G.Gagina: Über den Klassenstandpunkt

Der Blutsonntag am 9. Januar 1905

Der Blutsonntag am 9. Januar 1905

…die Frage „wer-wen?“ hatten die russischen Arbeiter schon im Jahre 1905 begriffen, als der Zar Nikolai auf unbewaffnete Demonstranten schießen ließ. Es gab über 3000 Tote und Verwundete. Das war das Ende einer friedlichen Revolution!

Über den Klassenstandpunkt

G. Gagina

Wir leben nun mal in einer Klassengesellschaft, und die Interessen unserer gesellschaftlichen Hauptklassen – der Bourgeoisie und des Proletariats – sind einander völlig entgegengesetzt. Somit kann es auch in einer solchen Gesellschaft keinen (angeblich objektiven) Standpunkt geben, der zwischen beiden liegt. Selbst wenn man die Ereignisse in einer solchen Gesellschaft nicht als ihr Teilnehmer, sondern lediglich als Außenstehender betrachtet, so ist es doch unmöglich, nicht irgendeinen Standpunkt, nicht eine Position einer der beiden, einander bekämpfenden Seiten einzunehmen. Ein Standpunkt zwischen den Klassen in einer Klassengesellschaft gleicht dem Versuch, sich zwischen zwei Stühle zu setzen – unvermeidlich wird man dabei auf den Fußboden fallen.

Wie kann man beispielsweise verstehen, wer schuldig ist, wenn man versucht die Taten eines Wolfes mit denen eines Schafes zu vergleichen? Wo doch jeder von beiden im Recht ist, jeweils aus seiner eigenen Sicht. Der Wolf will fressen, deshalb tötet er das Schaf. Er muß es töten, sonst würde er selbst verhungen. Und das Schaf will leben und nicht vom Wolf gefressen werden. Ein jeder hat seine eigene Wahrheit.

Die Klasseninteressen

Genauso geht es auch in unserer kapitalistischen Klassengesellschaft zu, wo die Interessen zweier gesellschaftlicher Hauptklassen aufeinanderstoßen. Der Kapitalist muß den Arbeiter ausbeuten, um seine Stellung nicht zu verlieren. Denn wenn er damit aufgehört, wird er als Kapitalist zugrunde gehen. Ein Kapitalist will auch nicht von anderen Kapitalisten aufgefressen werden, deshalb ist er gezwungen, sich immer mehr zu bereichern, und immer stärker zu werden, um der Konkurrenz durch andere Kapitalisten zu widerstehen. Und dazu ist notwendig die Arbeiter immer mehr auszubeuten und zu unterdrücken. Der Arbeiter seinerseits will sich nicht ständig ausbeuten und unterdrücken lassen, er will als der Mensch behandelt und in Ruhe gelassen werden, und auch er will in materiellem Wohlstand leben. Aber um sich ein mehr oder weniger befriedigendes Leben zu leisten, ist er ständig gezwungen, gegen den Kapitalisten und für seine Rechte zu kämpfen, obwohl das durch die Unterdrückung bis zu einem gewissem Grade nur einschränkt möglich ist. Wer von beiden ist hier nun im Recht? Beide sind im Recht, sie sehen nur ein und dasselbe von verschiedenen Klassenpositionen aus. Es sind eben unterschiedliche Klassenstandpunkte – der Standpunkt der Bourgeoisie und der Standpunkt des Proletariats.

Warum ist es so wichtig, zu verstehen, daß verschiedene Klassenstandpunkte existieren?

Wenn man das Wesen der Sache begreifen will, muß man verstehen, was im Land und in der Welt geschieht, muß man verstehen, wie sich dieses Geschehen auf einen selbst auswirkt. Da wird beispielsweise von der Regierung ein neues Gesetz erlassen. Die offiziellen Massenmedien loben dieses Gesetz, und auch die Beamten beweisen uns mit Schaum vorm Mund, was für ein gutes Gesetz jetzt herausgekommen ist und welchen prima Nutzen es für unser Land hat. Doch wie sollen wir darüber denken? Sollen wir ihnen nun glauben oder nicht?

Es ist sehr einfach, sich fürs erste daran zu erinnern, daß wir in einer Klassengesellschaft leben, bei der in unserem Land jetzt die Klasse der Bourgeoisie die Macht besitzt, daß alle Gesetze für sie geschrieben werden, und daß der Staat uns später alle zwingen wird, diese Gesetze einzuhalten. Das neue Gesetz ist für die Bourgeoisie gut, wenn sie und ihre Lakaien, die Journalisten und Politikwissenschaftler es loben, denn durch dieses Gesetz wird die Bourgeoisie immer reicher werden. Ist dieses Gesetz nun für uns gut?

