Holger Preißler: Der Islam

Islam_0002

In der blauen Moschee von Istanbul

Der Islam [arab. „Hingabe“] ist eine Religion, die von MOHAMMED im Jahre 622 unserer Zeitrechnung als Bestandteil der Ideologie des Feudalismus im Orient begründet wurde. Die Glaubenslehre des Islam ist im Koran niedergelegt. Sie besagt im wesentlichen, daß die Menschen gegen den Willen Allahs, der ihr Schicksal vorausbestimmte,  machtlos sind. Heute existieren zwei Richtungen unter den Mohammedanern, die Sunniten und die Schiiten. Die etwa 365 Millionen Moslems leben besonders im nördlichen Afrika, in Vorderasien, Pakistan, Bangladesh und Indonesien. [1] Im folgenden Beitrag beschreibt Prof. Holger Preißler die Entstehung und Bedeutung dieser Religion.

Holger Preißler

Unter dem grünen Banner des Propheten

1400 Jahre Islam

Islam_Staatsflagge

Staatsflagge des Königreichs Saudi-Arabiens mit dem islamischen Glaubensbekenntnis

Am 21. November 1979 feierte die islamische Welt nach ihrem Kalender den Beginn des Jah­res 1400. Am selben Tage hielten junge Araber das größte Heiligtum des Islams, die Kaaba-­Moschee in Mekka, besetzt. Unter der Führung eines Theologiestudenten, der sich zum Messias ausrufen ließ, wollten sie durch diesen Ver­zweiflungsakt gegen das saudiarabische Re­gime protestieren und ihre eigenen streng reli­giösen Gesellschaftsauffassungen umsetzen. Königliche saudiarabische Truppen brachten jedoch nach Tagen die Moschee wieder in ihre Gewalt, die Besetzer wurden gefangen und ihre Anführer öffentlich hingerichtet. Doch nicht nur dieses Ereignis ließ das Interesse am Islam in der ganzen Weltsprung­haft anwachsen. Die machtvolle Erhebung des iranischen Volkes gegen das Regime des Schahs, progressive politische und sozialökono­mische Veränderungen in arabischen Ländern wie Algerien oder Libyen, aber auch Attentate der fanatischen Muslim-Bruderschaft auf Ar­meeangehörige und aufgeschlossene Geistliche.

Die weite Verbreitung des Islam

Heute leben auf der Welt nach Schätzungen über 700 Millionen Anhänger dieser Religion, die Muslims, Moslems oder Mohammedaner genannt werden. Durch die Bevölkerungsexplo­sion in Ländern Asiens und Afrikas, durch po­litische und religiöse Aktivitäten hat sich ihre Zahl in den achtzig Jahren unseres Jahrhun­derts mehr als verdreifacht. Damit steht der Islam hinter dem Christentum und vor Hin­duismus und Buddhismus an der zweiten Stelle der Weltreligionen. Gebetshäuser des Islams, Moscheen, die oft prächtige Zeugnisse sakraler Baukunst sind, erheben sich heute zu Hundert­tausenden zwischen Indonesien im Osten und Marokko im Westen, zwischen Kasan an der Wolga im Norden und Kapstadt in Südafrika.

Der Islam in Westeuropa

Auch in Westeuropa lebt eine wachsende An­zahl von Muslims, die vor allem aus der Türkei und Nordafrika kommen und vom Kapital aus­gebeutet werden. In den USA bekennen sich zu dieser Religion zahlreiche Afroamerikaner, unter denen Mohammed Ali alias Cassius Clay wegen seiner sportlichen Leistungen im Boxen und seiner klaren Haltung gegen den schmutzi­gen Vietnamkrieg große Berühmtheit erlangt hat.

