Moskau 1941: Der gezähmte Taifun

Über kaum eine Schlacht des 2.Weltkriegs wurden in den vergangenen Jahrzehnten von der bürgerlichen Publizistik derart viele verschleiernde und verfälschende Theorien kolportiert wie über die Schlacht vor Moskau im Herbst und Winter 1941/42. Warum? „Taifun“ hatte Hitler jenes Unternehmen getauft, in dem die Okkupationsarmeen, alles vor sich niederwalzend, die sowjetische Hauptstadt bereits wenige Wochen nach dem Überfall erobern und die Sowjetunion in die Knie zwingen sollten. Doch was dem „Führer“ und seiner siegestrunkenen Generalität, bar jeder realen Einschätzung des Kräfteverhältnisses, undenkbar war, geschah: Der „Taifun“ wurde gezähmt – die längst als unbezwingbar verklärte Wehrmacht wurde zum erstenmal empfindlich geschlagen – die Blitzkriegsstrategie scheiterte – die Wende des Krieges zeichnete sich ab!

Winter 1941

Deutsch-faschistische Wehrmacht vor Moskau (1941)

Bestrebt, Moskau um jeden Preis vor Einbruch der Winterkälte einzunehmen, unterzeichnete Feldmarschall von Bock am 16. September den Generalplan einer Offensive auf Moskau. Die Operation unter dem Decknamen „Taifun“ hatte die Heeresgruppe Mitte auszuführen. Die Führung des faschistischen Deutschlands legte erstrangigen Wert auf die Besetzung Moskaus: Die Operation „Taifun“ sollte eine Entscheidung an der deutsch-sowjetischen Front herbeiführen. Trotz erlittener Verluste waren die faschistischen Truppen gegen Ende September 1941 den sowjetischen Kräften an Menschen um das 1,3fache, an Geschützen und Granatwerfern um das 1,9fache und an Flugzeugen um das 2fache überlegen. Besonders große Hoffnungen setzte das Hitlerkommando auf seine Luftstreitkräfte: Man wollte durch massierte Luftangriffe die wichtigsten Objekte in Moskau vernichten.

Die Kommunistische Partei und die Sowjetregierung setzten alles daran, die Fliegerabwehr zu verstärken. Am 22. Juli setzte der Gegner gegen die sowjetische Hauptstadt über 200 Bombenflugzeuge ein. Das war der erste massierte Angriff der feindlichen Fliegerkräfte auf Moskau. Sowjetische Flieger und Flaartilleristen schossen 22 gegnerische Flugzeuge ab. In diesem Kampf zeichnete sich der Staffelchef und Kommunist Konstantin Titenkow durch Tapferkeit und Mut aus. Bei der Abwehr eines Luftangriffs im Raum Rusa schoß er den faschistischen Leitbomber ab. Für diese Heldentat wurde er mit dem Leninorden ausgezeichnet. Der tapfere Flieger fand in einem späteren Luftkampf den Tod. Sein Orden Nr. 6776, der im Juni 1971 in dem durch die Explosion seines Flugzeuges ausgehobenen Trichter aufgefunden wurde, gehört zu den wertvollsten Erinnerungsstücken des Museums, Konstantin Titenkow wurde postum mit dem Titel Held der Sowjetunion gewürdigt.

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Wir halten Moskau!

Die Kommunistische Partei mobilisierte alle Kräfte zur Verteidigung Moskaus. Binnen kürzester Zeit wurden die Zugänge zur Hauptstadt mit Panzergräben, Barrikaden und Panzersperren abgesichert. An die 500.000 Menschen – hauptsächlich Frauen – nahmen an der Errichtung von Verteidigungsanlagen teil. Arbeiter, Angestellte und die Intelligenz Moskaus spielten eine große Rolle bei der Verteidigung der Stadt. Im Sommer 1941 wurden 12 Divisionen der Volkswehr gebildet, zu denen im September/Oktober noch drei kommunistische Divisionen hinzukamen. Die Volkswehrdivisionen wurden im Verlauf der Schlacht um Moskau in Kaderverbände umgewandelt und schlugen sich später an vielen Fronten. In den blutigen Kämpfen des Sommers 1941 entstand die Sowjetgarde.

Die erste Generaloffensive der Hitlerfaschisten auf Moskau begann am 30. September 1941 gegen den linken Flügel der Brjansker Front, und am 2. Oktober gingen die Hauptkräfte der Heeresgruppe Mitte zum Angriff über. Es gelang dem Gegner, die sowjetische Verteidigung zu durchbrechen. Die Lage Moskaus wurde bedrohlich. In der Schlacht um die Hauptstadt wirkten alle Truppengattungen eng zusammen. Ein Flugblatt dokumentiert die mutige Tat des Kommandeurs des 76. selbständigen Eisenbahnerbataillons, Sergeant Viktor Miroschnitschenkos. Während eines Kampfes erhielt er den Auftrag, eine verminte Brücke zu sprengen. Eine feindliche Granate aber zerriß das Kabel der elektrischen Zündung. Der mutige Sergeant erreichte die Brücke und jagte sie in die Luft, als faschistische MPi-Schützen sie bereits erreicht hatten. Der Befehl des Kommandos war erfüllt. Dem Sergeanten Viktor Miroschnitschenko wurde postum der Titel eines Helden der Sowjetunion verliehen. Später wurde eine Station der Baikal-Amur-Magistrale nach dem tapferen Soldaten benannt.