Wir haben zur Bourgeoisie keine Beziehung, auch nicht zu den Fabriken und Betrieben, zu den Zeitungen und Druckereien, und nicht zu deren Eigentum, wir leben nur vom Lohn. Wie betrifft nun dieses neue Gesetz uns und unseresgleichen? Müssen wir noch zusätzlich etwas aus der eigenen Tasche zahlen oder nicht? Je nachdem, wie man diese Frage beantwortet, d.h. ob man auf dem Klassenstandpunkt der Lohnarbeiter steht, und was auch unsere Grundinteressen widerspiegelt, werden wir auch den wahren Sinn und das Wesen eines erlassenen Gesetzes verstehen, werden wir dessen Folgen verstehen, und welche Konsequenzen es für uns persönlich hat.

Die Bewertung der historischen Ereignisse

Genauso ist nötig es auch, die historischen Ereignisse richtig zu bewerten, vor allem, wenn es um die Ereignisse des 20. Jahrhunderte geht, die viel Streit unter die Werktätigen unseres Landes gebracht haben, weil sie bislang vergessen hatten, sich über den Klassenstandpunkt Gedanken zu machen.

Jede beliebige emotionale Einschätzung, ob etwas „gut“ oder „schlecht“ ist, hängt immer davon ab, welchen Klassenstandpunkt man einnimt. Und bevor wir irgend jemandem zustimmen, oder diesen oder jenen Autor unterstützen, sollten wir immer sehr genau darüber nachdenken, welchen Klassenstandpunkt er vertritt. Das wird uns helfen, das wahre Wesen zu erkennen, das der Autor oft verbirgt. Und dann kann uns niemand mehr an der Nase herumführen.

Da kritisiert beipsielsweise ein Autor irgendeinen kommunistischen Artikel, zieht dagegen auf verschiedene Weise zu Felde, indem er behauptet, die Bolschewiki hätten angeblich das russische Volk blutig unterdrückt, Millionen umgebracht, das große Land zerstört und die besten Menschen ins Ausland vertrieben. Und dieser Autor behauptet, sein Standpunkt sei außerordentlich objektiv. Doch gibt es in Wirklichkeit an seiner Position nichts Objektives – er steht fest auf dem Standpunkt der Gutsbesitzer und der Bourgeoisie, d.h. der Ausbeuterklasse, zu der in Rußland zu jener Zeit nicht mehr 1,5 % der Bevölkerung gehörten. Die Bolschewiki hingegen vertraten hingegen eindeutig die Interessen der unterdrückten und ausgebauteten Klassen – der russischen Bauernschaft, der Arbeiterklasse und anderer Schichten der arbeitenden Bevölkerung.

Was taten die Bolschewiki?

Die ersten Dekrete der Bolschewiki, die bereits in derselben Nacht erlassen wurden, als der bewaffnete Oktoberaufstand in Petrograd gesiegt hatte (nämlich in der Nacht vom 25. zum 26. Oktober 1917), waren das „Dekret über den Boden“ und das „Dekret über den Frieden“. Das „Dekret über den Boden“ gab endlich den russischen Bauern das Land, welches bei den Gutsbesitzern und den Aristokraten enteignet wurde, was die Bauern seit Mitte des 19. Jahrhunderts anstrebten. Man muß hinzufügen, daß die Bauernschaft mehr 80 % der Bevölkerungen des Landes ausmachte. Das „Dekret über den Frieden“, worauf überhaupt die ganze werktätige Bevölkerung gewartet hatte, die von einem jahrelangen sinnlosen Morden erschöpft war, machte dem imperialistischen Krieg ein Ende, in dem Russland für die Interessen der Bourgeoisie Englands und Frankreichs kämpfte. Durch diesen Krieg hatte Rußland fast 5 Millionen Bürger verloren! Und wofür? Für das Wachstum der englischen und französischen Bourgeoisie! Für deren Gewinne starben unsere Menschen! Sind die Bolschewiki demnach „blutig“ und „schlecht“, sind sie diejenigen, welche das russische Volk unbarmherzig dazu trieben, für fremde Gewinne zu sterben?

Es ist völlig klar, daß nur diejenigen so etwas behaupten können, die das Volk hassen und die Werktätigen und die Lohnarbeiter verachten, welche die jetzige russische Bourgeoisie mit aller Macht unterdrückt. Nur diejenigen können so etwas behaupten, die das Recht dieser Parasiten schützen, die auf Kosten von Millionen Werktätigen leben,  sie ausplündern und versklaven. Und diese Leute können das nur deshalb öffentlich erklären, weil heute in unserem Land wieder die gleichen Kapitalisten an der Macht sind, die das arbeitende Volk unter Führung der Bolschewiki im Oktober 1917 fortgejagt hat. Für die Kapitalisten ist es vorteilhaft, die Bolschewiki in einem negativen Licht darzustellen, damit hat das heutige russische Volk nicht erst beginnt, von der Freiheit zu träumen, damit es nicht begreift, wie dazu kam, und damit es nicht denselben Weg geht, auf den die Bolschewiki vor hundert 100 Jahren das werktätige Volk führten.