Islamische Wurzeln im Nahen Osten

Islam_0003

Fayence-Gebetsnische aus der Maidan-Moschee der iranischen Stadt Kaschan (1226)

Besondere Bedeutung für den Islam besitzt jedoch der Nahe Osten: Dort ist diese Welt­anschauung entstanden, dort befinden sich ihre heiligen Stätten und großen Zentren für religiöse Bildung und Propaganda, die auf die Muslims in der ganzen Welt ausstrahlen. Wie jede Religion wurde auch der Islam durch die konkreten gesellschaftlichen Ver­hältnisse geprägt, unter denen er entstand und zumeist Karawanen­handel, und einige ihrer Familien waren be­müht, ihre Positionen auf Kosten anderer Stammesangehöriger aufzubauen und Grund­besitz zu erwerben. Gegen diese Bestrebungen, gegen Wucher und Ausbeutung einiger Reicher protestierte der Koraischit Mohammed Ibn Abdallah mit Warnungen vor einem schreck­lichen göttlichen Gericht. So sammelte er eine wachsende Schar von kleinen Händlern, Ar­men und auch Sklaven um sich, bis die wohl­habenden Mekkaner in seinen Predigten eine Gefahr für sich erblickten und ihn im Jahre 622 zur Flucht in die Oase Yathrib, das spätere Medina, veranlaßten. Aus dem Verfolgten wur­de hier eine geachtete Persönlichkeit.

Mohammed als Prophet

Moham­med verstand es nämlich, mit politischem Ge­schick und seinem Ruf als Propheten mörderi­sche Stammesstreitigkeiten zu schlichten und seinen Einfluß schnell mit diplomatischen und militärischen Mitteln über die Halbinsel aus­zudehnen, so daß selbst die alten Gegner in Mekka ihn mit seinen Ideen bald akzeptieren mußten. Er orientierte seine Anhänger nach­drücklich darauf, nicht mehr an viele einzelne Gottheiten, sondern nur noch an einen einzigen Gott, Allah, zu glauben, nicht mehr vielen Stammesführern, sondern nur noch einem Oberhaupt, Allahs Propheten Mohammed, zu gehorchen und sich nicht mehr nur als Ange­hörige vieler kleiner Stämme, sondern als Mit­glieder einer einheitlichen Gemeinschaft, der islamischen Gemeinde, zu fühlen.

Klassengesellschaft

So vereinte Mohammed von Medina aus in der Etappe des Übergangs von der Gentil- zur Klassengesellschaft im Namen des Islams die Araber zu einer bedeutenden Macht, die nach seinem Tod im Jahre 632 weit über die Grenzen der Halbinsel hinausstieß. In seinen Anschauungen und sei­nem Handeln verband er aufs engste Politik und Religion. Gleichzeitig heiligte er alte arabi­sche Stammessitten, indem er sie vollständig oder abgeändert übernahm. Das Denken und Handeln Mohammeds und seiner Anhänger wurden künftigen Muslims zu dem Modell, dessen Nachahmung bis heute die islamischen Ideologen verlangen.

Die islamische Lehre

Islam_0007

Prächtig verziertes Holzfaltpult aus der türkischen  StadtKonja (13. Jh.)

Der wichtigste Teil von Mohammeds Vorstel­lungen ging in die heilige Schrift des Islams, den Koran, ein, der den Anhängern dieser Re­ligion als Wort Allahs gilt und entsprechend hoch geschätzt wird. Der Koran vereint Stücke unterschiedlichen Charakters in loser Folge. Neben sprachgewaltigen Mahnpredigten stehen Legenden und gesetzliche wie moralische Vor­schriften. Die islamische Lehre wird damit keineswegs systematisch und umfassend dar­gelegt. Diese Aufgabe übernahmen erst die is­lamischen Theologen und Juristen im Mittel­alter. Mohammed war als eine Persönlichkeit, in der sich Bestrebungen und Gedanken seiner Zeit kristallisierten, der Schöpfer einer neuen Religion, die in eigenständiger Weise christ­liche und jüdische Überlieferungen mit alten arabischen Vorstellungen verband. Die Grund­elemente des Islams sind relativ einfach, waren sie doch ursprünglich für Nomaden, Oasen­bauern und Karawanenhändler bestimmt. Hauptdogma ist der Glaube an einen Gott und seinen Propheten Mohammed.

