Hans-Georg Hofmann: Zur Schulentwicklung in Westdeutschland

schuleWer sich wundert über eine derart beschämende Unwissenheit und Unbildung, wie man sie in Westdeutschland heute leider immer wieder antrifft, der sollte sich einmal die Entwicklung des Schulwesens der BRD seit ihrer Gründung ansehen. Der Vorwurf der Verdummung durch Schule trifft aber weniger die damaligen Schüler, die heutigen Erwachsenen, sondern vielmehr und in erster Linie einen Großteil der Lehrer, die noch in der Nazizeit als berüchtigte „Prügelpädagogen“ tätig waren und die verantwortlichen Politiker jener Jahren, die den alten Untertanengeist wieder aufleben lassen wollten…

Hans-Georg Hofmann

ÜBER DIE SCHULENTWICKLUNG IN WESTDEUTSCHLAND

Mit der Zerschlagung des faschistischen Deutschlands durch die Sowjetunion und der mit ihr verbündeten Mächte wurde für Deutschland der Weg für eine antifaschi­stisch-demokratische Ordnung geebnet. Von allen gesellschaftlichen Kräften in Deutschland verfügte allein die Partei der deutschen Arbeiterklasse, die Kommu­nistische Partei Deutschlands (KPD), auf Grund ihres jahrzehntelangen Kampfes gegen Imperialismus, Faschismus und Krieg über eine Konzeption zur Rettung der deutschen Nation. Ihre Forderungen deckten sich mit den völkerrechtlichen Ab­machungen der Siegermächte von Jalta und Potsdam. In voller Übereinstimmung mit den demokratischen Grundsätzen der KPD, später der Sozialistischen Einheits­partei Deutschlands (SED) und der anderen antifaschistischen Kräfte zum Aufbau einer antifaschistischen Ordnung, wurde auch der Weg für eine demokratische Schul­reform gewiesen.

Im Westen lief es anders…

Während in Ostdeutschland mit Hilfe der Sowjetischen Militäradministration ein dem Frieden dienender Weg eingeschlagen worden war, wurde in Westdeutschland, ob­wohl in den ersten Jahren nach 1945 auch dort die meisten Menschen eine demo­kratische Entwicklung wünschten, ein solcher Weg nicht beschritten.

Eine demokratische Schulreform war nötig

Auf kultur- und schulpolitischem Gebiet leitete der gemeinsame Aufruf von KPD und SPD vom Oktober 1945 die demokratische Schulreform in Deutschland ein. In weiten Kreisen der Elternschaft, bei Pädagogen und bei Schülern der oberen Klassen fand er große Resonanz. Auf der Grundlage des Aktionsprogramms vom 11. Juni 1945 bildet er das erste umfassende schulpolitische Dokument für den Aufbau einer demokratischen Einheitsschule nach dem II. Weltkrieg in ganz Deutschland. In ihm wurden die Lehren aus der Vergangenheit gezogen und die guten Traditionen der deutschen Schulgeschichte mit den Erfordernissen der Gegenwart verbunden. Durch dieses Dokument erwies sich auch auf schulpolitischem Gebiet die deutsche Arbeiterklasse als die Führerin der deutschen Nation.

Bestrebungen zur Demokratisierung des westdeutschen Schulwesens

Die im Schulprogramm der Arbeiterklasse niedergelegten Forderungen hatten einen großen Einfluß auf viele schulpolitisch-pädagogische Dokumente in den westlichen Be­satzungszonen. Der Aufruf half den einen, ihre Erkenntnisse über einen demokra­tischen Neuaufbau der Schule schneller zur Reife zu bringen, und zwang die anderen, sich wider ihren Willen für den schulischen Fortschritt zu erklären.

  • SPD: In den politischen Leitsätzen der sozialdemokratischen Partei der britischen Besatzungszone heißt es zum Beispiel:
„Die Schulen sollen die Jugend frei von totalitären und intoleranten Anschauungen erziehen im Geist der Humanität, der Demokratie, der sozialen Ver­antwortung und der Völkerverständigung: Allen Deutschen stehen die Bildungsmög­lichkeiten allein entsprechend ihrer Befähigung offen. Sie sind unabhängig von Bekenntnis, Stand und Besitz.“ [1]
  • CDU: Selbst im Grundsatzprogramm der Christlich-Sozialen Union Bayerns vom Dezember 1946 wurde entgegen der sofort geübten Praxis ein entschiedener Kampf gegen den Militarismus auch auf schulischem Gebiet gefordert. [2]
  • DPD: In den Richtlinien der Demokratischen Partei von 1947 lesen wir:
„Die Demokratische Partei Deutschlands fordert und fördert die Erziehung unseres Volkes zu einer demokratischen Volks- und Staatsgesinnung, die das Recht über die Gewalt und den Frieden über den Krieg stellt. Erziehung und Aufklärung müssen Wiederkehr imperialistischer, militärischer und totalitärer Gesinnung ausschließen. Unsere Jugend muf von der Liebe zum eigenen Volke und von der Achtung vor anderen Völkern durchdrungen werden.“ [3]
  • DGB und VdLE: Von besonderem Interesse sind die Verlautbarungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes und die Stellungnahmen westdeutscher Lehrerverbände. In einem Aufruf des Verbandes der Lehrer und Erzieher vom 21. August 1945 wird gefordert:
„Aus dem geistigen Leben und sittlichen Empfinden der Gesamtheit schöpft die Erziehung den besten Teil ihrer Kraft. Als Erzieher haben wir ein Recht, diejenigen anzuklagen, die unser ganzes geistiges Leben dem Untergang nahegebracht haben. Wissenschaftliche Forschung und Lehre, Presse, Rundfunk und Buchhandel, die Kunst in allen Zweigen wurde geknebelt, bestochen und zuletzt auch materiell vernichtet. Als Erzieher haben wir ein Recht, diejenigen anzuklagen, die versucht haben, die Liebe zur Wahrheit, den Sinn für Gerechtigkeit, das sittliche Gewissen überhaupt in unserem Volke zu ersticken, und die damit – wir müssen es uns eingestehen – nur allzuviel Erfolg gehabt haben. So stehen wir heute, der Werkzeuge fast beraubt, vor einem ver­wüsteten Acker. Lehrer und Erzieher: Unsere große Stunde ist gekommen! Auf uns ruht die Verantwortung für die Neu- und Umerziehung der deutschen Jugend, die von der Welt erwartet und, nach allem, was geschehen ist, mit Recht gefordert wird.“ [4]

Im Geiste des Potsdamer Abkommens

Auf Initiative der fortschrittlichen Kräfte wurden in fast allen westdeutschen Län­dern von den Lehrern Verpflichtungen unterschrieben, die dem Geist des Potsdamer Abkommens entsprachen. Neben Organisationen und Parteien forderten bürgerlich-demokratische Päd­agogen eine demokratische Neugestaltung der Schule (Bäuerle, Grimme, Hilker, Weismantel, Rönnebeck). Es erweist sich also, daß nach 1945 auch in Westdeutschland die Notwendigkeit einer demokratischen Neugestaltung des Schulwesens erkannt wurde.