Roter Platz 1941In den schweren Kriegstagen beging das Sowjetvolk den 24. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. Von großer Bedeutung für die Festigung der Zuversicht, daß der Feind bei Moskau geschlagen wird, waren die Festsitzung des Moskauer Sowjets der Werktätigen-deputierten am 6. November 1941, die Truppenparade auf dem Roten Platz am 7. November und die Ansprache des Vorsitzenden des Staatlichen Verteidigungskomitees, Josef Stalin. Eine großflächige Aufnahme zeigt am Lenin-Mausoleum paradierende Rotarmisten. Die Truppen gingen direkt vom Roten Platz an die Front.

Die erste Generaloffensive der Faschisten auf die Hauptstadt scheiterte. Durch Umgruppierung seiner Truppen erzielte der Gegner wiederum eine bedeutende Überlegenheit. Am 15./16. November unternahm er einen neuen Generalangriff. Die Panzergruppe 4 des Gegners griff am 16. November in der Wolokolamsker Richtung die 16. Armee unter Generalleutnant Konstantin Rokossowski an. Der Hauptstoß traf die 316. Schützendivision unter Generalmajor Iwan Panfilow und die Armeegruppe unter Generalmajor Lew Dowator. In heftigen Gefechten brachte die 316. Schützendivision den Feind zum Stehen. Am 16. November hielten 28 Kämpfer der sov_marshDivision 50 faschistische Panzer, die in Richtung Moskau angriffen, an der Ausweichstelle Dubossekowo auf. Der Kampf wurde vom Politoffizier Wassili Klotschkow geleitet, der seine berühmten Worte sprach: „Rußland ist groß, aber ein Zurück gibt es nicht mehr: Hinter uns liegt Moskau!“ Alle 28 wurden mit dem Titel Held der Sowjetunion geehrt.

Die Völker der Welt verfolgten aufmerksam die Schlachten, die die Sowjetarmee austrug. In Briefen und Telegrammen versicherten sie ihre Sympathie und Unterstützung. In einer Wandvitrine lesen wir ein mit 25.000 Unterschriften versehenes Schreiben Londoner Frauen an die Moskauer Frauen. Darin heißt es unter anderem: „Wir schwören Euch, wie Ihr zu kämpfen, und alles in unserer Kraft Stehende an der Front, im Hinterland, in der Produktion und auf dem Ackerfeld zu tun, damit Britannien in engem Zusammenwirken mit der Sowjetunion und mit Unterstützung anderer demokratischer Kräfte unseren gemeinsamen Feind so schnell wie möglich zerschlagen und damit den Sieg für alle Völker der Welt herbeiführen kann.“

Quelle:
Das Zentrale Museum der Streitkräfte der UdSSR, Raduga Verlag Moskau, 1983, S.79-86.


Wollte Hitler Moskau nehmen?

Um die unbestreitbare Tatsache zu erklären, daß es Hitler nicht gelang, Moskau zu nehmen, sind im Westen viele Versionen entwickelt worden. Die erstaunlichste davon aber tauchte erst vor vergleichsweise kurzer Zeit auf, nachdem sich die Unhaltbarkeit der früheren Varianten erwiesen hatte. Die Version vom „General Winter“ – die von Hitler selbst stammte, der behauptete, im Dezember 1941 und Januar 1942 hätten bei Moskau Fröste von minus 50 Grad geherrscht – wurde noch in den ersten Nachkriegsjahren aufrechterhalten, dann ließ man sie sogar in der BRD fallen. Die ernsthaften Historiker hielten es für besser, ihr Ansehen nicht durch Berufung auf die Fröste zu ruinieren. [1] Nicht lange hielt sich auch eine andere Fassung – ebenfalls hitlerischen Ursprungs –, am Mißerfolg seien die Generale der Heeresgruppe Mitte schuld. Nach 1945 kam es mehr und mehr aus der Mode, die Generale zu diskreditieren, es erschien weitaus bequemer, darin einen strategischen Fehler Hitlers zu sehen.

