Benjamin fragt: Was denkst Du eigentlich über die DDR, und was sagst Du zu Stalin?

Ein junger Leser wandte sich mit diesen Fragen an die Redaktion. Hier nun die Antwort von einem, der in der DDR geboren wurde und diese Zeit bewußt miterlebt hat:

GeraHallo Benjamin,
was denke ich eigentlich über die DDR? Nun, ich bin in der DDR geboren. Dieses Land war mein Vaterland. Ich habe hier gelebt, gelacht, gelernt, studiert, gearbeitet – kurzum: ich habe dieses Land mit allen seinen Mängeln und Fehlern geliebt. Ich war nie arbeitslos, denn bei uns gab es das nicht. Es gab auch keine Zukunftsangst, wie das heute bei vielen Menschen der Fall ist.

Ich konnte zum Zahnarzt gehen, ohne dafür etwas bezahlen zu müssen. Die Frauen hatten jeden Monat einen freien Haushaltstag, um ihre Kinder zu betreuen. Und jeder größere Betrieb hatte eine Kinderkrippe, wo ausgebildete Erzieherinnen den ganzen Tag für die Kleinen da waren, mit ihnen spielten, und das kostete keinen Pfennig. Selbstverständlich bekamen die Frauen den gleichen Lohn wie ihre männlichen Kollegen, und viele Frauen haben sich sogar neben dem Beruf noch qualifiziert, studiert oder ihren Meister gemacht.

Das Bildungssystem in der DDR war einheitlich und hervorragend organisiert. Auch das Studium war hervorragend. Studiengebühren waren uns fremd. Es gab viel Kollektivität, die Menschen haben einander geholfen, im Kleinen wie im Großen. Es gab Hausgemeinschaften und Betriebskollektive, wo viel gemeinsam miteinander unternommen wurde, gearbeitet und gefeiert wurde. Und man konnte abends auf die Straße gehen, ohne Angst haben zu müssen, daß man man überfallen oder ausgeraubt wird. Ja, das waren nur einige der Vorzüge unseres sozialistischen Vaterlandes.

Sicher, es gab bei uns auch die Polizei und das MfS, aber davon habe ich nicht allzuviel gemerkt. Sie waren einfach da. Und das war auch gut so. Denn man darf nicht vergessen, die Betriebe und die Produktionsmittel waren Volkseigentum. Und seit der Gründung der DDR gab es eine Menge Leute, denen diese Richtung nicht paßte: ehemalige Großgrundbesitzer, Adlige, Fabrikbesitzer, Spekulanten, Schieber, ehemalige Nazis. Die meisten von denen haben anfangs ihr Geld und ihren Schmuck geschnappt und sind in den Westen abgehauen. Einige haben sogar noch in der DDR studiert und sind danach geflüchtet.

Bis 1961 wurden viele Fachkräfte in den Westen ausgeschleust. Es wurde geklaut und dann im Westen verhökert. Geld wurde zu horrenden Preisen umgetauscht, um die DDR zu schädigen, was oft auch gelang. Doch dann wurde die Grenze endlich dichtgemacht. Ich muß sagen, mich hat das nicht gestört. Im Gegenteil. Es hat sich beruhigend auf unser Leben ausgewirkt. Wir hatten als Kinder unsere Ferien, konnten mit Jugendtourist günstig ins Ausland verreisen und gingen ungestört unserer Arbeit nach. Den westlichen Plünderungen war ein Riegel vorgeschoben.

Und zu Stalin? Die Sowjetunion war das erste sozialistische Land auf dieser Erde. Die Arbeiter und Bauern haben 1917 die Kulaken, die Ausbeuter und andere Parasiten davongejagt, sie haben die Macht übernommen. Das war nicht leicht. Es gab fast immer feindliche Überfälle, Sabotage in den Betrieben, und es gab Bürgerkrieg. Dabei standen die Kommunisten an der Spitze der revolutionären Arbeiterklasse und Bauern. Viele ehrliche Arbeiter, viele Kommunisten mußten damals ihr Leben lassen. Lenin hatte sich zuvor über den Kommunismus ausführliche Gedanken gemacht. Und Stalin setzte dieses Werk fort. An der Spitze der Kommunistischen Partei führte er dieses Riesenland aus bitterster Armut zu kosmischen Erfolgen.

Du kannst Dir sicher vorstellen, welch eine gewaltige Leistung das war. Es wurden riesige Staudämme gebaut, Wasserkraftwerke, Traktorenfabriken usw. Dann kam 1941 der faschistische Überfall. Heldenhaft verteidigten die Völker der Sowjetunion ihr Land. Unter riesigen Verlusten befreiten sie schließlich ganz Europa vom Faschismus. Und Stalin war nicht nur ein bedeutender Staatsmann, sondern auch ein kluger Heerführer. Wenn heute von Millionen Toten des „Terrors unter Stalin“ gesprochen wird, so muß man sagen, daß denen die davon reden, keine Lüge groß genug ist, wenn es nur gegen den Sozialismus geht. (Das haben wir ja sehr anschaulich auch an der DDR gemerkt, die heute als „Unrechtsstaat“ beschimpft wird.)

Nach Stalins Tod kam Chruschtschow an die Macht, und er verleumdete seinen Vorgänger wo immer er nur konnte. 1956 beschuldigte er Stalin des Personenkults und gab vor, den Sozialismus „wieder herstellen“ zu müssen. Man muß wissen, daß gerade er sich stets hervorgetan hatte, wenn es darum ging, Verräter oder angebliche Volksfeinde „umzulegen“. Mit seinen oft widersinnigen wirtschaftlichen Kampagnen wie „Rinderoffenställe“ oder „Wurst am Stengel“ (Mais) und mit seiner hinterhältigen Außenpolitik säte Chrustschow Zwietracht unter die sozialistischen Länder, und er verriet die Ideale seines ganzen Volkes. Das brauchte der russische Gangster „Gorbi“ nur noch zu vollenden, um den Untergang des ersten sozialistischen Landes der Welt zu besiegeln. Heute haben dort die Oligarchen wieder die Macht. Sie schmeißen die Gläser an die Wand und freuen sich ihres Erfolges. So war das, und so ist es heute!

Das ist nun doch ein bißchen länger geworden als ich dachte, aber ich hoffe, daß Du verstehst, warum wir die DDR als die größte Errungenschaft der deutschen Arbeiterklasse betrachten und warum wir auch Stalin als einen hervorragenden Staatsmann ehren.

Mit den besten Wünschen!
Sascha

Kulturpalast Dresden

Einst ein sozialistisches Kulturzentrum der DDR: Der Kulturpalast in Dresden

pdfimage  Brief an Benjamin

Lies auch:
Gab es eigentlich einen Sozialismus in der DDR? (+ ein paar Bilder)
Ljubow Pribytkowa – Und wieder mal über Stalin
…sie werden es nicht verstehen, diese bürgerlichen „Historiker“
Gab es einen Sozialisdmus in der DDR?

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32 Antworten zu Benjamin fragt: Was denkst Du eigentlich über die DDR, und was sagst Du zu Stalin?

  1. Günter Hering schreibt:

    Hat dies auf versprengte Linke rebloggt und kommentierte:
    Wenn sich die Kreise schließen, ist noch Hoffnung… Selbst habe ich Sascha schon seit längerem lesen und schätzen gelernt (wenngleich ich zu Stalin etwas differenzierter formulieren würde). Nun also auch Benjamin. Danke, Sasche, dass Du Dir inmitten des Blog-Umzugsstresses die Zeit zum Antworten genommen hast! Da muss man doch einfach rebloggen.

  2. Stas schreibt:

    Sascha spricht vielen aus dem herzen und seelen! Danke.

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  10. ich schreibt:

    An Verlogenheit und Dummheit kaum zu Überbieten.

  11. sascha313 schreibt:

    Lernen Sie erst mal richtig Deutsch… und dann: Sie haben ja keine Ahnung!

  12. Erfurt schreibt:

    Danke Sascha. Wenn man so richtig darüber nachdenkt, an was es alles in der heutigen Gesellschaft mangelt, und das mit dem vergleicht, was uns ARD, ZDF und Konsorten 7/24 vorspielen, könnte man nur noch laut schreien. Ich habe mir mittlerweile vorgenommen, darüber wenigstens zu lachen, anders sind all diese ständigen Lügen nicht mehr erträglich.
    Viele Grüße, mach weiter so, Sascha!
    Und gib Trollen keine Chance, ihren Mist hier zu verbreiten.

  13. Ursula Münch schreibt:

    Besten Dank für Deine guten Worte über die DDR, lieber Sascha.
    Bei ihrer Gründung, war ich bereits 20 Jahre alt, doch erst sie wurde meine geliebte Heimat. Ich selbst verdanke ihr kein leichtes, aber ein erfülltes Leben. Den Schmerz über ihren Verlust teilte ich (und teile ich noch immer) mit vielen Glechaltrigen. Um den massiven Verleumdungen entgegen zu treten, gründeten wir bereits vor Jahrzehnten eine unanhängige Autorengemeinschaft zur Sammlung und Veröffentlichung von Zeitzeugenberichten. Die ersten drei Bände sind seitdem komplett nachlesbar unter:
    Nachstehend einige interessante Links.