Für den Aufbau einer demokratischen Schule

Fortschrittliche Kreise der Lehrerschaft, besonders der heutigen Gewerkschaft „Erziehung und Wissenschaft“, waren bestrebt, eine demokratische Schule, die „dif­ferenzierte Einheitsschule“, aufzubauen, eine Schule, die eine völkerverbindende und demokratische Erziehung der Jugend pflegen sollte. In einem Gesetzentwurf der Freien Hansestadt Hamburg wurde zum Beispiel vor­geschlagen:

„Alle Kinder und Jugendlichen haben das gleiche Recht auf eine ihrer Begabung und Eignung entsprechende Bildung und die Pflicht, sich nach dem Maße ihrer Kräfte zu bilden.“

Die Forderungen der Hamburger Lehrerschaft

Die Hamburger Lehrerschaft ging in ihren Forderungen sogar noch über den Gesetzentwurf der Hamburger Schulbehörde hinaus. Sie forderte in einer „Entschlie­ßung zu einem künftigen Hamburgischen Schulgesetz“:

,,Das gesamte Hamburger Schulwesen wird nach dem Prinzip der differenzierten Einheitsschule aufgebaut. Der Unterricht ist unentgeltlich. Lehr- und Lernmittel werden frei zur. Verfügung ge­stellt. Ausreichende Unterhaltsbeihilfen für Kinder minderbemittelter Eltern sind bereitzustellen . . . Die Einheitsschule gliedert sich nach Altersstufen in Unter-, Mittel- und Oberstufe. In der Unter- und Mittelstufe werden alle Kinder neun Jahre lang in einer Schule unter einer Leitung von Lehrern der bisherigen Volks-, Berufs­ und höheren Schulen erzogen…“ [6]

Schulgeld- und Lehrmittelfreiheit, Erziehungsbeihilfen

Unter maßgeblicher Beteiligung der beiden Arbeiterparteien (KPD und SPD) wur­den in Hamburg die sechsjährige gemeinsame Grundschule für alle Kinder sowie die Schulgeld- und Lehrmittelfreiheit eingeführt. Unter ähnlichen Bedingungen bcschloß der Schleswig-Holsteinische Landtag das „Gesetz zur Einleitung der Schulreform“. Die für alle gemeinsame Grundschule wurde auf sechs Jahre ausgedehnt; Unterricht und Lehrmittel an den öffentlichen Pflicht­schulen waren unentgeltlich. Für die Kinder minderbemittelter Eltern wurden Er­ziehungsbeihilfen bereitgestellt.

Die Folgen der Spaltungspolitik der rechten SPD-Führer

Auch in anderen Ländern der westlichen Besatzungszonen gelang es von 1945 bis 1947, fortschrittliche Gesetze und die Anfänge einer demokratischen Einheitsschule zu beschließen. Da es in den drei Westzonen durch den Verrat der rechten SPD-Führer nicht möglich war, die Einheit der Arbeiterklasse herzustellen, war es dem deutschen Imperialismus und Militarismus möglich, die alten Stellungen wiederzuerlangen und Einfluß auf die Schule auszuüben.

Reaktionäre Tendenzen in Westdeutschland

Der Abbau der Anfänge einer demokratischen Einheitsschule: Die Bemühungen um eine grundlegende Schulreform wurden Schritt für Schritt – unter Mithilfe ver­antwortungsloser SPD- und Gewerkschaftsführer – gelähmt, verschleppt und schließ­lich auf Äußerlichkeiten umgefälscht. 1950 hob der bürgerliche „Wahlblock“ CDU/DP/FDP nach einer Neuwahl in Schleswig-Holstein die demokratischen Schulgesetze wieder auf. Ähnlich verlief die Entwicklung in Hamburg und in anderen Bundes­ländern.

Wiederauflebende Nazi-Pädagogik

Diese schulpolitische Entwicklung wurde und wird von einem von Jahr zu Jahr sich steigernden Wiederaufleben faschistisch-revanchistischer Gedankengänge im Unterricht begleitet. Eng verflochten damit ist das Wirken schwer belasteter Nazi­pädagogen, die in den Kultusministerien, in wissenschaftlich-pädagogischen Einrichtungen, in pädagogischen Zeitschriften und Verlagen den Inhalt der Bildung und Erziehung entscheidend mitbestimmen konnten,

Revanchismus in Militarismus in der Schule

Die Bildung und Erziehung, die in allen Schulgattungen und Unterrichtsfächern vermittelt wird, ist heute den aggressiven Zielen der NATO-Politik untergeordnet. So werden die politische Bildung und der sogenannte Ostkundeunterricht zur revanchistischen Verhetzung der Jugend mißbraucht, stehen Lehrer, Eltern und Schüler unter dem Druck der revanchistisch-militaristischen Kräfte, die mit aller Macht versuchen, die Schule „gleichzuschalten“.


Die Krise des Schulwesens der BRD

Die westdeutsche Schule befindet sich gegenwärtig in einer ernsten Krise. Ihr Hauptwiderspruch besteht zwischen der klerikal-militaristischen Leitung des Schul­wesens und den Interessen der Mehrzahl der Eltern und Lehrer nach einer huma­nistischen, wissenschaftlichen Bildung und Erziehung der Jugend.

Die Empfehlungen der „alten Krieger“

Um das westdeutsche Schulwesen der NATO-Politik der Regierung unterzuordnen und die Erziehung nach einheitlichen Gesichtspunkten auszurichten, wurde im Jahre 1953 der „Deutsche Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen“ gegründet. Der als „unabhängig“ bezeichnete Ausschuß beeinflußte mit Hilfe von „Gutachten und Empfehlungen“ die politisch-pädagogische Arbeit in den Ländern im Sinne der reaktionären schulpolitischen Konzeption Bonns,

Schulen im Dienste des Klerikalismus

Während in der Deutschen Demokratischen Republik die Brechung des Bildungs­privilegs und ein antifaschistisch-demokratisches Bildungs- und Erziehungsziel die Grundlagen für die Neugestaltung des Schulwesens waren, stand im Mittelpunkt der westdeutschen Schulpolitik vor allem die Frage: Bekenntnisschule oder christliche Gemeinschaftsschule,
Das Ergebnis dieser Entwicklung zeigt sich darin, daß in Westdeutschland mehr als die Hälfte aller Volksschulen Bekenntnisschulen sind und im Dienste des politischen Klerikalismus stehen.

