Kritik und Selbstkritik – eine mächtige Waffe des Proletariats

18853-1u„Wenn dich deine Feinde loben, hast du etwas falsch gemacht. Tadeln sie dich, dann bist du auf dem richtigen Wege.“ (August Bebel) [1]

Die Feinde des Sozialismus – damals als es die DDR noch gab, und heute, wenn sie von „Aufarbeitung“ der DDR-Vergangenheit reden – verkleiden sich oft als die „wahren“ Marxisten, denen man Unrecht getan habe. Sie zitieren Marx und Rosa Luxemburg und glauben, auf Widersprüche und Fehler aufmerksam machen zu müssen, derentwegen das „sozialistische Experiment gescheitert“ sei. Sie reklamieren für sich die „Freiheit der Andersdenkenden“, ohne die kein Fortschritt und keine Demokratie möglich sei. Und sie spielen die Beleidigten, wenn man ihre Kommentare löscht. Und doch stehen sie auf Seiten der Bourgeoisie, wissen sich deren Unterstützung sicher und haben nicht das geringste Interesse, den Kapitalismus zu beseitigen. Was ist das Ziel solcher Attacken?

Im „Manifest gegen Kriege“ zeigten die Begründer des Marxismus, daß die Partei des revolutionären Proletariats stark genug ist, um ihre Mängel offen zu kritisieren, ohne sich vom Gerede der Feinde verwirren zu lassen. „Und weil wir wissen,“ schrieben sie,  „daß jedes Prinzip, jede Richtung um so mächtiger und unwiderstehlicher wird, je schonungsloser man sie von den unnützen Auswüchsen und phantastischen Extravaganzen kritisch säubert, wie der Baum um so kräftiger wird und bessere Früchte trägt, wenn man die Ausläufer und Wasserreiser zu rechten Zeit abschneidet, so lassen wir uns auch durch keine persönlichen Rücksichten abhalten, die Extravaganzen und Phantastereien einzelner, die zur Partei zählen, kritisch zu beleuchten und zu beseitigen. Wir fürchten nicht, uns dadurch zu schwächen.“ [2] – In der Zeitschrift „Bolschewik“ veröffentlichte der sowjetische Philosoph Professor Michail Andrejewitsch Leonow 1948 den folgenden Aufsatz, von dem wir hier einige Ausschnitte wiedergeben:

„Kritik und Selbstkritik“ eine fortschrittliche Methode

Die Kritik und Selbstkritik ist eine Triebkraft nicht nur für die Entwicklung des materiellen, sondern auch für die Entfaltung des geistigen Lebens in der Sowjetgesellschaft. Sie dient zur Überwindung des Veralteten und Rückständigen, als Methode im Kampf um das Neue und Fortschrittliche in Wissenschaft und Kultur. Die marxistisch-leninistische Kritik war auf ideologischem Gebiet von jeher auf einen entschlossenen Kampf mit allen die Vorwärtsbewegung hemmenden, reaktionären Ideen eingestellt. Der Entfaltung von Kritik und Selbstkritik in der ideologischen Arbeit kommt in unseren Tagen ganz besondere Bedeutung zu angesichts ihrer Aufgaben in dem äußerst verschärften Kampf zwischen der bürgerlichen und der kommunistischen Ideologie. …

Das Alte und Überlebte wird untergehen!

Die bolschewistische Kritik und Selbstkritik weist eine Reihe von Besonderheiten auf. In erster Linie ist sie streng prinzipiell und wissenschaftlich objektiv. Die Objektivität der bolschewistischen Kritik und Selbstkritik besteht darin, daß sie die Entwicklungsprozesse der objektiven Welt wahrheitsgetreu wiedergibt. Im Entwicklungsgang der objektiven Welt tragen jedes Objekt und jede Erscheinung infolge ihres inneren Widerspruchs die eigene Negation in sich. Im Kampf der sich widersprechenden Tendenzen, im Ringen des Alten mit dem Neuen gewinnt das Neue die Oberhand, während das Alte und Überlebte untergeht. Die Entwicklung ist ein endloser Prozeß der Entdeckung neuer Seiten in der materiellen Wirklichkeit. Das große Verdienst der marxistisch-leninistischen Philosophie besteht darin, daß sie erstmalig das dialektische Entwicklungsgesetz des Denkens aufgedeckt hat, nämlich den Widerspruch zwischen den überlieferten Ansichten und der Notwendigkeit, sie im Zusammenhang mit neuen Tatsachen zu revidieren.

