Kurt Gossweiler: Warum hat der Sozialismus verloren?

In der DDR war die Zukunft der jungen Generation gesichert. Es gab keine Arbeitslosigkeit, keine Ausbeutung, jeder Jugendliche hatte das Recht auf eine Lehrstelle, alle Werktätigen hatten das Recht auf kostenlose medizinische Betreuung, hatten einen gesicherten Arbeitsplatz, bezahlbare Mieten usw. – und: die DDR war ein Rechtsstaat! Nur Dummköpfe oder Ganoven vergleichen die DDR mit dem faschistischen Deutschland! Das muß man immer wieder hervorheben, um dem Geschwätz einiger bundesdeutscher Politiker entgegenzutreten, die dieses Land nicht kennen und nicht in ihm gelebt haben. Zur Zeit werden immer wieder Horrormärchen darüber erzählt, die einfach nicht stimmen, weil die Wirklichkeit in unserem Land eben eine völlig andere war, als man heute in den Medien und Filmen und Bücher vor allem den jüngeren Menschen darüber weismachen will …

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In der kommunistischen Monatsschrift „RotFuchs” hatte Genosse Heinz Wachowitz sich im Oktober 2004 wie folgt geäußert:

 (leider ist der Artikel im Moment nicht mehr verfügbar)

* * *

Kurt Gossweiler

WESHALB EINE BEREITS ERREICHTE ÖKONOMISCHE ÜBERLEGENHEIT DES SOZIALISMUS NICHT GEHALTEN WERDEN KONNTE.
Ein paar Bemerkungen zum Artikel von Heinz Wachowitz Warum erreichten wir keine ökonomische Überlegenheit?” (Oktober 2004)

Da sich diese Frage nicht nur auf die DDR, sondern auch auf die Sowjetunion und die anderen sozialistischen Staaten bezieht, ist sie meine ich, falsch gestellt.

1. Der Sozialismus ist die ökonomisch überlegene Gesellschaftsordnung

Die Sowjetunion wäre niemals vom 1917 innegehabten weit hinteren Platz auf den zweiten Platz der Weltrangliste vorgerückt, wenn ihr Wirtschaftssystem nicht selbst dem der führenden kapitalistischen Länder überlegen gewesen wäre. Und in den ersten zehn Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren die sozialistischen Länder Ungarn, Bulgarien und Rumänien im Tempo des Überwindung der Kriegsschäden und der Entwicklung ihrer Wirtschaft ihrem kapitalistischen Nachbarn Griechenland z.B. deutlich überlegen. Man kann also nicht für die gesamte Zeit der Existenz des Sozialismus in der SU und in Europa davon sprechen, daß er ökonomisch unterlegen gewesen sei. Er war jahrzehntelang überlegen in bezug auf Wachstumstempo und Produktivitätssteigerung.

Der zweite Einwand betrifft die gegebene Antwort. Sie bleibt nämlich weit hinter den Erkenntnissen zurück, die in der RotFuchs”-Gemeinde Allgemeingut sind oder es zumindest einmal waren.

2. Was sind die Gründe für das Zurückbleiben nach 1956 ?

Genosse Wachowitz stellt richtig fest, daß die UdSSR in bezug auf die wissenschaftlich-technische Revolution hinter den entwickelten kapitalistischen Ländern zurückblieb, und daß sich das ökonomische Wachstum schon seit den 50er Jahren” verlangsamte und das Entwicklungstempo immer mehr hinter dem der fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern zurücklag.

a) Die Erklärung, die er dafür gibt, sind aber unbefriedigend; sie decken sich weitgehend mit den in der PDS üblichen Denkmustern zum unvermeidlichen Versagen der Kommandowirtschaft des Staatssozialismus”, lassen aber die entscheidende Ursache unerwähnt: das Abgehen unter Chruschtschow von einer wissenschaftlich begründeten Planung der Wirtschaft und deren Ersetzung durch eine sprunghafte Planung” mit irrealen, voluntaristischen Zielsetzungen. Sie lauteten z.B.: In kürzester Zeit müsse der Verbrauch an Konsumgütern den Stand der entwickelten kapitalistischen Länder erreichen; bis 1970 würden die USA eingeholt und bis 1980 der Kommunismus in der Sowjetunion erreicht sein. Ferner wurde die Notwendigkeit mißachtet, in der Planung dem Wachstum der Abteilung I (Produktionsmittel) den Vorrang vor dem Wachstum der Abteilung II (Konsumgüter) zu sichern.