Volksschulen der BRD auf niedrigem Niveau

Die Auswirkung der Konfessionalisierung wird vor allem auf dem Lande in einem ständigen Anwachsen der Zahl der ein- und zwei­klassigen Schulen sichtbar. Waren 1952 noch 46,6 Prozent der Volksschulen wenig gegliedert, so stieg diese Zahl im Jahre 1958 auf etwa 77 Prozent. Von rund 20.000 Volksschulen sind nur annähernd 4.500 vollausgebaute Acht-Klassen-Schulen. Ein besonders krasses Beispiel liefert Bayern; gab es 1948/49 dort 779 einklassige Volksschulen, so waren es im Jahre 1957 mehr als 2.000. Im hochindustrialisierten Nordrhein-Westfalen ist etwa ein Drittel der 6.000 Volks­schulen ein- oder zweiklassig und ein weiteres Drittel drei- bis sechsklassig, und nur ein Drittel der Schulen ist voll ausgebaut.

Die Privatisierung des Schulwesen

In solchen Ländern der Bundesrepublik, in denen das Ausmaß der konfessionellen Aufspaltung der Schulen noch nicht den Wünschen der Reaktion entsprach, wurden in verstärktem Maße Privatschulen gegründet. Als Hauptverfechter für die Privati­sierung des Schulwesens, besonders des höheren Schulwesens, traten die CDU und der politische Klerus auf. Die Aufgabe der Erziehung und Bildung in diesen Schulen ist es, eine „Elite“ im Interesse der herrschenden Klassen heranzubilden. Nur 0,5 Prozent der Volksschüler besuchen private Schulen gegenüber 12 Prozent der Schüler – rund 155.000 – mittlerer und höherer Schulen.

Das Bildungsprivileg der herrschenden Klasse

Um alle schulreformerischen Bestrebungen in Westdeutschland unterbinden zu können, lief die CDU am 8. April 1952 das „Gesetz zur Ordnung des Schulwesens im Lande Nordrhein-Westfalen“ verabschieden, das Adenauer als Modell für die · zukünftige Gestaltung des Schulwesens in allen westdeutschen Ländern bezeichnete. Ziel dieses Gesetzes war und ist die Wiederherstellung und Sicherung des Bildungs­privilegs, Für die Mehrheit der Kinder des Volkes war der Besuch der achtklassigen Volksschule vorgesehen. Auf der Grundlage des Gesetzes forderte 1955 der Kultus­minister Nordrhein-Westfalens für die Arbeit in den Volksschulen „Mut zu Beschei­dung und Beschränkung auf das Wesentliche“, das heißt Senkung des Bildungs­niveaus in den Schulen für die Kinder der Volksmassen. Den Kern dieses Gesetzes bildet jedoch die Forderung an den Lehrer, ein Bekennt­nis zum Adenauer-Staat abzulegen; denn „Erzieher kann nur sein, wer in diesem Geist sein Amt ausübt“. [7]

Das reaktionäre „Düsseldorfer Abkommen“

Das „Gesetz zur Ordnung des Schulwesens“ im Lande Nordrhein-Westfalen hatte die Aufgabe, die schulreformerischen Bestrebungen breiter Kreise der westdeutschen Lehrer- und Elternschaft aufzufangen, um das Bildungsprivileg der herrschenden Klassen zu sichern und die Schule in die NATO-Politik einzubeziehen. Die CDU hatte gehofft, daß auf der Grundlage dieses „Modellgesetzes“ in allen anderen Ländern ähnliche Schulgesetze verabschiedet würden. Aber weite Kreise der Lehrerschaft wandten sich gegen dieses reaktionäre Gesetz. Deshalb wurde ein anderer Weg ein­geschlagen: Die Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder legten in dem sogenannten „Düsseldorfer Abkommen“ reaktionäre schulpolitische Maßnahmen für alle Länder fest.

Der alte Schultyp muß erhalten bleiben

Alle Ansätze zu einer Schulreform in Westdeutschland wurden zerstört, und das Bildungsprivileg wurde gefestigt. Wörtlich hieß es im „Düsseldorfer Abkommen“:

„Werden aus pädagogischen Gründen ausnahmsweise Versuche im Rahmen dieser Schultypen unternommen, so muß die wesentliche Eigenart der Schultypen erhalten bleiben.“ [8]

30.000 fehlende Klassenräumen…

Es wurde beschlossen, das Abkommen für die Dauer von zehn Jahren unkündbar zu machen. Gleichzeitig gab es der Regierung die Möglichkeit, den Schwerpunkt ihrer Politik auf die Wiederaufrüstung der Bundeswehr zu legen, ist sie doch bis Ende 1964 nicht verpflichtet, zusätzliche Mittel für die Schule aufzuwenden. Obwohl bereits 1955 mehr als 30.000 Klassenräume fehlten, die Klassenstärke durchschnitt­lich 48 bis 50 Schüler betrug, enthielt das „Düsseldorfer Abkommen“ keine Bestim­mungen über die Verbesserung der materiellen Lage des westdeutschen Schulwesens.

Ganz im Sinne der Klipp-Schulen…

Der Aufbau des westdeutschen Schulwesens: Der bürgerliche Klassencharakter des westdeutschen Schulwesens kommt unter anderem darin zum Ausdruck, daf die Dreigliedrigkeit der Schule in Volks-, Mittel- und höhere Schule und die Abgeschlos­senheit der Stufen untereinander beibehalten wurde. Das Bildungsprivileg der herr­schenden Klassen blieb unangetastet. Heute wird die völlige Rückständigkeit, die „Museumsreife“, des westdeutschen Schulwesens offensichtlich.

Der Religiosnunterricht ist gesichert

Ein zentrales Volksbildungsministerium gibt es zur Zeit noch nicht, die parlamen­tarische Schulgesetzgebung ist Sache der Länder. Durch den Artikel 7 des Bonner Grundgesetzes werden das Privatschulwesen – die typische Form des Standesschul­wesens – und der Religionsunterricht als Unterrichtsfach gesichert. Zur Koordinie­rung der Schul- und Kulturpolitik wurde 1948 die „Ständige Konferenz der Kultus­minister“ gegründet, die regelmäßige Arbeitstagungen durchführt und heute als Hilfsorgan der Regierung bei der Gleichschaltung der Schule fungiert.


Die unmittelbare Leitung des Schulwesens liegt bei den Landesministerien für Er­ziehung und Volksbildung.

Die Volksschule ist auf Grund der frühzeitigen Differenzierung keine allgemeine Schule, die von allen Kindern bis zum vierzehnten oder fünfzehnten Lebensjahr gemeinsam besucht wird. In der Regel ist sie geteilt in eine vierjährige Grundschule und in eine vierjährige Volksschuloberstufe oder praktische Oberstufe.

  • Die Volksschule: In erster Linie besuchen die Kinder der Arbeiter und Bauern die Volksschule, die ihnen nur ein Minimum an Wissen vermittelt.
  • Die Mittelschule, die nach dem vierten Schuljahr einsetzt, ist der vorherrschende Schultyp für die Kinder des kleinen und mittleren Bürgertums. Sie ist in der Regel sechsjährig, schließt mit der mittleren Reife ab und gibt die Berechtigung, in mittleren Stellungen der Wirtschaft und des Staates tätig zu sein.
  • Die Oberschule wird in erster Linie von Kindern der besitzenden Schichten besucht. Diese Schüler verlassen nach dem 4, Schuljahr die Volksschule. Der Ab­schluß der Oberschule berechtigt zum Studium und zur Ausbildung für leitende Funktionen, Von Land zu Land bestehen große Unterschiede, sowohl im äußeren Aufbau des Schulwesens als auch in der inneren Organisation der Schule selbst:

Lehrpläne, Lehrbücher und Lehrmittel sind für ein und dieselbe Klasse in den ein­zelnen Ländern verschieden.