Kritik und Selbstkritik – ein Prinzip jeder Wissenschaft

Gewiß wurde von vielen Köpfen der Wissenschaft schon vor der Entstehung des Marxismus erkannt, daß ohne Kritik und Selbstkritik ein Fortschritt im wissenschaftlichen Denken unmöglich ist. Genosse Stalin weist darauf hin, daß die Wissenschaft im Verlaufe ihrer Entwicklung nicht wenig tapfere Menschen hervorgebracht hat, wie z. B. Galilei, Darwin und viele andere, die trotz aller Hindernisse nicht davor zurückschreckten, das Alte über den Haufen zu werfen und Neues zu schaffen. Die wirklichen Wissenschaftler haben in ihrer Arbeit immer die Kritik und Selbstkritik angewandt. Von der wissenschaftlichen Arbeit I.P.Pawlows schreibt Akademiemitglied L.A.Orbeli: „Das ganze: Schaffen Iwan Petrowitschs ging so vor sich, daß er entsprechend den neugewonnenen Erkenntnissen bestimmte theoretische Leitsätze und vorläufige Theorien aufstellte, sodann aber auf Grund neuer Tatsachen und Erfahrungen seine früheren theoretischen Fofgerungen von Grund auf revidierte … Jeder Leitsatz, den Iwan Petrowitsch aufstellte, wurde von ihm einer ständigen Kritik und Prüfung unterzogen.“ [3]

Begriffe müssen die Wirklichkeit widerspiegeln

Die theoretische Begründung der Kritik und Selbstkritik als einer dialektischen Gesetzmäßigkeit in der Entwicklung der Erkenntnis wurde allerdings erst durch den wissenschaftlichen Sozialismus gegeben. Er sieht in der Kritik und Selbstkritik eine Triebkraft des theoretischen Denkens und eine notwendige Bedingung für die schöpferische Arbeit. Wenn die Dinge, die Erscheinungen ständig im Fluß, beweglich und elastisch sind und sich im Entwicklunmgsprozeß aus einer Form in eine andere verwandeln, dann müssen demzufolge auch unsere Vorstellungen und Begriffe von ihnen ebenso elastisch und beweglich sein, damit sie die geringsten Veränderungen der Wirklichkeit wiedergeben und das Neue in der Entwicklung auffangen können. „Die Dialektik besagt, daß es auf der Welt nichts Ewiges gibt, auf der Welt ist alles vergänglich und veränderlich, es verändert sich die Natur, es verändert sich die Gesellschaft, es verändern sich die Sitten und Gebrbräuche, es verändern sich die Gerechtigkeitsbegriffe, ja, es verändert sich selbst die Wahrheit; deshalb sieht die Dialektik kritisch auf alles, und deshalb leugnet sie auch eine für ewig aufgestellte Wahrheit.“ [4]

Die konservative Seite des Denkens – eine Quelle des Dogmatismus

Kritik und Selbstkritik ist eine Form des Denkens, die dazu bestimmt ist, die sich in der objektiven Wirklichkeit vollziehenden Veränderungen zu berücksichtigen und unser Denken mit diesen Veränderungen in Einklang zu bringen. Ein Zurückbleiben des Bewußtseins hinter der Entwicklung der materiellen Welt ist auch im wissenschaftlichen Denken festzustellen. Das Denken bevorzugt nicht selten einen bereits geebneten Weg und sucht oft fertige Antworten auf neue Probleme. Daher auch das Bestreben, von bereits gegebenen Definitionen auszugehen. Das ist die konservative Seite des Denkens, eine Quelle des Dogmatismus, der unsere Begriffe als erschöpfend und absolut hinnimmt und die weitere Erforschung eines Objekts für überflüssig erachtet. Nicht zufällig ist der Dogmatismus den reaktionären Theorien eigen, welche die Interessen reaktionärer Klassen zum Ausdruck bringen, der Klassen, die das Überlebte und Rückständige verteidigen und den Fortschritt bekämpfen.