    Dresden-Hamburg und zurück (noch unter Pseudonym geschrieben)
    http://www.spurensicherung.org/texte/Band1/zimmermann.htm

    Wo auch immer wir wohnen
    http://www.spurensicherung.org/texte/Band1/muench.htm

    Den Panzer sehen und schreien war eins
    http://www.spurensicherung.org/texte/Band2/muench.htm#top

    Wir haben einen Plan gemacht
    http://www.spurensicherung.org/texte/Band3/umuench.htm#top

    Im Dschungel Vietnams (von meinem verstorbenen Mann Günter)
    http://www.spurensicherung.org/texte/Band3/gmuench.htm#top

    Jetzt warfen die Leute Steine auf sie
    http://www.spurensicherung.org/texte/Band2/steine.htm#top

    http://www.spurensicherung.org/texte/Band1/jawinski.htm#top

    http://www.spurensicherung.org/texte/Band2/gossweiler.htm#top

    • sascha313 schreibt:

      Liebe Ursula, ich danke Dir für Deine Zuschrift und Deine interessanten Hinweise. Ja, für mich und für viele andere hier war die DDR unsere Heimat, die wir nie vergessen werden. Es ist eine unverzichtbare Arbeit, dies alles festzuhalten, was für uns wichtig war, und es zu verteidigen gegen alle Angriffe, damit dereinst wieder fortgesetzt werden kann, was Deine und unsere Generation erbaut, und wofür wir gelebt haben. Daß dies geschieht, davon bin ich fest überzeugt. Auch Kurt und Edith Gossweiler würden ihre Freude daran haben…

    • Erfurt schreibt:

      Danke, Ursula Münch!! Ich habe noch nicht alles gelesen, aber was ich gelesen habe, berührt micht zutiefst. Eben, weil ich das Glück hatte, in der DDR leben zu dürfen. Mittlerweile fast 70, habe ich natürlich auch einen Anteil am Aufbau des Sozialismus in der DDR, insbesondere als freiwilliger NVA-Soldat, was die Sicherung des Friedens betrifft.

      Ja, den Film, den man Anfang der 60er Jahre noch in der Gedenkstätte Buchenwald zeigte, kenne ich. Täglich ging unser Blick zum Glockenturm als Mahnmal auf dem Ettersberg, der aber auch zweifelsfrei einer der schönsten Aussichtsberge meiner Heimat Thüringen ist; weit schweift der Blick über das Ilmtal bis hin zu den Kammlagen des Thüringer Waldes.

      Heute ist Buchenwald zu einer Touristenattraktion verkommen. Als ein Privatunternehmen, geführt von den mißratenen Wänstern, genau derjenigen die in der SBZ gemäß der Alliiertenbeschlüsse enteignet wurden, jedoch im Westen überleben konnten, weil man da nicht im Geringsten daran dachte, die in Potsdam getroffenen Vereinbarungen einzuhalten.
      Viele Grüße!

  14. Gunther Rennwanz schreibt:

    Sehr schön. Entspricht meinem Erleben und Erfahrungen. Danke

  15. Ursula Münch schreibt:

    Für immer Dank und jede Ehr‘
    ihr, uns´rer Heimat DDR!

  16. Rolf Gräfe schreibt:

    Danke für deine Texte (Links), Ursula!
    Wir hatten ja vor langer Zeit, schon in einem anderen Forum, das Vergnügen.
    Zu Heinz Lippmann, wenn es der ist, gibt es nicht viel zu sagen:
    Er ist mit dem Westgeld der FDJ abgehauen und hat im goldenen Westen nicht wieder Fuß gefasst.
    https://taz.de/!1441976/
    https://www.berliner-zeitung.de/heinz-lippmann-ueberlebte-auschwitz-wurde-honeckers-stellvertreter-in-der-fdj-floh-mit-deren-geld-in-den-westen-und-fasste-nirgends-mehr-fuss-immer-ein-fremder-im-eigenen-land-li.30010

    • sascha313 schreibt:

      Danke für den Peter Hacks. Kluge Worte! Er hat gemeinsam mit Gossweiler ein interessantes Büchlein herausgegeben: „Am Ende verstehen sie es“ (Briefwechsel). Das bringt mich von Hacks wieder auf Gossweiler, und von da aus zur Klärung einer Haltung, die Franz Dahlem betrifft (ebd. S. 157)… Ich teile Kurts Auffassung, was den furchtbaren Noël Field betrifft, der ja wohl sein Lebensende in Ungarn (!) verbracht hat, las Dahlems dicke Selbstdarstellung „Jugendjahre“, und merke nun, daß ich vom „Ende“ (wenn Peter Hacks recht hat) noch weit entfernt bin. 😉

  17. Ursula Münch schreibt:

    Absenden funktioniert mehrfach nicht. Geduld am Ende.

    • sascha313 schreibt:

      Ja, liebe Ursula, das sind so die kleinen Tücken des Objekts: kurzzeitige Computerabstürze, gesperrter Zugriff, irregleitete Nachrichten. gehackte Webseiten usw. – nicht immer ist da Bosheit und Absicht im Spiel, oft ist der Moloch „Internetz“ einfach nur überfordert 😉

      • Ursula Münch schreibt:

        Danke, dann versuche ich es doch noch mal:

        Sehr gern immerhin erinnere ich mich an telefonische Kontakte mit Kurt Gossweiler. Mir ging es damals darum, seinen unten nochmals verlinkten Text unbedingt in das erste Buch unserer Autorengemeinchaft aufzunehmen; obwohl sich mehrere Mitstreiter anfangs weigerten, überhaupt mit Gossweiler zusammen veröffentlicht zu werden, da er im Ruf eines verruchten „Stalinisten“ stand. Um dies zu entkräften, schlug ich ihm den Verzicht auf abschließende „stalinfeundliche“ Bemerkungen vor. Er reagierte außerordentlich verständnisvoll, und ich konnte schließlich die Zustimmung der anfangs Streikwilligen doch noch erreichen.
        http://www.spurensicherung.org/texte/Band2/gossweiler.htm#top

      • sascha313 schreibt:

        Danke für den Link. Ich stehe ganz auf Kurts Seite. Mir ist auch die Ansicht der Leipziger Professorenrunde (Lieberam & Co.) bekannt, die sich in abscheulicher Weise gegen Stalin empört haben – was ich (wie auch Klaus Hesse aus Leipzig) nicht nur unsachlich, sondern geradezu als feindlich empfand. Kurts Nachsichtigkeit (wenngleich seine Prinzipientreue und Aufrichtigkeit) auch gegenüber Steigerwald hat nur zu geringen Teilen dazu geführt, daß der Revisionismus im Westen grundsätzlich überwunden werden konnte. Kurt hat sich in seiner gründlichen Weise mit diesen Fragen befaßt, und sogar der Herr Doktor Steigerwald konnte ihm da schließlich nicht mehr widersprechen. Der Revisionismus war für Steigerwald halt wie eine „liebgewordene Gewohnheit“, wenn man den Chruschtschowismus von Anfang an aufgesaugt hat, wie ein trockener Schwamm 🙂

      • Ursula Münch schreibt:

        Leider bin ich (Jg. 1929) infolge gesundheitlicher Schäden nicht mehr zu längeren Abhandungen in der Lage.
        Meine letzte diesbezügliche Aktivität datiert von 2017.
        Damals schrieb ich z.B.

        „Sozialismus bedeutet Sieg der menschlichen Vernunft“

        Wenn es in Deutschland um Sozialismus geht, kommt niemand an den Erfahrungen der DDR vorbei, mit der ihre früheren Bürger trotz des enormen politischen Drucks mehrheitlich immer noch (bzw. wieder) gänzlich anderes als die Gräuelmärchen von „Diktatur“, Unrechtsstaat“, „Stasi“, „Stalinismus“, „Doping“ und ähnlichem verbinden.

        Selbstverständlich will keiner „die DDR wiederhaben“. Wie denn auch? Unser Staat entstand und entwickelte sich unter historischen Bedingungen, weltpolitischen Konstellationen und nicht zuletzt auf der Grundlage wissenschaftlich-technischer Möglichkeiten, die inzwischen der Vergangenheit angehören. Zwecks öffentlichkeitswirksamer Verurteilung verzichten die den „Zeitgeist“ erzeugenden und pflegenden Politiker, Medienbosse und „Wissenschaftler“ allerdings generell auf die Darstellung dieser Zusammenhänge.

        Imperialistische Neokolonialisten segeln heute zwar unter der Flagge des Kampfes gegen Terror, Diktatur und Völkermord, säuseln von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten. Aber bereits die gegenwärtige Bilanz ihrer weltweiten Einmischung und „Hilfe“ ist verheerend, und der Kampf um die abnehmenden Ressourcen dieser Erde garantiert unvorstellbare Schrecken – falls diesen Menschheitsfeinden nicht Einhalt geboten wird.

         „Sozialismus oder Barbarei“ – es gibt keine andere Alternative.

        Sozialismus bedeutet den Sieg der menschlichen Vernunft.

        Vor allem aus Mangel an Erfahrung wurde auch die Entwicklung der DDR von mancherlei Dummheiten begleitet und behindert.

        Weitaus gewichtiger ist jedoch, dass unser aus dem Chaos des Zweiten Weltkrieges hervorgegangener Staat ein überragendes Zeugnis menschlicher Vernunft darstellte.