Beachtliche Neubauten – miserabler Unterricht!

Trotz beachtlicher Neubauten in einzelnen Gebieten der Bundesrepublik (beson­ders Hamburg und Bremen) reichen die zur Verfügung stehenden Mittel für Schul­neu- und Schulerweiterungsbauten bei weitem nicht aus, Nach westdeutschen An­gaben fehlen gegenwärtig 35.000 Klassenräume.

Die Lehrerausbildung in der BRD

Der Klassenstruktur der westdeutschen Schule entspricht auch die Lehrerbildung in Westdeutschland. Akademisch gebildete Lehrer für die höheren Schulen – nicht akademisch gebildete Lehrer für die Volksschulen. Die Ausbildung der Volksschul­lehrer erfolgt an Pädagogischen Instituten, Akademien und Hochschulen in vier- bis sechssemestrigen Lehrgängen; die der Lehrer für höhere Schulen an den Universi­täten.

Antifaschistische Lehrer werden ausgemustert

Das Wirken fortschrittlicher Kräfte für eine demokratische Einheitsschule: Schon früh erkannten die progressiven Kräfte unter der westdeutschen Lehrer- und Eltern­schaft die gefährliche Entwicklung in Westdeutschland. Die Bonner Reaktion ver­stärkte den Druck gegen die fortschrittlichen Kräfte, entließ viele Lehrer aus dem Schuldienst oder – soweit sie auf Grund ihrer hervorragenden antifaschistischen Haltung eine zu große Anhängerschaft unter der westdeutschen Lehrer- und Eltern­schaft hatten – pensionierte sie diese vorzeitig und verbot ihnen, weiterhin in das schulpolitische Leben einzugreifen.

Antimilitaristische Proteste

Trotz des sich verschärfenden Terrors wuchs die antimilitaristische Bewegung in Westdeutschland auch unter der Lehrerschaft und Elternschaft. In Protestversammlungen der Gewerkschaft Erziehung und Wissen­schaft wurde gegen die Zerstörung der Ansätze der Schulreformen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Bremen Stellung genommen. Jedoch die rechte Gewerk­schaftsführung orientierte die Lehrer- und Elternschaft nicht auf den Kampf gegen die Reaktion. Mahnend wies im Oktober 1953 aus Anlaß der Bürgerschaftswahlen die fortschrittliche westdeutsche pädagogische Zeitschrift „Der Pflüger“ auf die Fol­gen dieser Kapitulationspolitik für die demokratische Schule hin,

Während die Gewerkschaft kämpft…

Auf ihren Pfingstkongressen 1954 und 1956, 1958 und 1960 nahm die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft zwar beachtenswerte Resolutionen zum Kampf für die Demokratisierung und die Reformierung des westdeutschen Schulwesens an, kämpfte allerdings anschließend nicht um ihre Verwirklichung.

…begnügt sich die SPD mit sinnlosen Petitionen

Auch die SPD begnügte sich mit Petitionen und Protesten. Zwar hatte sie sich 1947 auf ihrer Kulturkonferenz in Ziegenhain für eine differenzierte Einheitsschule ausgesprochen und Grundzüge der damaligen Beschlüsse in den von ihren Vertre­tern regierten Bundesländern durchgesetzt, sie hat jedoch nach dem Wahlsieg der anderen Bonner Parteien in jenen Ländern die erzielten Ergebnisse kampflos auf­gegeben. Während Tausende ehrlicher sozialdemokratischer Lehrer und Eltern sich für eine Verbesserung der Schule einsetzten, begnügte sich die Führung der SPD mit kritischen Bemerkungen über die materielle Notlage der westdeutschen Schule und geht gegenwärtig dazu über, in den Grundsatzfragen der Schulpolitik, wie der Wiesbadener KulturkongreJj von 1961 und das „Bayernprogramm“ von 1962 be­weisen, mit der CDU/CSU eng zusammenzuarbeiten.


Der fortschrittliche „Schwelmer Kreis“

Um den Kampf für eine Demokratisierung der westdeutschen Schule entschie­dener zu führen, gründeten 1952 fortschrittliche westdeutsche Pädagogen, unter ihnen viele bekannte liberale Schulreformer, den „Schwelmer Kreis“, der in den dar­auffolgenden Jahren einen wesentlichen Beitrag im Kampf um eine demokratische Schulreform in Westdeutschland leistete.

„Wir kamen zusammen, weil wir beun­ruhigt waren über die Verschärfung der Gegensätze in der Welt. Wir fühlten uns verpflichtet, den drohenden Gefahren entgegenzutreten…“ [9], schrieb der Leiter die­ses Kreises, Dr. Fritz Helling. Die Bundesregierung, die jede gesamtdeutsche Be­gegnung beargwöhnt, bereitete den westdeutschen Teilnehmern des „Schwelmer Kreises“ große Schwierigkeiten, so daß die für den Sommer 1953 geplante Tagung auf Ostern 1954 verschoben und in die Deutsche Demokratische Republik nach Eisen­ach verlegt werden mußte. 200 Lehrer und Erzieher aus Westdeutschland und 300 aus der Deutschen Demokratischen Republik nahmen an dieser zweiten Ostertagung teil.

Für den Frieden

Im Herbst 1958 veröffentlichte der „Schwelmer Kreis“ Leitsätze, in denen es heißt.

„Der Schwelmer Kreis setzt sich für den Frieden ein … im Wiederaufleben des Rassenhasses und des Chauvinismus sieht er eine ernste Gefahr. Die Menschheit kann nicht durch eine Politik des Gegeneinander, des Drohens und der Abschreckung, sondern nur durch eine klare Entscheidung für die friedliche Koexistenz der Völker gerettet werden. Der Schwelmer Kreis erstrebt eine Bildung und Erziehung der Ju­gend im Geiste des Humanismus, der Demokratie, des Friedens und der Völkerver­ständigung.“ [10]

Forderung: „Schule nach dem Vorbild der DDR“

Mit der Forderung „Unsere Zeit verlangt eine neue Schule“ trat der „Schwelmer Kreis“ im Frühjahr 1960 mit eigenen Gedanken zur Neuordnung des Schulwesens in der Bundesrepublik an die Öffentlichkeit. Mutig verlangten jene verantwortungs­bewußten Pädagogen das gleiche Recht auf Bildung für alle Kinder des Volkes. Des­halb traten sie für die sechsjährige gemeinsame Volksschule ein, lehnten das drei­gegliederte Schulsystem ab, wenn sie die einheitliche, organisch aufgebaute zehnjäh­rige Schule forderten, deren Vorbild sie auch in der zehnklassigen allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule der Deutschen Demokratischen Republik sahen. Sie for­derten folgerichtig einen demokratischen Bildungsinhalt.