Der Glaube an Allah

So heißt es in der islamischen Bekenntnisformel, die sich z.B. auf der saudiarabischen Fahne findet: »Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Gesandter!« Mohammed übermittelt da­nach als letzter Prophet in einer langen Kette von Vorgängern, die auch Adam, Moses und Jesus umfaßt, den Menschen Allahs Wort. Sein Gott ist, wie es die heiligen 99 Namen komprimiert zum Ausdruck bringen, allmächtig und allwissend. Die Menschen sind Allahs Sklaven, die er geschaffen hat und deren Schicksal er bestimmt. Nach der Auferstehung am Jüngsten Tag erwartet sie als Lohn für die Ewigkeit entweder der sinnenfreudige Para­diesesgarten oder das glühendheiße Höllen­feuer.

Religiöse Pflichten

Als Muslims müssen die Menschen eine Rei­he von religiösen Pflichten erfüllen. Neben dem Aussprechen der Bekenntnisformel, durch die sie ihre Zugehörigkeit zur islamischen Ge­meinde dokumentieren, gehören dazu insbe­sondere das tägliche Gebet, das Fasten im Monat Ramadan, die Almosensteuer, die Pilger­fahrt nach Mekka und die Teilnahme am »heili­gen Kampf« (Dschihad). Fünfmal täglich ruft der Muezzin vom Minarett, dem Turm der Mo­schee. Heute benutzt er dazu meist Tonkonserven und Lautsprecher. Dann soll der Muslim sein Gebet, das aus einer festen Folge von Formeln und Bewegungen besteht, verrichten. Am muslimischen Wochenfeiertag, dem Freitag, findet das große gemeinschaftliche Gebet statt, an dem sich in Staaten mit islamischer Bevöl­kerung zu besonderen Festen auch führende Politiker beteiligen.

Der Ramadan

Im Monat Ramadan, dem neunten nach dem muslimischen Mondjahr, muß der Muslim von Aufgang bis Untergang der Sonne fasten, darf aber dafür nachts reich­lich essen und trinken. Diese Vorschrift wird bis heute ziemlich streng beachtet und besitzt schwerwiegende Auswirkungen auf das öffent­liche Leben in asiatischen und afrikanischen Ländern. Von seinem Einkommen soll er außer­dem einen bestimmten Teil der Gemeinde für wohltätige Zwecke als Almosen spenden. Und wenn er es ermöglichen kann, soll er einmal im Leben nach Mekka pilgern und dort ver­schiedene Zeremonien vollziehen, zu denen be­sonders die Umkreisung der Kaaba und das Schlachtopfer gehören. Dessen Darbringung wird in der ganzen islamischen Welt als größter Feiertag begangen.

Der »hei­lige Kampf«

Zur Verteidigung und zur Verbreitung des Islams soll der Muslim am »hei­ligen Kampf« teilnehmen, der nicht nur mit kriegerischen Mitteln geführt werden muß. Stirbt er dabei, gilt er als Märtyrer und geht direkt ins Paradies ein. Neben diesen Grundpflichten existieren für den Anhänger des Islams weitere detaillierte Regeln insbesondere für Essen und Trinken, für die Kleidung, für den Umgang mit dem weiblichen Geschlecht usw. So ist ihm der Genuß von Schweinefleisch und eigentlich auch von Wein verboten, ist das Auftreten der Frau in der Öffentlichkeit durch viele Gebote äußerst beschränkt.

Feudalistische Expansion

Mit der arabischen Expansion im 7. und 8. Jh. wurde der neue Glaube von der Arabi­schen Halbinsel bis an die Westgrenze des Chinesischen Kaiserreichs, nach Mittelasien im Osten und über die Pyrenäen im Westen getragen. Es entstand das mächtige Feudalreich der Kalifen, das bis zum 11. Jh. einen bedeuten­den Aufschwung der Produktivkräfte erlebte. Politische und kommerzielle Aktivitäten sowie spätere Eroberungen dehnten das Verbreitungs­gebiet des Islams immer weiter aus. Allein in Südeuropa wurde es später wieder begrenzt. So veränderten sich auch die Existenzbedingungen dieser Religion. Ihre Vertreter waren gezwungen, sie neuen Verhältnissen anzupas­sen, und nahmen oft in heftigen Auseinander­setzungen auch Traditionen vieler teilweise hö­her entwickelter Kulturen auf.