        Denn während des Entstehens und Wachsens unserer sozialistischen Gesellschaft begannen Millionen Menschen gemeinsam neue, vernünftige Inhalte und Formen menschlichen Zusammenlebens zu verwirklichen.

        Im Großen wie im Kleinen galt: Frieden statt Krieg; Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe statt des Kampfes Jeder gegen Jeden; gerechte Teilhabe am gemeinsam Geschaffenen statt Ausbeutung und Unterdrückung; Existenzsicherheit sowie wachsender Wohlstand für alle statt Massenarmut bei parasitärem Reichtum für Wenige; sparsamer Umgang mit allen Ressourcen statt Verschwendung.

        Nur mal einiges zum letztgenannten Schwerpunkt, an das ich mich aus dem DDR-Alltag und meiner Arbeit in den Planungsorganen erinnere.

        Für meine Diplomarbeit wurde mir bereits 1953(!) als Thema vorgegeben: „Das Sparsamkeitsregime und seine Bedeutung für den weiteren Aufschwung der Industrieproduktion in der DDR“.

        Die weitestgehende Müllvermeidung bzw. gut organisierte Wiederverwertung von „Sekundärrohstoffen“ (SERO) war für jeden DDR-Bürger eine Selbstverständlichkeit (und  führte sogar dazu, dass unsere Städte und Gemeinden damals wesentlich sauberer waren als heute).

        Bemerkenswerte finanzielle und ökologische Effekte erreichten wir im Rahmen der so genannten „territorialen Rationalisierung“. Sie beinhaltete u. a. das Zusammenwirken verschiedener Betriebe und Einrichtungen bei der gemeinsamen Nutzung und beim Bau von Wasserversorgungs- und Abwasseranlagen, Heizhäusern usw.

        Wir bemühten uns um ein möglichst hohes territoriales „Eigenaufkommen“ bei der Versorgung mit täglichen Konsumgütern. In diesem Zusammenhang entstanden beispielsweise im Bezirk Erfurt riesige Obstplantagen. Insgesamt führten diese Anstrengungen zur beträchtlichen Reduzierung der LKW-Transporte, d. h. zur Verringerung des Treibstoffbedarfs und der Umweltbelastung.

        In ihrer positiven Wirkung kaum zu überschätzen ist die erfolgreiche Verlagerung des Großteils der Transporte „von der Straße auf die Schiene“.

        Für den Personenverkehr galt, dass jeder auch ohne eigenen PKW möglichst bequem und schnell an sein Ziel gelangen sollte. Dazu wurden beispielsweise der öffentliche Nahverkehr ausgebaut und die Taxipreise subventioniert. 

        Mittlerweile eröffnen die Fortschritte in Wissenschaft und Technik neue Möglichkeiten. Doch ihre Nutzung wird in jeder sozialistischen Gesellschaft nach ähnlichen, d. h. rationelleren und gerechteren Prinzipien als im Kapitalismus erfolgen.

        Mir legten die hämischen Kommentare zu „Armut“ und „Mangelwirtschaft“ in der DDR schon damals den Gedanken nahe, welch ungeheure Errungenschaft unser „mieses Lebensniveau“ für die überwältigende Mehrheit der Menschen bedeuten würde. Und ich hatte gegenüber den Notleidenden dieser Welt ein wesentlich besseres Gewissen als nun in der westlichen Konsumgesellschaft.

        Wer heute von Sozialismus spricht, muss mit Naserümpfen oder Schlimmerem rechnen. Selbst einigen prominenten „SozialistInnen“ geht es nicht wirklich um Sozialismus, und es erscheint außerdem weniger denn je opportun, dass man in diesem Zusammenhang auch über die DDR sprechen müsste. Dieses Zurückweichen – selbst vor haarsträubenden  Verleumdungen und Fälschungen – behindert seit Jahren die sachliche Analyse unserer Vergangenheit und führt vor allem dazu, jede echte Alternative zur kapitalistischen Gesellschaft in Frage zu stellen.

        Die Situation der Menschheit ist ernst wie nie zuvor. Es wird immer deutlicher, dass …“

        ————-

        Bei weiterem Interesse, würde ich hier auch Fortsetzung und Schluss zu übermitteln versuchen.

        Beste Grüße

        Ursula Münch

      • sascha313 schreibt:

        Danke, liebe Ursula. Ich weiß, ich weiß, trotzdem ist es eine Freude, von Dir was zu lesen 🙂
        Gerne lesen wir den Schluß Deines Berichts!

  18. Ursula Münch schreibt:

    Selbstverständlich ist nur wieder mal mein verflixter PC daran schuld, dass ich die Fortsetzung meines oben stehenden Textes nicht finde. Hahaha!
    Doch da ich damals (2019) noch sehr viel geschrieben habe, besteht kein Mangel., und ich füge hier einfach den Schluss eines anderen Artikels mit der Bitte um Entschuldigung, für Wiederholungen bzw. Überschneidungen ein.
    —————-
    ……..
    Bleibt allerdings die Frage, ob es vielleicht doch noch eine Alternative gäbe.
    Die Zeit dafür scheint bereits verpasst, der Klimawandel mittlerweile unaufhaltsam, aber versuchen müssen wir es, und zwar unbedingt.
    „Sozialismus bedeutet Sieg der menschlichen Vernunft“ lautete der Titel meines bereits vor Jahren für die Buchreihe „Spurensicherung/Spuren der Wahrheit“ geschriebenen Artikels, und so sehe ich das noch heute.
    Unser Dilemma besteht bekanntlich darin, einer Gattung von (Raub)Tieren anzugehören, welche im Verlauf der Evolution Fähigkeiten entwickelte, durch die sie allen anderen Arten gegenüber entscheidende Vorteile im Überlebenskampf errang und diese in Jahrtausenden weiter ausbaute: Intellekt und sogar Verstand, obwohl individuell unterschiedlich entwickelt.
    Der Kapitalismus mit seinem Wolfsgesetz war nach Sklaverei und Feudalherrschaft ein neues maßgerechtes System für die tierisch-menschliche Gattung: Fressen oder gefressen werden! Und trotz aller schönen Phrasen eine nicht durch Ethik und Vernunft gehemmte unersättliche Gier!
    Im Zusammenhang mit der fortschreitenden Entwicklung von Wissenschaft und Technik sowie der kapitalistischen Globalisierung wurden damit aber auch die entsetzlichsten Verbrechen weltweit und sogar die Selbstvernichtung der Menschheit sowie allen Lebens auf der Erde quasi vorprogrammiert.
    Wie die Geschichte zeigt, fehlte es den jeweils Herrschenden seit jeher stets an Vernunft sowie Verantwortungsbewusstsein für Mensch und Natur.
    Nur die Arbeitbewegung stellte bereits ab dem 19. Jahrhundert die Frage nach einer rettenden, vernünftigen Alternative. Aber erst, als es nach verheerenden Weltkriegen um das nackte Überleben ging, führte die Idee des Sozialismus durch das Handeln der Volksmassen zur Gründung sozialistischer Staaten, wurde sie zur „materiellen Gewalt“.
    Und obwohl es derzeit unrealistisch scheint, ist der Übergang zum Sozialismus auch in der heutigen Situation die einzige wirkliche Alternative zur bevorstehenden, kapitalistisch verursachten Apokalypse. Denn was da bisher an wohlmeinenden Vorschlägen durch die Politik- und Medienlandschaft geistert, gleicht aus meiner Sicht nur dem hoffnungslosen Versuch, einem blindlings und mit immer verheerenderer Wucht alles Leben zermalmenden Monsterroboter hinterher zu rennen, um ihm gut zuzureden oder vielleicht noch dieses oder jenes dekorative Schräubchen aufzuschwatzen.
    Unser fast unlösbares Problem ist, dass wir diesmal den Weg zum Sozialismus unbedingt vor der Katastrophe finden müssen – weil es ein „Danach“ nicht geben wird – und dass es dank herrschender Politik und Medien dafür bisher keine Massenbasis gibt.
    Ganz im Gegenteil muss man davon ausgehen, dass das Thema „Klimawandel“ zur Erleichterung interessierter Kreise erst mal wieder in der Versenkung verschwindet, um angeblich Wichtigeres zu erörtern, Wahlenl vorzubereiten usw. Man wird so zu sagen in der Küche eine Kochshow für das breite Publikum abziehen, während der Dachstuhl bereits in Flammen steht.
    Weshalb ich mir trotzdem die Mühe mache, hier meine Meinung kund zu tun, ist u. a. der Wunsch, dass die Erfahrungen und – ja – auch unbestreitbaren Erfolge des europäischen und speziell des „real existierenden“ DDR-Sozialismus endlich objektiv untersucht, beurteilt und vor allem für die Jugend publiziert werden. Die anhaltende Beschränkung auf bloße „Stasi-/Mauer-/Unrechtstaat-/Stalinismus“-Verunglimpfungen der DDR ist nicht nur eine zwar zweckdienliche, aber dennoch unerhörte Geschichtsfälschung, sondern verstellt vor allem den Blick auf wegweisende, beispielhafte Ansätze und Lösungen für viele gesellschaftliche Probleme, auch in Bezug auf die Umwelt.
    Nein, die DDR war – ebenso wie die meisten europäischen Staaten damals – keine Musterschülerin in der Umweltpolitik, die Ursachen dafür sind vielfältig. Aber ich erlebte während meiner jahrzehntelangen Tätigkeit in den staatlichen Planungsorganen immerhin, welche positive Wirkung ein von Profitinteressen unbeeinflusstes, vernünftiges Handeln auch auf die Umwelt haben kann – ob bei der Müllvermeidung, im Güter- und Personentransport, bei der Standortpolitik oder auf dem Gebiet der Territorial- und Perspektivplanung, um nur einige Stichworte zu nennen. Das wären doch beispielsweise sehr interessante und zugleich nützliche Dissertationsthemen!
    Sparsamste Verwendung unserer Ressourcen war angesagt.
    In der DDR lebte man zwar insgesamt sicher bescheidener als in der BRD; aber keineswegs armselig, sondern in hoher sozialer Sicherheit, ohne Arbeits- und Obdachlose, dafür aber mit vorbildlichen Leistungen für alle Bürger, beispielsweise im Gesundheitswesen, bei Kinderbetreuung, Bildung, Kultur, Sport, Freizeitgestaltung usw. Davon war und ist die reiche Bundesrepublik Deutschland bis heute Welten entfernt! Außerdem hatte ich ein weitaus besseres Gewissen als heute und überlegte nicht nur einmal, welch riesige Errungenschaft die Erreichung des DDR-Lebensniveaus für Milliarden Menschen weltweit bedeuten würde.
    Wir müssen uns jedenfalls weder unserer Vergangenheit noch unserer damaligen Zukunftspläne schämen, und ich finde es allerhöchste Zeit, dass die LINKE ihre duckmäuserisch-knieweiche Haltung aufgibt und das vielfältige positive Erbe der DDR neu zu entdecken und zu bewahren hilft – auch im Hinblick auf den Klimawandel.
    Außerdem, dass sie diesen in Programmatik und politischer Arbeit als zentrales, jedem anderen übergeordnetes Problem behandelt und deutlich macht, dass die unverzichtbare sozialistische Alternative zum todbringenden kapitalistischen System nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag Zeit hat und welche untrennbaren Zusammenhänge mit sämtlichen weiteren linken Politikthemen bestehen.
    „Ich hoff‘, die Menschheit schafft es“ schrieb Peter Hacks kurz vor seinem Tod im Jahr 2003. Seitdem hat sich die Situation infolge imperialistischer Machenschaften generell und auch im Hinblick auf die Folgen des Klimawandels nicht zum Besseren entwickelt, sondern ganz im Gegenteil. Der Absturz scheint nicht mehr aufzuhalten – wenn nicht die Völker der Welt #aufstehen. Eine Sammlungsbewegung dafür wäre jetzt die allerwichtigste Aufgabe. Die lebensbedrohliche Situation könnte weltweit Millionen mobilisieren – so wie es während des Kalten Krieges die weltumspannende und durchaus erfolgreiche Friedensbewegung schaffte. Und im Unterschied zu damals existieren heute doch vor allem dank des Internets weitaus bessere Kommunikationsmöglichkeiten.
    Aber noch fehlt es infolge der beispiellosen Meinungsmanipulation an einer umfassenden Aufklärung über die lebensbedrohliche Ausweglosigkeit der kapitalistischen Gesellschaft und die Notwendigkeit einer sozialistischen Alternative! Dies wäre vorrangige Aufgabe linker Politik. So weit ich weiß, bietet beispielsweise hierzulande jedoch nur die zumindest zahlenmäßig bisher eher unbedeutende KPD ihren Mitgliedern und Sympathisanten eine solide theoretische Weiterbildung im Rahmen eines Fernstudiums. Unverständlich und unverzeihlich!
    Selbstverständlich würden die kapitalistischen Eliten eine derartige Bewegung mit allen Mitteln zu verhindern versuchen. Und zwar mit Sicherheit genauso skrupellos, wie sie während all der 70 Jahre, in denen die Sowjetunion und danach weitere sozialistische Staaten in Europa existierten, buchstäblich pausenlos ihre offenen und verdeckten Kriege gegen diese führten, um sie zu unterwandern, an der friedlichen Entfaltung ihrer Möglichkeiten zu hindern und letztendlich in die Knie zu zwingen.
    Aber trotzdem hätten Milliarden Erdenbürger – allen voran die Jugend – eine reale Chance, das Blatt noch zu wenden!