Für friedliches Nebeneinanderleben, Glück und Wohlstand

Mit vollem Recht beriefen sie sich dabei auf den Kerngedanken des Potsdamer Abkommens, daß die Erneue­rung Deutschlands von der Ausmerzung des faschistisch-militaristischen Ungeistes abhängt. An der Spitze der Forderung des Programmes steht die Erziehung der Ju­gend im Geist des Friedens und der Völkerverständigung, vor allem durch einen auf wissenschaftlicher Grundlage erteilten Unterricht, der die jungen Menschen in die „Gesamtstruktur Wirklichkeit“, ihre Gesetze und Gesetzmäßigkeiten einführt. Die Erkenntnis, daß auf unserer Erde zwei gesellschaftliche Systeme bestehen und nur das friedliche Nebeneinanderleben, Glück und Wohlstand der Menschen be­stimmt, muß zu einer Grunderkenntnis der Schule werden, wenn sie ihren humani­stischen Bildungsauftrag erfüllen will. Diese Feststellung zählt zu den weiteren cha­rakteristischen Merkmalen dieses Planes.

Die Forderungen der KPD in Westdeutschland

In der Nachkriegszeit kämpfte die Kommunistische Partei Deutschlands für eine demokratische Schulreform und für eine antifaschistische, auf die Sicherung des Friedens gerichtete Erziehung der Jugend in Westdeutschland. In einer Vielzahl von Denkschriften nahm sie zu den Erziehungsfragen Stellung. Sie forderte, den Mili­tarismus und Imperialismus, den Rassenhaß und nationale Überheblichkeit aus der Erziehung zu verbannen. Die junge Generation sollte vielmehr zu ehrlicher Arbeit, zur Achtung der Menschen- und Bürgerrechte, zur gegenseitigen Hilfe, zur Unduld­samkeit gegen Unrecht erzogen werden und die Erkenntnis von der Notwendigkeit der nationalen Einheit vermittelt erhalten und den Willen zum Kampf um einen nationalen Zusammenschluß in einem demokratischen, deutschen Staat pflegen.

Diese Forderungen der Kommunistischen Partei entsprachen den Grundsätzen des Pots­damer Abkommens sowie den schulpolitischen Direktiven des Alliierten Kontroll­rates. Sie entsprachen aber den Grundinteressen des deutschen Volkes, weil ihnen die Prinzipien des Friedens, der Demokratie und der Verständigung zugrunde liegen. Die Kommunistische Partei wandte sich auf vielen Tagungen und Kongressen gegen die antinationale Kulturpolitik der Adenauer-Regierung. Sie leistete eine um­fangreiche Arbeit, um die westdeutsche Jugend vor der moralischen Zersetzung und vor dem Militarismus zu bewahren. Sie stand an der Spitze des Kampfes vieler demokratischer Kräfte gegen die Vergiftung der Jugend durch Schundlitera­tur, schlechte Filme, verlogene Kriegsromantik. Sie hatte bereits in den ersten Jahren des Bestehens des Bonner Staates den Zusammenhang zwischen der Aufrüstung und der Vernachlässigung des Bildungswesens gezeigt. Dem ständigen Vordringen der reaktionären Kräfte setzte die Kommunistische Partei schon im Jahre 1953 eine de­mokratische Zielsetzung entgegen.

Das Verbot der KPD

Durch das Verbot der Kommunistischen Partei hoffte die Adenauer-Regierung, den demokratischen Kräften ihre Führung zu nehmen. Aber auch nach dem verfassungs­widrigen Verbot kämpfte die Partei weiter für eine demokratische Erziehung der Jugend. Im August 1958 legte sie ein „Programm für die Jugend“ vor, in dem unter anderem gefordert wird: „Bildung für alle durch eine Schul- und Hochschulreform, die den Ungeist des Militarismus und Chauvinismus in den Schulen bannt und das Bildungsprivileg der Besitzenden bricht.“

Gegen Geschichtsfälschung und revanchistische Hetze

Im März 1960 nahm die Partei auf einer Delegiertenkonferenz den Beschluß „Die Lage in der Bundesrepublik und der Kampf für Frieden, Demokratie und sozialen Wohlstand“ an. Sie trat darin ein für eine Er­ziehung der Jugend zu einem Leben in Frieden und Freiheit, für die Säuberung der Lehrbücher und des Unterrichts an den Schulen und Hochschulen von Geschichtsfäl­schungen, von militaristischer und revanchistischer Hetze, damit die friedlichen und demokratischen Aufgaben der Zukunft begriffen werden.

Das Streben nach Vereinheitlichung des Schulwesens

Unter dem wachsenden Einfluß des sozialistischen Schulwesens, besonders der DDR auf die Meinungsbildung vieler westdeutscher Lehrer und Eltern und auf Grund der seit Jahren andauernden Unzufriedenheit dieser und anderer Kreise über die Rückständigkeit ihrer Schulen, entstanden seit 1958 eine Vielzahl von Reform­plänen. Die bedeutendsten Pläne, die die Öffentlichkeit zu einer größeren Diskus­sion bewegten, sind der „Rahmenplan zur Umgestaltung und Vereinheitlichung des allgemeinbildenden öffentlichen Schulwesens“ und die Pläne der Arbeitsgemein­schaft westdeutscher Lehrerverbände von Bremen (1960) und Wiesbaden (1962).

…doch alles bleibt wie es einstmals war

Der vom westdeutschen Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen, Bonn, der Öffentlichkeit unterbreitete Rahmenplan mußte unter dem Druck der obengenannten Verhältnisse eine Reihe Unzulänglichkeiten im westdeutschen Schulwesen einge­stehen. Dennoch vertrat der Ausschuß die Auffassung, daß trotz „unleugbarer Män­gel des heutigen Schulaufbaus“ keine grundsätzlichen Veränderungen der Schule notwendig sind.

Nachwuchsprobleme in der Industrie

Da jedoch die westdeutschen Monopole mit dem erreichten Bil­dungsstand ihrer angehenden Lohnarbeiter in der Volksschule nicht mehr zufrieden sind, wird im Rahmenplan u.a. eine bessere naturkundlich-technische Bildung gefor­dert, die allerdings durch eine verstärkte religiöse und sozialkundliche Unterwei­sung eingeschränkt werden soll. Zu diesem Zweck sollte die Volksschuloberstufe zu einer Hauptschule ausgebaut und um ein neuntes Schuljahr, später um ein zehntes Schuljahr verlängert werden.