Was verstehen wir unter Dogmatismus?

Dogmatismus heißt, den bestehenden Theorien blinden Glauben schenken. Der Dogmatismus ist unfähig oder nicht gewillt, die bestehenden Theorien einer kritischen Prüfung .zu unterziehen und sie entsprechend den neuen Verhältnissen zu modifizieren. Dogmatismus schlimmster Art äußert sich, in dem Bestreben, neue Erscheinungen dadurch verstehen zu wollen, daß man sie in alte „gewohnte“ Begriffe, in Begriffe von alten Gesetzmäßigkeiten hineinzwängt, die überhaupt nicht mehr oder aber in einer neuen Form wirksam sind. Es ist ganz offensichtlich, daß konservative, starre Begriffe nicht in der Lage sind, alle Übergänge und Schattierungen des Seins festzuhalten und wiederzugeben.

Die Dogmatisierung des Denkens bedeutet eine direkte Abkehr von der Wissenschaft, da in diesem Falle das Denken selbst metaphysisch, nicht als dynamischer, sondern als unveränderlicher Vorgang angesehen wird. Dogmatismus ist eine direkte Abkehr von der Wissenschaft, und zwar deshalb, weil er die sich in der Wirklichkeit vollziehenden Veränderungen ignoriert, weil er nicht von Tatsachen, von den Gegebenheiten des Lebens, sondern von irgendwelchen Begriffen und Thesen ausgeht, in die er das Leben hineinzupressen versucht und damit die Wirklichkeit selbst entstellt.

Es gilt alte Vorurteile zu überwinden!

Echte Wissenschaft muß sich gegen den Konservativismus und den Stillstand des Denkens, gegen die Umwandlung von Begriffen in leblose Dogmen und gegen deren Kanonisierung auflehnen. Durch Kritik und Selbstkritik überwindet sie die Trägheit und den Konservativismus im Denken, verwirft eingebürgerte Thesen und Vorurteile, zerbricht überlebte. Begriffe und ersetzt sie durch neue, die ein wahrheitsgetreues Bild der Wirklichkeit abgeben. „Die Wissenschaft heißt gerade deshalb Wissenschaft,“ lehrt Genosse Stalin, „weil sie keine Fetische anerkennt, sich nicht fürchtet, gegen das Überlebte, das Alte die Hand zu erheben, und ein feines Gehör für die Stimme der Erfahrung, der Praxis hat.“ [5]

Der Marxismus ist eine fortschrittliche Wissenschaft!

Ein klares Beispiel dafür wie Kritik und Selbstkritik für die Entwicklung der Wissenschaft und ihren Fortschritt anzuwenden sind, bietet die Geschichte des Marxismus. Mit Hilfe der Kritik und Selbstkritik befreit sich der Marxismus fortlaufend von veralteten Formeln, überprüft und erneuert er die bisherigen und schreitet somit unentwegt vorwärts. Hierin unterscheidet sich der Marxismus grundsätzlich von allen philosophischen Systemen. In dieser Hinsicht trug der Marxismus in die Philosophie ein bis dahin noch unbekanntes Element. Für die alte Philosophie ist charakteristisch, daß fast jeder Philosoph bestrebt war, ein geschlossenes und allumfassendes System zu schaffen, in dem für alle Zeiten die absolute Wahrheit, die Wahrheit in letzter Instanz festgestellt werden sollte. Damit setzte aber die alte Philosophie der Entwicklung der Wissenschaft und dem lebendigen philosophischen Denken selbst die Grenze.

Engels: Marxismus – eine Anleitung zum Handeln!