    Ím Rückblick sagte ich bereits in den 90ern: „Ich verdanke der DDR kein leichtes, aber ein erfülltes und sinnvolles Leben“, und unter dem Motto „So habe ich das erlebt“ schrieben Hunderte frühere DDR-Bürger auf tausenden Seiten ihre persönlichen Berichte über den „Unrechtsstaat“, das „Scheißland“ oder den „Polizeistaat“ DDR. Veröffentlicht wurden sie ab 1995 im GNN-Verlag Schkeuditz, inzwischn erschiender 19. Band, aber ich war nur für die ersten drei hauptverantwortlich.

    Was ich nicht verstehe ist, dass die Öffentlichkeit dem manipulierten Meinungs-Mainstream ohne a) den Blick auf unsere äußerst schwierigen Start- und Existenzbedingungen sowie die von Anfang bis Ende massiven Stör- und Liquidierungsversuche des Westens folgt oder b) nicht wenigstens fragt, was sich denn in der Welt seit dem Ende der sozialistischen Staaten Europas einschließlich der DDR zum Besseren entwickelt hat? Das ganze Gegenteil ist doch der Fall, die Lage gefährlicher als zu Zeiten des Kalten Krieges, und die endgültige Katastrophe rückt unaufhaltsam näher. Sich angesichts einer zunehmenden innen- und außenpolitischen Aggressivität der Bundesrepublik abfällig über die DDR zu äußern, ist mehr als kurzsichtig.
    Vermutlich gehöre ich zu den letzten Augenzeugen der Ereignisse des 16./17.6.53 vor dem Berliner Haus der Ministerien. Der hoch gelobte Egon Bahr schrieb später sinngemäß: Ohne den RIAS hätte es den 17. Juni nicht gegeben. Vor allem durch ihn wurde der anfangs reine Bauarbeiterstreik zum ersten Versuch des Regime-Change in einem sozialistischen Land organisiert und zum Muster für weitere. Budapest, Prag …
    Die DDR existierte nicht im luftleeren Raum, sondern stand unter Dauerbeschuss aus dem imperialistischen Lager und hatte außerdem, wie man heute weiß, ab 1953 auch in der UdSSR keinen verlässlichen Partner mehr.
    Ich habe meine Meinung jahrelang in allerhand Foren einzubringen versucht und dafür, wie man sich vorstellen kann, trotz aller unwiderlegbaren Fakten und Argumente derart viel Häme und Beschimpfungen geerntet, dass ich mich schließlich endgültig zurückzog. Seitdem ergänzte ich meine Kenntnisse durch Studium von Er-Kenntnissen Anderer. Beispielsweise die des verrufenen „Stalinisten“ Kurt Gossweiler – der sich zu meiner Überraschung als außerordentlich objektiver (und zudem bescheidener) Analytiker entpuppte – sowie Peter Hacks und dessen politische Schriften,, welcher unabhängig von Gosssweiler zu ganz ähnlichen Schlussfolgerungen gelangte. Er äußerte noch kurz vor seinem Tod „Wessen sollten wir uns rühmen, wenn nicht der DDR?“ und „Ich hoff, die Menschheit schafft es“. Eigentlich hätte er, wie auch bei Wikpedia ersichtlich, mehr Grund als viele andere gehabt, der DDR auf ewig gram zu sein. Seine Stasi-Akte wog bestimmt einige Kilo. Die meines Ehemannes sicher nicht ganz so viel, aber stattlich war auch sie jedenfalls. Auf spätere Einsichtnahme haben wir verzichtet und ich wette, dass dies auch unter der Würde eines Peter Hacks war. Aber wer war/ist schon Peter Hacks? Kennt ihn heute überhaupt noch jemand?

    Ursula Münch
    (geschrieben 2019)
    ——————-

  19. Ursula Münch schreibt:

    Meine Gedanken zum 17. Juni 1953 (geschrieben 2019)

    Volksaufstand? Als knapp 90Jährige blicke ich nicht nur auf meine Erlebnisse in den Junitagen 1953, sondern auch auf die Ereignisse der Jahre 1989/1990 zurück