In den Schulen wird ausgesiebt…

Mit Nachdruck wird jedoch betont, daß die „bewährte Dreigliedrigkeit“ der Schule (Volks-, Mittel- und Höhere Schule) unter keinen Umständen verändert werden dürfte. Allerdings sollte sich an die vierjährige gemeinsame Grundschule eine zwei­jährige Förderstufe anschließen, in der Übergänge von einer Schulart zur anderen vorgesehen sind und in der die Schüler für die darauf aufbauende Hauptschule, Real­schule oder das Gymnasium „ausgesiebt“ werden. Das an die Förderstufe anschlie­ßende Gymnasium ist siebenjährig. Daneben besteht jedoch als „Exklusivschule“ die neunjährige Studienschule, die nach wie vor an das vierte Grundschuljahr anschließt. Der Studienschule ist es vorbehalten, die „Führungselite“ für die imperialistische Gesellschaftsordnung heranzubilden.

Wird es eine Einheitsschule geben?

Große Bedeutung für die Haltung der westdeutschen Lehrerschaft hatte der Schul­reformplan der Arbeitsgemeinschaft deutscher Lehrerverbände· (AGDL). Die AGDL legte auf dem Pfingstkongreß 1960 in Bremen den dritten Entwurf eines „Planes zur Neugestaltung eines deutschen Schulwesens“ vor. Dieser Plan sah gemeinsame sechs Schuljahre vor; darauf aufbauend die Werkoberschule, Realoberschule und Gymnasialoberschule. Der Gedanke der Einheitsschule lag diesem Plan zugrunde.

Die Furcht vor den klerikalen „Dunkelmännern“

Im „Bremer Plan“ wurden mit Nachdruck die Einheit des Erziehungs- und Bil­dungsgangs vom Kindergarten bis zur Hochschule herausgestellt, wurde die Öffent­lichkeit des Schulwesens betont, die Wissenschaftlichkeit des Unterrichts hervor­gehoben und mit Nachdruck die Zentralschule auf dem Land gefordert. Der vom Vorstand der AGDL Pfingsten 1962 in Wiesbaden vorgelegte Plan ging aus Furcht vor klerikalen „Dunkelmännern“ weit hinter die Forderungen des Planes von Bremen zurück.

Seit dem Angriff klerikaler Schulpolitiker auf dem Kultur-Kongreß der CDU 1961 versuchten einflußreiche Kreise in der AGDL auch in Übereinstimmung mit der Kapitulation der rechten SPD-Führer auf dem Kölner Parteitag 1962 die Gewerk­schaft der Lehrer dem Führungsanspruch der Adenauer-Partei unterzuordnen. Der „Wiesbadener Plan“ klammerte die Vorschulerziehung und den Schulkindergarten aus dem einheitlichen Bildungsweg aus und überließ das große Gebiet der Vorschul­erziehung den klerikalen Kräften. Die religiöse Erziehung wird als grundlegende Aufgabe der sittlichen Bildung in den Vordergrund gerückt, die Wissenschaftlichkeit des Unterrichts in Frage gestellt, der Kampf um die Zentralschule auf dem Land vernachlässigt und die Auseinandersetzung mit der faschistischen Vergangenheit in der Schule als wichtige Aufgabe nicht mehr erwähnt.

Lehrer fordern ein demokratisches Schulwesen

Den vom Vorstand der AGDL und der Delegierten-Konferenz gebilligte Plan zur Neugestaltung der Schule konnte, wie bereits erste Stimmen unter der westdeutschen Lehrerschaft zeigten, nicht Grundlage für eine demokratische Entwicklung des west­deutschen Schulwesens sein. In immer stärkerem Maße forderten die Lehrer die Über­windung der faschistisch-militaristischen Ideologie und die Verbannung des Anti­kommunismus und Revanchismus aus den Schulstuben. Die Masse der Lehrer ver­langte die Verwirklichung des Rechtes auf hohe, wissenschaftliche, mit dem Leben verbundene Bildung für alle Kinder.

Diese Ziele einer demokratischen Schulreform erfordern bei den westdeutschen Lehrern die Erkenntnis, daß nur im gemeinsamen Kampf aller demokratischen Kräfte gegen die Gefahr des Krieges, unter Führung der Arbeiterklasse ihr Streben von dauerndem Erfolg gekrönt sein kann.

HANS-GEORG HOFMANN

[1] Dokumente zur demokratischen Schulreform in Deutschland. 1945 bis 1948. Schwelm o.J., S.29.
[2] Treue, W.: Deutsche Parteiprogramme 1861 bis 1956. Göttingen 1956, S.189f.
[3] Ebenda, S. 198 f.
[4] Aus dem Aufruf des Verbandes der Lehrer und Erzieher vom zr. August 1945. In: Die neue Schule, Jg.r, 1946, Nr.1, S.36.5
[5] Dokumente zur demokratischen Schulreform in Deutschland. A.a.0., S.62.
[6] Hamburger Lehrerzeitung. Jg.r, 1948, Nr.7, S. rf.
[7] Erstes Gesetz zur Ordnung des Schulwesens im Lande Nordrhein-Westfalen (vom 8. April 1952 – GV. NW. S. 61). § 1 (6). In: Schnlrecht Nordrhein-Westfalen (Karteibuch), Ordner 2, 7, S. I, Ergänzungsliefe­rung II vom 15. Juli 1955.
[8] Abkommen zwischen den Ländern der Bundesrepublik zur Vereinheitlichung auf dem Gebiete des Schulwesens.§ 13 (2). In: Schulrecht Baden-Württemberg (Karteibuch), Ordner 1 , I C III, S. 4, Ergänzungslieferung 6 vom 12. November 1955,
[9] Helling, F.: Aus der Geschichte des Schwelmer Kreises. In: Der Pflüger, Jg. 4, ,955, Nr.4, S.66.
[10] Mitteilungen des Schwelmer Kreises. Schwelm in Westfalen 1958,
[11] Die Lage in der Bundesrepublik und der Kampf für Frieden, Demokratie und sozialen Wohlstand. In: Einheit, Jg. 15, 1960, Beilage zu H. 4, S. 18 f.
Quelle: Pädagogische Enzyklopädie (2 Bde.). VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin, 1963, Band 1, S.1040-1048 (Zwischenüberschriften eingefügt, N.G.)

