Der Nürnberger Prozeß: Zitate aus einem Gerichtsverfahren gegen Massenmörder und Kriegsverbrecher

Nehmen wir einmal an, man müßte oder könnte die heutigen Kriegsverbrecher und Terroristen, ihre Helfershelfer und Hintermänner verurteilen und bestrafen. Nehmen wir einmal an, es gäbe eine solche Instanz der Völker, die befugt wäre, im Sinne der Menschheit und der Menschlichkeit zu sprechen. Nehmen wir einmal an, es gäbe solch ein „Nürnberg 2.0“ – ein Gericht, das Völkermord, Folter und Unterdrückung zu bestrafen berechtigt und imstande wäre. Indes, es müßte ein Gericht sein, das ebenso wie dieses, nicht nur nach juristischen, sondern auch nach moralischen Grundsätzen handelte. Die Schwierigkeit besteht jedoch darin: Wer die Macht hat, der besitzt auch das Recht. Und so ist das Recht in der Klassengesellschaft immer auch das Recht der Herrschaft einer Minderheit über die Mehrheit, ein zutiefst ungerechtes Verhältnis.

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Über die zu verurteilenden Straftäter: Massenmörder und ihre Anstifter.

Es wird Leute geben, die vielleicht sagen, man hätte mit diesen erbärmlichen Menschen summarisch, ohne Gerichtsverhandlung, durch ‚Exekutivaktion‘ verfahren sollen; man hätte sie, nachdem ihre Macht zum Bösen gebrochen worden war, einfach wegfegen und in Vergessenheit geraten lassen sollen, und zwar ohne diese ausgearbeitete und sorgfältige Untersuchung der Rolle, die sie bei der Entfesselung dieses Krieges gespielt haben. Vae victis! Laßt sie die Strafe der Niederlage tragen! … Auf diese Weise würden künftige Generationen nicht erkennen, daß das Recht nicht immer auf der Seite der stärkeren Bataillone zu finden ist, daß das Führen von Angriffskriegen nicht nur ein gefährliches, sondern auch ein verbrecherisches Unternehmen ist. (Shawcross) [1]

Nach unserem eigenen Landesrecht ist es selbstverständlich, daß wir sagen, diejenigen, die beim Begehen eines Verbrechens Rat und Hilfe leisten oder es anstiften, sind selbst Verbrecher. (Shawcross) [2]

Über den Einfluß des Nazismus und seine Folgen

Jahre hindurch ist dieses Volk durch den Nazismus vergiftet worden; einige seiner ewigen und tiefen Bestrebungen haben in diesem Regime ihren ungeheuerlichen Ausdruck gefunden. Seine Gesamtverantwortung ist nicht nur auf Grund der tatsächlichen Teilnahme einer sehr großen Zahl an den begangenen Verbrechen gegeben. Seine Neuerziehung ist unerläßlich. Dies erscheint ein schwieriges und langwieriges Unternehmen. (Menthon) [3]

Die Untaten, die wir zu verurteilen und zu bestrafen suchen, waren so ausgeklügelt, so böse und von so verwüstender Wirkung, daß die menschliche Zivilisation es nicht dulden kann, sie unbeachtet zu lassen, sie würde sonst eine Wiederholung solchen Unheils nicht überleben. (Jackson) [4]

Über das Unrechtsbewußtsein und Ausreden

Die Piloten können sich nicht darauf berufen, daß sie als Soldaten auf Befehl handelten. Es ist in keinem Kriegsgericht vorgesehen, daß ein Soldat bei einem schimpflichen Verbrechen dadurch straffrei wird, daß er sich auf seinen Vorgesetzten beruft… (n.Menthon) [5]

Die aus Furcht vor der Verantwortung oder im besten Falle aus Unverständnis über die rechtliche Natur der internationalen Justiz vorgebrachte Berufung auf den Grundsatz: „nullum crimen sine lege“, beziehungsweise den Satz: „Das Gesetz hat keine rückwirkende Kraft“ verliert jegliche Bedeutung angesichts des Umstandes, daß nämlich das Statut des Gerichtshofes vorhanden und wirksam ist, und daß alle seine Vorschriften bedingungslose und bindende Wirkung haben. (Rudenko) [6]