    Damals verbrachte ich an zwei aufeinander folgenden Tagen jeweils einige Stunden inmitten protestierender Bauarbeiter der Stalinallee, den aus Westberlin in den Osten strömenden „Aufstands“-Akteuren sowie zahlreichen Mitläufern oder Neugierigen und verfolgte aufgeregt die Ereignisse vor dem Haus der DDR-Ministerien an der Leipziger Straße.
    Irgendwo auf den verschwommenen Fotos von den „Volksaufständischen“ muss auch mein Haarschopf zu sehen sein, und am Montag, dem 16. Juni stand ich unserem mutigen Redner – dem vormaligen Bergmann, furchtlosen antifaschistischen Widerstandskämpfer und inzwischen DDR-Minister Fritz Selbmann sogar derart nahe, dass ich ein spaßiges Detail seiner Kleidung wahrnahm. Alles andere war nicht spaßig, und der von ihm verkündete Regierungsbeschluss über eine Rücknahme der umstrittenen 10%igen Normerhöhung wurde kaum zur Kenntnis genommen.
    In späteren Jahren dachte ich nur gelegentlich an das Erlebte zurück, und auch in Gesprächen zwischen Kollegen und Genossen war der in der Bundesrepublik alljährlich lautstark gefeierte „Volksaufstand“ eigentlich kein Thema – wahrscheinlich nicht zuletzt deshalb, weil die ihn verursachenden Entwicklungen kaum als Ruhmesblatt in die DDR-Geschichte eingehen würden.
    Aber wir hatten nach notwendigen Kurskorrekturen unseren friedlichen Weg zum Sozialismus trotz aller Schwierigkeiten fortgesetzt und im Verlauf der nachfolgenden Jahrzehnte Erfolge errungen, die bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein kapitalistischer Staat aufweisen kann.
    Gemessen an den Umständen unter denen sie erreicht werden mussten, waren sie zweifellos beachtlich.
    Mein Mann und ich standen 1989 bereits im Rentenalter und blickten auf ein erfülltes, obwohl keineswegs leichtes oder gar bequemes Leben zurück. Aber vor allem hatten unsere vier Kinder in der DDR nicht nur eine glückliche Kindheit und Jugend erlebt, sondern auch in den Jahren danach stets eine sichere Existenz und Perspektive gehabt.
    Deshalb bin ich noch heute stolz und froh, dass ich zu den knapp 100 unbewaffneten jungen DDR-Bürger gehörte, die sich vom Zentralrat der FDJ Unter den Linden aus am Morgen des 17. Juni 1953 auf den Weg zum Haus der Ministerien machten.
    Als wir ankamen, war der Platz noch leer, doch wir sahen den Demonstrationszug bereits von weitem in der Leipziger Straße heranrücken. Mir war unverständlich, dass unser wichtigstes Regierungsgebäude an diesem Tag völlig schutzlos lag. Die Fenster blieben geschlossen und nichts rührte sich, wahrend wir uns mit verschränkten Armen bei den Händen fassten und zumindest die der Leipziger Straße zugewandte Ostseite des Platzes abzusperren versuchten. Dies konnte nicht mehr als eine symbolische Handlung sein, denn wir Jungen und Madchen bildeten lediglich eine leicht zu durchbrechende Kette, und der Rest des großen Platzes blieb offen. Es war danach ein beklemmendes Gefühl, als die protestierenden Massen unaufhaltsam näherkamen. Alles schien möglich. Doch dann schwenkte der Zug unmittelbar vor dem zwar schwachen, aber standhaften Hindernis zur Seite, lenkte um unsere offene linke Flanke herum und kam auf der Kreuzung Leipziger-/Otto-Grotewohl-Str. zum Stehen. Bald waren die umliegenden Straßen ebenfalls von nachrückenden Demonstranten besetzt. Sie strömten nun auch aus westlicher Richtung heran. Erstaunlicher Weise blieb der zuvor durch uns halbseitig abgesperrte Platz aber selbst dann noch weiträumig frei, als wir von der Menschenmenge allmählich aufgesogen und voneinander getrennt worden waren. Auf unserer Seite soll es dabei mindestens einen Verletzten gegeben haben.
    Längst ist vor allem aus dem Selbstzeugnis des damaligen RIAS-Chefredakteurs Egon Bahr klar, dass man von Westberlin aus versuchte, die als Streiks gegen Normerhöhung begonnenen Ereignisse durch pausenlosen Einsatz des Senders und im stillschweigenden Verbund mit Geheimdiensten, der berüchtigten „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“, Ostbüro der SPD, alten und jungen Faschisten sowie kriminellen Randalierern, Schlägern, Plünderern, Brandstiftern und sogar Mördern zum ersten Regime Change der sozialistischen Länder Europas hoch zu putschen.
    Dafür wurde sogar der ohnehin permanent gefährdete Frieden aufs Spiel gesetzt. Der deutsche Sozialdemokrat Egon Bahr musste erst von seinem US-amerikanischen Führungsoffizier gefragt werden, ob er denn den 3.Weltkrieg auslösen wolle, bevor er die offenen Aufforderungen zum Aufstand gegen die Regierung der DDR einstellte. Aber der Westberliner DGB-Vorsitzende Ernst Scharnowski und andere sprangen gern für ihn ein. Außerdem schickte der unverändert zielstrebige RIAS 70 bis 75 Westdeutsche und Westberliner am Abend des 16. Juni in die Bauarbeiter-Wohnunterkünfte der Stalinallee, um den organisatorischen Ablauf des Folgetages zu sichern. „Es sollte sich dann alles von Berlin aus wie ein Lauffeuer ausdehnen“, berichtete Jahrzehnte später eine der Agitatorinnen dem diensthabenden Museumswächter – rein zufällig einer der Unseren. Doch sie hatte Westberlin leider befehlsgemäß am 17.6.1953 früh um 6 Uhr aus „Sicherheitsgründen“ mit dem Flugzeug verlassen und konnte sich nur aus der Ferne über den anfänglichen Erfolg ihrer Bemühungen freuen.
    Nach dem Anschluss der DRR an die BRD verfolgte ich mit wachsender Empörung die sich mit jedem Jahrestag steigernde Lügenpropaganda von Politik und Medien zum damaligen Geschehen. Denn allein schon die Darstellung der Ereignisse in Berlin und speziell vor dem Haus der Ministerien entsprach nicht der Wahrheit.
    Stimmen des Widerspruchs gingen im hemmungslosen Geschrei der „DDR-Delegitimierer“ unter. Weshalb ich mich Mitte der 90er entschloss, meine Altersruhe für einige Jahre zu unterbrechen, um die einsamen Rufer zu unterstützen und gemeinsam mit anderen Zeitzeugen den Verfälschungen der historischen Wahrheit ebenfalls entgegenzutreten.
    Dazu gründeten wir die unabhängige Autorengemeinschaft „So habe ich das erlebt“.
    Unser erstes Buch erschien im Jahre 1999 – auf eigene Kosten und von vornherein ohne realistische Chance auf Rückerstattung oder Gewinn – unter dem Titel „Spurensicherung – Zeitzeugen zum 17. Juni 1953“ im GNN-Verlag Schkeuditz, der sich unter der Leitung von Herbert Stascheit bis zum heutigen Tag unermüdlich für die historische Wahrheitsfindung engagiert.
    Anderweitige Unterstützung hatten wir nicht. Und obwohl sämtliche Fäden bei mir zusammenliefen, ich das Gesamtmanuskript erarbeiten, in Berlin und Umgebung auch eigene Recherchen anstellen sowie ständig allerhand Probleme mit Autoren, Verlag und Archiven klären musste, blieb ich ausnahmslos auf Schreibmaschine, Telefon, Post, öffentliche Verkehrsmittel – und meine allmählich streikenden Beine angewiesen.
    Unter besseren Voraussetzungen – beispielsweise mit einer leider vergeblich erbetenen Unterstützung der damaligen PDS bei der Suche nach Zeitzeugen – hätten wir weitaus umfassender berichten und analysieren können.
    Doch unter Berücksichtigung der damaligen Bedingungen bin ich mit den Ergebnissen zufrieden.
    Der Eisensee-Report „Funkstudio Stalinallee“ ist der aussagestärksten Text unseres Gemeinschaftswerkes.
    Besonders aufschlussreich sind außerdem die Beiträge
    – Einleitende Bemerkungen (Erkenntnisse und Meinungen des Redaktionskollektivs)
    – Hintergründe des 17. Juni 1953 (Fakten zur Einflussnahme der sowjetischen Partei- und Staatsführung)
    – Jetzt warfen die Leute Steine auf sie (Augenzeugenbericht aus Berlin)

    Zum letztgenannten Beitrag eine persönliche Bemerkung.
    Bei meiner schwierigen Suche nach weiteren Augenzeugen für die Ereignisse in Berlin stieß ich auf den eindrucksvollen Bericht eines damaligen Assistenzarztes der Berliner Charité, welcher „nie ein Freund der Sowjets gewesen war“ weil sein Vater „ja ´47 von denen umgebracht wurde“ – und der dessen ungeachtet in einer von Helle Panke e.V. im Jahre 1991 veranstalteten Gesprächsrunde offenkundig bei der Wahrheit geblieben war. Allerdings lagen diese noch unter vollem Namen getätigten Aussagen inzwischen längere Zeit zurück, und er war lediglich mit einer anonymen Veröffentlichung einverstanden. Vermutlich fürchtete er berufliche oder sonstige Nachteile.
    Über die Geschichte seines Vaters sprach ich mit ihm nicht, obwohl dieser für mich kein Unbekannter war. Es handelte sich um unseren langjährigen Dresdner Hausarzt. Ich erinnere mich seiner Bemerkung, ich „sei ein echtes deutsches Mädchen“, weil ich (allerdings nur als gefühlte „Indianersquaw“ ) im Alter von etwa zwölf Jahren ohne Wimpernzucken zusah, wie er mir einen langen Schnitt am Unterarm beibrachte und vermute nicht nur deshalb, dass es sich bei ihm um einen waschechten Faschisten handelte. Denn später wurde er als verantwortlicher Mediziner für ein großes Lager mit sowjetischen Kriegsgefangenen eingesetzt. Und dort soll es besonders viele Todesopfer gegeben haben.

    Im gleichen Jahr wie unsere Zeitzeugenberichte über den 17. Juni 1953 erschien auch das Buch „Wege in die DDR“ sowie im Folgejahr „Leben in der DDR“.