Und nun, lieber Leser, entscheide dich: Ohne einen klaren Klassenstandpunkt, und ohne das Verständnis, welche Interessen dir wichtig sind – die des werktätigen Volkes, oder die seiner Ausbeuter, wird es dir weder möglich sein, die Geschichte unseres Landes zu verstehen, noch sich in der Gegenwart zurechtzufinden.

Quelle: Die kommunistische Arbeiterbewegung (Рабочий путь)
(Übersetzung: Florian Geißler, Jena)
(Mit freundlicher Genehmigung übernommen von Kommunisten-Online)

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Aus der Geschichte einer friedlichen Revolution (Anm. zum obigen Bild)
Am Morgen des 9. Januar 1905 strömten trotz aller Warnungen der Bolschewiki nach Tausenden zählende Arbeitermassen zum Winterpalais und gingen dort in die von Militär und Polizei gestellte Falle. Es begann nun ein Gemetzel in der unbewaffneten Menge, die über dreitausend Tote und Verwundete hatte. Dieser Tag ist als der „Blutige Sonntag“ in die Geschichte eingegangen. Die blutigen Januarereignisse des Jahres 1905 waren von einer gewaltigen revolutionierenden Bedeutung. In seinem Artikel über den „Beginn der Revolution in Rußland“ schrieb Lenin: „Die Arbeiterklasse hat eine große Lehre des Bürgerkriegs erhalten; die revolutionäre Erziehung des Proletariats hat an dem einen Tag einen so großen Schritt vorwärts gemacht, wie sie ihn in Monaten und Jahren des grauen, verschüchterten Alltagslebens nicht hätte machen können.“ (Lenin, Werke Bd.VII, S.79)
Quelle: Autorenkollektiv: Große Sowjet-Enzyklopädie, Verlag Kultur und Fortschritt Berlin, 1952, Bd.I, S.614.
Dr. Bashar al-Assad: Die Revolutionen setzen Wissen und Ideen voraus, nicht Unwissen. Die Revolutionen setzen ein Vorwärts gehen voraus und nicht den Rückgang in vergangene Jahrhunderte. Revolutionen werden gemacht, um die gesamte Gesellschaft zu erleuchten, nicht ihr den Strom abzuschneiden. Normalerweise wird die Revolution vom Volke gemacht, nicht durch aus dem Ausland importierte Individuen, die ihre „Revolution“ dem Volke aufdrücken wollen. Sie wird für das Volk gemacht, nicht gegen seine Interessen.
Quelle: Bashar al-Assad: Es geht um den Frieden…
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2 Antworten zu G.Gagina: Über den Klassenstandpunkt

  1. Ja, so einfach ist das alles.
    Ganze einfache.
    Rechts oder Links
    Oben oder Unten
    Kalt oder Heiß
    Kapitalist oder Sozialist
    Bileam oder Christus

    Neulich schrieb ich „“Kapitalismus und Krieg oder Sozialismus und Frieden, ihr könnt nicht beidem zugleich dienen. Niemand kann zwei Herren dienen: entweder er wird den einen hassen und den anderen lieben, oder er wird dem einen anhangen und den anderen verachten. Ihr könnt nicht dem Frieden und dem Krieg dienen.” Jesus im Matthäus-Evangelium“

    Und werde von einem Besser-Wessi-Wisser deshalb übel als Lügner bezeichnet, weil er des Wahns ist, ich habe damit “Kapitalismus und Krieg oder Sozialismus und Frieden” in das Matthäus-Evangelium hineingefälscht. Es steht dort nicht geschrieben.
    „Wir sind hier in Deutschland. Sie haben hier gelogen und betrogen, dem Jesus der Bibel der Christen (Neues Testament) eine Aussage unterstellt, die nicht im Matthäus-Evangelium steht.
    Soweit sind sie schon die Kapitalisten, zitiert es dann wörtlich „Ihr könnt nicht beidem dienen, Gott und dem Mammon.“ und merkt nicht mal mehr, dass mit „Mammon“ der Begriff Kapitalismus besser gar nicht umschrieben werden kann, bedeutet doch Mammon ursprünglich nichts anders als die Vergottung des Geldes und nicht irgendeine Art Tauschmittel, das als Geld bezeichnet wird.

    Und ergänzend schrieb ich an anderer Stelle: Zwischen Kapitalismus und Sozialismus passt auch nicht das dünn beschriebene Papier einer Alternative für Deutschland, die uns den Kapitalismus als neues Kleid aus dem Hause Milton Friedman anpreist.

  2. Pingback: Was ist eigentlich ein Klassenstandpunkt? | Sascha's Welt

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