Wenn mehrere Verbrecher sich verabreden, einen Mord zu begehen, dann spielt jeder von ihnen eine bestimmte Rolle: der eine verfaßt den Mordplan, der andere wartet im Auto und der dritte schießt unmittelbar auf das Opfer. Doch, wie auch immer ihre Teilnehmerrolle beschaffen sein mag, so sind sie doch alle Mörder, und jedes beliebige Gericht in jedem beliebigen Land wird den Versuch einer Beweisführung abweisen, die dahin geht, daß die ersten zwei nicht Mörder sind, da sie nicht selbst auf das Opfer geschossen haben. (Rudenko) [7]

Über die Rechtmäßigkeit der Verurteilung

In der zwischenstaatlichen Sphäre gab es keine und gibt es keine gesetzgebende Instanz, die zuständig wäre, Normen zu erlassen, die für die einzelnen Staaten bindend sind. Das rechtliche System der zwischenstaalichen Beziehungen, unter Einschluß der Beziehungen, die ihren Ausdruck in dem gemeinsamen Kampf gegen das Verbrechertum finden, ruht auf anderen rechtlichen Grundlagen. Auf zwischenstaatlichem Gebiet gilt als rechtsbegründende Quelle und als einziger rechtsbildender Akt lediglich das Übereinkommen, die Vereinbarung der Staaten. Ebenso wie in der staatlichen Sphäre das von den gesetzgebenden Körperschaften angenommene und ordnungsmäßig verkündete Gesetz die unerläßliche und ausreichende rechtliche Grundlage für die Tätigkeit der nationalen Justiz darstellt, so ist in der zwischenstaatlichen Sphäre die zwischen den Staaten abgeschlossene Veinbarung die unerläßliche und ausreichende Rechtsgrundlage für die Einrichtung der von den Staaten geschaffenen Organ der internationalen Justiz. [8]

Über den Tatbestand einer Verschwörung

Eine Verschwörung setzt das Vorhandensein einer verbrecherischen Gemeinschaft voraus, die zur Erreichung gmeinsamer verbrecherischer Ziele ins Leben gerufen wurde und tätig war. Das Vorhandensein einer Verschwörung wird auch nicht durch Meinungsverschiedenheiten in bestimmten Fragen zwischen einigen ihrer Teilnehmer ausgeschlossen… (Rudenko) [9]

Über verbrecherische Organisationen

Die nationalen Gerichte können den verbrecherischen Charakter einer Organisation, die als verbrecherisch erklärt wurde, nicht bestreiten. … Die wirklich abscheulichen Verbrechen, die die Angeklagten und ihre Helfershelfer begangen haben, Verbrechen, die bisher in der Weltgeschichte nicht vorgekommen sind, gerade diese haben es notwendig gemacht, neue Rechtsinstitute ins Leben zu rufen, um den Frieden, die Freiheit und das Leben der Völker vor verbrecherischen Anschlägen zu schützen. Die verschiedenen Mächte jedoch, die den Gerichtshof geschaffen haben, sowie alle friedliebenden Völker bleiben dem Gedanken des Rechts und den Grundsätzen der Gerechtigkeit treu. Aus diesen Gründen wird die Verantwortlichkeit für die Teilnahme an verbrecherischen Organisationen nur dann festgestellt, wenn die persönliche Schuld erwiesen ist. (Rudenko) [10]

Über die Höhe des Strafmaßes

Artikel 26: Das Urteil des Gerichthofes* über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten soll die Gründe, auf die es sich stützt, enthalten. Es ist endgültig und nicht anfechtbar.
Artikel 27: Der Gerichtshof* hat das Recht, den schuldigbefundenen Angeklagten zum Tode oder zu einer anderen ihm gerecht erscheinenden Strafe zu verurteilen. [11]

* gemeint ist hier: Der Internationale Militärgerichtshof, entsprechend dem Londoner Viermächteabkommen vom 8. August 1945.

Quelle:
Der Nürnberger Prozeß. Aus den Protokollen, Dokumenten und Materialien des Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, 2 Bde., Rütten & Loening, Berlin, 1957, Band 1.

[1] Sir Hartley Shawcross: Eröffnungsrede. (S.89)
[2] Sir Hartley Shawcross: Eröffnungsrede. (S.92)
[3] François de Menthon. Eröffnungsrede. (S.94)
[4] Justice Jackson: Eröffnungsrede. (S.84)
[5] Der höhere Befehl entlastet den Täter eines offenkundigen Verbrechens nicht von seiner Verantwortlichkeit. (Hier machte Goebbels diesen rechtlichen Begriff der Rechtfertigung durch höheren Befehl zum Gegenstand seiner Propaganda, um die Ermordung von alliierten Fliegern durch den deutschen Pöbel zu rechtfertigen. Zitiert nach François de Menthon: Eröffnungsrede. S.97)
[6] Generalleutnant Rudenko: Eröffnungsrede. (S.100)
[7] ebd. (S.100)
[8] ebd. (S.100)
[9] R.A. Rudenko. (S.119)
[10] Der sowjetische Hauptankläger… (S.105)
[11] Strafausspruch (S.294ff.)