Zwei Beispiele aus der BRD:

2. Verfälschung der Geschichte

Dr. Arno Klönne wendet sich in einem Artikel in der westdeutschen „Allgemeinen Deutschen Lehrerzeitung“ vom 15. November 1957 gegen die am häufigsten auf­tretenden Entstellungen und Verfälschungen der Geschichte.
  1. Die Zeit vor 1914 – der Wilhelminismus also – wird unzulässigerweise glori­fiziert; der Kampf breiter Massen, um ihre sozialen und politischen Rechte, die kulturelle Verflachung werden verschwiegen.
  2. Der Versuch einer deutschen Republik 1919 bis 1933 wird mehr oder weniger offen mit Hohn bedacht. Kritik an der Weimarer Republik ist gewiß angebracht – hier aber werden gerade ihre positiven Züge diffamiert, ihre Leistungen unerwähnt gelassen.
  3. Die Epoche der NS-Herrschaft in Deutschland wird in ihrem Charakter bewußt oder unbewußt beschönigt; der Terror gegen die Feinde des Unrechtsstaates wird verschwiegen oder auf angebliche „Einzelfälle“ begrenzt; ebenso wird andererseits der wahre Umfang der Widerstandsbewegung vertuscht.
  4. Die internationalen Machenschaften des Faschismus vor Kriegsausbruch werden unzulässigerweise als berechtigte Abwehrmanöver gegen den Bolschewismus ausgegeben.
  5. Der Kriegsausbruch 1939 wird als ein schicksalhaftes, „zufälliges“ Ereignis hingestellt, nicht – der Wahrheit gemäß – als verbrecherischer Akt der NS-Führung. Der ebenso verbrecherisch vom Zaune gebrochene Krieg gegen die UdSSR wird als „Kreuzzug fürs Abendland“ interpretiert … Die verbrecherischen Akte von Unmenschlichkeit seitens der Führungsgruppen des Regimes während des Krieges – insbesondere die Judenausrottung, die Vernichtungslager, die Behandlung der russischen Zivilbevölkerung usw. – werden großzügig in Vergessenheit getaucht. Wo sie nicht übergangen werden können, werden sie als persönliche Entgleisungen Hitlers, nicht aber als Teil des Systems und als von starken Führungsgruppen mit­getragen beziehungsweise wissend geduldet beschrieben. Insbesondere wird ver­schwiegen, daß ein gut Teil der hohen Militärs bei gelegentlicher Kritik an strategischen Fehlern Hitlers den Prinzipien der NS-Politik keineswegs wider­sprochen hat – was ebenso für einen Teil der großen Männer der deutschen In­dustrie gilt!
  6. Kriegführung und Kriegsgeschehen selbst werden scheinbar sachlich be­schrieben – wobei vergessen wird zu erwähnen, daß die „verlorenen Siege“ einer verbrecherischen Sache dienten; oder das Kriegsgeschehen wird in falscher Weise glorifiziert.
  7. Der Zusammenbruch 1945 wird als die wirkliche „deutsche Katastrophe“ ausgegeben – daß die Kapitulation auch die Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus bedeute, bleibt unerwähnt.
  8. Was den Aufbau Deutschlands beziehungsweise der Bundesrepublik nach 1945 angeht, so werden die bewunderswürdigen Bemühungen jener, die gleich nach 1945 die deutsche Demokratie innerlich und äußerlich wiederaufrichteten, stillschweigend übergangen; heimlich geschmäht wird die Vorstellung der – wie es oft schön heißt – „45er“, daß nun endlich in Deutschland die Feinde der Demo­kratie verdrängt seien; es wird so getan, als datiere der Aufschwung der Bundes­republik erst von jener Zeit an, da die Kräfte von gestern sich wieder vorsichtig regen konnten …
Aus: „Berichte über die kulturpolitische Entwicklung der Bundesrepublik“, 1958/Heft I, S. 22/23

3. Prügelstrafe als Erziehungsmittel

Das krasseste Beispiel in der Reihe der schweren Körperverletzungen durch Lehrer war der Fall des Konrektors der Rüssclsheimcr Waldstraß-Schule, Johannes Schwanke, der die mittelalterlichen Erziehungsmethoden bis zum Totschlag prak­tizierte. Schwanke, der vorwiegend Religionsunterricht erteilte, hatte den acht­jährigen Erwin Schulmayer so mit Ohrfeigen traktiert, daß der Junge nach zwei Tagen Sehstörungen bekam, ins Krankenhaus eingeliefert werden mußte und wenige Wochen darauf starb …
Der Angeklagte wurde am 17. März 1956 vom Landgericht Darmstadt freigesprochen, da er „nicht gegen ein Gesetz verstoßen habe“. Unter dem Druck der empörten Eltern und Lehrer über den Freispruch sah sich die Staatsanwaltschaft gezwungen, ein Revisionsverfahren mit der Begründung ein­zuleiten, daß ein solches Urteil den Bestimmungen des Grundgesetzes über den Schutz der Menschenwürde und über die körperliche Unversehrtheit widerspreche.
Ende Oktober 1957 wurde dieser Fall dann von dem Zweiten Strafsenat des Bundesgerichtshofes in Karlsruhe behandelt. Am 23. Oktober beschlossen die Richter, das Revisionsverfahren zu verwerfen; der Freispruch des Darmstädter Landgerichts wurde bestätigt.
Die „Allgemeine Deutsche Lehrer-Zeitung“ Nr. 21 vom 1. Dezember 1%7 gibt die mündlich vorgetragene Begründung wie folgt wieder:

„Die körperliche Züch­tigung der Schiller ist ein 150 bis 200 Jahre altes Gewohnheitsrecht der Lehrer. Es ist in keinem Lande der Bundesrepublik durch ein Gesetz oder durch ein entgegen­wirkendes Gewohnheitsrecht aufgehoben worden. Die seit 1945 von vielen Länder­regierungen ergangenen Erlasse, durch welche die körperliche Züchtigung aus­nahmslos verboten wurde, haben keine Gesetzeswirkung und können das Gewohn­heitsrecht nicht aufheben. Sie sind zwar von disziplinarrechtlicher, dagegen nicht von strafrechtlicher Bedeutung.

Die Ziichtigungsbefugnis des Lehrers verstößt weder gegen das Grundgesetz noch gegen die Verfassungen der Länder. Erziehungsaufgabe und Erziehungsrecht des Lehrers schließen die Befugnis ein, in. angemessenen Grenzen körperliche Zuchtmittel anzuwenden, und daeine pädagogisch gebotene Züchtigung dem Wohle des Betroffenen dient, kann auch das Grundrecht der menschlichen Würde nicht verletzt sein. Außerdem geht das unbestrittene Züchtigungsrecht der Eltern beim Besuch der Schule zum Teil auf den Lehrer über.“

Auf welches Gewohnheitsrecht bezieht sich der Bundesgerichtshof? Jenes 150 bis 200 Jahre alte Gewohnheitsrecht ist nichts anderes als die brutale Anwendung von Einschüchterung, Terror und Gewalt zur Dressur willenloser Unter­tanen. Es sind die reaktionären Traditionen des deutschen Militarismus vom friderizianischen Preußen bis zum Hitlerstaat. Das Bonner Regime hat sie übernommen und zum Gesetz seines Handelns gemacht.
Aus: „Berichte über die kulturpolitische Entwicklung der Bundesrepublik“, 1957/Heft IV, s. 20.

Siehe auch:

Das einheitliche sozialistische Bildungssystem in der DDR

Sozialistische Volksbildung in der DDR nach 1945

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8 Antworten zu Hans-Georg Hofmann: Zur Schulentwicklung in Westdeutschland

  1. S. Erfurt schreibt:

    Frage im gestrigen Fernsehquiz Gefragt Gejagt: Wie lange besuchten Schüler der DDR i.d.R. die POS?