Sunniten und Schiiten

Aleppo

Moschee in Aleppo

Da das Mittel­alter »keine andere Form der Ideologie als eben die Religion und die Theologie kannte« (Fried­rich Engels) [2], wurden alle politischen und so­zialen Ideen in religiösen Formen zum Ausdruck gebracht. Ursprünglich politische Bewegungen wurden im Laute der Zeit zu religiösen Rich­tungen. Die islamische Gemeinde spaltete sich so seit dem 7. Jh. in die Mehrheit der Sunniten, die heute rund neunzig Prozent der Muslims bilden, und die in sich wiederum vielfach ge­teilte Minderheit der Schiiten, die heute beson­ders im Iran und Irak verbreitet sind; sie bringen Mohammeds Schwiegersohn Ali und dessen Familie besondere, häufig geradezu göttliche Verehrung entgegen. Mächtige antifeudale Auf­stände von Nomaden, Bauern und niederen städtischen Schichten brachten deren soziale Vorstellungen ebenso im Gewand häretischer Lehren zum Ausdruck, denn »den ausschließ­lich mit Religion gefütterten Gemütern der Massen mußten ihre eigenen Interessen in religiöser Verkleidung vorgeführt werden, um einen großen Sturm zu erzeugen« (Engels) [3].

Muslimische Ornamentik

Sehr oft verband sich damit der im Volk tief verwurzelte Glaube an die baldige oder bereits erfolgte Ankunft eines Mahdi, eines Messias, der das bestehende Unrecht beseitigen und Recht und Gleichheit für seine Anhänger her­stellen sollte. Persönlichkeiten, die diese Ge­danken für sich aufzunehmen verstanden, konnten so bedeutenden Einfluß auf die gläu­bigen Massen gewinnen und sie mobilisieren, wenn sie sie damit auch gelegentlich für Ziele zu mißbrauchen vermochten, die letztlich den herrschenden Klassen dienten. Der Islam beeinflußte auch Kunst und Litera­tur. Da er die Darstellung des Menschen im Grunde verbot, mußte die bildende Kunst weitgehend auf Bilder von Menschen verzichten und sich auf eine allerdings perfekt beherrschte Ornamentik beschränken.

Krise und Stagnation

Etwa seit dem 12. Jh. geriet das Feudal­system in Nordafrika und im Nahen Osten in eine tiefe Krise, die sich auch auf die Religion auswirkte. Ursprünglich als Ausdruck indivi­duellen Protestes gegen soziale Mißstände entstanden, fand die als Sufismus bezeichnete religiöse Mystik Verbreitung, deren einfluß­reichster Repräsentant, Ibn al-Arabi (gest. 1240), pantheistische Anschauungen predigte. Mystische Vorstellungen prägten in bedeuten­dem Maße auch die zahlreichen nach dem 12. Jh. entstandenen Bruderschaften, die als religiöse Organisationen breiter Volksschichten einen wichtigen politischen und kulturellen Fak­tor im Zeitalter der feudalen Stagnation bil­deten und eine erfolgreiche Missionstätigkeit vor allem im subsaharischen Afrika betrieben. Gegen die zunehmende Versteinerung des orthodoxen Islams wendeten sich große Refor­matoren, wie der Denker Ghasali (gest. 1111) oder der Jurist Ibn Talmiva (gest. 1328), deren Ideen wichtige Grundlagen für die weitere Ent­wicklung dieser Religion schufen.

Unwissenheit und religiöser Fatalismus

Die Länder Afrikas und Asiens, in denen der Islam vorherrscht, gerieten im 19. und 20. Jh. zumeist unter koloniale Herrschaft. Die fremden Unterdrücker besaßen ein Interesse daran, daß die einheimische Bevölkerung in Unwissenheit blieb, religiöser Fatalismus sie an Taten hinderte und traditionelle Einrich­tungen sie vom Erwachen abhielten. Doch ver­standen es Vertreter der antikolonialen Befreiungsbewegungen seit dem 19. Jh. ebenfalls, islamische Lehren, wie z.B. die Pflichten des »heiligen Kampfes« oder der Solidarität der Muslims untereinander, zur Mobilisierung der Völker zu nutzen.