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Und so müßte auch heute in bestimmten Fällen das Urteil lauten:

… Gemäß den Punkten der Anklageschrift, unter denen Sie für schuldig befunden wurden, verurteilt Sie der Internationale Militrägerichtshof zum Tode durch den Strang.


Zur Erklärung: Der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozeß wurde am 18.Oktober 1945 in Berlin eröffnet und vom 20. November 1945 bis zum 1.Oktober 1946 in Nürnberg durchgeführt. Gegen hauptverantwortliche faschistische Politiker und Militärs – der Einbeziehung der hauptverantwortlichen Monopolherren stimmten die Westmächte nicht zu – wurde Anklage erhoben wegen Verschwörung und Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das Korps der politischen Leiter der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei (NSDAP) – ein lügnerischer Name! – sowie die Geheime Staatspolzei (Gestapo), der Sicherheitsdienst (SD) und die Schutzstaffel (SS) wurden zu verbrecherischen Organisationen erklärt, der Generalstab, das Oberkommando der Wehrmacht (OKW), die Sturmabteilung (SA) und die Hitlerregierung jedoch nicht als verbrecherisch angesehen. Der sowjetische Anklagevertreter I.T.Nikitschenko legte dagegen Protest ein, daß der Generalstab und das OKW nicht zu verbrecherischen Organisationen erklärt wurden.

Im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozeß wurden erstmals in der Geschichte die für die Vorbereitung und Entfesselung eines Aggressionskrieges Hauptverantwortlichen, in Haftbarmachung für die Handlungen des faschistischen Staates, angeklagt und verurteilt; wurden faschistische Organisationen als Instrumente imperialistischer Politik als verbrecherisch verurteilt und die nicht bindende Wirkung von politischen und militärischen Befehlen für das Begehen von Verbrechen gegen das Völkerrecht festgestellt. Diese neuen, demokratischen Grundsätze des Völkerrechts, die im Statut des Internationalen Militärgerichtshofes und im Nürnberger Urteil angewandt wurden, fanden am 11. Dez. 1946 durch die Vollversammlung der Organisation der Vereinten Nationen (UNO) die Bestätigung als allgemeingültige völkerrechtliche Grundsätze.

Durch die ablehnende Haltung der Westmächte wurden vom Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg keine weiteren Prozesse gegen Hauptkriegsverbrecher durchgeführt. Die Verurteilung von weiteren Hauptkriegsverbrechern erfolgte in zahlreichen anderen Prozessen durch Militär- bzw. Sondergerichte einzelner Mächte und Länder. Dabei zeigten sich in den von den USA in Nürnberg Von 1947 bis 1949 durchgeführten 12 Prozessen gegen 4 Kategorien von Hauptkriegsverbrechern – Generale, Ministerialbürokratie, Industrielle, Partei- und SS-Funktionäre – zunehmend ein Abrücken von wichtigen Prinzipien des Gesetzes Nr.10 des Alliierten Kontrollrates vom 20. Dez. 1945 (Bestrafung von Personen, die sich Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen den Frieden oder gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht haben) u.a. alliierten Vereinbarungen sowie verstärkte Bestrebungen zur Entlastung der Angeklagten, was zu zahlreichen vollständigen oder teilweisen Freisprüchen führte.

Trotzdem förderten auch diese Prozesse erdrückendes Beweismaterial für die verderbliche Rolle dieser Exponenten des deutschen Imperialismus und seiner Organe zutage. Die Verbüßung der gegen Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, Friedrich Flick u.a. Verurteilte verhängten Freiheitsstrafen wurde Anfang der 50er Jahre durch Erlasse der Hohen Kommissare der Westmächte in Westdeutschland vorfristig beendet. (Quelle: Sachwörterbuch der Geschichte (2 Bde.), Dietz Verlag Berlin, 1970, Bd.1, S.203f.)

Siehe auch:
Nürnberger Prozeß: Die Fiktion einer „sauberen“ Wehrmacht
Der Nürnberger Prozeß und seine Bedeutung für heute

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