    Zum Glück fanden sich danach etwas jüngere Nachfolger für die bis dahin durch mich ausgeübte Koordinierungsfunktion. Vor allem der über Jahrzehnte bewunderungswerten Kreativität und Ausdauer von Horst und Gerlind Jäkel ist es zu verdanken, dass mittlerweile hunderte frühere DDR-Bürger – alte, aber auch zunehmend jüngere – auf vielen tausend Seiten über ihre Erfahrungen in unserem untergegangenen Land berichten: überwiegend positiv und dankbar, aber zugleich auch kritisch und selbstkritisch.

    Mir brachte die anfängliche Verantwortung für unser Projekt gewaltigen Stress, der jedoch durch das beglückende Erlebnis einer Gemeinschaft mehr als wett gemacht wurde, die mich an den schweren Anfang nach 1945 erinnerte. Denn Karrieristen, Mitläufer, Feiglinge und Besserwisser hatten uns auch damals gemieden.
    Denen, die da nun der in Politik und Medien betriebenen Hetze gegen die DDR unbeirrt ihre Lebenserfahrungen gegenüber stellten, konnte man vertrauen, die Spreu hatte sich vom Weizen getrennt. Unabhängig von früheren Tätigkeiten oder Funktionen waren wir einander nah, jeder gewann durch seine Mitarbeit neue Erkenntnisse auf vielen Gebieten. Und manche für die Nachwelt wichtige Erkenntnis unserer Ältesten zur Zeit vor und während des Faschismus wurde buchstäblich kurz vor Toresschluss gerettet.

    So oft ich die Bände durchblättere, setze ich hinter die meisten Namen der ersten Autoren in Gedanken ein Kreuz, erinnere mich ihrer unterschiedlichen Lebensläufe und spüre neben Trauer auch Zorn. Denn jede neue Verunglimpfung der DDR häuft weiteren Unrat auf ihre sowie die Gräber jener Millionen, die sich ehrlichen Herzens, oft über Jahrzehnte und meist unter persönlichen Opfern, unbeirrt für das friedliche Gedeihen unseres Landes und das Wohl seiner Bürger einsetzten – egal ob als Mitglieder der SED, einer Blockpartei, der Massenorganisationen, ob als Parteilose, Atheisten … oder Christen, die diesen Namen verdienten.
    Vor wenigen Jahren stieß ich auf eine Äußerung von Papst Franziskus: »Es sind die Kommunisten, die wie die Christen denken. (…)«
    Von ihm stammt auch die an eine biblische Formulierung anknüpfende Forderung, seinen Nächsten mehr zu lieben als sich selbst.
    Und nichts anderes war zu unserer Zeit die unausgesprochene Motivation Hunderttausender: Der Gesellschaft, den Menschen der DDR und der gesamten Welt mehr zu geben als von ihnen zu nehmen. Sie waren es auch, die stets dort einsprangen und in die Speichen griffen, wo andere versagten oder ihre Aufgaben aus anderen Gründen nicht erfüllten.
    Einige von ihnen kannte ich persönlich und lernte weitere durch die gemeinsame Arbeit an unseren Büchern kennen, deren Autoren aus den unterschiedlichsten Bevölkerungsschichten und Berufen stammten.
    Doch alle betrachteten ihr Verhalten als Selbstverständlichkeit, machten davon wenig Aufhebens und erwarteten auch keinen Dank.
    Dieser wurde ihnen erst durch die siegreiche Bundesrepublik u. a. in Form massenhafter Vernichtung von Existenzgrundlagen, beruflichen Laufbahnen, Rentenansprüchen sowie einer bis heute anhaltenden beispiellosen Verleumdung und persönlichen Diskriminierung zuteil. Ungezählte wurden dadurch in anhaltendes psychisches aber auch physisches Siechtum, den frühzeitigen oder sogar selbst gewählten Tod getrieben.
    Bekanntlich gehört die auf Beschluss der Warschauer Vertragsstaaten im August 1961 errichtete „Mauer“ zu den beliebtesten „Delegitimierungs-„Argumenten gegen die DDR.
    Doch: „Ohne Mauer hätte es Krieg gegeben“ lautet nicht nur der Titel eines Buches des früheren DDR-Verteidigungsministers Heinz Keßler, sondern auch eine sinngemäße Äußerung des damaligen US-Präsidenten J. F. Kennedy.
    Und hätte die Mauer bereits 1953 existiert, wären jene fernen Junitage sicher weitaus friedlicher verlaufen.
    Zu dieser Überzeugung gelangte ich bereits nach Lektüre des Eisensee-Reports, in Kenntnis der ebenfalls von uns beschriebenen Putsch-Agitatoren-Aktion des RIAS sowie Berichten unserer Autoren, wonach ähnliche Typen damals auch in andere Orte der DDR einfielen, da sie ungehindert die Grenze passieren konnten.
    Bestätigt fand ich meine Auffassung dann in einer Bildreportage des BRD-Journalisten Lutz Lehmann für den Hamburger Rundfunk aus dem Jahr 1973, auf die ich nach Erscheinen unseres Buches aufmerksam wurde.
    Denn die in der Sendung publizierten Augenzeugenberichte von Erich Onasch und Helmut W. Sonntag, beide als westdeutsche bzw. westberliner Wochenschaukameraleute vor Ort, lassen keinen Zweifel, woher die jungen Leute von „zwölf bis fünfundzwanzig“ kamen, die dort randalierten … und Feuer legten … speziell im Columbushaus und im ehemaligen Café Vaterland. … Alle aus Westberlin.“ Und die Brandflaschen? „Es war wohl auf jeden Fall eine russische Emigrantenorganisation, die dann da vieles verteilte … Flugblätter, Benzinkanister oder Brandflaschen und Stöcke und ähnliche Dinge. Also … wer sich bedienen wollte, konnte von dort irgendwelche Dinge abholen.“
    Im weiteren Verlauf der Sendung stellen die Redakteure dem BRD-Journalisten Hans-Georg Schulz – damals durch enge Kontakte mit der Organisation Gehlen (Vorläuferin des BND) verbunden – die Frage nach der Rolle antikommunistischer Organisationen und Geheimdienste, die zu jener Zeit von Westberlin aus agierten und dazu problemlos auch die offene Grenze nutzen konnten. Dieser bestreitet zwar entsprechende Aktivitäten der Organisation Gehlen, (obwohl er zugibt, dass sie natürlich ihre Leute „drüben“ hatte), bestätigt jedoch „Einstiegsversuche westberliner Untergrundorganisationen. Deren Anzahl habe bei „etwa vierzig“ gelegen, „von kleinen Splittergruppen abgesehen, die gab’s natürlich zu Hunderten.“
    Zwei damalige Streikteilnehmer bestätigen, dass die Arbeiter vor allem „gegen die Normen“ und für ihren Lohn auf die Straße gingen und nicht, um die DDR zu beseitigen. „Das war kein Aufstand als solcher, das war, … wie man hier in Westdeutschland sagen würde, ein Streik.“
    Prof. Arnulf Baring stellte zum Anlass der Streiks sogar fest: „… dass diese zehnprozentige Normerhöhung weder willkürlich noch ungerechtfertigt war. … Man kann sagen, dass die Normen damals in der DDR sehr niedrig waren in vielen Bereichen …“ Allerdings “ … in einem Augenblick, wo man allen anderen, auch den so genannten kapitalistischen Schichten der Bevölkerung Zugeständnisse machte, das außerordentlich deplatziert war.“
    Keineswegs zufällig tauchten damals an vielen Orten der DDR die gleichen Parolen – u. a. zum Sturz der DDR-Regierung – auf, denn sie waren mit Hilfe des RIAS erarbeitet und verbreitet worden.
    Damit entsprach die Rolle Westberlins auch in jenen Tagen den über Jahrzehnte geäußerten Vorstellungen seiner Regierenden Bürgermeister. Die Herren Reuter, Suhr und Brandt rühmten es wahlweise als billigste Atombombe, Frontstadt, Pfahl im Fleisch der DDR …
    Die Zahl der Todesopfer des Juni 1953 wurde von Politik und Medien der Bundesrepublik lange Zeit mit 507 angegeben und erst 2004 auf 55 reduziert.
    Nach Mitteilung der Bundeszentrale für politische Bildung sind in dieser neuen Zahl allerdings auch fünf Angehörige der DDR-Sicherheitsorgane, zwei Volkspolizisten und ein MfS-Mitarbeiter sowie der von einer wütenden Menge erschlagene Mitarbeiter eines Betriebsschutzes und ein versehentlich von sowjetischen Soldaten erschossener Volkspolizist enthalten.
    Weiter heißt es: „Wegen angeblicher Befehlsverweigerung sollen in Berlin und Biederitz bei Magdeburg angeblich 41 sowjetischen Soldaten erschossen worden sein. Dazu konnten bisher keine gesicherten Hinweise gefunden werden. Dem aktuellen Forschungsstand zufolge handelt es sich um eine Legende des Kalten Krieges.“
    Professor Arnulf Baring antwortete in der bereits weiter oben zitierten Sendung des Hamburger Rundfunks auf die Frage nach dem Vorgehen der Sowjetarmee: „… Ich würde sagen, dass die Sowjetunion insgesamt sehr vorsichtig und umsichtig ein Ende gesetzt hat, wenn man überhaupt von einem Aufstand in dem Augenblick reden will, wo die sowjetischen Panzer eingriffen. … “
    Ein weiterer Kommentar beschreibt den Versuch des sowjetischen Stadtkommandanten Dibrowa, von einem Panzer aus zu den Massen zu sprechen. Leider wird ihm kein Gehör geschenkt.
    Später, am Potsdamer Platz, werden die sowjetischen Kampfwagen direkt angegriffen, „wurde Mann gegen Panzer gekämpft“.
    „Doch die Szenen zwischen Todesmut und Leichtsinn an der Grenze zwischen Ost- und Westberlin“, heißt es dann im Bericht, „hatten kaum noch Beziehung zur Protestbewegung der Arbeiter von der Stalinallee. …
    Als … am Potsdamer Platz Schüsse fielen, wurden sieben Personen tödlich verletzt. Sechs von ihnen waren Westberliner.“
    Der in unserem Buch enthaltene Bericht über den beispiellos brutalen Lynchmord an dem Rathenower Wilhelm Hagedorn verweist auf einen weiteren Aspekt der offenen Grenze.
    Sein Anführer soll Mitglied der SA sowie führender Funktionär des Reichsluftschutzbundes in Rathenow gewesen sein. Offenbar entging der Verbrecher seiner Verhaftung, indem er sich rechtzeitig nach dem Westen absetzte. Und er war nicht der Einzige, der auf diese Weise davonkam.
    Unsere Bücher über die DDR sollen vor allem die heute Lebenden zum Nachdenken anregen sind aber auch ein Schatz für Historiker, sollte man meinen. Und in der Tat betrachten die seriösen unter ihnen vor allem unseren Band zum 17. Juni 1953 als wichtige Quelle. Er hatte es sogar in das Literaturverzeichnis der Bundeszentrale für politische Bildung geschafft, wurde jedoch irgendwann entfernt. Aber immerhin ist er nun – wie alle weiteren Bände der Buchreihe „Spurensicherung/Spuren der Wahrheit“ – im Bundesarchiv angekommen