Zwei Tendenzen

Bei der Einbeziehung des Islams in die Politik zeigten sich namentlich zwei Tendenzen. Unter der Losung des Panisla­mismus waren antikoloniale Kräfte zuerst be­strebt, alle Muslims ohne Rücksicht auf ihre ethnische Abstammung unter dem Banner des Islams gegen die andersgläubigen Fremden zu sammeln. Doch nahm diese Bewegung seit der Mitte des 20. Jh. zunehmend reaktionäre und antikommunistische Züge an. Andererseits verband man den Islam mit der herrschenden Ideologie der nationalen Befreiungsbewegung, dem Nationalismus, der wie die Religion eine einigende Funktion, doch nicht auf religiöser, sondern ethnischer Grundlage, besitzt. Die Rückbesinnung auf das nationale, meist isla­mische geistige Erbe bildet dabei einen wich­tigen Stimulus zur Stärkung des nationalen Selbstbewußtseins, insbesondere in den arabi­schen Ländern, und kann zum bedeutenden Faktor im antiimperialistischen Kampf der Völker werden.

Massive Behinderung des wissenschaftlichen Denkens

Bis heute hängen die Volksmassen in den meisten Ländern Afrikas und Asiens trotz be­achtlicher Erfolge bei der politischen, sozial­ökonomischen und kulturellen Umgestaltung weitgehend religiösen, in unserem Fall islami­schen Vorstellungen an. Auch wenn die Anzahl derjenigen zurückgeht, die die Riten strikt be­folgen, behindern doch die herrschenden po­litisch-ideologischen wie sozialen Verhältnisse die intensive Verbreitung der wissenschaftlichen Weltanschauung. Im Gegenteil, mit Hilfe des schnell wachsenden Bildungswesens und der Massenmedien werden islamische Vorstellun­gen unter allen Schichten der Bevölkerung ver­breitet. In den Schulen gehört Religionsunter­richt zu den obligatorischen Fächern. Verlage bringen preiswert und in hohen Auflagen is­lamische Literatur auf den Markt. Rundfunk und Fernsehen stellen einen beträchtlichen Teil ihres täglichen Programms religiösen Sendun­gen zur Verfügung. Mit großem Aufwand wer­den neue Moscheen errichtet.

Islam_anlage

Kleinbürgerliche Sozialismusvorstellungen

Unter solchen Bedingungen muß jede poli­tische Kraft, die in diesen Ländern agiert, ihre Haltung zum Islam als der Weltanschauung der breiten Massen definieren. Die konkreten ge­sellschaftlichen Verhältnisse und Klassenkampf­bedingungen bestimmen zusammen mit regional unterschiedlichen Traditionen letztlich diese Positionen. In Ländern wie Algerien und Libyen bezieht die kleinbürgerliche revolutio­näre Führung den Islam in ihre Sozialismus­vorstellungen ein, betont dessen Bedeutung beim Kampf um die nationale Selbständigkeit und ist bestrebt, mit religiös begründeten Ideen der Solidarität und der Gleichheit aller ihre demokratischen Ziele zu untermauern. Doch verstehen es gerade konservative und reaktionäre Kräfte, die Religion zu verwenden, um ihre Macht zu sichern oder wiederzuge­winnen. Mit dem Islam wollen sie ein Bollwerk gegen das Vordringen der wissenschaftlichen Weltanschauung errichten. Sie meinen, die gläubigen Werktätigen so von ihren gerechten Forderungen nach umfassenden sozialen Ver­änderungen zu ihren Gunsten abzubringen.