Die marxistische Philosophie unterscheidet sich von allen philosophischen Systemen grundsätzlich durch ihren schöpferischen Charakter, durch das Bestreben, ihre Leitsätze zu erneuern und weiterzuentwickeln, durch ihre Feindschaft gegenüber jeglichem Dogmatismus, der versucht, die gewonnenen Ergebnisse erstarren zu lassen und zum Dogma zu erheben. Die marxistisch-leninistische Theorie entwickelt sich in ständiger Bewegung und wird durch neue Leitsätze bereichert und vervollkommnet. Engels sagte, daß der Marxismus kein Dogma, sondern eine Anleitung zum Handeln sei. Lenin erinnert desöfteren daran, daß man die Theorie von Marx nicht als etwas Abgeschlossenes und Unantastbares betrachten solle. Genosse Stalin weist wiederholt auf die Notwendigkeit hin, zwischen dem schöpferischen und dem dogmatischen Marxismus zu unterscheiden. Er zeigt, daß der theoretische, schöpferische Marxismus die Verbesserung und Bereicherung der alten Formeln unter Berücksichtigung der neuen Erfahrungen verlangt, allerdings unter Wahrung des marxistischen Standpunkts. Als die führenden Köpfe unserer Wissenschaft haben Marx, Engels, Lenin und Stalin während ihres ganzen Lebens die von ihnen geschaffene revolutionäre Lehre schöpferisch weiterentwickelt und bereichert.

Wie der Marxismus Fehler und Irrtümer überwindet

Das Schöpferische des Marxismus besteht gerade darin, daß er mit Hilfe der Kritik und Selbstkritik veraltete Leitsätze und Schlußfolgerungen durch neue, den historischen Verhältnissen entsprechende Leitsätze ablöst. „Man kann sich nicht vorwärtsbewegen“, sagte Genosse Stalin, „und die Wissenschaft fördern, ohne die übernommenen Leitsätze und Aussprüche bekannter Autoritäten einer kritischen Beurteilung zu unterziehen. Das bezieht sich nicht nur auf Autoritäten des Kriegswesens, sondern auch auf die Klassiker des Marxismus.“ [6]

Der Irrtum von der gleichmäßigen Entwicklung

In den vierziger Jahren äußerte Engels den Gedanken von der Möglichkeit des gleichzeitigen Sieges der sozialistischen Revolution in allen zivilisierten Ländern. Er und Stalin unterzogen diese These von Engels einer Kritik, indem sie aufzeigten, daß unter den Verhältnissen der imperialistischen Epoche, in der sich die Ungleichmäßigkeit und Sprunghaftigkeit in der Entwicklung der kapitalistisehen Länder bedeutend verstärkten, „die alte Formel von Engels schon nicht mehr richtig ist. Unter diesen Verhältnissen muß sie notwendigerweise durch eine andere Formel, durch die von der Möglichkeit des Sieges des Sozialismus in einem Lande abgelöst werden.“ [7] Das von Lenin dargelegte Gesetz von der Ungleichmäßigkeit der ökonomischen und politischen Entwicklung der verschiedenen Länder zeigte, daß die These von der Unmöglichkeit des Sieges des Sozialismus in nur einem Lande den neuen Entwicklungsbedingungen bereits nicht mehr gerecht wird. Lenin und Stalin bereicherten den Marxismus-Leninismus, indem sie die Möglichkeit des sozialistischen Aufbaus in einem einzelnen Lande in der Epoche des Imperialismus begründeten.