    Zu den Legenden um den „Volksaufstand“ gehört bekanntlich auch der Versuch, ihn als Meilenstein auf dem Weg zur Einheit Deutschlands zu feiern.
    Dagegen nannte der bekannt westdeutsche Professor Löwenthal den 17. Juni 1953 eine „verpasste Chance der westlichen Politik“ und erläuterte dies in der hier bereits mehrfach genannten Sendung des Hamburger Rundfunks:
    „Die verpasste Chance war nicht so sehr der 17.Juni selbst, wie die Wochen zwischen dem Tod Stalins und dem 17. Juni.“
    Prof. Löwenthal verwies darauf, dass die neue sowjetische Führung in dieser Zeit – um die Eingliederung der Bundesrepublik in die NATO zu verhindern – „nach indirekten Beweisen“ zu Verhandlungen über die Einheit Deutschlands – auch unter Aufgabe der DDR – bereit war, aber weder Dulles noch Adenauer auf solche Signale reagieren oder selbst Verhandlungen vorschlagen wollten. Nach den Juniereignissen „entschied sich in Moskau die Abkehr von diesem Versuch. Und insofern beendete der Verlauf des 17. Juni diese Chance.“
    In Kenntnis dieser Umstände erscheint mir sogar das in unserem Buch (Artikel: „Hintergründe des 17. Juni 1953“) beschriebene Verhalten der Moskauer Führung nicht als zufällig, obwohl es weder fair gegenüber den leitenden DDR-Funktionären noch einer Entschärfung der Situation dienlich war, sondern im Gegenteil erhebliche Verwirrung stiftete.

    Mein Vorschlag an die Öffentlich-Rechtlichen zu jedem weiteren Jahrestag der Ereignisse wäre, einfach diese Sendung aus der Mottenkiste zu holen, anstatt neue Geschichtsklitterungen zu produzieren und dazu ganz ungeniert auch mal dem einen oder anderen Zeitzeugen völlig sinnentstellend das Wort im Munde umzudrehen, wie es dem 1916 in Bremen geborene Oberingenieur Otto Pfeng – 1953 Oberbauleiter der Stalinallee – erging.
    Wer den Eisensee-Report liest, lernt ihn als ehrlichen, hoch anständigen Menschen kennen, und ich kann diesen Eindruck nur bestätigen.
    Zu seinem „Weg in die DDR“ schrieb er: „DDR-Bürger wurde ich ohne mein Zutun“ – weil er zufällig in Ostberlin wohnte – , machte auch in „Leben in der DDR“ keinen Hehl daraus, dass mit der Grenzschließung am 13. August 1961 für ihn schmerzliche familiäre Probleme verbunden waren – und verteidigte sie in Kenntnis der damaligen Lage dennoch als zwingend notwendig.
    In unserem Buch zum 17. Juni 1953 ist er Kronzeuge für die Authentizität des Eisensee-Reports und vermittelte uns außerdem den Kontakt zur bewundernswerten Isi Henselmann, die ihn ebenfalls bestätigte und durch einen eigenen Text ergänzte.
    Und dann passierte ausgerechnet ihm, dass er nach Veröffentlichung unseres Buches von irgendwelchen üblen TV-Machern zum Interview gebeten wurde. Wonach man seine Aussagen derart geschickt zurechtschnitt, dass sich ihr Inhalt ins Gegenteil verkehrte und schließlich den politischen Vorgaben für die Darstellung des „Volksaufstandes“ entsprach.
    Nach Ausstrahlung der Sendung rief er mich voller Empörung an und ließ sich danach gewiss nicht wieder übertölpeln.

    Ich besitze noch immer eine winzige Broschüre mit M. A. Leonows Überlegungen zu „Kritik und Selbstkritik“. Sie schließen wie folgt: „In unserer Sowjetgesellschaft, in der die antagonistischen Klassen liquidiert sind, vollzieht sich der Kampf zwischen dem Alten und dem Neuen und folglich auch die Entwicklung vom Niederen zum Höheren nicht in Form eine Kampfes antagonistischer Klassen und durch Katastrophen wie im Kapitalismus, sondern in Form der Kritik und Selbstkritik, die eine wahre Triebkraft unserer Entwicklung und ein mächtiges Instrument in den Händen der Partei darstellt.“
    Das Heft stammt aus dem Jahr 1949. Die darin enthaltenen Forderungen wurden nicht nur in vielen tausend SED- und FDJ-Versammlungen und -Konferenzen diskutiert, sondern auch praktiziert. Ich selbst erlebte große Veranstaltungen, in denen das Präsidium vor allem fehlende Kritiken bemängelte.
    Mein früherer Chef, Thüringens Ministerpräsident Werner Eggerath, wurde von der Parteiführung öffentlich für die Duldung von Liebedienerei u. a. gerügt (wie er damit umging, beschreibe ich in einem meiner Texte zur „Spurensicherung“), noch 1952 Ernst Lohagen, SED Landesvorsitzender von Sachsen „wegen Unterdrückung der Kritik“ abgelöst u. a. m.
    Nach meiner Erinnerung begann die Triebkraft „Kritik und Selbstkritik“ erst nach dem Juni 1953 allmählich zu versiegen. Zugleich geschah es immer häufiger, dass offen gelegte Fehler und Mängel, selbst wenn sie eher unbedeutend waren, vom Westen ins Gigantische aufgebläht und propagandistisch ausgeschlachtet wurden, um die Stimmung der DDR-Bevölkerung negativ zu beeinflussen. (Daran erinnere ich mich angesichts mancher aktuellen Panne, beispielsweise im Hinblick auf die teils chaotischen Zustände bei der Berliner S-Bahn. Nicht vorstellbar, welches Geschrei sie ausgelöst hätten, als die DDR noch Verantwortung für Netz und Technik trug!)
    Da dachte auch ich, dass man mit öffentlicher Kritik wahrscheinlich doch etwas vorsichtiger umgehen musste. Andererseits konnte man in den Folgejahren leider nicht mehr übersehen, dass die Schönfärberei überhand nahm, es sich mancher Verantwortliche durch einen zunehmend autoritären Führungsstil leichter machte und allerhand selbstherrliche Karrieristen in leitende Positionen vordrangen.
    In den 80er Jahren herrschte innerparteilich dann eine oft geradezu lähmende Atmosphäre, die dringend der Veränderung bedurfte. Weshalb auch ich – ebenso wie mein Mann und wohl die Mehrheit der Genossen – zunächst auf Gorbatschows Perestroika-/Glasnost-Masche hereinfiel. Auch in meiner Parteigruppe wurde begeistert darüber diskutiert, denn dort nahmen wir nach wie vor kein Blatt vor den Mund, gaben auch manche unserer Kritiken schriftlich weiter.
    Und verhielten uns trotzdem in der täglichen Praxis nicht anders als zuvor.

    Zunächst waren wir über die spürbare Zurückhaltung unserer Parteiführung verwundert.
    Aber während einer Urlaubsreise in die Sowjetunion begannen auch mein Mann und ich zu ahnen, dass am Zauberer Gorbatschows einiges faul war und sein Weg vielleicht doch nicht in eine bessere Zukunft, sondern ins Chaos führen könnte.