Terror und Fanatismus

Ultrarechte politisch-religiöse Organisationen wie die in vielen Ländern verbreiteten Muslim­brüder schüren mit Terror und mit sozialer Demagogie religiösen Fanatismus und Anti­kommunismus. Dabei erhalten sie mehr oder minder offene Unterstützung von Saudi-Arabi­en, das als Hüterin der heiligen Stätten Mekka und Medina, zu denen jährlich mehr als eine Million Muslims pilgern, und mit Hilfe seiner Erdölreichtümer den Panislamismus propagiert und mit ihm seinen Hegemonieanspruch ge­genüber den islamischen Gläubigen durchzu­setzen versucht. Dieses Land ist auch ein tref­fendes Beispiel für die anachronistische Ver­bindung von Staat, Recht und Religion, die in den meisten Ländern Afrikas und Asiens mit islamischer Bevölkerung in den letzten Jahr­zehnten nach und nach, wenn auch nicht voll­ständig, entsprechend aktuellen Bedürfnissen der politischen und sozialökonomischen Ent­wicklung, gelöst worden ist.

Angriffe gegen die Verweltlichung

Konsequente säkularistische Maßnahmen, wie sie z.B. kapita­listische Kreise in den zwanziger Jahren in der Türkei durchgeführt haben, bilden jedoch im­mer wieder Angriffspunkte für konservative und rechte Vertreter der islamischen Geistlichkeit. Sie sehen darin zuerst die Beschränkung ihrer traditionellen Autorität und verlangen entschie­den – und nicht immer ohne Erfolg – die Wiederherstellung der mittelalterlichen Idee von der Herrschaft des Islams über alle Sphären der Gesellschaft. So können sie zeitweilig be­stehende Verhältnisse konservieren und dem gesellschaftlichen Fortschritt Hindernisse ent­gegenstellen.

Tiefe Rückständigkeit und neokoloniale Ausbeutung

Noch immer leiden die Völker Asiens und Afrikas im Ergebnis kolonialer und neokolonialer Ausbeutung unter tiefgehender, komple­xer Rückständigkeit. Noch immer wirken vor­kapitalistische Traditionen zäh im Leben der breiten Massen. Der Kapitalismus entwickelt sich, erst wenige Länder sind auf den Sozialis­mus orientiert. So bleiben die Existenzbedin­gungen des Islams, auch wenn sie sich allmäh­lich verändern, doch erhalten. Der Islam wird auch in Zukunft bei den Prozessen im Überbau eine Rolle spielen. Dabei kann er in Abhängig­keit von den konkreten gesellschaftlichen Ver­hältnissen einerseits von der Reaktion als wirk­sames Element gegen progressive Erscheinun­gen eingesetzt werden, andererseits auch als ein wichtiges Instrument im Interesse der Werk­tätigen Verwendung finden.

Quelle:
Urania-Universum, Bd.26, Urania-Verlag Leipzig/Jena/Berlin, 1980, S.476-487.
[1] Meyers Jugendlexikon, VEB Bibliographisches Institut Leipzig (DDR), 1976, S.326.
[2] Friedrich Engels: Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Dietz Verlag, Berlin. Bd.21, S.285.
[3]ebd. S.304.

pdfimage  Holger Preißler: Der Islam

Siehe auch:
Was steckt hinter dem Islamischen Staat?
Wissenschaft im Widerstreit der gesellschaftlichen Systeme
Weltanschauung und Revolution
Braucht das Volk Religion und Kirche?

Dieser Beitrag wurde unter Gegen die Religion, Geschichte veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

2 Antworten zu Holger Preißler: Der Islam

  1. gunst01 schreibt:

    Die Bibel , wie auch der Islam ist eine streng mathematisch konstruierte Geschichte. Dies offenbart sich nicht erst beim Jahr der Flucht nach Medina, wo sich die Zahl 622 wiederholt. Mit ihr begann der erste erste Zeitabschnitt des alten Testamentes, der Zeit von Adam bis Hennoch. Aber auch in Hennoch zeIgen sich wieder Parallelen zu Mohammed, denn beide sind Propheten und werden auf ähnliche Weise in den Himmel entrückt.

Hinterlasse einen Kommentar