Der Irrtum von der unpolitischen Betrachtungsweise

Parteikritik ist prinzipielle Kritik. Von der bolschewistischen Prinzipienfestigkeit sagte Genosse Stalin, daß sie die Formel sei, mit deren Hilfe Lenin „uneinnehmbare“ Festungen im Sturme nahm. Die marxistisch-leninistische Prinzipienfestigkeit ist unter keinen Umständen mit der Verheimlichung und Vertuschung von Widersprüchen, Mängeln oder Fehlern zu vereinbaren. Sie richtet sich im Gegenteil auf die Aufdeckung von Widersprüchen und Fehlern und deren konsequente Beseitigung. Sie wendet sich gegen jeglichen „Objektivismus“ und sogenannte unpolitische Ansichten und bekämpft rücksichtslos alle Versuche, reaktionäre Ideen in die sowjetische Ideologie einzuschleppen. Prinzipienfestigkeit in der Kritik bedeutet Verteidigung der Interessen des Volkes, des sowjetischen Staates ohne Rücksicht auf persönliche oder freundschaftliche Beziehungen.

Der Fehler der Prinzipienlosigkeit

Zu welchen ernsten Folgen die Nichtbeachtung der bolschewistischen Prinzipienfestigkeit in der Kritik führen kann, zeigen all die schädlichen und gefährlichen Erscheinungen, die in den Beschlüssen des ZK der KPdSU (B) hinsichtlich ideologischer Fragen herausgestellt wurden. „Ein prinzipienloses Herantreten an die Kritik führt dazu, daß beispielsweise in die sowjetische Belletristik ideologisch fremde Werke eindringen konnten. Um freundschaftliche Beziehungen nicht zu trüben, wird die Kritik zurückgehalten. Um Freunde nicht zu beleidigen, wurden offensichtlich unbrauchbare Werke zum Druck zugelassen. Ein derartiger Liberalismus, der die Interessen. des Volkes und Staates sowie die Interessen der richtigen Erziehung unserer Jugend freundschaftlichen Beziehungen opfert und die Kritik erstickt, führt dazu, daß die Schriftsteller aufhören, sich zu vervollkommnen, daß sie ihr Verantwortungsbewußtsein gegenüber dem Volke, der Staat und der Partei verlieren und daß ihre Weiterentwicklung zum Stillstand kommt.“ [8]

Wohin führt die Prinzipienlosigkeit?

1. Übertreibung und Lobhudelei: Eine prinzipienlose Kritik führt zu Übertreibung und Lobhudelei. So zeigte sich beispielsweise die damals noch nicht überwundene Atmosphäre des übertriebenen Lobes in unserem literarischen Schaffen in der Drucklegung der noch nicht ausgereiften und in vielem mangelhaften Erzählung „Der Rauch des Vaterlandes“ von K.Simonow. Prinzipienlosigkeit in der Kritik führt zu einseitiger Beurteilung. Welcher Schaden unserer Sache durch jedwede Einseitigkeit zugefügt werden kann, zeigen uns die Fehler, die von den Literaturkritikern bei der Beurteilung des Romans „Die junge Garde“ von A.Fadejew* gemacht wurden. In diesem Roman wird die führende Rolle der Partei nicht aufgezeigt, die Gestalt der illegalen Bolschewiki verzerrt u.a.m. Dadurch, daß die Kritiker sich ausschließlich auf eine Darstellung der guten Seiten dieses Werkes konzentrierten, entgingen ihnen die ernsten Mängel des Romans. Im Interesse der Weiterentwicklung unserer Literatur und des Schriftstellers selbst hätte man auf diese Fehler hinweisen müssen. Das Abweichen von der bolschewistischen Prinzipienfestigkeit findet oft darin seinen Ausdruck, daß ein verdienter Schriftsteller gewissermaßen als unantastbare Autorität und außerhalb der Kritik stehend betrachtet wird. (*darüber kann man geteilter Meinung sein!)