Ein klassisches Beispiel einer Geschichtsfälschung

So entstand eine neue Lesart, einfach wie das Ei des Kolumbus: Die Wehrmacht habe Moskau nicht erobert, weil Hitler dies nicht wollte. Unter den Urhebern dieser Legende fanden sich die beiden zeitweiligen Chefs des Generalstabs des Heeres, Halder und Guderian, die ehemaligen Generale Röhricht und Blumentritt sowie die Historiker Görlitz und Buchheit, und letztlich schloß sich ihr der NATO-General Adolf Heusinger an. Man kann den Urhebern dieser Version eine gewisse Logik nicht absprechen: Wenn Hitler Moskau nicht nehmen wollte, was soll man sich da den Kopf über die Winterschlacht von 1941 zerbrechen? Alles ist ganz einfach: Erstens sah Hitler im Plan „Barbarossa“ die Einnahme Moskaus nicht vor, zweitens lehnte er im August/September 1941 eine Offensive gegen die sowjetische Hauptstadt ab und zeigte – drittens – nicht einmal Ende 1941 hinreichendes Interesse an der sowjetischen Metropole, sondern sorgte sich mehr um die Einnahme Leningrads und den Vorstoß zum Kaukasus.

Folgt man dieser Logik, so bleibt alles beim alten: Wieder ist Hitler der einzig Schuldige an den Mißerfolgen der Wehrmacht. Die tapfere Wehrmacht wahrt ihren Ruf als unbesiegbar, denn an allem war die ungenaue und dilettantische Planung schuld. So haben wir es mit dem klassischen Beispiel einer Fälschung zu tun, die dem höchst durchsichtigen politischen Zweck dient, den großen Sieg der Sowjetarmee vor Moskau herunterzuspielen: Hier war es doch leicht zu siegen, da niemand Moskau überhaupt nehmen wollte! …
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Ausgangspunkt derartiger Pläne war, daß man dem sozialistischen Staat die Lebensfähigkeit absprach. „Koloß auf tönernen Füßen“ nannten sie das Sowjetland und glaubten blind daran. Hitler war überzeugt, daß „die Russen“ nach den ersten Wochen der Kämpfe „infolge des Zerfalls der Ordnung“ kapitulieren werden. [2]

Quelle:
Lew Besymenski: Zähmung des Taifuns. Verlag Progress Moskau, 1981, S.34f./47.

[1] Hitlers Weisungen für die Kriegsführung 1939-1945. Dokumente. Frankfurt a.M., 1962, S.129-134.
[2] vgl. K.Reinhardt: Die Wende vor Moskau, Stuttgart, 1972, S.21.

Siehe auch:
http://topwar.ru/27719-operaciya-tayfun-krah.html (russ./Abb.)
Der Nürnberger Prozeß: Die Fiktion von einer „sauberen“ Wehrmacht
Ilja Ehrenburg: Die Russen sind wirklich Wilde
Die Präventivkriegslüge

Dieses Bild soll dem Leser unbedingt gezeigt werden. Es ist das Foto eines erfrorenen deutschen Wehrmachtssoldaten, der eine wertvolle, aus einem sowjetischen Museum gestohlene Porzellanvase im Arm hält. Das Bild beweist im einzelnen, was der Überfall der faschistischen Wehrmacht in Ganzen bezweckte: milionenfacher Raub, Plünderung, Mord und rückwärts auf der Flucht vor möglicher Vergeltung „Verbrannte Erde“…

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9 Antworten zu Moskau 1941: Der gezähmte Taifun

  1. Hat dies auf Muss MANN wissen rebloggt und kommentierte:
    Von Sieg zu Sieg 1941
    Von Sanktion zu Sanktion 2014
    Krieg Heil?

  2. walterfriedmann schreibt:

    Hat dies auf Europapolitik rebloggt und kommentierte:
    Russlandkrieg 1941

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  7. olivia2010kroth schreibt:

    Hitler hätte sich geschichtlich besser bilden sollen, zum Beispiel durch Lektüre von Berichten über Napoleons Feldzug gegen Russland. Der wollte auch Moskau im „Hoppla-hier-komm-ich“-Verfahren einnehmen. Aber daraus wurde nichts, Moskau brannte nieder und Napoleons Armeen wurden wegtaifunisiert. Nur eine kleine Schar Überlebender kam nach Frankreich zurück.

    Genauso die Wehrmacht: auch sie wurde von den Russen wegtaifunisiert. Nur eine kleine Schar Überlebender gelangte nach Deutschland zurück. „Hoppla hier komm ich“ klappt bei Überfällen auf Russland nicht, vor allem nicht von so kleinen unbedeutenden europäischen Zwergstaaten wie Frankreich oder Deutschland, die allesamt an Hybris leiden. Sie erliegen auch heute noch – leider – einer gewaltigen Selbstüberschätzung in Bezug auf ihr Verhältnis zu Russland.

    • sascha313 schreibt:

      Das Fatale daran ist, daß die „braven Deutschen“ sich nicht imstande erwiesen, diesem Treiben ein Ende zu setzen… Wie hatte dioch Karl Liebknecht treffend gesagt? „Der Feind steht im eigenen Land!“ – Und damit meinte er ganz zweifellos die Kapitalistenklasse und deren korrupte Regierungen (einschl. der Sozialdemokratie).

  8. Pingback: „Die Rote Fahne“ (1939): Die Dividenden des Herrn Krupp und die Lügen der Nazis | Sascha's Welt

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