b) Hinzu kamen der willkürliche, desorganisierende Abbruch eines Fünfjahresplanes und der Übergang zu einem Siebenjahresplan sowie die bewußte Sabotage der Einführung der wissenschaftlich-technischen Revolution in den nicht-militärischen Produktionsbereich, wie sie sich in der schroffen Ablehnung des in der DDR unter Walter Ulbricht konzipierten Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Wirtschaft durch Breshnew manifestierte. Heinz Wachowitz schreibt, auch die Zusammenarbeit im RGW habe sich als wenig wirksam” erwiesen. Aber wiederum fehlt ein Hinweis auf die Ursachen dafür.

c) Ein ganz wesentlicher Grund lag darin, daß alle Vorschläge, die vor allem auch von den Vertretern der DDR gemacht wurden, den Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe aus einem Organ, das unverbindliche Empfehlungen ausspricht, zu einem Planungs- und Leitungsorgan auszugestalten, dessen Beschlüsse verbindlich für alle Mitglieder sind, von sowjetischer Seite abgewiesen wurden; denn sie widersprachen dem nationalkommunistischen” Grundsatz, der in der von Tito und Chruschtschow 1955 unterzeichneten Belgrader Deklaration niedergelegt war, wonach die Frage der konkreten Formen der Entwicklung des Sozialismus” ausschließlich Sache jedes einzelnen sozialistischen Landes zu sein hatte.

Ohne alle diese Fakten zu erkennen und zu berücksichtigen, kann es keine der geschichtlichen Wirklichkeit entsprechende Antwort auf die Frage geben, weshalb wir eine bereits erreichte ökonomische Überlegenheit nicht nur nicht halten konnten, sondern sie sogar wieder verloren haben.

Leserbrief erschienen in RotFuchs Oktober 2004 (Zwischenüberschriften u. Gliederung von mir, N.G.)

Siehe auch:
Ein Tag im Leben der DDR
Die DDR war ein Rechtsstaat
Die DDR: Benjamin fragt

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7 Antworten zu Kurt Gossweiler: Warum hat der Sozialismus verloren?

  1. Mann soll sich einfach nicht die Schuhe anziehen, die einem nicht gehören.

    Es ist doch ganz objektiv feststellbar, dass nach Stalins Ermordung [davon ging ich bereits vor 30 Jahren aus, ohne mich – wie bereits hier verlautbart, mich bis vor ein paar Monaten – mit dem Sozialismus oder der Sowjetunion beschäftigt zu haben (das „lief so nebenbei halt mit“, denn ich war nun einmal mit dem System in dem ich lebte beschäftigt – und verwundert über all seine offensichtlichen Widersprüche für die ich keine befriedigende Erklärung fand)] /

    also, dass nach Stalins Ermordung eine andere Wirtschafts- und Finanzpolitik betrieben wurde. Mit meinen Worten: der Anti-Sozialismus betrieb eine Politik, die im Nachhinein dem Sozialismus „in die Schuhe gesteckt wird.“ Geht Mann über eine solche Brücke, muss Mann in Verwirrung zur Sache kommen und gerät in Erklärungsnotstände.

    Ach, nö: auch im Westen, tarnen sich viele unter dem Begriff „Links“, Sozialistisch, sogar Marxistisch, wo Mann doch eigentlich gleich erkennen müsste – jedenfalls, wenn denn Lenin gelesen worden wäre, dass das alles andere als Sozialismus ist. (… und außer die Hälfte des Aufsatzes „Was tun“ habe ich noch gar nichts weiter gelesen) Ich meine, das fiel mir ja sogar schon als Nicht-Sozialist vor Jahrzehnten auf, dass das, was da alles unter dem Label Sozialismus vermarktet wurde, doch wohl „Wölfe im Schafspelz“ sind.
    Aber, wie gesagt, Sozialismus war nun nicht mein „Thema“. [Knalltüten all über all. Für ein paar Bananen und Kaffeebohnen den eigenen Staat gegen die Sklaverei der BRD eintauschen, man muss schon gewaltig eins am Rad haben und von allen guten Geistern verlassen sein …]