2. Ideenlosigkeit: Das Abweichen von der bolschewistischen Prinzipienfestigkeit in der Kritik kann zur Ideenlosigkeit und zur Trennung von Theorie und Praxis führen. Die Schwäche in der Kritik und Selbstkritik führte auf dem Gebiete der Philosophie dazu, daß unsere Philosophen hinter den aktuellen Aufgaben zurückblieben. „Allem Anschein nach“, sagte Genosse Shdanow, „kommt ihnen die Prinzipien- und Ideenlosigkeit in der philosophischen Arbeit, die Vernachlässigung der Gegenwartsthematik und die Kriecherei und Beweihräucherung der bürgerlichen Philosophie gar nicht zum Bewußtsein.“ [9]

3. Ablehnung alles Positiven: Prinzipienlosigkeit in der Kritik kommt auch der willkürlichen Ablehnung alles Positiven zum Ausdruck. In der Literaturkritik finden wir zuweilen scharfe Bemerkungen, die ein paar unglückliche Formulierungen oder geringfügige Mängel eines Werkes herausstellen und die dann die Grundlage für vernichtende und ablehnende Schlußfolgerungen über die Qualität des gesamten Werkes abgeben. Die bolschewistische prinzipielle Kritik verlangt ein hohes Niveau und soll uns Aufschluß geben über das Neue irgendeiner Arbeit, uns darüber unterrichten, inwieweit sie den Anforderungen der Wissenschaft, dem sozialistischen Aufbau und der kommunistischen Erziehung des Sowjetmenschen genügt.

Nur eine kühne und prinzipielle bolschewistische Kritik kann zur Vervollkommnung des sowjetischen Wissenschaftlers und Künstlers beitragen und den Dogmatismus und die Feigheit beim Aufstellen neuer, die Theorie befruchtender Probleme überwinden.

Die Beseitigung von Mängeln in unserer Arbeit

Eine andere charakteristische Besonderheit der bolschewistischen Kritik liegt darin, daß sie fähig ist, tiefgründig und rückhaltlos die Mängel in unserer Arbeit aufzudecken und weitgehende Schlußfolgerungen zu ziehen. Ein Beispiel für eine scharfe Kritik sind die Beschlüsse des ZK der Partei über Fragen der Ideologie, in denen bei der Darstellung der einzelnen Mängel zugleich auch das Typische und Allgemeine aufgezeigt wird.

Einige Beispiele

Durch die Kritik des Buches von G.F.Alexandrow „Die Geschichte der westeuropäischen Philosophie“ deckte Genosse Shdanow zugleich auch Mängel in unserer gesamten philosophischen Arbeit auf. „Einige irrige Leitsätze des Lehrbuches laufen parallel mit dem Zurückbleiben an der gesamten übrigen philosophischen Front und stellen somit keinen einzelnen zufälligen Faktor, sondern eine ganze Erscheinung dar.“ [10] Die Beschlüsse des ZK der KPdSU (B) über Fragen der Ideologie, über die Zeitschriften „Swesda“ und „Leningrad“, über das Repertoire unserer Theater, über den Film „Das große Leben“, über die Oper „Die große Freundschaft“ von W.Muradeli verfolgen alle ein gemeinsames Ziel – den neuen Aufstieg der sowjetischen sozialistischen Kultur und das Aufblühen unserer Kunst.

Die Wissenschaft erfordert Mut und Kühnheit

Eine weitere hervortretende Besonderheit der bolschewistischen Kritik und Selbstkritik ist auch ihre Kühnheit. Ohne diese Kühnheit ist es unmöglich, sich von alten Vorurteilen zu befreien. Ohne eine kühne Kritik und Selbstkritik können die Widersprüche zwischen den eingebürgerten Ansichten und den neuen Ergebnissen der Wissenschaft nicht überwunden und in Einklang gebracht werden. Nicht umsonst schrieb Marx: „Bei dem Eingang in die Wissenschaft aber, wie beim Eingang in die Hölle, muß die Forderung gestellt werden:

Hier muß man allen Argwohn zurücklassen
und jede Niedertracht muß hier ersterben.“ [11]

Auf Mut und Kühnheit in der wissenschaftlichen Arbeit wird auch vom Genossen Stalin wiederholt hingewiesen. Im Zusammenhang mit der Notwendigkeit, die Traditionen der Wissenschaft auszunutzen. betont er ausdrücklich, daß die Wissenschaftler jedoch nicht zum Sklaven dieser Tradition werden dürfen, sondern mutig und entschlossen mit den alten Traditionen brechen müssen, wenn diese zu einem Hemmnis des Fortschritts werden.