    Und die junge Dame (aus Magdeburg!) antwortete: 3 Jahre!

  2. Hanna Fleiss schreibt:

    Ich bin Jahrgang 1941 und wohnte im Französischen Sektor in Berlin, in Wedding, unmittelbar an der Grenze zum Sowjetischen Sektor. In der ersten Klasse ging ich in Westberlin zur Schule, meine Eltern schulten mich in der 2. Klasse dann aber in eine halbzerbombte Schule im Sowjetischen Sektor um. Das war 1948. In der 2. Klasse hatte ich sehr viel nachzuholen, sowohl im Rechnen als auch auf anderen Gebieten, die mir neu waren. Das Schönste aber war, es gab keinen Religionsunterricht. Wir hatten ältere Lehrer, aber auch Neulehrer, die räumlichen Bedingungen waren erbärmlich, weil das Hauptgebäude der Schule zerbombt war, wir hatten zeitweise Unterricht im Keller eines Nebengebäudes zum Beispiel, auch gab es Schichtunterricht, also eine Woche Frühunterricht, eine Woche Nachmittagsunterricht. Was mir in Erinnerung geblieben ist, ist eine völlig andere Lebensatmosphäre in der neuen Schule gegenüber der alten, wir Kinder hatten ein optimistisches Lebensgefühl. Wenn ich an die Westberliner Schule denke, kann ich mich an ein solches Gefühl überhaupt nicht erinnern. 1949 im Dezember zogen meine Eltern nach Ostberlin um, nach Köpenick. Das war, so erkannte ich sehr bald, das teuerste und schönste Geschenk, das mir meine Eltern jemals gemacht hatten.

    • S. Erfurt schreibt:

      Ist doch komisch: Unsere schönsten Geschenke waren die Unterrichtsfächer die es heute nicht mehr gibt: Schulgarten, Heimatkunde, ESP (Einführung in die Sozialistische Produktion). Und das Fach Staatsbürgerkunde kann es im Kapitalismus gar nicht geben! Was würde man denn einem BRD-Staatsbürger erzählen? Daß seine Staatsbürgerschaft nichts wert ist? Daß seine Verfassung eine hohle nichtssagende Kladde ist!?

      Unser Dorf ist reich und schön war der Titel unseres Lesebuches in der 2. Klasse. Und wie schön, das erlebten wir selbst! In diesem Lesebuch lasen wir unsere eigenen Geschichten vor. Geschichten die wir später auch schrieben.

      MFG

      • Hanna Fleiss schreibt:

        Naja, S. Erfurt, es gab ja kein Ost- und Westthüringen. Aber für uns Kinder in Berlin war das schon eine komplizierte Situation: der nächste Bürgersteig war schon eine andere Welt. Wir hatten ja bis 1949 in Westberlin gewohnt, und da hatte ich schon in diesem Alter viel Politik mitbekommen, ich wurde sozusagen bereits als Kind politisiert, und zwar sehr handgreiflich. Bei uns zu Hause waren wir Kinder immer dabei, wenn Besuch kam und es wurde diskutiert, natürlich politisch, es war ja eine sehr aufregende Zeit in Berlin. Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, an dem die Westmark eingeführt wurde und damit Deutschland gespalten wurde. An die Schulbücher kann ich mich eigentlich nicht so recht erinnern, ich weiß nur noch, dass ich in der 1. Klasse die Fibel, als ich die ersten Buchstaben gelernt hatte, von vorn bis hinten gelesen hatte, und was mir an Buchstaben fehlte, reimte ich mir zusammen. Soviel mir in Erinnerung ist, war dieses Schulbuch um eine humanistische Weltsicht bemüht, viele Gedichte, bebildert. Das änderte sich aber später, als der kalte Krieg begann. Ich weiß gar nicht, ob wir in der 2. Klasse, also im Sowjetischen Sektor, überhaupt Schulbücher hatten, mir ist, als ob es noch keine gab. Schulgarten hatten wir ab der 4. Klasse, damit konnte man mich jagen, wir mussten den harten Boden mit Hacken aufhacken, bestimmt kein Vergnügen. Mir hatte am meisten Deutsch, sowohl Grammatik als auch Literatur, Geschichte, Geografie und Biologie, Russisch, Musik und Kunsterziehung gefallen. Wir hatten noch keine Staatsbürgerkunde. Mit Mathe, Physik und Chemie lag ich im Krieg. Aber ich hatte wunderbare Lehrer, unsere Klassenlehrerin wurde von uns richtig verehrt. Natürlich war ich Junger Pionier geworden, noch als wir in Westberlin wohnten und ich in Ostberlin zur Schule ging. Auf dem Heimweg behielt ich mein Pioniertuch immmer um, da könnte ich Stories erzählen, was ich damit in Westberlin erlebt hatte. Ich kann mich an eine sehr schöne Schulzeit erinnern. Es war ein behüteter Weg ins Leben.

  3. S. Erfurt schreibt:

    Ich kann mich an eine sehr schöne Schulzeit erinnern. Es war ein behüteter Weg ins Leben.

    Richtig Hanna, ich auch, genau das ist das Wesentliche unserer Schulzeit in der DDR! Und die untrennbare Einheit von dem was in unseren Schulbüchern stand und unserem wirklichen Leben. In jedem Dorf wo ich zur Schule ging gab es Hinterlassenschaften des Hitlerstaates und des preußischen Feudaladels, prächtige Landsitze, Gutshäuser und Herrenhäuser. Aus all diesen Einrichtungen wurden nach der Enteignung der Besitzer die Hitlers Auftraggeber waren, soziale Einrichtungen wie Altersheime, Kinderheime, Wohnhäuser und Volkseigene Güter (VEG) usw. Genauso wie es die Alliierten beschlossen hatten und genauso wie es in unseren Schulbüchern stand. Und diese Entwicklung haben wir selbst miterlebt! In einem dieser ehemaligen Herrenhäuser wurde meine spätere Frau geboren….

    Viele Grüße, schönes Wochenende!

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  6. Erfurt schreibt:

    Aktuell sind ca. 300000 schulpflichtige Kinder vom Unterricht an Schulen ausgeschlossen. Schulen werden geschlossen, Lehrer entlassen. Alltag im Westen! Wie war es in der DDR? Nun, als ich in die Schule kam Anfang der 60er hatte die 1. Klasse über 20 Schüler. Die 8. Klasse jedoch hatte nicht einmal 10 Schüler! Der Gedanke, daß eine Schule wegen Schülermangel geschlossen werden muss war uns fremd! Wegen den paar Hanseln fuhr sogar ein Schulbus. Und nein, wir mussten auch keine Unterschriften sammeln, dafür daß Spielplätze gebaut werden. Selbstverständlich gab es auch einen Hort.

    Überlegt mal, das war vor 60 Jahren! Sind Menschen wirklich so dumm, daß sie die Rückständigkeit des Kapitalismus nicht erkennen!? MFG

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