 in einem Kriegsgefangenenlager in der Sowjetunion. In einer Baracke wohnte ich dem Verhör eines jungen SS-Soldaten bei.
„Sie geben also zu, die Frau mit dem Kind in das eiskalte Wasserloch gestoßen zu haben?“ fragte der sowjetische Major.
„Jawohl.“
„Warum taten Sie das?“
„Dieses Weib hat unerlaubt an unserer Wasserstelle Wasser geschöpft.“
Ein deutscher Antifaschist – ein alter Genosse –, der über diese kaltschnäuzige Antwort entsetzt war, sprang auf und schlug dem SS-Mann ins Gesicht.
Das Verhör wurde unterbrochen. Der Major erteilte dem alten Genossen einen strengen Verweis mit der Bemerkung: „Wir sind keine Faschisten.“

Quelle: Frühlingssonate – Eine Anthologie. Verlag Kultur und Fortschritt Berlin, 1961, S.93.
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Eine Antwort zu Werner Lindemann: Das Verhör

  1. Weber Johann schreibt:

    Die Geschichte ist noch nicht zu Ende.
    Tausende von Kriegsgefangenen, die während der Zeit ihrer sowjetischen Gefangenschaft bei Gerichtsverhandlungen gegen Kriegsverbrecher als Zeugen vernommen wurden, wurden nach ihrer Heimkehr von der Adenauerjustiz verfolgt und zu Gefängnisstrafen, z. Teil bis zu 4 Jahren, verurteilt. Oft war Denunziation Grundlage der Verfolgung.

    Der DDR-Rechtsanwalt Friedrich Karl Kaul, der eine Zulassung für Gerichte in der DDR aber auch in der Alt-BRD hatte, beschreibt in seinem Buch „Ich fordere Freispruch“, Dietz-Verlag Berlin 1960, den Fall Wilhelm Kolter, der 1954 vor der Strafkammer des Landgerichts Mainz verhandelt wurde. Kolter war im Kriegs-gefangenenlager in Wladimir. Von drei Mitgefangenen wurde Kolter 1954 wegen „vollendeter schwerer Freiheitsberaubungen und einer ver­suchten schweren Freiheitsberaubung“ als Folge der Gefangenschaft beschuldigt worden. Ich fasse mich kurz, jedoch noch zwei Auszüge aus dem Buch von Rechtsanwalt Kaul. Hier ein Stimmungsbild:

    „Der Verhandlungssaal war bis zum letzten Platz besetzt. Wie sich später herausstellte, hatte die Mainzer Organisation der „Heimkehrerverbände“, von der auch die ganze Hetze gegen Kolter ausging, alle Mitglieder für die Verhandlung mobilisiert.“

    Hier das Ergebnis:
    „Dann las er den Beschluß vor, daß der gegen Wilhelm Kolter in dieser Sache er­gangene Haftbefehl aufgehoben wird. Zwar hatte diese Auf­hebung keine praktische Bedeutung, da der sattsam bekannte Landgerichtsrat Barbier bereits am Vortage gegen Kolter wegen dessen Betätigung in der Freien Deutschen Jugend (FDJ) einen neuen Haftbefehl erlassen hatte. Jedoch war bei aller Vorsicht ange­sichts dieser Aufhebung des Haftbefehls zu erwarten, daß sich das Gericht dem Standpunkt der Verteidigung anschließen und Wilhelm Kolter freisprechen werde. Der Oberstaatsanwalt gra­tulierte mir denn auch süßsauer zum „ersten Sieger“.

    Am 3. April verkündete das Gericht das Urteil:
    Wilhelm Kolter wurde wegen Versuchs der schweren Frei­heitsberaubung in zwei Fällen zu einer Gesamtgefängnisstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wurde Revision eingelegt. Rechtsanwalt Wolf (ein weiterer Anwalt von Kolter) begründete diese Revision durch einen einzeilig geschriebenen Schriftsatz von sechs Seiten. Die von mir (Kaul) angefertigte Revisionsbegründung war nicht kürzer.

    Am 1. September 1954 verwarf der 1. Ferienstrafsenat des Bundesgerichtshofs, nachdem er den Oberbundesanwalt gehört hatte, die eingelegte Revision einstimmig als offensichtlich unbegründet.“

    Zurück zu Werner Lindemann.
    Da der ältere Genosse diesen SS-Soldaten geschlagen hatte, bin ich mir sicher, dass dieser SS-Soldat nach seiner Heimkehr diesen älteren Genossen vor ein Alt-BRD-Gericht gezerrt hätte. Der ältere Genosse hätte folgende Möglichkeiten gehabt: Im Westen, wäre er von der Adenauer-Justiz verfolgt worden. In der DDR gelebt, wäre ihm nichts passiert. Nur wenn er Boden der Alt-BRD betreten hätte, drohte im Gefahr einer Verhaftung.

    Die Menschen in der sowjetische besetzten Zone wurden in einem Artikel des „Neuen Deutschland“ vom 5.8.1949 über die Verfolgung solcher Menschen informiert: „In der Westpresse wurden in letzter Zeit mehrfach in großer Aufmachung Meldungen veröffentlicht, daß ehemalige Kriegsgefangene, sogenannte „Antifa-Männer“, wegen Kameraden-Mißhandlungen in den Lagern der UdSSR jetzt in Westdeutschland vor Gericht gestellt wurden.“

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