Lenin fürchtete sich nicht, gegen den Strom zu schwimmen

Das Leben Lenins und Stalins gibt uns ein anschauliches Beispiel für einen unentwegten und mutigen Kampf um das Neue und gegen das überlebte. Lenin schreckte nicht davor zurück, auf Grund einer wissenschaftlichen Analyse der gesellschaftlichen Entwicklung Rußlands und der internationalen Lage im Jahre 1917 die These aufzustellen, daß der einzige Ausweg Rußlands aus dieser Situation in einem Sieg des Sozialismus bestehe. Das war, nach den Worten Stalins, für viele Wissenschaftler der damaligen Zeit eine völlig unerwartete Schlußfolgerung. Lenin aber fürchtete sich nicht, gegen den Strom zu schwimmen und gegen die Trägheit zu kämpfen. Im Jahre 1904 zögerte Genosse Stalin nicht, gegen Plechanow aufzutreten und ihm im „Brief aus Kutais“ sein Zurückbleiben hinter den neuen Problemen vorzuhalten.

Wahrheitsgetreu, wissenschaftlich objektiv und prinzipienfest …

Lenin und Stalin geben uns eine ganze Reihe von Beispielen einer mutigen Kritik ohne Ansehen der Person. So unterzog Genosse Stalin einige irrige Behauptungen von Friedrich Engels einer kritischen Analyse. In seiner Arbeit über den Artikel von Engels „Die Außenpolitik des russischen Zarismus“ deckt Genosse Stalin Fehler auf, die Engels unterlaufen sind. Engels charakterisiert die Eroberungspolitik des Zarismus weniger als ein „Bedürfnis“ der militaristisch-feudalistisch-händlerischen Oberschicht Rußlands nach einem Zugang zu den Meeren, sondern begründet sie vielmehr damit, daß an der Spitze der Innenpolitik, wie Engels behauptet, eine allmächtige, raffinierte Clique von ausländischen Abenteurern stand. Als Genosse Stalin die Unhaltbarkeit dieser Behauptung Engels nachwies, schrieb er: „Eine derartige Behandlung dieser Frage durch Engels mag mehr als unwahrscheinlieh klingen – leider aber ist sie eine Tatsache.“ [12]

In einem anderen Artikel „Antwort des Genossen Stalin auf einen Brief des Genossen Rasin“ sind die irrigen Bemerkungen von Friedrich Engels, daß Barclay de Tolly der einzige beachtenswerte russische Heerführer gewesen sei, einer Kritik unterzogen worden. Im Zusammenhang mit der Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung selbst mit den Klassikern des Marxismus schreibt Genosse Stalin: „…und da finden sich doch auch in unserer Zeit noch Menschen, die mit allem Nachdruck diesen irrigen Ausspruch von Friedrich Engcls verteidigen.“ [13]

Vor einigen Jahren lenkte Genosse Stalin die Aufmerksamkeit unserer Theoretiker auf die irrigen Formulierungen, die Engels im Vorwort zur ersten Ausgabe seines Buches „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“ gegeben hat, und bemängelte ihre Zurückhaltung in bezug auf eine kritische Würdigung dieser Thesen. In dem Vorwort wird bekanntlich gesagt: „Die gesellschaftlichen Einrichtungen, unter denen die Menschen einer bestimmten Geschichtsepoche und eines bestimmten Landes leben, werden bedingt durch beide Arten der Produktion: durch die Entwicklungsstufe.einerseits der Arbeit, andrerseits der Familie.“ [14] Obwohl Engels auf diese Behauptung nirgends mehr zurückkommt, hielt es Genosse Stalin doch für notwendig, die Fehlerhaftigkeit dieser These herauszustellen und darauf hinzuweisen, daß es nur eine Basis des gesellschaftlichen Lebens gibt – die Produktionsweise. Alle anderen Seiten des gesellschaftlichen Lebens, darunter auch die Familie, werden in ihrer Existenz und Entwicklung durch die Produktionsweise bedingt.