  2. sascha313 schreibt:

    …ich glaub auch, ich hab die Leute nie verstanden, die da bei uns vor der Kirche standen und denen die verruchten Pfarrer die Kirchentür plötzlich weit geöffnet hatten. Ich empfand es zunächst als schäbig und undankbar – die kriminelle Energie dieser Konterrevolution wurde ab 1990 ja auch sehr schnell sichtbar! Die wenigsten kannten die BRD mit allen ihren Tücken. Und die paar Omas, die in den Westen reisten und Schokolade für die Enkel mitbrachten, erzählten auch nur von ihren lieben, unpolitischen (!) Verwandten. Einigen ist hoffentlich ihre Dummheit nun nun endlich bewußt geworden, kann man nur hoffen. Wie leistungsstark der Sozialismus dennoch (also trotz der ganovenhaften Perestrojka) war, sieht man an den BRD-Armutsberichten. In der DDR gab es keine Krisen, nicht eine einzige, und nicht einen einzigen Obdachlosen oder Arbeitslosen, und nicht einen einzigen, der unter der Armutsgrenze leben mußte…

    • Tja, da bleibt wohl noch lange für mich vieles unverständlich. Meine Mutter *1937 ist ja in Sachsen-Anhalt groß geworden (1939 bis 1961) und war just im Westsektor Berlins als die Verteidigung der DDR gegen die BRD aufgebaut wurde und „landete“ irgendwie naiv, wie sie wohl war, in einem Auffanglager der BRD. 1969 besuchte uns ihre Tante in Hamburg und irgendwann in den 80er die Schwiegermutter ihres Bruders. Kurz vor und kurz nach der Konterrevolution hatte ich Gelegenheit die DDR zu besuchen.
      Ich kann nur sagen, dass ich weder vorher noch nachher jemals aus meiner Verwandschaft irgend etwas „schlechtes“ über die DDR gehört habe.
      Ja, klar ich freute mich, dass alle plötzlich ungehindert hin- und herreisen konnten, aber „dass die jetzt plötzlich alle ihre DDR nicht mehr haben wollten“ ??? – nichts habe ich da auch nur andeutungsweise bei meinen Besuchen mitbekommen.
      Allerdings eine Bedrückung bei meinem Onkel – die wurden wohl fast alle arbeitslos – er arbeitete in einem Betrieb, der Kräne herstellte. Später besuchte ich noch eine LPG in Mecklenburg, die schon in eine GmbH gewandelt war. Das gleiche Bild. 90% des Dorfes arbeitslos. … ich bin dann 1995 doch lieber nach Uganda gegangen – mit dem System BRD hatte ja ich bereits 1984 innerlich gebrochen und meine damalige Frau und ich wollten ab Anfang der 90-er nur noch weg aus diesem Irrenhaus …

      Der Untergang der DDR – eine große Tragödie – manchmal denke ich dabei an ein Gedicht von Nietzsche: „die Krähen schreien …. wer das verlor, was du verlorst, macht nirgends halt …“ (das ist natürlich nur ein emotionales Stimmungsbild, wenn ich an die Menschen der DDR und ihr – ich denke – bitteres „Schicksal“ sinniere: da blutet mein Herz …, um es mal gesagt zu haben)

  3. sascha313 schreibt:

    Ja, für die meisten wohl auch eine persönliche Katastrophe. Klassenkameraden von mir – damals voller Frust abgehauen – heute arbeitslos, viele geben es ja noch nicht mal heute zu, daß damals alles besser war: die Bildung, die Gemeinschaft, die Kollektivität, die Ehrlichkeit, die Friedfertigkeit… die Mädels konnten eben damals abends noch unbesorgt und ohne Angst von der Disko nach Hause durch den Park laufen… freilich gab’s kein Internet, aber dafür hat mal sich öfter getroffen, die Familien haben mehr gemeinsam unternommen, du konntest auch ohne Auto jederzeit für wenig Geld irgendwohin verreisen … da wird wohl noch vieles aufzuarbeiten sein

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