    Als dann die „DDR-Bürgerrechtsbewegung“ von westdeutschen Politikern unter völliger Missachtung der Souveränität unseres Staates immer dreister manipuliert und voran getrieben wurde, war schnell klar, wo das enden sollte.
    Um diese Entwicklung zu verhindern, wären wir – wie vermutlich Hunderttausende anderer DDR-Bürger – den zunächst vom Westen mit Deutschlandfahne eingeschleusten „Wir-sind-ein-Volk“-Demonstranten gern rechtzeitig entgegen getreten. Doch auf ein Signal der Parteiführung an die (damals noch mehr als 2 Millionen!) Parteimitglieder wartete man erneut vergeblich.

    Das verstand ich dann doch nicht mehr, zumal ich an den 17. Juni 1953 zurückdachte. Damals herrschte eine ähnliche Sprach- und Tatenlosigkeit. Hatten wir denn daraus wirklich nichts gelernt?

    Als ich einen Genossen der Erfurter SED-Bezirksleitung telefonisch darauf aufmerksam machte, gab dieser meinen Hinweis an den 1. Sekretär weiter und teilte mir noch kurz vor einer von „friedlichen“ (Konter-)Revolutionären organisierten Großkundgebung auf dem Domplatz mit, dieser habe „alles im Griff“. Doch danach stand ich wie am 16./17. Juni inmitten einer erregten Menge, die jedem Kritiker und Provokateur zujubelte, während man die für ihr unermüdliches Engagement zum Wohle der Stadt und ihrer Bürger bekannte Oberbürgermeisterin nicht ausreden ließ. Nach einer Gegendemonstration, der ich mich – und sicher auch mancher andere – angeschlossen hätte, hielt ich vergeblich Ausschau.

    Bei einer späteren Versammlung vor der Erfurter SED-Bezirksleitung trafen mein Mann und ich nur noch auf einige hundert gleich gesinnter Genossen und wurden durch eine Gruppe hasserfüllter Provokateure aus dem Hintergrund als „Rote Socken“ beschimpft.

    Unvergesslich bleibt mir auch die vom DDR-Fernsehen übertragene Großkundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz am 4. November 1989. Sie war von DDR-Theaterschaffenden organisiert worden.
    Als letzte Rednerin rezitierte die bekannte Schauspielerin Steffie Spira – mit gemessenem Pathos „passende“ Passagen aus Bertolt Brechts 1934 im Pariser Exil als Kampfansage gegen den deutschen Faschismus geschriebenem Gedicht „Lob der Dialektik“, verwahrte sich danach – ohne jeden Bezug auf Inhalte – pauschal gegen Formen der Jugendarbeit wie Fahnenappelle oder „Blauhemden-Demonstrationen“ und verlangte abschließend das „Abtreten der Alten“, d.h. den Rücktritt von Partei- und Staatsführung. Zuvor hatte sie noch vorgeschlagen, aus der der Funktionärssiedlung Wandlitz ein Altersheim zu machen und goss damit bewusst Öl ins Feuer. Denn speziell über den angeblich verschwenderischen Luxus in Wandlitz wurden damals die unsinnigsten Gerüchte gestreut. Danach sollten dort Luxuspaläste mit goldenen Wasserhähnen existieren. In Wahrheit hätte sich jeder Handwerksmeister ein luxuriöseres Heim gebaut als es beispielsweise das ehemalige Wohnhaus von Walter Ulbricht darstellte – ein einfacher, zweistöckiger grauer Bau mit Satteldach.

    Die langjährige Brecht-Vertraute Käte Reichel hatte die Kundgebung mit organisiert, nahm schweigend an ihr teil und protestierte nicht gegen den schamlosen Missbrauch der Brechtschen Verse.
    Während die Verfasser der „Arbeitermarseillaise“ den „Unverstand der Massen“ bereits 1864 als wichtigen Feind erkannt hatten, lobte der Schriftsteller Christoph Hein auf dem Alexanderplatz die „Vernunft der Straße“ und schlug für Leipzig sogar den Titel „Heldenstadt“ vor.
    Der sensationelle internationale Filmerfolg „Das Leben der Anderen“ (Oscar-Auszeichnung 2007) entstand nach Angabe des in der Alt-BRD aufgewachsenen jungen Drehbuchschreibers und Regisseurs auch in Anlehnung an das qualvolle DDR-Dasein von Christoph Hein.. In einem aktuellen Buch fällte dieser nun – immerhin 30 Jahre nach der auch von ihm angeheizten „friedlichen Revolution“ – ein vernichtendes Urteil:
    „Das Leben der Anderen“ beschreibt nicht die Achtzigerjahre in der DDR, der Film ist ein Gruselmärchen, das in einem sagenhaften Land spielt“ Aha. Aber besser spät als nie!
    Im Gegensatz zu Christoph Hein und Steffie Spira fand Käte Reichel rasch zu politischem Verstand zurück, während der Schriftsteller und Dichter Peter Hacks selbigen – trotz allerhand negativer Erfahrungen mit DDR-Kulturfunktionären – nie verlor und später zusammenfassend feststellte, dass es sich bei Organisatoren und maßgeblichen Köpfen der Konterrevolution ausschließlich um Künstler und Intellektuelle gehandelt hatte, die auf eine verbreitete Missstimmung setzen konnten. Doch die Rechnung bezahlt bis heute nicht die künstlerische Prominenz, sondern die vormalige DDR-Bevölkerung. Inzwischen scheinen zwar immer mehr Ostdeutsche zu begreifen, dass die Auslieferung der sozialistischen DDR an die vom Monopolkapital beherrschte, räuberische und aggressive BRD einen ganz besonderen Höhepunkt der massenhaften Unvernunft darstellte, laufen aber zum Teil erneut in die falsche Richtung.
    Damals war es dann bald für jede friedliche Gegenwehr zu spät, die tobsüchtige Hetzjagd aufgeputschter Massen auf DDR-Funktionäre oder Sympathisanten in vollem Gange und bis zur Bereitschaft zu Lynchmorden aufgeheizt – eine regelrechte Pogromstimmung. Wäre man beispielsweise der beiden Honeckers irgendwo auf der Straße habhaft geworden, hätten sie vermutlich nicht überlebt.
    Obwohl dies alles mit der Parole „Keine-Gewalt!“ von DDR-Bürgerrechtlern freundlich garniert wurde, denen es ja auch auf dem Alexanderplatz angeblich nur um „eine bessere DDR“ gegangen war. Doch dass dieser fromme Wunsch unter den damaligen internationalen Bedingungen, insbesondere dem übermächtigen Druck der westdeutschen Propaganda, nicht zu verwirklichen war, hätte selbst politischen Analphabeten klar sein müssen.

    Während meines Kuraufenthalts im zeitigen Frühjahr 1990 in Bad Sulza/Thür. dröhnte mir noch auf der Massagebank eine Rede von Bundeskanzler Kohl lautstark in die Ohren, und jeder außer mir schien ergriffen zu lauschen. Immerhin äußerte später eine meiner Mitpatientinnen, man müsse aber wohl oder übel demjenigen führenden DDR-Funktionär unendlich dankbar sein, der im Herbst 1989 auf den Einsatz bewaffneter Kräfte gegen die Demonstranten verzichtet hatte.
    So viel ich weiß, handelte es sich dabei um den Honecker-Nachfolger Egon Krenz. Bei dem sich die bundesdeutsche Justiz ja dann auch prompt bedankte – indem sie ihn jahrelang einkerkerte.

    „Vielleicht waren wir zu naiv“ schrieb eine der DDR-Bürgerrechts-Ikonen, meine Altersgefährtin Christa Wolf, sinngemäß in ihrem letzten Roman. Das halte ich ihr zugute. Wie sie die Junitage 1953 verbracht und welche Schlussfolgerungen sie gezogen hatte, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber obwohl ich im Herbst 1989 noch nicht viel über die Zusammenhänge wusste, stand zumindest mir dieser erste Versuch zur Liquidierung der DDR beim Blick auf die aktuellen Ereignisse ständig vor Augen.

    Die Frage, wie es vermutlich um ihn selbst, seine Familie, Deutschland, Europa und die Welt heute bestellt wäre, hätten die Feinde der DDR bereits im Jahre 1953 gesiegt und danach eine Kettenreaktion in anderen sozialistischen Ländern auszulösen versucht, sollte sich jeder stellen. Die Antworten werden unterschiedlich bis krass gegensätzlich ausfallen.

    „Wir haben doch ein erfolgreiches Leben hinter uns – vierzig Jahre Sozialismus in Deutschland will was heißen“, schrieb mir unser unvergessener Freund und Genosse Klaus Huhn (bekannt als Sportreporter Klaus Ulrich) kurz vor seinem Tod.

    Und auch ich bin nicht nur froh über den historischen Zeitgewinn für mich, meine Familie, Ost- wie Westdeutsche, alle Europäer und die gesamte Menschheit, sondern ebenso wie Klaus stolz auf die unter schwierigsten Bedingungen errungenen Erfolge sowie unsere für künftige Generationen unverzichtbaren Erfahrungen.

    Oder, mit den Worten von Peter Hacks:

    „Wessen sollten wir uns rühmen, wenn nicht der DDR?“
    —————

    Ursula Münch

  20. sascha313 schreibt:

    Liebe Genossin Ursula Münch, hab vielen Dank für Deinen spannenden Beitrag. Ich habe alles noch einmal in einem extra Artikel übernommen und ein paar Zwischenüberschriften eingefügt. Ich hoffe, es ist in Deinem Sinne. Ein wertvoller Beitrag!

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