Auch in der Sowjetwissenschaft kann und darf es keine „unantastbaren“ Autoritäten geben, die außerhalb jeder Kritik stehen. Jedes beliebige Werk muß einer allseitigen bolschewistischen Kritik unterzogen werden.

Zitate:
[1] August Bebel … keine Ahnung, wo das steht.
[2] Karl Marx/Friedrich Engels, Beschlüsse über das New Yorker Deutsche Blatt „Der Volkstribun“ redigiert von Hermann Kriege. In: K. Marx/F. Engels, Gesamtausgabe, Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter in der UdSSR, Moskau-Leningrad, 1933, Erste Abteilung, Bd.VI, S.3. Zitiert nachM.A.Leonow, Kritik und Selbstkritik, ebd., S.11f.
[3] L.A.Orbeli, Vorträge über Fragen der höheren Nerventätigkeit, Verlag der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, Moskau-Leningrad 1945, S.6.
[4] J.Stalin, Werke, Bd.1, S.301.
[5] J.Stalin, Fragen des Leninismus, 11.Aufl., S.502; deutsch: ebd., Moskau 1947, S.607/608.
[6] Antwort des Genossen Stalin auf den Brief des Genossen Rasin. Bolschewik Nr.3, 1947, S.7
[7] J.Stalin, Über die Opposition, S.338
[8] Über die Zeitschriften „Swesda“ und „Leningrad“. Aus dem Beschluß des ZK der KPdSU (B) vom 14.August 1946. Prawda, 21. August 1946.
[9] Fragen der Philosophie, 1947, Nr.1, S.269
[10] Fragen der Philosophie, 1947, Nr.1, 5.268.
[11] K.Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, Staatlicher Verlag für politische Literatur 1939, S.8; deutsch: ebd., Berlin 1947, S.16.
[12] Bolschewik Nr.9, 1941, 5.2.
[13] Bolschewik Nr.3, 1947, S. 8.
[14] F.Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, Parteiverlag 1937, S.4; deutsch: ebd., Berlin 1946, S. VI.

Quelle:
M.A.Leonow, Kritik und Selbstkritik – eine dialektische Gesetzmäßigkeit in der Entwicklung der Sowjetgesellschaft, Verlag Kultur und Fortschritt Berlin, 1950, S.37-51. (Original in: „Большевик“, 1948, No 5.) – Zwischenüberschriften von mir, N.G.

pdfimage  Leonow: Kritik und Selbstkritik

Siehe auch:
Über die Freiheit der Andersdenkenden
Der Kommunist, ein Forentroll und die Zensur

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7 Antworten zu Kritik und Selbstkritik – eine mächtige Waffe des Proletariats

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  4. Patrick Büttner schreibt:

    Hallo Sascha, für eine kleine Ausarbeitung über Kritik und Selbstkritik mit einer Überleitung zu Stalins Einwurf gegen die Vulgarisierung derselben, benötige ich die Lit.-stelle [2]. Hast Du diese Stelle u.U. als pdf? Schöne Grüße, P.

    • sascha313 schreibt:

      Hallo Patrick,
      in einem „Zirkular gegen Kriege“ (MEW, Bd. 4, S. 3-17) wandten sich 1946 Karl Marx, Friedrich Engels und weitere namentlich benannte Kommunisten gegen das von dem emigrierten Journalisten Herrmann Kriege in New York redigierte deutsche Blatt „Der Volks-Tribun“. H.Kriege, der in Verbindung stand mit dem „Bund der Gerechten“, kompromittierte mit seinen höchst lächerlichen Erklärungen die kommunistische Bewegung auf unerträgliche Weise. Kritik war also angebracht. Sie wirkte wie ein reinigendes Gewitter…
      Mehr fand ich dazu auch nicht.

      • Patrick Büttner schreibt:

        Hallo Sascha,
        schade, aber danke. Ich weiß inzwischen wo es steht, komme aber nur an die google-book-Vorschau heran… Naja, dann muß das eben reichen.
        Schöne Grüße,
        P.

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